Rezyklieren à la Ringier
Das Haus der Qualitätsmedien spart, wo es nur kann.
Wer findet den Unterschied? Der Artikel «Dort leben, wo die Sonne scheint und die Steuern tief sind», erschien ursprünglich in der «Bilanz». Wurde dann in der «Handelszeitung» rezykliert. Und landete schliesslich auch noch im «Blick».
Immerhin überall hinter der Bezahlschranke; also könnte der unaufmerksame Leser gleich dreimal für den gleichen Content zur Kasse gebeten werden.
Das ist mal Sparmassnahme eins. Dann hätten wir die aufdringliche Werbung, zum Beispiel im «Blick»:
Links ist der Wetterbericht, geschrieben von einer «Praktikantin News-Desk». Nun, jeder und jede hat mal klein angefangen. Daneben etwas Politik, aber lediglich in einem «News-Ticker», ein Euphemismus dafür, dass Agenturmeldungen zusammengeschnipselt und aneinandergeklebt werden. Schliesslich rechts reine Werbung, unten drunter reine Werbung, verkleidet mit einem «Präsentiert von …».
Dann nach dünnem Inhalt:
Diesmal nicht «präsentiert von», sondern «Promotion mit …». Macht den ganzen Unterschied. Da geht doch noch einer:
Der gute, alte Wettbewerb. Wer nun meint, das hier sei wenigstens eine Eigenleistung,
irrt, ist einfach eine Meldung der SDA, womöglich etwas zusammengeholzt. Dann hätten wir noch diese Variante:
Eigenleistung? I wo, «Inhalt von Sunrise starzone». Ach, und erwähnten wir schon, dass der «Blick» selbst eigene Artikel auf seiner Homepage mehrfach rezykliert? Doch, tut er.
Nehmen wir als Absackerchen noch den «Green Circle»:
Im grossen Artikel kommt gnadenlos nur nach Qualität ausgesuchte Kosmetik vor. Die drei rechts machen um ihr Sponsoring kein Hehl, entweder ein «Artikel von …» oder wieder das beliebte «Präsentiert von ...»
Was aber mit dem nach streng journalistischen Kriterien erstellten Content der Artikel überhaupt nichts zu tun hat, keinerlei Einfluss hat.
Ach, und natürlich werden auch immer wieder Artikel aus der «Schweizer Illustrieret» oder «SI Style» rezykliert. Denn wie soll man sonst mit immer weniger Indianern, aber immer mehr Häuptlingen überhaupt Content ins Internet und auf Papier blasen?
Bloss: was einen Preis hat, sollte auch einen Wert haben. Dann nennt man es preiswert. Verlang man für Wertloses, Rezykliertes oder Abgeschiednes Geld, dann ist das nicht preiswert. Sondern reine Leserverarsche.
Vielleicht die passende Gelegenheit, ein Gedicht von Kurt Tucholsky zu rezyklieren. Liebe Kindersoldaten, einfach mal den Namen googeln, das hilft schon. Und hier wäre das Gedicht von 1931, heute so frisch wie damals:
An das Publikum
O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: «Das Publikum will es so!»
Jeder Filmfritze sagt: «Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!»
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
«Gute Bücher gehn eben nicht!»
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte…
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
Ja, dann…
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann…
Ja, dann verdienst dus nicht besser.