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Schafft endlich diese Kultur ab!

Der Tagi macht aus Leserverarschung eine Kunst.

Das Qualitätsmedium wiederholt sich, ZACKBUM wiederholt sich.

Da stirbt einer der ganz grossen Maler der Gegenwart. Fernando Botero war nicht nur in seinem Heimatland Kolumbien ein Star, sondern weltweit anerkannt. Mit seinen voluminösen Figuren, aber auch mit seinem Schalk hatte er ein unverwechselbares Oeuvre geschaffen.

Da er über 90 war, hatte jede anständige Kulturredaktion bereits einen Nachruf in der Schublade. Ausser natürlich das kultur- und niveaulose Blatt aus der Werdstrasse in Zürich. Dort kümmern sich die Kulturredaktoren lieber um die eigene Befindlichkeit oder um den neusten Sexismus-Skandal oder um korrektes Gendern. Also um Themen, die die Leserschaft zum Gähnen bringen und in Scharen vertreiben.

Stirbt nun Botero, reicht es gerade dazu, eine Tickermeldung der AFP zu übernehmen, zurechgeschnipselt von einem Autorenkürzel «nlu», das aber zu niemandem aus dem «Team Kultur» passt. Und weil das Team einfach wurstig und schlampig arbeitet, kommt die Meldung auch noch im «News-Ticker Kultur». Wiederholung? Na und. Dass es eine Panne beim «Kraftwerk»-Konzert gab, ist ja auch eine alte Kamelle, ziert aber dennoch den «Kultur-Ticker». Dann diesmal als Platzhalter (ist schon blöd, dass man sich immer vier Stoffe aus den Fingern saugen muss) eine «Widmerzeile».

Aber halt, da ist doch noch eine Rezension einer Biografie über Elon Musk. Immerhin. Schon, aber hier ist der Autor vollständig angegeben. Es handelt sich um Adrian Kreye. Genau, der Mitarbeiter der «Süddeutschen Zeitung» in München, von der das Qualitätsblatt der Schweiz grössere Teile der Inhalte übernimmt, um sie dann dem fluchenden Leser teuer zu verkaufen.

Wir beenden diese Serie über ein Trauerspiel im allgemeinen Niedergang und bitten einfach inständig: lieber Tagi, liebe Redaktionsleiterin, liebe Ressortleiterin, haben sie Erbarmen mit dem Leser. Sie müssen sowieso noch ein paar Millionen einsparen bis Ende Jahr. Eine ersatzlose Streichung  des «Team Kultur» – wir garantieren das –, würde niemandem auffallen. Im Gegenteil. Der Leser wäre beglückt und erfrischt, dass ihm dieses Elend, diese Bankrotterklärung des Kulturjournalismus, erspart bliebe.

Gibt Tamedia die Kultur auf?

Es ist Wüste. Und es gibt kein Leben dort.

ZACKBUM hat vor Kurzem die Kulturlosigkeit der unzähligen Tamedia-Kopfblätter kritisiert. Das hat gewirkt. Inzwischen verzichten die immerhin sieben Kulturschaffenden völlig auf eigene Beiträge. Man muss vermuten, dass sie in einen Streik getreten sind:

Das schämt sich auf der Homepage von Tamedia nicht, unter der Rubrik «Kultur» zu erscheinen. Im «Magazin» wurde ein Autor zu einem Kinoerlebnis befragt. Journalisten interviewen Journalisten, das ist immer das Begräbnis der Berichterstattung.

Weil nun wirklich nichts, einfach nichts produziert wurde, kommt sogar eine Kolumne aus dem «Magazin» zum Handkuss und wird unter «Kultur» aufgereiht. Die Kolumnisten werden sich sicherlich fragen, wie sie denn zu dieser zweifelhaften Ehre kommen. Nun, sie dürfen sich von jetzt an Kulturschaffende nennen, was sicherlich zu Lachsalven im Publikum führen wird.

Dann wird am «News-Ticker Kultur» weitergetickert. Hier überrascht uns die Kulturredaktion mit der Nachricht, dass der US-Schauspieler Danny (who the fuck) Masterson zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Denn er habe vor 20 Jahren zwei Frauen vergewaltigt. Aber die Berichterstattung ist nicht einmal eine Eigenleistung, sondern einfach von der SDA übernommen.

Und wenn sie sich schon mal bei der SDA eingetickert hatten, übernahmen sie auch gleich noch den epochalen Bericht über die neusten Entwicklungen im «Missbrauchsskandal». Wo, wie, was, haben wir etwas verpasst, wer wird denn in der Schweiz oder in Deutschland ans Kreuz genagelt? Aber nein, es geht um «Geständnisse in Japans Entertainment-Branche». Auch auf die Gefahr hin, als Sexist beschimpft zu werden: sowohl dieser Skandal wie auch seine Geständnisse im fernen Japan gehen uns so was von an einem bestimmten Körperteil vorbei, das lässt sich gar nicht in Worte fassen.

Aber zum grossen Leidwesen der Tamedia-Kulturredaktion bestehen diese Rubriken jeweils aus vier Ankündigungen. Da wurde aber Grosses geleistet. Denn die «Streaming-Tipps» für den Monat August wurden tatsächlich durch die Tipps für den Monat September ersetzt. Nach dieser herkulischen Anstrengung herrscht da aber wenigstens bis Oktober Ruhe.

Aber, manchmal gibt es Gedankenübertragung, beim Schreiben dieses Artikels tat sich plötzlich was in der Tamedia-Kulturwüste:

 

Wer bemerkt den Unterschied? Richtig, der «Kulturticker» ist weg. Dafür gibt es einen neuen Beitrag. Na also, geht doch. Geht nicht, denn das würde nun aber der Zentralredaktion zu viel abfordern. Also greift sie auf den Autor der «Süddeutschen Zeitung» zurück. Immerhin hat Willi Winkler das richtige Alter, um den neusten Streich der Altherrencombo «Rolling Stones» zu würdigen. Hat man zwar überall schon gelesen und gehört, aber halt noch nicht hier. Die haben ein neues Studio-Album aufgenommen. Wow. Nach 18 Jahren. Sagenhaft. Was soll man denn  dazu sagen? Da greift Winkler zum Kunstmittel, die Ankündigung in einem einzigen Bandwurmsatz abzuhandeln. Genial, originell, ungefähr so Neuland wie das erste Stück aus dem neuen Album.

Sehr beunruhigend dabei: dass die alten Säcke zur alten Nummer «wir sind ganz böse Jungs» ein leicht geschürztes Busenwunder sich auf einem roten Mercedes-Cabrio räkeln lassen, das muss sich noch unbedingt einen scharfen Verweis der Gender-Fraktion einfangen. Wo bleiben Tobler und Loser (hops, den Namen wollten wir ja nie mehr nennen), wo bleibt Hiltmann, ja wo bleibt Birrer, wenn man sie mal braucht?

Des Rätsels Lösung dürfte sein: alle sind so beschäftigt, dass sie keine Hand mehr frei haben, um sich über diesen neusten Sexismus-Skandal zu erregen:

 

Vermisst: die Kultur bei Tamedia

Sag mir, wo ist sie gebliehiben?

Immerhin 7 Fachkräfte umfasst das «Team Kultur» im Abfall-, Pardon, Sammelgefäss «Leben». Da gibt es auch das «Team Gesellschaft», dem auch wieder der eigentlich gefeuerte Jean-Martin Büttner angehört. Offenbar hat er sich die Rückkehr durch unerschrockene Peino-Artikel erschrieben.

Darüber thronen zwei Co-Leiter, ein «Content-Manager», ein Autor und eine Lisa Füllemann einfach so. Nochmals darüber gibt es die «Chefredaktion Tages-Anzeiger» (4 Nasen) und die «Redaktionelle Steuerung» (13 Nasen), wobei es teilweise zu Funktionsüberschneidungen kommt. So ist Kerstin Hasse hier in der «Tagesleitung», gleichzeitig aber auch in der Chefredaktion. An beiden Orten bleibt sie, nun, eher unauffällig

Aber was schafft denn diese geballte Kompetenz mit gewaltiger Führungscrew in Sachen Kultur; nicht ganz unwichtig für ein sogenanntes Qualitätsmedium mit unzähligen Kopfblättern? Nehmen wir die «Literaturchefin» Nora Zukker. Deren Ausstoss im letzten Monat bestand aus vier Wortmeldungen. Vielleicht will sie sich damit für eine Mitarbeit bei der «Republik» bewerben. Und bei genauerer Betrachtung waren das ein Sammel-Buchtipp (darunter Kim de l’Horizon, Claudia Schumacher und Martin Suter, also untere Etage) mitsamt launigen Bemerkungen (Rezept für selbstgemachte Glace) und dem Ratschlag, nicht «1000 Seiten Hardcover auf dem Rücken liegend» zu lesen.

Der Rest waren Interviews, die billigste Art von Journalismus, ohne Aufwand, ohne nix. Oder nehmen wir Alexandra Kedves (Ladies first). Sie schaffte in einem Monat ein Interview mit einer «legendären Feministin», etwas zum Theater Spektakel in Zürich und ein Sprachquiz.

Ebenfalls auf drei Werke brachte es Christoph Heim. Caspar David Friedrich in Winterthur, Käthe Kollwitz in Zürich und Fotografien aus Südafrika. Ein abendfüllendes Programm. Richtig im Schreibstau steckte Martin Ebel, ein einziges Werk in einem Monat.

Kein Wunder, muss man auf der Homepage weit, sehr weit nach unten scrollen, bis nach den Blogs endlich die Kultur kommt. Und was für eine:

Das ist durchaus repräsentativ. Der ewig laufende «News-Ticker Kultur», das Abfall-, Pardon, Sammelgefäss für alle Arten von Tickermeldungen. Die «besten Bücher des Monats» August verweilen hier bis zum allerletzten Tag des Monats. Dann noch «Unsere Streaming-Tipps im August» und schliesslich noch der lustige Leserwettbewerb «Stimmen Sie ab».

Mit Verlaub, das ist kein Kulturteil, das ist Leserverarsche. Immerhin traut sich Tamedia schon lange nicht mehr, das Ganze «Feuilleton» zu nennen. Das hier ist aber einfach erbärmlich. Hier gibt es gewaltiges Sparpotenzial nicht nur bei Andreas Tobler, der eigentlich nie in Kulturellem unterwegs ist, sondern die Bührle-Sammlung, die Band Rammstein und die ganze Welt mit seinen Ratschlägen, Forderungen und unqualifizierten Kommentaren belästigt.

7 Fachkräfte, die kosten im Monat mit allem Drum und Dran und Spesen und überhaupt so um die 100’000 Franken. Um auch hier fast alles von der «Süddeutschen Zeitung» zu übernehmen, bräuchte es eigentlich höchstens eine Fachkraft, die ß in ss verwandelt, ein paar Germanismen durch Helvetizismen ersetzt und gelegentlich mal ein Interview macht.

Der Qualität täte das keinen Abbruch, im Gegenteil. Umso schneller Nicht-Literaten, Möchtegerns, Eintagsfliegen und kampffeministische Autoren wieder verschwinden, desto grösser die Chance, dass bei Tamedia wieder so etwas wie ein Kulturteil wahrgenommen wird.

 

Wüstenlandschaft

Das ist die Kultur bei Tamedia.

Immerhin sieben Journalisten umfasst das «Team Kultur» bei Tamedia. Gut, darunter Alexandra Kedves, Andreas Tobler und Nora Zukker. Dennoch könnte ja so etwas wie Berichterstattung rauskommen, in einem «Qualitätsmedium». Das sieht allerdings so aus:

Status Wochenende. Am aktuellsten ist der sogenannte «News-Ticker Kultur». Das seien «Nachrichten, Personalien und Fundstücke aus der Welt der Kultur und Unterhaltung». Also ein Abfallhaufen, Pardon, Sammelgefäss für SDA-Tickermeldungen. Die «besten Bücher des Monats» wurden am 19. Juli zusammengestellt. Darunter auch nur auf Englisch erhältliche Werke, aber der Tagi-Leser ist sicherlich multikulti. «Die Alain-Berset-Show» stammt immerhin vom 5. August, die kulturelle Höchstleistung «Unsere Streaming-Tipps für diesen Monat» wurde am 4. August «aktualisiert».

Eigentlich wäre es ehrlicher, stattdessen ein Schild unter die Rubrik «Kultur» zu hängen: «Wegen Ferien und Unlust geschlossen, schauen Sie doch im September mal wieder rein.»

Kulturelle Wüste, die neuste Form der Leserverarschung.

Arte ist Kunst

Aber nicht Kult. Dafür nahe verwandt mit Schnecken.

Arte kostet 140 Millionen Euro im Jahr. 132 davon stammen aus öffentlichen Mitteln, die sich Deutschland und Frankreich teilen. Der Kultursender existiert seit 1992, ist zu einem Konglomerat angewachsen und hat Tentakel ausgestreckt, unter anderem in Form einer monatlichen Printbroschüre.

Arte ist für die happy few, mit einer durchschnittlichen Einschaltquote von 1,2 Prozent. Das hindert den Sender nicht, Hunderte von Mitarbeitern am Hauptsitz in Strassburg zu beschäftigen. Das sollten eigentlich genügend Sesselfurzer sein, um als Kultursender auf ein journalistisches Angebot zumindest zu reagieren.

Headquarter in Strassburg.

Also wurde am 2. März dieses Jahres eine entsprechende Anfrage gestellt. Thema, Begründung, Hintergründe, Argumente dafür. Dieser Tat war allerdings eine längere Recherche vorangegangen, an wen man sich mit einem solchen kühnen Anliegen wende könnte, denn mit Ansprechpersonen oder auch nur sachdienlichen E-Mail-Adressen hat es der Sender nicht so.

Auch nicht mit Antworten. Nachdem nichts passierte, wagten wir es, telefonisch nachzufassen und landeten konsequent in der Combox. Dort versprach zwar eine Stimme ab Band, dass zurückgerufen werde – aber das war leider gelogen.

Zu früh aufgegeben. Wobei …

So gaben wir nach rund einem Monat auf. Zu früh, wie sich dann zeigte. Denn siehe da, am 8. April erreichte uns der schriftliche Beweis, dass in dem Riesengebäude in Strassburg tatsächlich gearbeitet wird. Wir bekamen eine Mail: «Vielen Dank für Ihr Interesse am Europäischen Kulturkanal ARTE. Wir bitten Sie uns für die verspätete Antwort zu entschuldigen.»

Das tröstete ungemein; man hatte unsere Anfrage zur Kenntnis genommen, man entschuldigt sich. Aber bevor die Spannung ins Unerträgliche stieg, was denn nun mit dem Projektvorschlag wäre, kam die kalte Dusche:

«Die meisten unserer Programme werden über unsere Mitglieder ARTE Deutschland und ARTE France sowie Partneranstalten eingebracht. Wir raten Ihnen daher, Ihren Vorschlag an eines dieser Mitglieder zu richten oder direkt an die Landesrundfunkanstalten der ARD und des ZDF.»

Nun hatten wir den Vorschlag bereits, was auch nicht ganz einfach war, an die Sendung «Titel, Thesen, Temperamente» eingereicht. Da die in der ARD produziert wird, gibt es insgesamt fünf sogenannte Länderanstalten, die im Turnus zuständig sind. Das läuft dann so, dass eine bereits die E-Mail-Adresse abgeschaltet hat, keine Störung des ordentlichen Büroschlafs.

Im Labyrinth der ARD

Die zweite reagiert nicht und wird deshalb mit einem Telefonat belästigt. Beim WDR in Köln geht tatsächlich jemand ans Telefon und teilt fröhlich mit, dass Vorschläge, die die Schweiz betreffen, von den Kollegen in Bayern behandelt würden. «Das ist sozusagen deren Beritt», sagt der Kölner launig, «nehmen Sie das bitte nicht despektierlich». Wie kämen wir dazu, also rufen wie in München an, wo aufs Mail ebenfalls nicht reagiert wurde. Auch dort wird der Anruf erhört. «Wir sollen für die Schweiz zuständig sein? Das wüssten wir aber. Wer sagt das? Ach, der WDR, unglaublich.» Das war offensichtlich kein Beitrag zur Völkerverständigung mit den Bayern.

Aber man lässt Gnade vor Recht walten: «Schicken Sie uns doch den Vorschlag per Mail.» – «Das habe ich schon getan.» – «Also ich habe nichts gekriegt, schicken Sie doch nochmal.» Das war dann das letzte Mal, dass ein Mitarbeiter von «Titel, Thesen, Temperamente» ansprechbar war. Er hatte immerhin vorsichtig angekündigt: «Wenn wir interessiert sind, hören Sie von uns.»

Übrigens war das Angebot ernstgemeint, kulturell hochstehend und fand andernorts begeisterte Abnehmer. Wer gerne seine Vorurteile gegenüber öffentlich-rechtlichen Medienanstalten bestätigen möchte und herausfinden, dass er noch viel zu sanft urteilte, sollte auch mal den Versuch machen, diese Schnarchnasen für einen Vorschlag zu begeistern.

 

 

Lesen bildet

Kommt nur darauf an, was. Eine kleine Auswahl von zeitgemässen Werken ausserhalb der Bestsellerlisten. Part II

Um alle Dünnbrettbohrer abzuschrecken, fangen wir gleich mit einem Gewaltswerk an. Frank Trentmann schreibt die «Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute». Er nennt das die «Herrschaft der Dinge». Zumindest in den entwickelten Teilen der Welt, aber auch immer mehr in die sogenannte Dritte Welt ausgreifend, haben wir eine Sammlung von Besitztümern angehäuft, wie sie in diesem Ausmass und in dieser Verbreitung historisch einmalig ist.

«Wie viel und was man konsumieren soll, ist eine der drängensten, aber auch verzwicktesten Fragen unserer Zeit

Haben und Sein, Konsumrausch, der Wert der Dinge, die Selbstdefinition durch Besitz, die Formen des Erwebs und der Distribution, der englische Historiker bohrt hier ein ziemlich dickes Brett. Im wahrsten Sinne des Wortes, 1100 Seiten. Selbst wenn man die ausführlichen Anmerkungen weglässt, hat man 933 Seiten vor sich.

1100 Seiten, Fr. 29.90 (Taschenbuch).

Für die Lektüre spricht, dass es gefällig geschrieben ist, nur gelegentlich zu verliebt in Details. Dafür spricht ebenfalls, dass das Werk bereits 2016 auf Englisch erschien und zwei Jahre später auf Deutsch – ohne dass es veraltet wäre oder an Singularität des Themas eingebüsst hätte.

Also schliessen wir uns für einmal der «Times» an: «Ein Meisterwerk der Forschung».

 

Zweite Empfehlung

Sozusagen mit dem Überbau der Gesellschaft befasst sich dagegen Terry Eagleton. Der Professor für englische Literatur in Manchester hat schon eine ganze Flotte von Büchern auf die Leser losgeschickt. Sein neustes Werk komplettiert den Begriff Konsum mit «Kultur».

Also mit der Antwort auf die Frage, welche Bedeutung Kultur eigentlich in der Gesellschaft hat, für den Einzelnen. Wie wichtig ist Kultur in dem, was wir als Zivilisation bezeichnen? Oder ganz banal: was ist eigentlich Kultur? Was passiert, wenn sie fehlt? Was hat man davon, wenn man als kultivierter Mensch bezeichnet werden kann?

Auch dieses Buch ist schon 2016 auf Englisch erschienen, als hätten sich die beiden Autoren abgesprochen. Eagleton entlässt den Leser aber bereits nach 200 Seiten aus seinem bereichernden Höhenflug von Herder, Schiller bis hin zur Postmoderne. Auch für der Kultur nicht gerade verfallene Menschen gewinnbringend. Eagleton zeigt da und dort eine erheiternde intellektuelle Schärfe des Vergleichs, in einer trockenen Art, wie sie nur ein Engländer hinkriegt:

«Fundamentalismus ist die Überzeugung derer, die sich von der Moderne abgehängt und gedemütigt fühlen, doch die Antriebe, die für diesen krankhaften Geisteszustand verantwortlich sind, sind ebenso wie jene, die den Multikulturalismus hervorgebracht haben, mitnichten kulturell.»

200 Seiten, Fr. 29.90 (gebunden).

 

Dritte Empfehlung

Sehr knackig geschrieben, wie es nur US-Professoren hinkriegen, ist hingegen «Calling Bullshit. The Art of Skepticism in a Data-Driven World». Der Evolutionsbiologe Carl T. Bergstrom und der Informationstechnologe Jevin D. West beginnen dort, wo der Begriff zum ersten Mal verwendet wurde: im Essay «On Bullshit» des Philosophen Harry Frankfurt. Von dort verfolgen sie das Problem bis ins Erscheinungsjahr 2020 weiter.

Schön didaktisch mit Beispielen illustriert versuchen sie, die vielen Erscheinungsformen von Bullshit in der Kommunikation aufzuspüren. Insbesondere, wenn er nicht als leicht durchschaubare Fake News Meinungen daherkommt, sondern im wissenschaftlichen Datenkleid.

Von «Spotting the Bullshit» bis zu «Refuting Bullshit» wollen sie dem Leser – typisch Amis – ein «how to» an die Hand geben. Das ist natürlich – wie meist – nicht unfehlbar, auch nach der Lektüre dieser 318 Seiten hat sich der Leser nicht in einen Bullshit-Detektor verwandelt, dem man kein X mehr für ein U vormachen kann.

318 Seiten, Fr. 19.90 (Taschenbuch).

Aber alleine illustrative Beispiele, wie mit Skalen in Grafiken manipuliert werden kann, lohnt die Lektüre. Ja, Englisch muss man leider können, denn, no bullshit, für eine deutsche Übersetzung hat’s noch nicht gereicht.

 

Vierte Empfehlung

Das ermöglicht den butterzarten Übergang zur letzten Empfehlung, auch wenn die sehr deutsch ist. «Wir Herrenmenschen» nennt Bartholomäus Grill seine «Reise in die deutsche Kolonialgeschichte». Oh je, noch einer, der uns die Verwendung von Begriffen wie Mohrenkopf verbieten will oder dafür plädiert, angeblich exkludierende und Mitmenschen mit afrikanischem Hintergrund verletztende Bezeichnungen und Bildwerke von Hausfassaden zu schlagen?

Eben nicht. Denn im Gegensatz zu all diesen «black lives matter»-Grölern, die damit zwar Betroffenheit markieren, aber eigentlich keine Ahnung haben, ausser dass sie mangels eigenem Leiden fremdes usurpieren wollen, weiss Grill, wovon er spricht.

Er berichtet seit 1993 aus Afrika, zunächst für die «Zeit», dann für den «Spiegel». Und wenn er «Reise» sagt, dann meint er das auch so. Er theoretisiert nicht zuerst, sondern er reiste. In die ehemaligen deutschen Kolonien. Die sich für eine solche Expedition besonders gut eignen, weil der deutsche Wunsch nach einem «Platz an der Sonne» nach dem Ersten Weltkrieg ein jähes Ende fand.

300 Seiten, Fr. 37.90 (gebunden).

Die Kolonialgeschichte ist die Geschichte von Verbrechen. Aber sie eignet sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht für ein Schwarzweissbild, wo Schwarz unbestreitbar gut, Weiss unabdingbar böse war.

«In der 1999 verabschiedeten Accra Declaration forderten prominente Afrikaner vom Westen 777 Billionen Wiedergutmachung für die verheerenden Folgen des Sklavenhandels und der kolonialen Plünderung. Die Tatsache, dass afrikanische Menschenjäger kräftig mitverdient haben, wird indes geleugnet. … Wer moralisch im Recht ist, nimmt es mit den historischen Fakten nicht so genau.»

Wer die Welt gerne so bunt, widersprüchlich, komplex und konkret beschrieben haben möchte, wie sie in Wirklichkeit ist, sollte das 2019 erschienene Buch lesen. Wer den Kopf neigen und Schuld empfinden will, sollte es lassen.

Manche Frauen haben nicht nur beim Parkieren Mühe

Journalistische Grundkenntnisse, professioneller Umgang mit Kritik? Ach was, das ist so von gestern.

Der verantwortungsvolle Journalist zuckt natürlich zusammen, wenn ihn diese Mitteilung ereilt: «Da einige faktische Angaben nicht stimmen, würde ich gerne mit Ihnen am Telefon besprechen, wie wir weiter verfahren.»

Aber immerhin, keine Androhung eines Mail-Battles, stattdessen ein Gespräch. Also wird ein geräumiges Zeitfenster dafür angeboten – und nicht benützt. Die Nachfrage ergibt, dass das vermeintliche Opfer einiger falscher Angaben «lange Arbeitstage» habe. Trotz Kurzarbeit bei Tamedia, aber item.

Schliesslich kommt das Gespräch doch noch zustande, und der verantwortungsbewusste Journalist gibt zu: Nach dem einleitenden Geplänkel blieb ihm kurz, aber kräftig der Mund offen. Denn die «Redaktorin Kultur und Gesellschaft» bei Tamedia enthüllte, was sie unter «falschen Angaben» versteht.

Menschlich verständlich, professionell bedenklich

Dass Aleksandra Hiltmann der Nasenstüber nicht gefallen hat, ist menschlich verständlich. Dass sie sich aber darüber aufregt, dass bei der Kritik ein doppeltes Anführungszeichen beim «Z-Wort» fehlte, das zeugt schon von einer schneeflockenartigen Sensibilität.

Nun hatte sie aber den Plural gewagt, also brauchte es schon noch wenigstens eine zweite falsche «faktische Angabe». Die fand sie in der Bezeichnung «Schlangenfrau». Das sei eindeutig eine Ehrverletzung. Ich klappte – mit einiger Mühe – den Unterkiefer wieder hoch, empfahl ihr, Hilfe zu suchen – nein, nicht solche, juristische –, was mir ein scharfes «ich lasse mich von Ihnen nicht belehren» einbrockte.

Lustigerweise gab es kein kritisches Wort von ihr über die Kritik an ihrer backfischartigen Anhimmelei der sehr realitätsfern fürs Vogue-Cover abgebildeten Angelina Jolie.

Konziliant, zuvorkommend, höflich, sensibel und verständnisvoll, wie wir bei ZACKBUM.ch sind, bot ich an, dass sie es doch mal mit einer schriftlichen «Richtigstellung» probieren solle. Die schaue ich mir dann gerne an. So verblieben wir, bis ich dann herzlich und laut lachen musste. Über das, was man heutzutage offenbar beim Tagi unter Richtigstellung versteht.

Aus einer Welt, in der wünschen wirkt

Wünschen darf man ja: «Hier die Passage. Bitte fügen Sie diese im Artikel ein.» So schwer es mir auch fällt, einer Frau eine Bitte abzuschlagen, das ging nun nicht: «Aleksandra Hiltmann legt Wert auf folgende Richtigstellung: <Zackbum schreibt, dass ich in meinem Artikel über den Sinto-Geiger Django Reinhard den Begriff «Zigeuner» ohne Kritik oder Distanzierung verwendet hätte und deshalb eine «Schlangenfrau» sei, weil ich damit meine früheren Meinungen und Überzeugungen aufgegeben hätte. Das ist alles falsch. Richtig ist, dass ich im erwähnten Titel dieses Artikels erstens das Z-Wort in zusätzliche Anführungszeichen gesetzt habe und zweitens eine erläuternde Box zum Z-Wort angefügt habe mit Fragen und Antworten, die sich kritisch mit diesem Begriff auseinandersetzen. Beides hat Zackbum unterschlagen.>»

Inzwischen neigen wir zur Auffassung, dass Hiltmann nicht nur rechtliche Hilfe benötigen könnte.