Schlagwortarchiv für: Koryphäen

And the Winner is …

Hat die Journaille aus den vorletzten Wahlen in den USA gelernt?

Daran möchten sich nicht einmal eingefleischte Trump-Hasser gerne erinnern. Als Donald Trump 2016 gegen Hillary Clinton antrat, waren sich eigentlich fast alle US-Spezialisten, Kenner, Analysten, Politbeobachter, Experten und Fachleute einig:

Die USA wird bald zum ersten Mal eine Präsidentin haben. Denn es sei ja wohl undenkbar, dass so ein Gnom wie Trump, ein Vielfachversager, Aufschneider, Berufslügner, jemand der so sprunghaft ist, von den meisten Gegenden der Welt keine Ahnung hat und noch niemals zuvor in irgend einer Form politische Verantwortung übernehmen musste – Präsident werden könnte.

Niemals nicht, absolut klar, keine Frage; nur wenn Clinton tot umfällt oder einen noch grösseren Bock schiesst als ihr Gatte mit seinen Sexaffären, dann, aber nur dann hätte Trump vielleicht eine Aussenseiterchance. Aber auch das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

So tönte es auf allen Kanälen bis in die Wahlnacht hinein. Unvergesslich köstlich, wie in den Wahlstudios der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland, wie beim Schweizer Farbfernsehen die Moderatoren die ersten Resultate noch schönschwatzten, bis tief in die Wahlnacht hinein sich verzweifelt an der Hoffnung festklammerten, dass ja nun alles geschehen könne, inklusive Weltuntergang, aber eine Wahl Trumps, niemals, ausgeschlossen.

Dann gab es eine Schockstarre, eine Schweigepause, während der der Konsum von Psychopharmaka, Alkohol und härteren Drogen unter Journalisten sprunghaft zunahm.

Nun folgte Phase zwei. Wie konnte das passieren? Alle, inklusive Claas Relotius, waren sich sicher: das lag an diesen verdammten Hinterwäldlern aus den Fligh-over-Counties. So nennen Ost- oder Westküstenintellektuelle das Kernland der USA. Reporter wurden dorthin entsandt, die mit der Schreckensmeldung zurückkamen: genau, die sind so hinterwäldlerisch, eigentlich sollte man denen das Wahlrecht entziehen.

Denn für die Journaille war klar: da der Wähler gegen ihren einhelligen Ratschlag abgestimmt hatte, ist er mehrheitlich blöd. Der Aufgabe nicht gewachsen. Beratungsresistent. Unempfänglich für all die guten Ratschläge, die die Journaille unablässig auf ihn niederregnen liess.

Dann vier Jahre Präsidentschaft. Eigentlich kann man sagen, dass Trump so im üblichen Mittelmass seiner Vorgänger regierte. Erschwerend kam für ihn hinzu, dass er keine Ahnung hatte, wie das Politsystem in Washington funktioniert, wie man sich Mehrheiten verschaffen kann, wie das tägliche Kleinklein der Regierungsarbeit aussieht.

Dann das grosse Aufatmen 2020. Ein paar Irre versuchten zwar noch, das Kapitol nicht nur zu stürmen, sondern einzunehmen. Und Trump begann seinen Feldzug, dass ihm der Sieg gestohlen worden sei. Aber entgegen anderslautenden Befürchtungen räumte er das Weisse Haus durch den Hinterausgang und begann vorher keinen Dritten Weltkrieg.

Die Journaille atmete auf und hoffte, dass sie sich nie mehr intensiv mit diesem blondierten Amok beschäftigen müsse. Bis zu den Vorwahlen der Demokraten und der Republikaner. Bei den Demokraten war es klar und einfach. Niemand wollte ernsthaft Joe Biden in die Quere kommen. Und die Hoffnung, dass ihn Kamala Harris nach zwei Jahren ablösen könnte, war genauso zerstoben wie die Hoffnung, dass sie nach Ende seiner Amtszeit antreten könne.

Erst als sich Biden in einer TV-Diskussion restlos blamierte, wurde Harris knirschend auf den Schild gehoben. Obwohl es bessere Kandidaten gegeben hätte. Aber sie hatte einen unschlagbaren Vorteil: nur mit ihr mussten all die Wahlspenden für Biden/Harris nicht zurückgegeben werden.

Also schwenke die Journaille, die zuvor noch Biden als einzigen Kandidaten hochgejubelt hatte, der Trump sicher stoppen könne, auf die neue weibliche Hoffnung um. Und übersah geflissentlich, dass Harris noch weniger Programm oder Überzeugungen zu bieten hat als Trump.

Dessen Vorwahlkampf wurde mit immer schriller werdendem Pfeifen im Wald begleitet. Jede Eintagsfliege wurde als mögliche chancenreiche Gegenkandidatur hochgelobt, jeder Sieg von ihm mit einem «noch ist nichts entschieden» begleitet. Bis auch hier das Unvorhersehbare, das Ungeheuerliche wieder geschehen war: Trump wurde Präsidentschaftskandidat.

Im fliegenden Wechsel von Biden zu Harris war sich die Journaille einig: die Dame ist schwer unterschätzt worden, die kann Trump Saures geben, der hat völlig den Faden und das Konzept verloren, die macht ihn fertig.

Wie immer, wenn es um Trump geht, schrieb sich die Journaille die Finger wund, wieso er es auf keinen Fall schaffen könne, wieso das absolut ausgeschlossen sei, wieso er nun eine Gegnerin habe, die alle guten Kräfte hinter sich vereinige.

Besoffen von der eigenen Schreibe kam da die Phase, wo von einer Wende fantasiert wurde, wo der mögliche Sieg von Harris als immer wahrscheinlicher hingeschrieben wurde, wo Trump als der sichere Verlierer abgekanzelt wurde.

Bis zur nächsten Wende, wo zunächst raunend, dann offen wehklagend berichtet wurde, dass Trump doch wider Erwarten aufhole, noch gar nicht geschlagen sei, sogar die Nase wieder vorne habe, Gott sei bei uns.

Und nun kommt die nächste Wahlnacht auf uns zu. Und wieder werden die Beobachter, Analysten, Koryphäen, USA-Kenner von Peter Hossli aufwärts ihren Senf dazu geben. Schamlos. Als hätten sie sich nicht Mal für Mal blamiert, immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie von den USA – ausserhalb von New York, Boston, LA und San Francisco – schlichtweg nicht den Hauch einer Ahnung haben.

Aber wahrscheinlich sind sie doch etwas vorsichtiger geworden und werden Harris nicht vorschnell zur sicheren Siegerin erklären. Obwohl sie das in überwiegender Mehrheit inbrünstig hoffen.

Blöde Realität

Das wird ganz knapp für Macron. Ausser, es gibt eine Überraschung.

Das nähere Ausland ist leider nicht so eine gegendarstellungsfreie Zone wie, sagen wir Cabo Verde. Nur ganz knapp konnte sich die Berichterstattung über die französischen Präsidentschaftswahlen gegen die Ukraine behaupten. Immerhin unser Nachbar, nach dem Austritt Grossbritanniens die zweitwichtigste Volkswirtschaft in der EU. Force de Frappe, Atommacht.

Also ist es nicht ganz unwichtig, wer dort Präsident ist oder wird. Nun war schon der amtierende Amtsinhaber eine «Überraschung», weil er sozusagen aus dem Nichts kam und eine eigene Bewegung, die man kaum als Partei bezeichnen kann, hinter sich scharte.

Viele «Frankreichkenner» kannten dann Frankreich eben doch nicht so gut und gaben ihm bis fast vor Schluss nur Aussenseiterchancen. Aber immerhin, man hatte aus dem Desaster der US-Präsidentschaftswahlen gelernt. Da hielt die Fassungslosigkeit bis in spätabendliche Nachrichtensendungen an, dass die sichere Siegerin Hillary Clinton weder sicher, noch Siegerin war. Sondern der «hat keine Chance, ausgeschlossen» Newcomer Donald Trump.

Aber auch in Frankreich war man sich vom «Frankreichkenner» Daniel Binswanger abwärts (und vor allem, da ist viel Luft, aufwärts) ganz sicher: das wird eine knappe Sache. Ganz knapp, richtig knapp. Selbst dem rechten Schreckgespenst Éric Zemmour wurden Aussenseiterchancen eingeräumt. Auf verlorenem Posten sah man hingegen den Linken Jean-Luc Mélonchon. Der grosse Gottseibeiuns wurde aber Marine Le Pen.

In den Meinungsumfragen schmolz der Vorsprung Macrons, also echoten alle Frankreichkenner von nah und fern: das wird eine ganz, ganz enge Sache. So blieb’s auch bis zu den ersten behaftbaren Hochrechnungen. 27,6 Prozent für Amtsinhaber Macron, 23,4 Prozent für Le Pen – und 22 Prozent für Mélonchon. Immerhin wurde richtig geraten, dass die sogenannten traditionellen Parteien, also Republikaner und Sozialisten, unter ferner liefen ins Ziel kommen würden.

Nun ist ein Unterschied von 4,2 Prozent nicht alle Welt. Aber weit entfernt von sauknapp. Das Adjektiv trifft eher auf Le Pen und den Linken zu, der den Einzug in den zweiten Wahlgang nur um 1,4 Prozent verpasste.

Und das rechte Schreckgespenst landete ebenfalls abgeschlagen bei 7,1 Prozent. ein vernachlässigbares Resultat, im Vergleich zu den vielen, vielen Artikeln, die Zemmour gewidmet wurden.

Nun ist die Vorhersage von Wahlergebnissen tatsächlich keine exakte Wissenschaft. Es erhebt sich aber die Frage, wozu der Konsument eigentlich Geld ausgeben soll, wenn ihm Erkenntnisse serviert werden, die er auch selbst aus den Umfragen ziehen kann. Womit der Laie dann genauso falsch lag wie der angebliche Kenner und Frankreich-Korrespondent. Unbeschadet, ob der seine Korrespondenz vom sicheren Schreibtisch in der Schweiz aus oder tatsächlich vor Ort ausübt.

Nach einer solchen Fehlananlyse könnte man – vielleicht – etwas aufs Haupt gestreute Asche erwarten. So eine klitzekleine Entschuldigung, dass man die Realität mal wieder zu sehr mit der gefärbten Brille betrachtet hätte. Aber das ist nicht die Kernkompetenz von Journalisten. Schon eine Richtigstellung oder gar Entschuldigung muss man normalerweise mit der juristischen Brechstange erzwingen.

Hier reicht der Allerweltsbegriff «Überraschung». Was hat sich der französische Wähler nur dabei gedacht? Aber wenn’s schon hier nicht knapp wurde, es steht ja noch der zweite Wahlgang bevor. Und da wird’s dann – Überraschung – ganz knapp. Richtig knapp. Ganz sicher.

 

 

Glücklicherweise ist Krieg

Nur Corona-Kreische Brupbacher hat’s noch nicht gemerkt: neues Oberthema.

Pandemie? War da was? Krisenbank Credit Suisse? Ist da was? Gendersternchen, Diskriminierung und Ausgrenzung: was sollen das für Probleme sein?

Die Medien atmen hörbar auf und durch. Helm auf, es ist Krieg. Endlich nicht mehr «die Lage spitzt sich dramatisch zu». Noch eingeschränkt durch «offenbar» («Spiegel») oder gleich direkt: «Russland hat mit Invasion begonnen» (Tamedia). «Die Invasion der russischen Armee hat begonnen» (CH Media), «Russland hat mit der Invasion in der Ukraine begonnen, und Putin droht dem Westen mit «schrecklichen» Konsequenzen» (NZZ). «Ukraine-Invasion», der «Blick» bringt’s auf den Punkt, allerdings nicht sehr boulevardesk. Aber selbst «Bild» fällt im ersten Moment nur «INVASION» ein.

«20 Minuten» sorgt immerhin für einen komischen Brüller:

Das nennt man Lebenshilfe à la «20min».

Allgemein ist eine Begeisterung in den Medien zu spüren. Die artet gelegentlich in Kriegsbegeisterung aus; vor allem deutsche Berichterstatter haben manchmal einen Ton drauf, als würden sie immer noch für die «Wochenschau» produzieren. Aber zuvorderst steht die Dankbarkeit, dass genau rechtzeitig zum Ende der Pandemie ein neues Überthema entstanden ist, das diese Lücke füllt.

Vom Virologen zum Sandkastengeneral

Beachtlich ist dabei, dass die Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt nicht viel kompetenter ist als diejenige über Corona. Die meisten Journalisten – tragische Ausnahmen wie Marc Brupbacher beiseite – ziehen den Laborkittel des Virologen und Epidemiologen aus und schusssichere Weste plus Helm an.

Wer sich vorher noch in der Nahbetrachtung eines Virus verlor, Corona-Skeptiker und Impfgegner beschimpfte, spielt nun im Sandkasten Operettengeneral, beschimpft Präsident Putin und alle, die die militärische Eskalation nicht aus vollem Hals und uneingeschränkt verurteilen.

Es zeigt sich aber schnell wieder das gleiche Phänomen wie bei der Berichterstattung über die Pandemie. Die oberflächlichen Tatsachen sind schnell erzählt. Eine neue Riege von «Spezialisten, Kennern, Koryphäen» bringt sich in Stellung und wird fleissig interviewt. Es ist aber noch nicht klar, wer wie einstmals Marcel Salathé die Lufthoheit im Erklärbusiness erobern wird.

Wer wird der neue Salathé?

Erste Nahkämpfe zeichnen sich bereits ab. «Blick TV» probiert es mit Bidu ZauggTunnelblick»), Tamedia versucht es vorläufig mit eigenen Kräften («Das Ende der alten Welt hat begonnen»), Zita Affentranger, («Die Schweiz sollte sich den internationalen Sanktionen gegen Russland anschliessen»), Raphaela Birrer. «20 Minuten» setzt auf einen Marc Lindt, der aber wohl nur Aussenseiterchancen hat.

Ob’s so und hier anfing? Anscheinend ein flüchtender ukrainischer Soldat an der Grenze.

Natürlich warten wir alle auf erste Worte des letzten grossen Welterklärers der Schweiz, Erich Gysling. Aber er war vor drei Tagen das letzte Mal auf Sendung, kommt aber sicherlich demnächst wieder hinten hoch.

Zu einer ebenfalls lustigen Volte hat sich CH Media verstiegen. Dort hat man die «Schweizer Putin-Versteher» zusammengestellt. Zwar noch vor Ausbruch des Krieges, aber sozusagen als Kollektion von Mitbürgern, die man bei Gelegenheit dem Volkszorn aussetzen kann. Falls die Schweizer Bevölkerung tatsächlich den extrem putin-feindlichen Kurs der Massenmedien goutiert.

Allerdings: Hintergründe, Analysen, Food for Thought, Beigemüse zu den ausgetrampelten Pfaden des Mainstreams? Da kann man höchstens ein wenig auf die NZZ hoffen, wobei es beim Hintergrund des Auslandchefs eher fraglich ist, dass sich das letzte Weltblatt der Schweiz allzu weit auf eine differenzierte Berichterstattung einlässt.

Warum nicht zwischen allen Stühlen?

Sozusagen schon vor Spielbeginn hat sich leider die «Weltwoche» disqualifiziert. Wenn man die ungefilterte russische Regierungssicht sich zu Gemüte führen will, kann man (zumindest in der Schweiz) gleich «Russia Today» lesen oder schauen. Ob eine Titelgeschichte von Thomas Fasbender sozusagen die Gegenleistung für diverse Auftritte von Roger Köppel dort ist, man weiss es nicht. Leider verliert sich die WeWo wieder viel zu sehr im verkrampften «gegen den Strom», statt sich mutig zwischen alle Stühle und Bänke zu setzen.

So wie wir das auf ZACKBUM praktizieren. Keine Putin-Versteher, aber scharfe Kritiker der ins Hysterische kippenden westlichen Berichterstattung. Garniert mit kleinen Ausflügen in die Geschichte, Mentalität und Verfassung der Ukraine. Während klar ist und bleibt: mit einem Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine verletzt Russland zum zweiten mal heilig beschworene Verträge, Versprechungen und Vereinbarungen. Um sich möglicherweise die milliardenteure Renovation einer Ruine aufzuhalsen.