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Übergrosser Bauchnabel

Was ist das wichtigste Körperteil eines Journalisten?

Konsumenten von Medien könnten meinen, dass es sich dabei um den Kopf handle. Vielleicht sehen das männliche Journalisten zum Teil anders, aber das wichtigste Körperteil eines Medienschaffenden ist eindeutig sein Bauchnabel.

Denn diesen betrachtet er nicht nur ausgiebig. Tastet ihn regelmässig ab. Fühlt, spürt, wie es dahinter zu und her geht. Rumpelt der Magen? Verrichtet das Gedärm seinen Dienst? Wandert die Nahrung peristaltisch dem Ausgang entgegen? Wie steht es mit den übrigen inneren Organen? Hält die Leber noch die Alkoholzufuhr aus oder spannt sie schon den Regenschirm auf? Ist die Gallenblase ohne Steine? Schmerzen etwa die Nieren? Was machen denn eigentlich Bauchspeicheldrüse und Blinddarm?

Der Journalist kümmert sich auch um abstraktere Belastungen im Umfeld seines Bauchnabels. Halten seine Innereien die nötige Portion Opportunismus aus, den Widerspruch zwischen persönlichen Überzeugungen und dem, was der Medienschaffende in Erfüllung der Generallinie seines Organs als seine feste Meinung zu verkaufen hat? Bleibt das Gedärm ruhig, wenn er wieder mal einen Auftrag fasst, ein übles Stück Konzernjournalismus zu verfassen? Entwickeln sich gar Blähungen, wenn er wieder mal Stücke in seinem Medium lesen oder hören muss, die intellektuell unterirdischen Flachsinn beinhalten?

Kommt er ohne Schluckauf davon, wenn eine neue Runde «gendern für Anfänger und Zurückgeschrittene» ausgerufen wird? Fügt er sich in sein Schicksal, wenn die Untervertretung von weiblichen Führungskräften durch Quotenfrauen kompensiert wird, was dem männlichen Mitarbeiter klarmacht, dass seine unermüdlichen Anstrengungen, durch herausragende Leistung die Karriereleiter zu erklimmen, vergeblich waren?

Noch wichtiger: woran leidet der Journalist gerade? An der Welt insgesamt, am Krieg in der Ukraine, an Trennungsschmerz, an Kopfweh? Wie steht es überhaupt um seine Befindlichkeit? Ist er einsam, muss er Weltenlenker zurechtweisen, fernen und nahen Ländern oder Regierungen Bescheid stossen, was sie eigentlich zu tun hätten? Befürchtet er einen neuen Corona-Ausbruch, viele Tote, gar den Weltuntergang? Müsste man Putin nicht endlich mal stoppen? Bremsen? Wegputschen? Und wieso, verdammt noch eins, folgt eigentlich niemand seinen Ratschlägen?

Das sind alles Gedankengänge, die dem Journalisten beim Betrachten seines Bauchnabels durch den Kopf gehen. Damit könnte die Welt ja noch leben. Aber leider, leider hat er die Möglichkeit, all diese Gärungen und Verarbeitungen seines Metabolismus der Umwelt mitzuteilen. Genauer den armen Konsumenten seines Organs, die sogar noch Geld dafür zahlen müssen, um akkurat über die Befindlichkeit des Lohnschreibers informiert zu werden.

Das ist eine einsame Spitzenleistung an öffentlicher Nabelschau. Das gibt es in keinem anderen Beruf. Ein Kellner käme nicht im Traum auf die Idee, ein Bier mit der Bemerkung zu servieren, dass er heute in recht melancholischer Stimmung sei. Einer Verkäuferin käme nicht über die Lippen, während sie die Ware abkassiert, den Kunden darüber zu informieren, dass sie an der Verantwortungslosigkeit der Ungeimpften schwer leide.

Selbst Taxifahrer oder Coiffeure geben normalerweise erst dann ihre Ansichten und Einsichten kund, wenn der Kunde offenbar nach einem Dialog verlangt. Auch Staatsbeamte halten sich zurück. Niemals käme der Steuerkommissär auf die Idee, die Steuerrechnung mit ein paar Bemerkungen über seinen Seelenzustand zu ergänzen.

Denn eigentlich ist es bei Dienstleistungen ganz einfach. In welchem körperlichen oder geistigen oder seelischen Zustand sie erbracht werden, ist dem zahlenden Konsumenten ziemlich egal. Normalerweise wäre er befremdet, wenn der Metzger das Kalbskotelett mit der Bemerkung über den Tresen reichen würde, dass die Massentierhaltung seiner Meinung nach sofort zu unterbinden sei. Und wieso der Kunde nicht besser zum Biofleisch greife, statt verantwortungslos und kaltherzig tierisches Leiden zu verspeisen.

Aber der Medienschaffende ist immer gerne bereit, nicht nur seine persönliche Stimmungslage mit dem Konsumenten zu teilen, sondern dem auch noch ungefragt Ratschläge, geradezu Befehle zu erteilen. Putin verstehen, das sei ganz schlecht. Sich nicht nochmals boostern lassen, das sei verantwortungslos. Ein warmes Vollbad sei ein Schlag ins Gesicht gegen alle Energiesparmassnahmen. Kohlekraftwerke seien doch keine so schlechte Sache, die Raumtemperatur müsse im kommenden Winter deutlich gesenkt werden.

Mit all diesen Dingen belästigen Medienschaffende ihre Konsumenten. Kein Wunder, dass für die eigentliche Dienstleistung, das professionelle Berichten über Ereignisse aus der ganzen Welt, immer mehr in den Hintergrund tritt. Kein Wunder, dass sich immer mehr Konsumenten fragen, wieso sie für diese Selbsterforschung, diese Egotripps, diese arrogante Rechthaberei, diese ungefragten Ratschläge, Zurechtweisungen, Einordnungen oder Narrative auch noch etwas bezahlen sollten.

 

Glaubwürdigkeit

Systematische Probleme in den Medien.

Ohne Häme und Polemik gefragt: warum berauben sich viele Medien freiwillig ihrem wichtigsten Asset, ihrer Existenzgrundlage?

Nähern wir uns der Antwort in vorsichtigen, kleinen Schritten. Die Kernaufgabe eines Newsmediums ist es, News herzustellen. Das ist keinesfalls banal. Denn zu 99 Prozent sind diese Informationen vom Leser nicht überprüfbar. Oder wenn, nehmen sich 99 Prozent der Leser nicht die Zeit dafür. Genau aus diesem Grund halten sie sich doch ein Qualitätsorgan, das für seine Tätigkeit zudem happige Preise fordert.

Was auch immer wo auch immer auf der Welt stattgefunden hat, der Leser muss darauf vertrauen können, dass ihm kein X für ein U vorgemacht wurde. Dass Präsident Biden tatsächlich schärfere Waffengesetze fordert und nicht etwa der Waffenlobby zujubelt. So brandschwarz lügt nun allerdings kaum ein Medium, zu leicht wäre das durchschaubar.

Und dann wäre weg, was die Existenzberechtigung ausmacht. Die Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit heisst, dass sich der Leser oder Konsument darauf verlassen kann, dass zumindest das Faktische stimmt. Dass die Gewichtung stimmt. Dass die Auswahl der News stimmt. Dass dem Satz audiatur et altera pars nachgelebt wird, man höre auch die andere Seite. Das alles gehört zur Glaubwürdigkeit.

Besonders in Kriegen ist es völlig klar, dass alle Kriegsparteien in Propaganda-Modus verfallen und sich bemühen, sich selbst möglichst gut und edel und siegreich, den Gegner möglichst schlecht, heimtückisch und als Versager hinzustellen. Das ist normal und erlaubt. Sowohl in der Ukraine wie in Russland herrscht Zensur, die Massenmedien geben natürlich nur die offizielle Sichtweise wieder.

Nicht kriegsbeteiligte Medien, insbesondere noch in der neutralen Schweiz, sollten hingegen beide Seiten zu Wort kommen lassen. Sie sollten versuchen, hinter die Nebel der Propaganda zu schauen, im Dienst und Auftrag ihrer Konsumenten. Tun sie das nicht, haben sie über kurz oder lang ihre Existenzberechtigung verloren.

Medien haben Haltungen, Redaktoren haben Meinungen. Das ist kein Verbrechen, sondern unausweichlich. Es gibt kein «objektives» Newsblatt, keine völlig ausgewogene Nachrichtensendung. Diese Haltung, diese Meinungen können vertreten, ausgewiesen, in Editorials, Kommentaren und Redaktionsstatuten vertreten werden. Wenn es allerdings offenkundig wird, dass dadurch die Fähigkeit beeinträchtigt ist, in erster Linie Hilfe bei der Meinungsbildung des Konsumenten zu leisten, verliert das Medium sein wichtigstes Asset. Und ist zum Untergang verurteilt.

Der Konsument ist ein geduldiges Wesen, das sich auch überraschend lange und kräftig quälen lässt. Schrumpfende Umfänge, nachlassende Qualität, Rechthaberei, unqualifizierte Schreiber, Einäugigkeit, Voreingenommenheit, Haltungsjournalismus pur, ruppiger Umgang mit abweichenden Meinungen – all das verträgt der Konsument mit wahrlich bewundernswerter Engelsgeduld.

Aber es stauen sich in ihm Bedenken auf. Weniger Umfang als Qualitätssteigerung? Sparmassnahmen als Verbesserung des Angebots? Kolumnitis und Meinungen und Kommentare und Beschreibungen persönlicher Befindlichkeiten oder gar Betroffenheiten als Ersatz für Reportagen, Berichte, Analysen? Schwarzweiss-Malerei statt Wiedergabe der bunten Welt? Gar im Befehlston geschnarrte Handlungsanweisungen an den Konsumenten, wie der sich zu verhalten habe? Was er zu tun und zu lassen habe, um nicht als fahrlässig, uneinsichtig, unmenschlich, moralfrei, bequem, unsolidarisch zu gelten?

Es ist wohl nicht ein einzelner Vorfall dieser Art, sondern ihre Akkumulation, begleitet von einer zunehmenden Kreischigkeit in der Tonlage, mit der der Bedeutungsverlust der Massenmedien kompensiert werden soll, die dann beim Konsumenten den Entschluss reifen lassen: es reicht. Wieso soll ich ein paar hundert Franken dafür ausgeben, damit ich einseitig informiert, dünn dokumentiert, ständig belehrt und beschimpft werde? Was interessieren mich die Meinungen der Redaktoren, ihre Befindlichkeiten, ihr Leiden, ihre persönlichen Probleme? Wieso soll der Konsument dafür bezahlen?

Dann, nun dann folgt auf den Verlust der Glaubwürdigkeit der Verlust des Zahlers. Weil zunehmend aus dem Fokus gerät, dass Newsmedien keine Anstalt für Eigentherapie und das Hinausposaunen der eigenen Meinung sind. Bei der das zahlende Publikum und dessen Interessen eigentlich keine Rolle spielen. Es wird höchstens wahrgenommen als zu belehrende, anzuweisende und natürlich zu kritisierende Masse, die sich allzu oft leider nicht so verhält, wie sie es nach Meinung des Journalisten tun sollte. Sie wählt falsch, hat falsche Ansichten, ist schnell einmal fremdenfeindlich, rassistisch, unsolidarisch, verklemmt, konservativ, egoistisch.

Da sagt sich dann der Konsument: Wenn zur dünnen Suppe des Inhalts, dem starken Tobak der Meinung auch noch Publikumsbeschimpfung dazukommt, dann reicht’s: ich kündige.