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Es reicht, Markus Somm

Die Israel-Propagandakreische kennt sich nicht mehr.

Natürlich darf auch der Chefredaktor eines Randgruppen-Blättchens seine eigene Meinung haben. Natürlich darf die einseitig, parteiisch, unreflektiert und falsch sein. Das macht alles nichts. Oder nur wenig, weil es sich mangels Reichweite von «Somms Memo» um Stürmchen im Wasserglas handelt.

Vielleicht ist es sogar segensreich, dass beim «Nebelspalter» nicht mal der Trick funktioniert, dass man zuerst ein Werbevideo anschauen muss, bevor man den Artikel lesen darf. Aber schade auch, das bleibt irgendwo zwischen Sekunde 15 und Sekunde 0 immer hängen:

«Sie können diesen Artikel in 1 Sekunde freischalten»; diese Ankündigung könnte man stundenlang anschauen.

Nun hat es doch sehr zum Unwillen von Somm der US-Präsident Joe Biden gewagt zu sagen, man könne nicht «noch einmal 30 000 tote Palästinenser» in Kauf nehmen, um die Hamas zu besiegen. Daraus schliesst Somm messerscharf, was sonst niemandem auffiel: «Natürlich distanzierte sich Biden damit von Israel, einem der engsten Verbündeten der USA, was weltweit sofort bemerkt wurde

Vielleicht könnte man das auch so sehen, dass sich Biden von weiterem kriegsverbrecherischem Blutvergiessen distanzierte. Aber mit diesen einleitenden Bemerkungen erreicht Somm erst seine Betriebstemperatur:

«Jedenfalls war dieses Eingeständnis ein Fehler – zumal alle Gegner Israels diese hohe Zahl von Opfern ständig propagandistisch einsetzen, um davon abzulenken, wer eigentlich diesen Krieg ausgelöst hatte. Hamas, eine Mörderbande – nicht Israel, ein demokratischer, westlicher Rechtsstaat.»

Lassen wir mal dahingestellt, wie sehr Israel ein demokratischer, westlicher Rechtsstaat ist, mit einem Ministerpräsidenten, der mittels einer Justizreform versuchte, der sicheren Gefängnisstrafe zu entgehen.

Dann aber beginnt Somm, an der Anzahl Toten zu zweifeln. Dabei stützt er sich auf die Untersuchung eines US-Professors. Der hat seine Meinung im rechtsradikal-jüdischen Magazin «Tablet» veröffentlicht, das durch rabiate Attacken selbst gegen jüdische Holocaust-Überlebende unangenehm auffällt (vielleicht sollte Sommer gelegentlich mal «The Atlantic» lesen, wirkt horizonterweiternd). Zudem scheint Professor Wyler eine Mietmeinung zu sein:

Auf solch wackelige Quellen stützt Somm also seine Zweifel an den Angaben über die Anzahl Toter im Gazastreifen. Galoppiert aber ungezügelt los:

«Laut Hamas sollen (jeden Tag!) 70 Prozent der Opfer Frauen und Kinder betreffen. Da aber 25 Prozent der gesamten Bevölkerung erwachsene Männer sind, würde das bedeuten, dass die israelische Armee kaum Männer tötet, insbesondere sehr wenige Hamas-Terroristen. Das mutet doch sehr merkwürdig an, zumal die Israelis nicht dafür bekannt sind, mit Absicht auf Frauen zu zielen, wenn daneben ein männlicher Terrorist steht.»

Vielleicht sollte Somm zunächst mal einen Anfängerkurs in Prozentrechnen belegen, aber Zahlen, wie der Misserfolg des «Nebelspalter» beweist, sind nicht so seine Sache.

Selbstverständlich können die Zahlen, die vom Gesundheitsministerium Gazas veröffentlicht werden, das ein Propagandaorgan der Hamas ist, bezweifelt werden. Das wird innerhalb und ausserhalb Israels getan; allerdings gibt es auch genügend Stimmen, die diese Zahlen für zumindest im Streubereich der Wahrheit halten.

Angesichts der unbezweifelbaren desaströsen Zerstörungen der Infrastruktur im Gazastreifen kann wohl kaum davon ausgegangen werden, dass es lediglich ein paar hundert zivile Tote dabei gab. Dass Israel inzwischen Gebiete attackiert, die sie zuvor den Bewohnern im Norden als sichere Fluchtdestinationen schmackhaft machte, kann ausser von eingefleischten Israel-Fans wohl nur als Gipfel des Zynismus bezeichnet werden.

Bis hierhin könnte man das Geschwafel einfach als unreflektiertes Gehampel eines bekennenden Israel-Fans («das sind die Guten») abtun. Aber nun kommt der Teil, wo’s dem Leser übel wird:

«Gewiss, es gibt zahlreiche zivile, mitunter unschuldige Opfer, und niemand freut sich darüber. Krieg ist furchtbar.
Dennoch ist davon auszugehen, dass wir nicht wissen, wie viele es sind. Bei allen Angaben, die wir kennen, handelt es sich um Propaganda von Mördern, die rufen: Fasst die Mörder!
In einem Krieg sterbe die Wahrheit zuerst, heisst es. Wenn es aber um Israelis und Juden geht, erfreut sich die Lüge der Unsterblichkeit.»

«Niemand freut sich darüber»? «Mitunter unschuldige zivile Opfer»? Das ist alles, was Somm emphatisch einfällt? Propaganda von Mördern? Und ein angeblich «demokratischer Rechtsstaat» macht keine Propaganda, kann keine Kriegsverbrechen begehen? Auch die USA sind wohl ein demokratischer Rechtsstaat. Dennoch begingen sie Kriegsverbrechen ohne Zahl, vielleicht erinnert sich Somm noch an den Vietnamkrieg und die von Kriegsverbrecher Kissinger angeordnete Ausweitung auf Kambodscha und Laos, an den Einsatz des Dschungelentlaubungsmittels Agent Orange, wofür die USA bis heute keinen Cent Wiedergutmachung zahlten (ausser nach jahrzehntelangem Ringen an die eigenen Kriegsveteranen).

Die Lüge erfreue sich der Unsterblichkeit, wenn es um Israelis und Juden gehe, behauptet Somm. Dabei sollte seine Infamie «niemand freut sich darüber» ihn unsterblich begleiten. Abgesehen davon, dass es «gute» Israelis gibt, die genau das tun, sich darüber herzlich freuen. Es müsste tiefenpsychologisch untersucht werden, wieso Somm die israelische Regierung für die Verkörperung des reinen Guten hält, ohne jegliche journalistische Distanz ihr alles glaubt, während für ihn die Hamas die unbezweifelbare Verkörperung des reinen Bösen ist. Nach der Devise: Mörder und Terroristen lügen immer. Auch dann, wenn sie die Wahrheit sagen.

Ein solches primitiv-dualistisches Weltbild wendet er auch auf den Revolutionär Leningrösster Massenmörder der Geschichte») an. So als ehemaliger Trotzkist; Renegaten sind immer die Schlimmsten. So wie Kriegsgurgeln, die in einem anderen Leben Mitglied der GSoA waren. Der Mann hat’s gerne kommod, einfach, holzschnittartig, primitiv, gut, böse, ja, nein. Wer sich so von keines Gedanken Blässe ankränkeln lässt, eine apodiktisch richtige Meinung sein eigen nennt, ist meistens zuinnerst ein tief verunsicherter Mensch. Erfolglosigkeit im Berufsleben kann dafür ein Auslöser sein.

Wer meint, unbezweifelbar das Richtige zu wissen und zu schreiben, liegt unbezweifelbar falsch. Ist ein Gesinnungsgenosse aller religiöser Wahnsinnigen, ob christlich oder islamistisch, die ebenfalls im Glauben an eine ordnende höhere Macht die einzig seligmachende Wahrheit verkünden – und zu ihrer Verteidigung bereit sind, notfalls auch über Leichen zu gehen.

Wieso die prominente Herausgeberschaft des «Nebelspalter» und all die Spender von 100’000 Franken, die Somm verröstet, einen solchen Chefredaktor tolerieren, ist schleierhaft.

Nur mal ’ne Frage

Das müsste sich wohl überprüfen lassen.

Es ist sicherlich nicht ungefährlich, als Reporter im Gazastreifen unterwegs zu sein. Aber Kriegsreporter war noch nie ein Job für Weicheier. Sondern für testosterongesteuerte Haudegen.

Wie sagte der weltberühmte Kriegsfotograf Robert Capa: «Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.» Am 25. Mai 1954 trat er im damaligen Französisch-Indochina auf eine Antipersonenmine und kam dabei um.

So weit müsste ein Kriegsreporter im Gazastreifen nicht gehen. Aber in all dem Schlamassel und Elend (und selbstverständlich wollen wir die Ursachen nicht vergessen) gibt es eine Meldung, die eine banale Frage auslöst.

Die Hamas-Gesundheitsbehörde behauptet, dass in der Al-Schifa-Klinik mit 600 Patienten und 1500 Vertriebenen entsetzliche Zustände herrschten, keine Behandlung der Patienten mehr möglich sei. Der WHO-Chef schreibt: «Die Welt kann nicht stillschweigend zusehen, wie Spitäler, die eigentlich sichere Zufluchtsorte sein sollten, sich in Schauplätze des Todes, der Verwüstung und der Verzweiflung verwandeln.»

Augenzeugen berichten, dass direkt vor dem Spital Kämpfe stattfänden. Die israelische Armee behauptet, dass die Hamas unter der Klinik eine Kommandozentrale habe und auch andere medizinische Einrichtungen sowie Ambulanzen für militärische Zwecke missbrauche.

Ein leitender Arzt des Spitals bestritt das gegenüber BBC, der Chefchirurg Marian Abu Saada behauptet: «Wir haben medizinisches Personal, wir haben Patienten und Vertriebene. Nichts anderes.»

Sollte die Hamas medizinische Einrichtungen für militärische Zwecke missbrauchen, wäre das ein widerliches Kriegsverbrechen. Sollte die israelische Armee Spitäler bombardieren und angreifen, die nur Spitäler sind, wäre das ein widerliches Kriegsverbrechen.

Die einfache Frage: was stimmt? Wenn die Hamas Spitäler so missbraucht, sollte das nachweisbar sein; eine Kommandozentrale kann man nicht einfach als Operationssaal tarnen. Da Israel diese Behauptung als Begründung für seine Handlungen erhebt, wäre es gut, wenn es das belegen könnte.

Das wäre die Aufgabe eines möglichst unabhängigen Reporters mit genügend Erfahrung, dass er nicht auf fabrizierte Beweise hereinfallen würde.

Die noch einfachere Frage: wieso geschieht das nicht?

Schlechte Gesellschaft

Ungeordnete Mutmassungen über den Nahen Osten überall um uns.

Es gibt Aussagen, die sind von einer so strahlenden, unfassbaren Dummheit, dass sie gleich am Anfang zitiert werden müssen: «Wir sind zurück auf der politischen Tagesordnung», sagte der Hamas-Sprecher Walid Kilani dem «Spiegel». Im Libanon lässt sich leicht dummschwätzen.

Auf den Balkonen sich politisch korrekt fühlender WGs wird es langsam eng. Neben der Pace-Fahne flattert schon lange die Flagge der Ukraine. Nun muss auch noch Platz für die palästinensische gefunden werden. Hoffentlich machen nicht allzu viele WGs den gleichen Fehler wie Inder, die für die Sache Palästinas demonstrierten – aber dummerweise italienische Flaggen schwenkten, obwohl die sich nun doch deutlich von der palästinensischen unterscheiden.

Es ist allerdings unmöglich, für die palästinensische Sache einzustehen oder gar zu demonstrieren. Nicht, dass es keine berechtigten Anliegen gäbe. Aber man kann es kaum vermeiden, in schlechte Gesellschaft zu geraten. Nämlich in die Gesellschaft von mehr oder minder fundamentalistischen Wahnsinnigen, die an die Todesreligion Islam glauben.

Es ist eine wahrhaftige Tragödie, dass die Sache der Palästinenser von diesen jedem rationalem Argument unzugänglichen Fanatikern gekapert wurde. Hier hat der Iran gezeigt, was der geschickte Einsatz von viel Geld und der Missbrauch religiöser Gefühle alles bewirken kann.

Religiöse Fanatiker sind immer verblendet und potenziell gefährlich. Sie haben meistens einen sehr eingeschränkten Zugang zur Wirklichkeit. So wie in der Schweiz David Klein. Man macht etwas falsch, wenn man sich differenziert zu Israel äussert – und sich nicht mailwendend einen finsteren Kommentar von ihm einfängt, dass man mal wieder gezeigt habe, ein Antisemit zu sein. Der arme Amok muss sich von Antisemiten umstellt, umzingelt, umringt fühlen. Leider sind seine Kommentare dermassen strafrechtlich relevant, dass man ihn vor sich selbst schützen muss, indem man sie nicht publiziert.

Aber er ist lediglich ein Symbol dafür, wie vergiftet diese Debatte ist. Sachlichkeit und Zweckrationalität, der Diskurs als Schmiermittel der Erkenntnis, damit hat man zurzeit keine Chance. Auf der einen Seite dröhnen die «from the River to the Sea»-Wahnsinnigen, auf der anderen Seite wird jegliche Kritik an Israel niedergemacht. Wer keine Argumente hat, schimpft, beleidigt und tobt. Wenn Emotionen regieren, Bekenntnisse abgefordert werden, ist kein sinnvolles Gespräch mehr möglich. Diese Brandstifter merken nicht, dass damit das Problem im Nahen Osten nicht gelöst, sondern perpetuiert wird.

Offensichtlich sind die Palästinenser nicht in der Lage, sich aus dem Klammergriff fundamentalistischer Schiiten zu befreien. Offensichtlich ist die palästinensische Solidaritätsbewegung auch in der Schweiz ebenfalls nicht dazu in der Lage. Antiimperialistisch zu sein, antizionistisch, für das gleiche Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat einzustehen, wie es auch Israel für sich beansprucht, das ist gut und schön.

Das geht aber nicht, weil man schnell und gnadenlos in den Dunstkreis von Islamisten, von Gläubigen einer Todesreligion gerät, die ausser Zerstörung und den fatalen Glauben an Allah und seine angeblich geoffenbarten Worte nichts anzubieten haben. Dass solche Organisationen in der Schweiz mit Steuergeldern unterstützt werden, ist ein Skandal. Dass islamistische Plattformen ihren Unsinn verbreiten, ist hingegen erlaubt – solange sie nicht gegen den gesetzlichen Rahmen verstossen. Denn sich öffentlich zum Deppen zu machen, wie das beispielsweise Babanews tun, das ist nicht verboten.

Dass es in Deutschland zu Ausschreitungen und Massendemonstrationen kommt, an denen unverblümt die Zerstörung Israels gefordert wird, die Taten der Hamas gefeiert, Judensterne an Haustüren geschmiert werden, die Polizei einmal mehr nicht in der Lage ist, mit diesen Krawallanten und hirntoten Chaoten fertigzuwerden, ist eine Schande.

Schlimmer noch: man braucht keine seherischen Kräfte, um zu befürchten, dass eine neue Terrorwelle auf uns zurollt. Selbstmordattentäter, Lastwagen als Waffe, Bomben an belebten Weihnachtsmärkten, kein Schreckensszenario ist zu unwahrscheinlich. Hier rächt sich, das muss klar gesagt werden, der Zustrom von nicht integrierbaren Moslems, die längst in Parallelgesellschaften leben, abgeschottet von unseren zivilisatorischen Errungenschaften.

Hier rächt sich, dass unverantwortliche Politiker wie Geri Müller oder Fabian Molina es lange Zeit furchtbar revolutionär und links fanden, sich undifferenziert für die Sache der Palästinenser stark zu machen.

Natürlich, genauso wenig, wie alle Israelis Kriegsverbrecher sind, sind nicht alle Moslems fanatische Gläubige, die am liebsten Märtyrer für die Sache Allahs werden wollen. Aber wie soll sich ein gläubiger Moslem von den Taten der Hamas distanzieren können, die doch behaupten, im Namen Allahs zu handeln und auch passende Koranstellen zur Hand haben?

Zu den Taten der Hamas kann es kein «ja, aber» geben. Zu Kriegsverbrechen der Israelis ebenfalls nicht. Aber beides spielt hier in der Schweiz sowieso keine grosse Rolle. Hier spielt eine Rolle, dass man sich nicht von neuen Inquisitoren das Wort verbieten lassen darf. Sie muss man in die Schranken weisen, die Schranken der Debatte mit selbst ernannter Autorität errichten wollten. Dass da ausgerechnet ein ehemaliger Pfaffenbüttel an vorderster Front dabei ist, unglaublich.

Bei allem Abscheu über die Bestialität der Islamkrieger: eine vernünftige Betrachtung des Schlamassels lässt doch nur einen Schluss zu: der einzige Player in diesem Gemetzel, der dazu in der Lage wäre, einigermassen rational nach Auswegen zu suchen, sind die Israelis. Kein arabischer Staat, keine palästinensische Organisation kann das. Sonst geht «Auge um Auge, Zahn um Zahn» einfach weiter.

Wird die Hamas liquidiert, was das verständliche Ziel Israels ist, gibt es die Hetzbolla. Wird die Hetzbolla liquidiert, was schon schwieriger ist, gibt es den Iran. Den zu liquidieren dürfte unmöglich sein. Also ist klar: Israel muss mit dem Iran verhandeln. Man redet ja auch nicht mit dem Helfershelfer, sondern mit dem Chef über wichtige Dinge.

Wahrscheinlich finden solche Gespräche insgeheim bereits statt. Es ist allen Beteiligten zu wünschen, dass sie möglichst schnell Ergebnisse zeitigen.

 

Streubomben gegen die Wahrheit

Schamlos wird schöngeschrieben.

Die Wahrheit ist: Streubomben sind geächtet. Wie chemische oder biologische Waffen gehören sie zur schmutzigen Kriegsführung. Natürlich gibt es keine saubere, aber man bemüht sich, trotz aller Barbarei im Krieg gewisse Regeln aufzustellen – und einzuhalten.

Bei Streubomben sieht die Wahrheit so aus:

111 Staaten der Welt haben die Konvention über den Verzicht des Einsatzes von Streubomben unterzeichnet, dazu gibt es 12 Signatarstaaten. Nigeria trat als 111. Staat Ende Februar dieser Übereinkunft bei.

Sämtliche europäische Staaten darunter die Schweiz, Kanada, Japan und viele afrikanische Staaten sind Mitunterzeichner. Die USA, RusslandChina und die Ukraine nicht.

Die USA haben nicht nur als einziger Staat der Welt Atombomben eingesetzt, sie haben nicht nur in Vietnam chemische Kampfstoffe wie Agent Orange oder Napalm als Kriegsverbrecher benützt. Und natürlich überall auf der Welt Streubomben: «Nach Angaben der UN-Organisation Mine Action Programme (MAPA) ist Afghanistan eines der weltweit am schwersten von Landminen und nicht detonierter Streumunition betroffenen Länder», schreibt Wikipedia.

Streubomben sind nicht zuletzt deswegen verpönt, weil sie immer einen Anteil Blindgänger enthalten – die noch Jahre nach Abwurf schwere Verletzungen und Todesfälle unter der Zivilbevölkerung fordern.

Nun wollen die USA der Ukraine solche Streubomben zur Verfügung stellen, was vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj begrüsst wird. Wie eiern da die Schweizer Medien drum herum?

So säuselt der Tagi: «Wozu es führt, wenn die USA jetzt auch noch die international geächteten Streubomben an die Front liefern, will man lieber gar nicht wissen», stellt sich Arthur Rutishauser unwissend. Die NZZ? Winzmeldung am Sonntag, Kriegsgegurgel am Samstag: «Streumunition könnte sich für die ukrainischen Streitkräfte in der gegenwärtigen Lage als besonders nützlich erweisen, denn bei ihrer Gegenoffensive sind sie mit zahlenmässig starken und in Schützengräben verschanzten russischen Einheiten konfrontiert … Der militärische Effekt ist daher grösser als beim Einsatz von Granaten mit nur einem Sprengkörper.» Probleme dabei? Nun ja, ein paar kleine: «Wegen der Gefahr für Zivilisten haben 111 Staaten, eine knappe Mehrheit der Staatenwelt, die 2010 in Kraft getretene Konvention zum Verbot von Streumunition ratifiziert.»

Aber überhaupt: «Als Argument für deren Einsatz im Rahmen der laufenden Gegenoffensive lässt sich anführen, dass das Frontgebiet im Süden nur sehr dünn besiedelt ist. Weil es durch russische Minen völlig «verseucht» ist, muss es dereinst vor einer Rückkehr von Zivilisten ohnehin gründlich entmint werden.»

Dann wird’s richtig brüllend komisch bei der NZZ. Sie erwähnt zunächst: «Die USA haben selber in allen grösseren Kriegen Streumunition eingesetzt, zuletzt im Irak und in Afghanistan.» Das waren völkerrechtswidrige Angriffskriege in einem fremden Land, wie in Vietnam, Kambodscha und Laos. Aber: «Zudem lässt sich der Einsatz von Streumunition durch Russland und die Ukraine nicht auf dieselbe Stufe stellen: Moskau tut dies im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in einem fremden Land.» Wie verbohrt muss man sein, um diesen schreienden Widerspruch nicht selbst beim Schreiben zu bemerken?

CH Media? Immerhin: «Unerwähnt blieb, dass das Weisse Haus den russischen Einsatz von Streumunition im vorigen Jahr noch als «potenzielles Kriegsverbrechen» bezeichnet hatte

«20 Minuten»? Ein neutraler Artikel, der die schreckliche Wirkung von Streubomben beschreibt, die Ächtung durch 111 Staaten erwähnt, darauf hinweist, dass weder die USA, noch die Ukraine noch Russland diese Konvention unterzeichnet haben und die USA nun diese Bomben liefern wollen.

SDA? Sommerpause. Ringier? Leider nicht. Was Camilla Alabor hier schreibt, sollte für ewige Zeiten am Schandmal journalistischer Fehlleistungen kleben:

«Die Schweiz hätte es in der Hand, die Notwendigkeit zur Verwendung von Streumunition zu vermindern: Indem sie westlichen Ländern endlich die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen und Munition erlaubt.»

Dass so etwas in einem Schweizer Massenmedium erscheinen darf, ohne dass eine Kontrollinstanz eingreift und diesen hanebüchenen Unsinn untersagt, unglaublich. Das macht fassungslos, und das will beim «Blick» und beim «SonntagsBlick» etwas heissen. Es stimmt in so vielen Aspekten nicht, dass nicht einmal das pure Gegenteil richtig wäre.

Mit den paar tausend Schuss Munition, die bislang von der Schweiz angefordert (und zu recht verweigert wurden), wäre weder der Munitionsbedarf der Ukraine gedeckt, noch die Lieferung der USA «vermindert» worden.

Statt solchen Schwachsinn zu schreiben, könnte sich der «Blick» vielleicht mal über die Verlogenheit aufregen, dass der russische Einsatz von Streumunition ein potenzielles Kriegsverbrechen sei, die Lieferung von US-Streumunition aber der Rettung von Freiheit und Demokratie dient – und daher, nun ja, nicht schön, aber eigentlich unvermeidlich ist.

So wie der Einsatz in Afghanistan, in Syrien, im Irak und in so viel weiteren Ländern der Welt, wo er selbst nach Abklingen der Kampfhandlungen bis heute Tote und Verletzte fordert.

Und wieso schreibt Alabor nicht, dass es die Schweiz als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und als Mitunterzeichnerin der Ächtung dieser Waffen in der Hand hätte, eine Dringlichkeitssitzung dieses Gremiums einzuberufen, damit über diese kriegsverbrecherische Absicht der USA wenigstens debattiert wird? Alabor ist «Inlandredaktorin» beim «SonntagsBlick» und nicht erst seit gestern am Gerät. Also weiss sie, was sie schreibt.

Und müsste dafür zur Verantwortung gezogen werden. Wenn es so etwas wie Verantwortung noch gäbe im Journalismus, im Hause Ringier.

 

 

Panzer für den Jemen!

Unterstützen wir die Freiheitsnation!

Der Jemen, vor allem die ehemalige demokratische Volksrepublik, ist in der mühsamen Metamorphose vom post-sowjetischen Korruptionshub zur Freiheitsnation. Daran gehindert wird er von der «operation decisive storm».

Seit 2015 bomben und schiessen Saudi-Arabien, unterstützt von Ägypten, den USA und England, das von einem Bürgerkrieg zerrissene Land in die Steinzeit zurück. Die Folgen sind dramatisch. Im Jemen spielt sich laut UNO die grösste humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts ab. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind von Hilfslieferungen abhängig.

Eine beinahe vollständige Blockade des von Importen abhängigen Landes führte zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Infrastruktur, des Gesundheitswesens und der staatlichen Ordnung. Im seit 8 Jahren andauernden Gemetzel wurden von den Truppen des mittelalterlichen saudischen Regimes unzählige Kriegsverbrechen begangen.

Daher erschallt überall, vor allem in den Medien des Ringier-Verlags, der Ruf: Wer dem Jemen militärisch nicht zu Hilfe eilt, obwohl er könnte, unterstützt Mohammed bin Salman al-Saud. Das ist der Diktator, unter dessen Regime Oppositionelle auch mal in einer saudischen Botschaft bestialisch ermordet und in Einzelteilen beiseite geschafft werden.

Genauso markig erschallt in den Schweizer Medien die Forderung, sämtliche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien sofort einzustellen. Denn von diesem fundamentalistisch-fanatischen Land aus, gelenkt von religiösen Wahnsinnigen, wüte sonst die Pandemie des Bösen auch in diesem Jahr weiter.

Gleichzeitig wird der Bundesrat energisch auch von Journalisten von Tamedia aufgefordert, endlich Besitztümer reicher Scheichs in der Schweiz zu beschlagnahmen; alleine um den Genfersee herum würde sich da einiges zusammenläppern. Zudem sei endlich zu untersagen, dass im Jumbojet einfliegende Mitglieder der korrupten Herrscherclique ganze Etagen in Genfer Luxushotels in Beschlag nehmen.

Gegen das saudische Regime, das fordern selbst Vertreter von CH Media, sei ein internationaler Gerichtshof einzurichten, der die Verantwortlichen für den Völkermord im Jemen zur Verantwortung ziehen solle. Zugleich müsse Saudi-Arabien dazu gezwungen werden, für die unermesslichen Schäden aufzukommen, die seine völkerrechtswidrige Invasion im Nachbarland verursacht habe.

So könnte es sein. So wäre es, wenn nicht in Wirklichkeit Doppelmoral, abgründige Heuchelei, Einäugigkeit und Weltvergessenheit in den Schweizer Medien herrschen würden.

Was fehlt dem Jemen, damit er auch auf der publizistischen Landkarte wie die Ukraine aufleuchtete? Leider einiges. Seinen Herrschern fehlt die Beratung durch Profis und Spin Doctors der teuersten US-amerikanischen PR-Buden. Zudem hat der Jemen den falschen Feind. Nicht den bösen Putin und sein Unrechtsregime, sondern den lieben Salman mit seinem westlich-modernen Staat. Schliesslich, so einfach ist das, haben die Einwohner die falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe und sind überhaupt ziemlich weit weg.

Es wäre wohl zu viel verlangt, wenn über die Barbarei im Jemen gleich oft berichtet würde wie über die Kriegshandlungen in der Ukraine. Aber so ab und an, das wäre doch möglich. Wäre es, wenn die skelettierten Redaktionen noch in der Lage wären, sich mehr als einem Thema aufs Mal zu widmen.

Wer haftet bei Verbrechen?

Auch Kriegsverbrechen haben Täter und Verantwortliche.

Für den durch ein Verbrechen angerichteten Schaden haftet normalerweise der Täter. Allerdings steht auch in der Schweiz seine Bestrafung, bzw. Resozialisierung im Vordergrund. Schadenersatz, Wiedergutmachung ist leider zweitrangig. Bei materiellen Schäden steht meistens die Zahlungsunfähigkeit des im Gefängnis sitzenden Übeltäters im Wege. Und immaterielle Schäden, Verlust, Traumata, Ursache für psychische Krankheit, das ist ein weitgehend vernachlässigtes Feld.

Kriegsverbrechen werden zwar auch von individuellen Tätern verübt, aber hier spricht man von der Haftung eines Staates für Schäden völkerrechtswidrigen Handelns seiner Organe. Reparationszahlungen für kriegerische Handlungen sind ein altbekanntes Beispiel.

Üblicherweise zahlt aber nicht unbedingt der Schuldige, sondern der Unterlegene. Auch wenn das häufig zusammenfällt, wie im Beispiel Deutschlands in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts.

Welche Schäden dabei wie lange und durch wen bezahlt werden müssen, wird aktuell in der EU am Beispiel Griechenlands debattiert. So erheben griechische Staatsbürger oder deren Hinterbliebene bis heute Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland für Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Auch im Fall der Ukraine ist die Frage, wer womit und warum für die Kriegsschäden zur Verantwortung gezogen werden soll. Naheliegend ist das der Aggressor Russland. Nach aktuellen Schätzungen würde der Wiederaufbau der Ukraine rund 500 Milliarden Dollar kosten. Sollte sich der Krieg noch weiter hinziehen, stiege diese Summe natürlich.

Das BIP der Ukraine betrug vor dem Krieg 155,6 Milliarden; dasjenige Russlands 1483 Milliarden. Es ist also illusorisch, dass die Ukraine aus eigenen Kräften oder aber ein zu Reparationen verurteiltes Russland diese Summe aufbringen könnten.

Zudem hätte eine Kostenübernahme durch Russland zur Voraussetzung, dass das Land dazu gezwungen werden kann. Denn Sieger oder zumindest Ungeschlagene zahlen keine Reparationen.

Das beste, bzw. schlechteste Beispiel dafür sind die USA. Angesichts ihrer ungezählten direkten oder indirekten militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg bleiben wir beim Beispiel Vietnam. Für den verbrecherischen Einsatz des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange haben die USA zwar ihren eigenen Soldaten Entschädigungen ausbezahlt, aber den Vietnamesen keinen Cent.

Auch für die übrigen angerichteten Schäden, verursacht durch den Vietnamkrieg, der 1975 mit der völligen Niederlage der USA endete, wurde bislang null Reparationen bezahlt. Im Gegenteil, das siegreiche Nordvietnam wurde dazu gezwungen, die Schulden Südvietnams zu übernehmen, um international Kredite zu erhalten und das Handelsembargo durch die USA zu beenden.

Der Vietnamkrieg forderte bis zu 4 Millionen einheimische Tote und das Leben von rund 60’000 Amerikanern. Während die Kosten für die USA ziemlich genau aufgeschlüsselt sind, gibt es nur vage Schätzungen, welche Schäden die verbrecherische Kriegsführung der USA in Vietnam angerichtet haben.

Nach heutiger Kaufkraft dürfte es sich ebenfalls um Hunderte von Milliarden Dollar handeln. Nur eine Angabe dazu: Die USA warfen über Vietnam die zwei- bis dreifache Bombenmenge ab wie im gesamten Zweiten Weltkrieg überall.

«In die Steinzeit zurückbomben», sagte US-General Westmoreland.

So wie der Verbrecher bei Einzeltaten gefasst werden muss, damit man ihn für sein Handeln haftbar machen kann, gilt international schlichtweg das Recht des Stärkeren. Wer einen Krieg verliert, zahlt. Aber nur, wenn er sich gegen Reparationsforderungen nicht wehren kann. Die USA verloren den Vietnamkrieg, blieben aber dennoch die grösste Militärmacht der Welt. Also können sie bis heute jegliche Forderungen nach Wiedergutmachung zurückweisen.

Es ist kaum anzunehmen, dass Russland als militärisch so geschwächter Verlierer aus dem Ukrainekrieg hervorgehen wird, dass es Forderungen nach Reparationen nicht zurückweisen könnte.

Neuerdings wird mit dem Gedanken gespielt, ersatzweise Vermögenswerte reicher Russen im Westen nicht nur zu beschlagnahmen, sondern sie auch zu verwerten und den Erlös dem Wiederaufbau der Ukraine zukommen zu lassen. Oder sie allenfalls sogar für die Begleichung der Kosten von Waffenlieferungen heranzuziehen. Denn normalerweise übernehmen westliche Regierungen die Milliardenkosten dieser militärischen Hilfe.

In den USA werden aus diesem Grund schon erste Stimmen laut, dass US-Präsident Biden endlich einmal klare Ziele der US-Politik in der Ukraine definieren soll, nachdem bereits Zusagen in Milliardenhöhe für die Lieferung von militärischem Gerät gemacht wurden.

Würde man das Prinzip der Haftbarkeit reicher Staatsbürger für Reparationsforderungen verallgemeinern, könnte und müsste man die Vermögenswerte von reichen US-Bürgern beschlagnahmen und verwerten, die in irgend einer Form vom Vietnamkrieg profitierten. Also Besitzer und Aktionäre von Rüstungsfirmen, von Produzenten von Waffen, Bomben oder Chemikalien. Von allen möglichen Ausrüstern der US-Armee bis hin zu Logistik, Ernährung und Unterhaltungsprogramm. Auch da würde ein hübsches Sümmchen zusammenkommen, das als Entschädigung für Vietnam verwendet werden könnte.

Auch Kriege haben sehr viel mit Wirtschaft zu tun. Mit Kosten, Nutzen, Ausgaben, Zerstörungen, Wiederaufbau. Es versteht sich von selbst, dass ein Krieg kein Ereignis ist, bei dem Wertschöpfung betrieben wird. Im Gegenteil. Krieg zerstört, und sogar die Zerstörung kostet Unsummen.

Wer sich wie an den Wiederaufbaukosten im Fall Ukraine beteiligen wird, das steht zurzeit in den Sternen. Dass der Verursacher zur Kasse gebeten wird, dürfte allerdings illusorisch sein.

Kriegsverbrechen

Nichts ist relativ. Nichts sollte vergessen gehen.

Die Verurteilung des Überfalls auf die Ukraine als völkerrechtswidrig und vertragsbrüchig ist eine (richtige) Sache. Die Verurteilung von dort begangenen Kriegsverbrechen eine andere, ebenfalls richtige. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für die angerichteten Schäden ebenfalls. Dafür ist die russische Regierung und der russische Staat verantwortlich.

Aber auch jeder im Ausland lebende reiche Russe?

Spiegeln wir diese Absurdität an einem anderen Kriegsverbrechen. Im Vietnamkrieg setzten die USA unter anderem das chemische Entlaubungsmittel Agent Orange ein. In über 6000 Einsätzen wurden über 45 Millionen Liter der hochgiftigen Chemikalie über den Dschungeln von Vietnam und Laos von 1962 bis 1971 versprüht. Der enthaltene Wirkstoff TCDD gilt als das giftigste aller Dioxine. In Europa bekannt seit dem Chemieunfall von Seveso in Italien.

Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen, mindestens 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen geboren.

Neben den schweren Fehlbildungen gelten mehr als 20 Krankheiten als direkte Folge von Agent Orange, darunter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Wirbelsäulenspalten, Immunschwächen, Nervenleiden, Diabetes und Parkinson. Auch Krebs wie Leukämie, Prostatakrebs und andere gelten als Spätfolgen.

Hersteller und Anwender und Folgen sind bekannt

Hergestellt wurde Agent Orange von den US-Buden Dow Chemical und Monsanto, die heute zum Bayer-Konzern gehört. Da auch US-Soldaten mit dem Gift besprüht wurden, wurden in einem Vergleich ab 1984 knapp 200 Millionen Dollar als Entschädigungen an rund 52’000 US-Veteranen oder ihre Hinterbliebenen ausbezahlt.

Die vietnamesischen Opfer erhielten dagegen bis heute nichts. Eine entsprechende Sammelklage in den USA wurde 2005 abgewiesen. Der Einsatz von Agent Orange sei «keine chemische Kriegsführung» und deshalb kein Verstoss gegen internationales Recht gewesen.

Nein, das rechtfertigt keine Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Aber die Forderung nach Kriegsverbrechertribunalen in der Ukraine im Vergleich zu US-Verbrechen im Vietnamkrieg, die bis heute ungesühnt bleiben, illustrieren Heuchelei, Doppelmoral, Einseitigkeit und Geschichtsvergessenheit.

 

Alles ist entweder gut oder böse!

Teil 2: Von guten und bösen Kriegsverbrechern

Von Felix Abt

Hier geht es zu Teil 1

Präsident Biden bezeichnete Putin als einen bösen Kriegsverbrecher. Westliche Politiker aller Couleurs und die Medien, die sich auch im Krieg befinden, sind mit ihm natürlich einverstanden. Die U.S. Regierung möchte den Kriminellen am liebsten vor ein Kriegverbrechertribunal stellen. Putin hat wirklich Pech: er hat einen schlechten, russischen anstatt einen guten, amerikanischen Pass, der ihn vor allem Übel schützen würde.

Wenn gute amerikanische Soldaten unschuldige Familien in die Luft sprengen, Spitäler bombardieren oder ein neues My Lai Massaker verursachen, werden sie nie vor ein Gericht wegen Kriegsverbrechen gestellt. Nur Amerikas böse Feinde, wie z.B. Putin, sollen für Verbrechen bestraft werden.

Ein im Westen gefeierter Held (“Winston Churchill unserer Zeit”), der gerade gegen einen Invasoren kämpft, nimmt die Solidaritätsbekundung des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush, einem berüchtigen Invasoren, gerne entgegen. Im Unterschied zu Putin ist Bush, der Millionen unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat, ein guter Kriegsverbrecher.  (Twitter screen shot Felix Abt)

Gute und böse Oligarchen

Alle wissen es: russische Oligarchen sind böse, so böse, dass ihretwegen in westlichen Ländern der Rechtsstaat über den Haufen geworfen werden musste: Die ehemals hehren Prinzipien der Eigentumsgarantie, Unschuldsvermutung und Beweisführung vor Gericht gegen Angeschuldigte gelten nicht für russische Oligarchen. Der einzige sichere Beweis für ihre Verbrechen, den westliche Behörden gegen sie haben, ist die Tatsache, dass sie den gleichen Pass haben oder hatten wie der kriegsführende russische Präsident. Vielleicht gibt es auch noch Bildmaterial, das sie auf einem Foto mit Wladimir dem Schrecklichen zeigt. Das genügt, um ihre Yachten, Flugzeuge, Villen und Geld zu beschlagnahmen. “Beschlagnahmen” ist ausserdem eine gut gelungene Umschreibung von “stehlen”.

Das Recht wurde ersetzt durch eine einfache Verlautbarung des amerikanischen Führers. In seiner viel beklatschten Rede zur Lage der Nation vor dem US-Kongress am 1. März 2022 wandte sich Präsident Biden direkt an die russischen Oligarchen: «Wir werden uns mit unseren europäischen Verbündeten zusammentun, um Ihre Yachten, Ihre Luxuswohnungen und Ihre Privatjets zu finden und zu beschlagnahmen. Wir holen uns Ihre unrechtmäßigen Gewinne.»

Glücklicherweise gibt es neben den bösen russischen Oligarchen auch noch die guten, die vom Rechtsstaat beschützt werden. Dazu gehoeren beispielsweise die ukrainischen Oligarchen, welche politisch mächtiger in ihrem Land sind als die russischen in Russland. Mit massiver Hilfe des umstrittensten Oligarchen der Ukraine schaffte es beispielsweise Volodomyr Selensky, Präsident seines Landes zu werden.

Alle Oligarchen begannen fast bei Null und wurden reich durch Verbindungen zur hochkorrupten, aber demokratisch gewählten Regierung der Ukraine während des Übergangs von der staatlichen zur marktbasierten Wirtschaft. Das war in Russland nicht viel anders: Als unter dem russischen Präsident Boris Jelzin staatliche Ressourcen im grossen Stil an Private verscherbelt wurden, standen seine Kumpane in der ersten Reihe, und haben sich in Windeseile zu Neureichen und Oligarchen gemausert.

Der damalige russische Präsident war ein guter Präsident, weil er Tür und Tor auch für die Konzerne amerikanischer Oligarchen öffnete; amerikanische und russische Oligarchen wurden ausserdem gute Geschäftspartner in Russland. Wladimir Putin, der Nachfolger von Präsident Jelzin, erfrechte sich aber, den Spielraum russischer und amerikanischer Oligarchen einzuschränken. Deshalb betrachtete ihn Washington als Bösen, und begann auf die Schwächung Russlands und einen Regimewechsel in Moskau hinzuarbeiten. Ironischerweise wurden dabei vom Westen sogar die früheren Spiessgesellen des guten Präsidenten Jelzins zu “Putins Oligarchen” umfunktioniert. Dieses Manöver diente Russlands Feinden, die sich im Wirtschaftskrieg gegen Russland befinden, als Rechtfertigung, russischen Oligarchen im neuen Wilden Westen das Eigentum und die Aufenthaltsbewilligungen wegzunehmen, die Bewegungsfreiheit einzuschränken und die Möglichkeit, legale Geschaefte zu tätigen, zu vereiteln.

Das US-Pentagon (Verteidigungsministerium) ist die grösste und mächtigste Organisation der Welt, sowohl jetzt als auch in der Geschichte. Es ist auch der grösste Arbeitgeber der Welt mit 3,2 Millionen Männern und Frauen auf seinen Gehaltslisten; und da diese immer noch nicht ausreichen, heuert es zusätzlich eine grosse Anzahl von Söldnern, “private Auftragnehmer” genannt, für seine Kriege an. Darüber hinaus macht Amerikas massive private Kriegsindustrie 20 % aller Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie (Halliburton, Lockheed Martin, Carlyle Group und viele mehr) der USA aus und sorgt für eine Vielzahl weiterer Arbeitsplätze in sich auch im Besitz von amerikanischen Oligarchen befindenden, hochkarätigen Technologieunternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Palantir, die vom US-Militär Aufträge in Milliardenhöhe erhalten. Amerikanische Oligarchen, die an amerikanischen Kriegen kräftig verdienen und Blut an ihren Händen haben, sind aber gute Oligarchen, weil sie die Kriege von Amerika, dem Land Gottes (“God’s own country”) unterstützen und davon profitieren.

Das amerikanische “Center for Responsive Politics” berichtet, dass «in den vergangenen zwei Jahrzehnten das umfangreiche Netzwerk von Lobbyisten und Spendern der Rüstungsindustrie 285 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden und 2,5 Milliarden Dollar an Lobbying-Ausgaben zur Beeinflussung der Verteidigungspolitik eingesetzt hat».

Ein seltener und schockierender Moment der Ehrlichkeit von Senator Joe Biden, der hier zugibt, dass «das System korrupt ist»: «Ich denke nicht, dass Sie annehmen sollten, dass ich nicht korrupt bin. Man braucht eine Menge Geld, um in ein Amt zu kommen. Und die Leute mit diesem Geld wollen immer etwas.»

 Anders als die mächtige Kriegsindustrie haben die unzähligen Obdachlosen keine Lobby in Washington. Es ist deshalb nicht überraschend, dass während die USA vor kurzem weitere 3,3 Mrd. USD für tödliche Hilfe (“lethal help”) an die Ukraine überwiesen haben, unzählige Amerikaner, darunter vielerorts ein Viertel der Schüler, gezwungen sind, wie, entschuldigen Sie den Ausdruck, Strassenköter irgendwie zu überleben, anstatt als würdige Bürger in den USA – der reichsten Nation der Welt – sich des Lebens erfreuen zu dürfen.

(Twitter screen shot Felix Abt)

Eine politikwissenschaftliche Studie der renommierten amerikanischen Princeton-Universität aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass das Handeln der Regierung fast immer den Wünschen der wohlhabenden und mächtigen US-Eliten entspricht. «Unser zentrales Ergebnis war folgendes: Wirtschaftseliten und Interessengruppen können die Politik der US-Regierung beeinflussen – aber Amerikaner, denen es weniger gut geht, haben im Wesentlichen keinen Einfluss auf das, was ihre Regierung tut», schreiben die Koautoren Martin Gilens und Benjamin Page. Soviel zur vorbildlichen Demokratie Amerikas.

Jeff Bezos ist einer der reichsten Oligarchen Amerikas und der Welt. Er baute sein Amazon-Imperium auf seiner Fähigkeit auf, Produkte online zu verkaufen ohne Umsatzsteuern zu bezahlen, im Unterschied zu seinen Konkurrenten, die Läden betrieben. Er bezahlte auch niedrige Löhne, und fast keine Steuern, im Unterschied zu seinen Angestellten sowie vieler, von ihm aus dem Wettbewerb gedrängten Ladenbesitzer.

Bezos profitiert auch massiv vom gigantischen militärisch-industriellen Komplex, von dem er Milliardenaufträge erhält. Ausserdem unterstützt er die Spionageorganisationen: Kürzlich erhielt er einen Auftrag von 10 Milliarden US$, um ein grosses Cloud-Projekt zu realisieren. Sein Auftraggeber ist NSA, die amerikanische Regierungsorganisation, welche nicht nur französische Präsidenten und deutsche Bundeskanzler, sondern auch Sie und mich, aushorcht. NSA braucht riesige Cloud-Speicherkapazitäten, um die Weltbevölkerung im Auftrag der amerikanischen Regierung wirksam überwachen zu können, und diese werden nun vom guten Oligarchen Bezos für sie entwickelt.

Besuch von Amazon-Chef Jeff Bezos bei Verteidigungsminister Ash Carter, einem Grosskunden, im Pentagon am 5. Mai 2016. (Bild: Department of Defense/Senior Master Sgt. Adrian Cadiz)

Natürlich gibt es kaum einen amerikanischen Oligarchen, der nicht von der U.S. Regierung profitierte. So hat beispielsweise Elon Musk Milliarden an Subventionen und Verträgen für seine Automobil- und Raumfahrtprojekte erhalten. Oder Bill Gates hatte einen Regierungsvertrag und einige aggressive Patentstrategien in seinen eigenen oligarchischen Status umgemünzt.

Twitter warnt systematisch vor Twitter-Konten, welche für das böse Russland, das böse China und andere echte oder vermeintliche Feinde Amerikas Propaganda verbreiten und löscht auch viele. Westliche Propaganda wird selbstverstaendlich geduldet. Twitter, selbst im Besitz eines Oligarchen, weist auch nie auf die Natur der wichtigsten und am meisten meinungsbildenden amerikanischen Twitterer hin. (Tweet von einem Twitter-Kritiker auf Twitter. Screenshot von Felix Abt)

Die antirussische CancelCulture des Westens verbietet nicht nur berühmte russische Schriftsteller, Musiker und andere Künstler, die lange vor der Geburt Putins gelebt hatten, sondern auch zwei Jahrhunderte alte russische Bäume!

Was und wer gut ist und was und wer schlecht ist, wurde schon lange bestimmt: in Washington!

Interessanterweise, der Autor dieses sieben Jahre vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erschienenen Buches, hat die kriegerische Entwicklung fast prophetisch vorausgesehen. Anstatt die NATO nach der Auflösung ihres sowjetischen Gegenstücks aufzulösen, wollten der frühere U.S. Sicherheitsberater Brzezinski und andere sehr einflussreiche US-Falken die NATO nutzen, um die weltweite Vorherrschaft der USA auszuweiten und die Waffenkäufe und -verkäufe nicht nur aufrechtzuhalten, sondern zu beschleunigen. So verkündete Brzezinki, dass «eine erweiterte NATO sowohl den kurzfristigen als auch den längerfristigen Zielen der US-Politik gut dienen wird.» Bezeichnenderweise “bestimmte” er die Ukraine als das zentrale Land, um Russland zu besiegen. Es scheint, dass genau dieser Plan jetzt tatkräftig umgesetzt wird.

Als Komiker zu der Zeit, als Obama Präsident der USA war, hallte Volodimyr Selensky diese bittere Wahrheit wider: «Heute hat unser Präsident – der wichtigste, Barak Obama – versprochen, dass wir der NATO als amerikanischer Handlanger beitreten werden. Bitte schickt Exemplare von ‹Mein Kampf›, es ist hier ausverkauft.» Die Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet er als heutiger Präsident der Ukraine die Rolle als Handlanger Amerikas zu spielen hat.

Handelt es sich hier um einen bösen Papst mit politisch sehr unkorrekten Überzeugungen, der zur legitimen Zielscheibe eines Attentates oder Umsturzversuches des CIA werden könnte?

Jahrzehnte vor dem Ukraine-Krieg haben führende amerikanische Politiker vor der NATO-Osterweiterung und der deshalb von Russland zu erwartenden heftigen Reaktion gewarnt. Dazu gehörte Robert McNamara, welcher als Verteidigungsminister während des Vietnamkrieges den traurigen Rekord erzielte, Vietnam zum am meist bombardierten Land der Menschheitsgeschichte zu machen. Mindestens drei Millionen Vietnamesen und 58,000 Amerikaner verloren dabei ihr Leben. Geteilter Ansicht war auch Henry Kissinger, der etwa das Pol Pot Regime in Kambodscha, eines der blutrünstigsten der Menschheitsgeschichte, unterstützte. Sie besudelten ihre Hände mit Blut für Ruhm und Ehre des amerikanischen Imperiums und sind sicher unverdächtige amerikanische Patrioten, die nicht als Verräter verdächtigt werden können, weil sie die NATO-Osterweiterung ablehnten.

(Twitter screen shot von Felix Abt)

Der heutige U.S. Präsident Joe Biden hat den russischen Einmarsch in der Ukraine als “unprovoziert” scharf verurteilt und deshalb massive Vergeltung angekündigt und losgetreten. Dabei  gehörte er zur gleichen Gruppe amerikanischer Politiker, welche vor der desaströsen amerikanischen Russland- und NATO-Erweiterungspolitik gewarnt hatten.

Bereits 1997 sagte Senator Joe Biden, ranghöchstes Mitglied des Ausschusses des Senats für Auslandsbeziehungen, voraus, dass eine Ausweitung der NATO bis zu den baltischen Staaten eine «energische und feindselige» russische Antwort provozieren würde. Anstatt diese Reaktion mit einer kostengünstigen und schmerzlosen Sicherheitsgarantie für Russland zu verhindern, hat er sie proaktiv herausgefordert!

Was soll ich da noch hinzufuegen, wenn der kriegstreiberische demokratische Joe Biden selbst von seinen republikanischen Rivalen als “der beste Mann, den Gott je geschaffen hat”, gerühmt wird?

 

 

 

 

Wer verwendet als Erster das K-Wort?

Geschnatter aus dem Bundesrat.

Es sind bedrückende Fotos, Videos und Augenzeugenberichte, die uns aus der Ukraine erreichen. Die Indizien verdichten sich, dass die russischen Besatzungstruppen in den von ihnen beherrschten Gebieten ein Terroregime gegen die Bevölkerung errichtet haben.

Das tritt offen zu Tage, wenn sie sich zurückziehen müssen. Es verdichten sich ebenfalls die Hinweise, dass Butscha kein Einzelfall ist. Wenn Verbrechen normale Dimensionen sprengen, sind zwei Wörter schnell zur Hand: Kriegsverbrechen und Völkermord.

Der Schweizer Bundespräsident und Aussenminister Cassis spricht von «krassen Verletzungen» des Völkerrechts und von «mutmasslichen Kriegsverbrechen». Damit hat er völlig recht und bewegt sich auch innerhalb dessen, was von der Schweizer Neutralität übriggeblieben ist. Durch die Übernahme der EU-Sanktionen hat sich die Schweiz bereits für Russland als neutraler Vermittler, der wie üblich seine guten Dienste anbietet, disqualifiziert.

So fanden die ersten bilateralen Kontakte zwischen Russland und der Ukraine nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, in Genf, sondern in der Türkei statt. Nun kann man argumentieren, dass es der Schweiz egal sein könnte, wie sie vom Totalversager Putin qualifiziert wird.

Es wäre allerdings doch wünschenswert, wenn der Bundesrat mit einer Zunge spräche. Die im besten Fall dem dafür zuständigen Aussenminister gehören sollte. Nun ist allerdings ein Jekami ausgebrochen.

Bundesrätin Keller-Sutter, eigentlich für die Justiz innerhalb der Schweiz zuständig, spricht bereits von «klaren Hinweisen auf Kriegsverbrechen». Bundesrätin Sommaruga, eigentlich für inländischen Verkehr zuständig, wollte den Bundesrat zu einer Zustimmung bewegen, die Kanada erlaubt hätte, Kriegsmaterial über den Luftraum der Schweiz zu transportieren.

Und schliesslich meldet sich nun auch noch Gesundheitsminister Berset zu Wort. Er leidet offensichtlich unter einem Aufmerksamkeitsdefizit, seitdem Corona nicht mehr die Schlagzeilen beherrscht. Also gewährt er Christian Dorer, dem Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe, ein Interview. Und dort erklärt er nassforsch, dass es sich selbstverständlich um Kriegsverbrechen handle, was sich in der Ukraine abspiele.

Das sind keine Wortspielereien und auch kein Tanz um Nebensächlichkeiten. Auf der obersten Ebene der Politik, vor allem, wenn es ums Ausland geht, ist eine klare Sprache unabdingbar. Es kann eigentlich nicht sein, dass verschiedene Mitglieder der Landesregierung verschiedene Formulierungen verwenden.

Medien, Journalisten, ZACKBUM können von Kriegsverbrechen schreiben, wenn ihnen danach ist. Auf politischer Ebene ist die einzig korrekte Formulierung «mutmassliche Kriegsverbrechen». Aber das Wort Unschuldsvermutung ist dermassen ausser Mode gekommen, dass man in weiten Kreisen kaltlächelnd darauf verzichtet.

Schliesslich geht es um die markige Verurteilung des Kremlherrschers. Der autokratisch in einem Unrechtsstaat herrscht. Dem Rechtsstaatlichkeit abgeht, wo die Justiz parteiisch ist und die Unschuldsvermutung mit Füssen getreten wird. Ups.

Putin, allein zu Haus

Krachend gescheitert und in eine Sackgasse manövriert. Muss man mal hinkriegen.

Immerhin gibt es noch einige Stimmen, sogar bei Tamedia, die erklären, «warum Zurückhaltung in einem Krieg von Haltung zeugt». Denn zu sehr hat sich die Öffentlichkeit daran gewöhnt, dass die Unschuldsvermutung, das Prinzip «über jeden vernünftigen Zweifel erhaben» Skandalisierungen geopfert wird.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist das, was im ukrainischen Butscha passierte, ein Kriegsverbrechen. Mit Sicherheit ist die Position des Schweizer Aussenministers richtig, dass eine internationale Untersuchungskommission zu einem Ergebnis kommen muss, bevor der das Wort Völkermord benützt.

Wer – was selbstverständlich sein müsste – von einem «mutmasslichen russischen Kriegsverbrechen» schreibt, versinkt in Shitstorms vom Gröbsten. Der Irrwitz daran ist, dass uns genau diese Begriffe von Willkür und Barbarei trennen, wie sie in autokratischen Staaten wie Russland oder China herrschen. Während wir uns nach Kräften bemühen, mit Russland keine Handelsbeziehungen mehr zu haben, floriert der Handel mit China.

Dort wird gerade kein offener Krieg geführt, aber was mit den Uiguren passiert, in Tibet, mit Dissidenten, in welchem Ausmass hier die Gedankenkontrolle praktiziert wird, wie sie sich nicht einmal Orwell vorstellen konnte: na und? Auch über solche Heuchelei könnte man nachdenken. Kein russisches Gas mehr, dafür aber aus Katar. Emirat, die mittelalterliche Scharia ist Grundlage der Gesetzgebung, die Halbinsel ist berüchtigt für ihre Unterstützung der Muslimbrüder und Terrororganisationen wie der Hamas. Hat aber Erdgas in Hülle und Fülle.

Ebenso wie die meisten Alternativquellen für fossile Brennstoffe, angeführt vom Mörderregime in Saudi-Arabien, das eine Oppositionellen in der Botschaft umbringt und in Einzelteilen abtransportiert. Eine Diktatur, die seit Jahren einen grauslichen Krieg im Jemen führt. Oder Libyen. Oder der Irak. Alles grauslich und zum Reflektieren, wenn man gegen russische Exporte fäustelt.

Putin hat sich ohne Not in die Kacke manövriert

Aber das alles ist nichts gegen die Position, in die sich der russische Präsident ohne Not hineinmanövriert hat. In welchem Ausmass er sich in die Kacke bewegte, illustriert ein Vergleich der Situation vor dem Überfall auf die Ukraine mit heute. Er empfing an seinem lächerlich langen Tisch einen westlichen Führer nach dem anderen und machte seine Position klar, dass er definitiv gegen einen Eintritt der Ukraine in die EU oder gar die NATO sei.

Kleiner Mann, grosses Telefon.

Zudem könne keine Rede davon sein, die Krim oder die sogenannten autonomen Provinzen im Osten der Ukraine wieder diesem Staat einzuverleiben. Im Gegenteil. Diese Position hätte er höchstwahrscheinlich durchgekriegt. Denn so wie die USA ihren Hinterhof haben, so wie sich China mit abhängigen Staaten umgibt, so will auch Russland kein feindliches Militärbündnis an seiner Flanke. Und einen Beitritt in eine Wirtschaftsgemeinschaft, die ihre Überlegenheit gegenüber dem russischen Modell vorführte, das wäre auch schlecht fürs Geschäft und die Herrschaft.

Wie nachhaltig das gewesen wäre? Präsident Putin wird dieses Jahr 70; bis an sein Lebensende hätte das wohl gehalten. Und schon Fidel Castro sagte ganz richtig auf die Frage, was denn mit Kuba passiere, wenn er mal tot sei, dass man ihn doch wenigstens im Grab mit solchen Fragen in Ruhe lassen solle.

Nun hat sich Putin aus dieser relativ komfortablen Lage in die Katastrophe manövriert. Sein gefürchteter Geheimdienst FSB hat versagt und ein rosarotes Bild gemalt, dass die Ukrainer die russischen Befreier mit Blumen bewerfen würden und jubilieren, dass sie endlich das faschistische Joch von drogenabhängigen Desperados an der Regierung loswürden.

Versagt auf ganzer Linie

Der von Putin nicht ernst genommene Komiker von Gnaden eines ukrainischen Oligarchen wuchs in der Krise über sich selbst hinaus und zeigte sich als charismatischer Führer und erster Sieger im Propagandakampf. Die TV-Auftritte von Selenskyj sind mit bescheidenen Mitteln inszeniert, durchschlagend gut und die Narrative beherrschend. Auch wenn er mit seinen Forderungen nach einem direkten militärischen Eingreifen der NATO glücklicherweise auf taube Ohren stösst.

Viele Telefone um ein Nichts.

Dagegen sitzt im Kreml oder anderswo ein kleiner Mann an einem viel zu grossen Schreibtisch mit viel zu vielen Telefonen und spricht verkniffen ab Blatt. Benützt Fäkalsprache, stösst wilde Drohungen bis hin zu atomaren aus und kann bis heute keinen einzigen vernünftigen Grund nennen, wieso er die Ukraine überfallen hat.

Blamabel ist der Krieg für die russische Armee. Veraltetes Gerät, demotivierte Soldaten, die nicht mal genau wissen, wo sie sind und wogegen sie kämpfen. Schmerzliche Verluste, schändliche Angriffe auf zivile Ziele. Auch nach sechs Wochen ist das wichtigste Ziel, die Eroberung der Hauptstadt Kiew, in weiter Ferne. Wo sich russische Truppen zurückziehen müssen, offenbaren sich schreckliche Verbrechen.

Damit nicht genug. Durch die provozierten Sanktionen ist die russische Wirtschaft – und die Bevölkerung – schwer getroffen. So wie es für den Westen nicht blitzartig möglich ist, sich von der Abhängigkeit von fossilen russischen Rohstoffen zu trennen, ist es für Russland nicht möglich, blitzartig neue Abnehmer zu finden.

Dennoch wird diese Abnabelung stattfinden, zum grossen Schaden für beide. Aber der Westen hat entschieden mehr ökonomische Reserven als Russland. Ein Staat, der seine Einnahmen wie ein Drittweltland aus dem Export von Rohstoffen generiert, ausser Trollfabriken im Hightech-Bereich nicht viel zu bieten hat. Dazu über eine Armee verfügt, die kläglich an einem viel schwächeren Feind scheitert. Aber es bleibt das Atomwaffenarsenal.

Das Verhältnis für Jahre vergiftet

Wie auch immer der Ukrainekrieg beendet wird, und das wird er: Putin ist der grosse Verlierer. Es wird eine Generation, wenn nicht länger dauern, bis sich die bilateralen Beziehungen mit dem Westen wieder normalisiert haben. Wer in der Ukraine noch Sympathien für Russland hatte, hasst es inzwischen. Wer im Westen an Wandel durch Annäherung glaubte, vertraut Russland nicht mehr.

Kein Anschluss unter dieser Nullnummer.

Alle Vorurteile, der russische Bär, die Barbaren aus dem Osten, unzivilisierte militärische Horden, die marodieren, brandschatzen, vergewaltigen, töten – sie werden nach Kräften bedient. Putin ist krachend gescheitert. Die Frage ist nur, ob es für ihn einen gesichtswahrenden Ausweg gibt oder nicht. Ob es genügend starke Kräfte in Russland gibt oder nicht, die ihn von der Macht entfernen, was diesmal sicherlich nicht wie im Fall Gorbatschows mit Hausarrest beginnen würde.

Historische Vergleiche sind immer gefährlich und von beschränkter Aussagekraft. Hitler in seinem Führerbunker war am Ende überzeugt, dass das deutsche Volk den Untergang verdient, es sich seiner nicht würdig erwiesen habe. Hätte er, vor seinem Selbstmord, auf den roten Knopf der atomaren Zerstörung gedrückt, falls der vorhanden gewesen wäre? Die Antwort ist beängstigend.