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Erschütternd

Messfühler Kommentare: unfähiges Personal …

«Gemäss Leuten, die die Anleihenbedingungen gelesen haben, wird ein Ausfall der Bonds ausgelöst, wenn der Staat zur Rettung der Bank einspringen muss. Somit alles in Butter.»

Das ist einer von vielen Kommentaren unter einem Artikel auf «Inside Paradeplatz». Thema ist die skandalöse Abschreibung von Zwangswandelanleihen im Buchwert von 16 Milliarden Franken auf null. Getan hat das die Bankenaufsicht FINMA, die sich wiederum auf das vom Bundesrat angewendete Notrecht abstützte.

Das Ganze ist finanztechnisch nicht ganz einfach zu verstehen, angefangen damit, was solche Bonds eigentlich sind, und vor allem, unter welchen Umständen sie ihren Wert verlieren. Der Artikel selbst, das sagt ZACKBUM in aller Objektivität, ist hervorragend geschrieben und durchdacht.

Interessant sind allerdings auch die Kommentare. Denn es ist bekannt, dass sich auf IP vor allem Schweizer Banker tummeln, die geschützt durch Anonymität unverblümt ihre Meinung sagen. Neben den üblichen frustrierten Kläffern («Du bisch eifach ganz en dumme Plauderi Zeyer») gibt es allerdings eine erschreckende Anzahl von Kommentatoren, die schwere Kenntnislücken vorführen.

Das fängt auch hier mit Gekeife an «Den Coco Gag bringt er gefühlt zum 10. Mal und er ist noch genauso falsch wie bei der ersten Erwähnung», geht aber mit ernsthaften Behauptungen weiter: «Es sind Pflichtwandelanleihen und die würden unter den gegebenen Umständen sowieso in Aktienkapital gewandelt und hätten im Fall CS (ohne Intervention) praktisch auf Null abgeschrieben werden müssen.» 

Ein anderer Banker behauptet: «Es wäre hilfreich, wenn der Autor wenigstens kurz einen Blick in den Prospekt der AT1 geworfen hätte, dann wüsste er nämlich, welchen Unsinn er hier zusammengeschrieben hat.»

Oder: «Wer diese Papiere erworben hat wusste oder hätte wissen sollen, dass es sich um scharfgestellte Handgranaten handelte, wieso sonst dieser Zins. Im Prospekt stehen seitenweise Trigger-Events.»

Und so weiter. Erschütternd ist: kein Einziger dieser Tiefflieger hat offensichtlich den Prospekt gelesen, geschweige denn verstanden. Sonst wüssten nämlich alle: höchstwahrscheinlich war keine der dort genannten Bedingungen erfüllt, um die Anleihen auf null abschreiben zu können. Zumindest gäbe es keine internationale Klagewelle, wenn alles so eindeutig wäre. Allerdings ist der Prospekt im üblichen internationalen Banglish abgefasst, bei dem die meisten Schweizer Bänker schon mal abschnallen.

Sie kapieren höchstens noch, dass das Kriterium des Unterschreitens einer gewissen Schwelle des Eigenkapitals nicht erfüllt wurde. Die übrigen wohl auch nicht, wenn man hier kurz einen Auszug zitieren darf:

«A “Viability Event” will occur if prior to a Statutory Loss Absorption Date (if any) either:
(a) the Regulator has notified CSG that it has determined that a write-down of the Notes, together with the conversion or write-down/off of holders’ claims in respect of any and all other Going Concern Capital
Instruments, Tier 1 Instruments and Tier 2 Instruments that, pursuant to their terms or by operation of law, are capable of being converted into equity or written down/off at that time is, because customary measures to improve CSG’s capital adequacy are at the time inadequate or unfeasible, an essential requirement to prevent CSG from becoming insolvent, bankrupt or unable to pay a material part of its debts as they fall due, or from ceasing to carry on its business; or …»

Alles klar, alles verstanden? Der Laienleser muss das nicht verstehen, ein Schweizer Bänker müsste es kapieren.

Es wird so viel über die Unfähigkeit in den Chefetagen der Banken geschimpft. Dagegen werden immer die hart arbeitenden einfachen Mitarbeiter im Maschinenraum gestellt, die aufrecht, kompetent und tapfer ihren Dienst verrichten.

Was sich hier aber zeigt (man kann diese Kommentare durchaus als repräsentativ bezeichnen): ein bedeutender Prozentsatz dieser kleinen Bänker hat eine starke Meinung, aber nicht einmal eine schwache Ahnung, worüber er schreibt. Auch das ist ein Grund dafür, dass der Finanzplatz Schweiz in einem so desolaten Zustand ist.

Man stelle sich nur vor, dass Schweizer Käse oder Schokolade auch von solchen Pfeifen hergestellt würde. Dann wäre es schnell mit deren Image und Reputation vorbei.

 

Frauen an die Macht?

In den Medienhäusern sind sie auf dem Durchmarsch. Bad News.

Es gibt einen Aspekt im ganzen CS-Schlamassel, der nur mit spitzen Fingern angefasst wird. Verständlich, denn eine Thematisierung führt einen schnell in Teufels Küche. In Begrifflichkeiten wie Sexismus, Diskriminierung, Männerbastionen, Herabwürdigung und Schlimmeres.

Denn auch im Wirtschaftsleben wird bekanntlich gefordert, dass Frauen ihr gerechter Anteil an Führungspositionen zustünde. Das wird nicht zuletzt damit begründet, dass Frauen ganz andere Perspektiven einbringen könnten, nicht so auf Krawall und Konkurrenzkampf wie Männer gebürstet seien, überhaupt der feminine Führungsstil viel angenehmer, effizienter, erfolgreicher sei. Sozusagen: wenn es mehr Patrizia Laeris in Führungspositionen wie der Chefredaktion von CNN Money Switzerland gäbe, wären wir viel besser dran.

Erteilen wir doch mangels CNN Money Switzerland der «Redaktion» von ElleXX das Wort:

Schweinerei. Was kann man da tun? «Auffällig: das Thema kommentieren fast nur Männer – Ökonomen, Rechtsprofessoren, Journalisten. Wir geben explizit Expertinnen eine Stimme.» Mehr Kompetenz dank Klitoris?

Da wollen wir doch einmal die Mitglieder (darüber machen wir jetzt keine Scherze) des Verwaltungsrats der Credit Suisse aufzählen. Der VR ist bekanntlich das entscheidende Lenkungsgremium einer Aktiengesellschaft. Hier werden die grossen Linien, die Strategie, das Geschäftsmodell, die Zukunftsperspektiven beschlossen, die dann von der Geschäftsleitung unter Führung eines CEO lediglich umgesetzt werden sollten.

Bei der CS sieht das so aus: Mirko Bianchi, Jahrgang 1962, seit 2022 im VR. Christian Gellerstad, 1968, seit 2019. Shan Li, 1963, seit 2019. Richard Meddings, 1958, seit 2020. Axel Lehmann, 1959, seit 2021 und letzter VR-Präsident der Bank. Das wäre die männliche Gruppe.

Iris Bohnet, 1966, seit 2012 im VR. Blythe Masters, seit 2021. Clare Brady, seit 2021. Amanda Norton, 1966, seit 2020. Ana Paula Pessoa, 1967, seit 2018. Seraina Macia, 1968, seit 2015. Key Jin, 1982, seit 2022. Das wäre die weibliche Truppe.

Wem fällt da etwas auf? Richtig, es sind 5 Mitglieder und 7 weibliche, nun ja, Mitglieder. Frauen an die Macht. Mehrheit. Super. Triumph. Öhm.

Nun könnte der (oder die oder wie auch immer) Feminist:in* einwenden, dass die Frauen vielleicht nur mindere Aufgaben wahrgenommen hätten. Kinderkrippen, vegane Menüs, Beckenbodentraining, Gratis-Tampons und so. Stimmt nicht. So ist zum Beispiel Blythe Masters von 2021 bis 2022 im wichtigen Vergütungsausschuss gesessen, sitzt im «Governance and Nomination Committee» und ist vor allem Mitglied des Risk Committee sowie Vorsitzende der Credit Suisse Holdings Inc. in den USA.

Alles zentrale Positionen, um während der sich zuspitzenden Krise zu versagen. Iris Bohnet ist seit 2012 Mitglied im Vergütungsausschuss, Clare Brady ist «Vorsitzende des Conduct and Financial Crime Control Committee». Und so weiter.

Nur: wo und wann hörte man diese weiblichen Stimmen in den letzten Jahren? Wo meldeten sie sich zu Wort, um eine andere Unternehmenskultur anzumahnen, ein weniger risikohaftes Geschäftsgebaren? Wo haben sie Spuren hinterlassen, ausser auf der Payroll der CS? Welche Bäume reissen sie denn sonst noch so (nicht) aus?

Oder gilt auch hier: Klitoris ersetzt Kenntnis? Männer müssen was können, bei Frauen reicht Frausein? Gerade beim Thema Verwaltungsrat spricht man gerne von Seilschaften, von Männerbünden, die sich gegenseitig die Pfründe zuhalten. Das scheint ja bei der CS nicht wirklich geklappt zu haben.

Wie sieht es denn eigentlich bei der UBS aus? Die Bank hat in den letzten Jahren viel erfolgreicher gewirtschaftet als die CS. Nun, hier ist das Verhältnis 8 zu 4. Acht Männer, vier Frauen. Kreisch.

Kann man nun daraus schliessen, dass männerdominierte VR erfolgreicher seien als frauendominierte? Natürlich nicht. Oder doch? Auf jeden Fall kann man aus diesen beiden Beispielen schliessen, dass eine Überrepräsentanz von Frauen im VR keinesfalls segensreich für ein Unternehmen ist. Ob die erfolgreichere Geschäftspolitik der UBS an der Männerdominanz festzumachen ist? Keine Ahnung.

Aber auf jeden Fall scheint die Anzahl Frauen im obersten Leitungsgremium einer AG von völlig nebensächlicher Bedeutung zu sein. Wenn man sich nicht zur These versteigen will: umso mehr Frauen in Führungspositionen, desto durchwachsener das Ergebnis. Wenn man sich nicht zur Absurdität versteigen will: nun sollen auch mal Frauen etwas zum CS-Debakel sagen. Da wären die 7 Verwaltungsrätinnen doch erste Wahl, oder nicht?

Vielleicht wäre es sinnvoll, zum bewährten Prinzip zurückzukommen, dass keineswegs eine proportional «richtige» Verteilung der Geschlechter, gar der Gender in Führungspositionen eine sinnvolle Forderung sei. Sondern das Kriterium Kompetenz alleinentscheidend sein sollte. Ob ein Kompetenzträger auch noch Pimmelträger ist oder nicht, sollte doch völlig nebensächlich sein.

Im Wesentlichen sind ja nur Frauen für eine Quotenregelung, die sich nur auf diese Weise eine Chance ausrechnen, ganz nach oben zu kommen. Die Forderung nach angeblich «gerechter» Verteilung ist einfach eine weitere Waffe im Konkurrenzkampf. Nicht anders als der vielmissbrauchte Vorwurf der verbalen sexuellen Belästigung, des männlichen Mobbings. Was nicht nur in der Affäre Roshani sein hässliches Gesicht zeigt.

Denn wie ist es möglich, dass zwei angesehene deutsche Medien, der «Spiegel» und die «Zeit», faktisch zeitgleich in einer konzertierten Aktion zwei Texte veröffentlichen, in denen sich eine Frau über angeblich unerträgliche Zustände an ihrem letzten Arbeitsplatz beschwert?

Wie wäre es anders möglich, dass alle Mainstream-Medien diese Vorwürfe ungeprüft aufnehmen, kolportieren und mit anonymen weiteren Erzählungen ausschmücken? Ohne sich einen Moment zu fragen, ob es sich hier nicht um eine Racheaktion einer Frau handeln könnte, die sich vergeblich um einen Chefposten bewarb, dann den Inhaber wegwobben wollte, was ihr sogar gelang. Aber anstatt dann endlich selbst doch noch auf den Chefsessel zu klettern, wurde sie deswegen gefeuert.  Sind das nicht genug Gründe, um die Stichhaltigkeit ihrer Vorwürfe zu bezweifeln?

Unabhängig von ihrem Geschlecht. Aber auf Nonsens-Plattformen wie ElleXX wird tatsächlich zum Thema gemacht, dass es noch nie einen weiblichen CEO einer Schweizer Grossbank gab. Und dass auch Frauen dieses Desaster kommentieren sollten. Weil eine Mehrheit von Frauen im CS-VR nichts sagt, aber am Schlamassel mitschuldig ist?

Kann nix? Macht nix.

Hat Regieren mit Kompetenz zu tun? Wieso sollte es?

Im «anderen Blick» schaut die NZZ mal nach, wie es mit den Qualifikationen deutscher Minister für ihn Tun stehe. Zwei aktuelle Paradebeispiele:

«In Thüringen wurde nun eine Sachbearbeiterin ohne juristisches Studium zur Justizministerin nominiert und ein Schauspieler zum Energieminister. Doreen Denstädt und Bernhard Stengele erhalten demnächst diese neuen Aufgaben, weil die thüringischen Grünen eine geringe Personaldecke, aber hohe identitätspolitische Ansprüche haben.»

Natürlich sind weitere Beispiele Legion, angeführt von der Anwältin Christine Lambrecht, die denkbar überfordert und ungeeignet als Verteidigungsministerin ist.

Besonders auf Seiten der Linken haben es Studienabbrecher und andere Versager leicht, auf einen Ministersessel zu klettern. Wer es dort mindestens zwei Jahre aushält, hat bereits Anrecht auf ein «Ruhegehalt» und ist somit finanzieller Sorgen lebenslang enthoben.

Natürlich könnte man dagegen einwenden, dass doch notfalls jeder alles könne, zudem habe ein Minister so viele erfahrene Zuarbeiter, dass er schon das Zweckmässige entscheiden wird. Dem hält Autor Alexander Kissler entgegen: «Niemand liesse eine Herz-OP von einem Bibliothekar vornehmen oder sich ein Haus vom Gärtner bauen

Eine andere These wäre, dass die Entscheidungsmöglichkeit eines Ministers dermassen eingeschränkt ist, dass auch eine Pianistin ohne Weiteres und erfolgreich Bundesrätin sein könnte.

Genau, womit wir in der Schweiz wären, denn wieso den «anderen Blick» nach Deutschland schweifen lassen. Werfen wir ihn doch kurz auf die Qualifikation unserer sieben Bundeszwerge, Pardon, Bundesräte. Wieso eignen sie sich genau dafür, rund 450’000 Franken im Jahr zu verdienen und die Schweiz zu regieren?

Wir hatten da schon den Heizungsmonteur Willi Ritschard oder den Handelsschüler Adolf Ogi, die auch ohne akademische Weihen ihre Sache gar nicht schlecht machten.

Simonetta Sommaruga hat Matura und besuchte dann das Konservatorium Luzern, Konzertpianistin. Zudem schnupperte sie an die Uni an spanischer und englischer Literatur, liess es aber doch sein.

Unser Aussenminister Ignazio Cassis ist Mediziner, Alain Berset Doktor der Ökonomie, was ihm aber als unglücklich agierender Gesundheitsminister auch nicht wirklich half und als Innenminister nicht unbedingt qualifiziert. Karin Keller Sutter besitzt ein Handelsdiplom und absolvierte die Dolmetscherschule. Hat mit Finanzen nichts zu tun, dennoch ist sie Finanzministerin. Unsere Verteidigungsministerin Viola Amherd ist ebenfalls Juristin. Wirtschaftsminister Guy Parlemin kann eine Lehre als Bauer vorweisen, Albert Rösti, der dem wichtigen UVEK vorsteht, ist Agraringenieur mit Doktortitel und hat einen MBA in Rochester. Schliesslich die Justiz- und Polizeiministerin Elisabeth Baume-Schneider kann ein Liz in Soziologie vorweisen und war jahrelang als Sozialarbeiterin tätig.

Eine Übereinstimmung zwischen Beruf und Amt kann man in keinem Fall feststellen. Wirtschaft, Finanzen, Verteidigung, Justiz, da könnten nun einschlägige Kenntnisse durchaus helfen. Auch die Grundbegriffe der Staatskunde oder der Diplomatie wären für einige Posten eigentlich obligatorisch.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Minister keinen Moment ihres Lebens in der freien Wirtschaft verbracht haben. Berset zum Beispiel ist ein typischer Parteikarrierist, der immer nur von politischen Ämtern lebte. Der völlige Mangel der Kenntnis der Arbeitswelt ist sicherlich auch kein Vorteil für das hohe Amt.

Was man also der NZZ empfehlen kann: der «andere Blick» ist eine gute Einrichtung, aber wieso ihn nur in die Ferne schweifen lassen?

 

Sonnen im Lichtblick

Hier sei immer alles so negativ und kritisch. Kritisieren immer wieder Leser. Bitte, wir können auch anders.

Das letzte Mal, als wir positiv waren (trotz Corona!), interessierte das eigentlich niemanden. Aber wir geben ja nicht so schnell auf.

Auch auf die Gefahr hin, parteiisch zu erscheinen: Nach dem heutigen Leidensweg durch die Medien mit ihrer Kakophonie über die Lockerungsbeschlüsse, bei der eigentlich niemand den Puck gesehen hat, braucht es Erholung, Labsal, ein Licht der Hoffnung, dass es auch anders geht.

Da hilft nur eins: die NZZ. Sicher, da ist auch nicht mehr alles Gold, was blättert – zum Beispiel fehlen die Beiträge eines Kuba-Korrespondenten –, aber dennoch. Es geht doch (noch).

Der Balken der Vernunft.

Es ist in der gestrigen Ausgabe, und nur darauf beziehen wir uns, ein bunter Strauss an Anregungen, Einordnungen, bedenkenswerten und kaum bedenklichen Artikeln. Was will Putin mit seinem Säbelrasseln an der ukrainischen Grenze? «Die Unentschlossenheit des Westens entlarven». Besser kann man das nicht auf den Punkt bringen.

Leichtes Schwächeln bei Corona

Der Kommentar zu den Lockerungsbeschlüssen vermisst einen «Fahrplan» des Bundesrats. Nachdem bislang alle mittelfristigen Ankündigungen im Gestrüpp endeten. Nun, es kann nicht alles gelingen, selbst in der NZZ.

Wie steht es nun genau mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson? Wie und warum wagt das deutsche Saarland den Ausstieg aus dem Lockdown? Immer gut, wenn man eigene Korrespondenten vor Ort hat. Die auch noch wissen, worüber sie schreiben. Und nicht als Kindersoldaten bei der Inauguration des US-Präsidenten schon am äussersten Sicherheitscordon steckenbleiben.

«Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken», endlich mal ein China-Artikel, bei dem der Autor chinesische Sprichwörter kennt. Denn genau das passiere Jack Ma, dem leicht in Ungnade gefallenen Besitzer von Alibaba. Zuerst das Verbot des Börsenganges, jetzt eine Busse von 2,8 Milliarden US-Dollar, weitere Massnahmen sind geplant. Da werden sogar einige Hühner geschlachtet, damit Ma wieder weiss, wo der Hammer hängt.

Auch der Nachruf auf den «Betrüger Ihres Vertrauens», den grössten Anlageschwindler aller Zeiten Bernie Madoff, zeugt von Sachkenntnis. Gut auch, dass sich die NZZ in ihrem ausgebauten Berliner Büro einen Wirtschafskorrespondenten leistet. So muss René Höltschi nicht anderswo abschreiben, wenn er über die Fortsetzung des Wirecard-Skandals berichtet.

Wirecard-Skandal aus erster Hand berichtet

Die neuste Wendung ist, dass es offensichtlich genügend Belege für eine Zusammenarbeit des deutschen Nachrichtendiensts BND mit Wirecard gibt, speziell mit dem immer noch flüchtigen Vorstand Jan Marsalek. Höltschi kann aus dem ihm vorliegenden Untersuchungsbericht zitieren, der diese Verbindungen durchforstet. Das nennt man den Bock zum Gärtner machen, kommentiert ein Beteiligter, der BND wollte internationale Geldwäscherei bekämpfen und spannte dafür ausgerechnet mit dem wegen Millionenbetrugs gesuchten Marsalek zusammen, der seinerseits Datensätze von Geschäftspartnern einforderte – angeblich, um sie dem BND zu übergeben. Aber der erhielt niemals solche Daten.

Das wäre sozusagen das Standbein, aber die NZZ hat auch noch ein Spielbein. Und nimmt in einer Breite Ereignisse wahr, die sie meilenweit vom copy/paste, Ein-Informationsfitzel,-ein-Artikel-Journalismus, abhebt. Sahra Wagenknecht von der deutschen «Linke» hat ein Buch geschrieben. Die Autorin und der Inhalt müsste eigentlich jedem stramm-liberalen NZZ-Redaktor den Angstschweiss auf die zornig gerötete Stirne treiben. Weit gefehlt, sie wird zu diesem Buch befragt. Ist schliesslich interessant.

Der abtretende Feuilleton-Chef René Scheu hat sich mit dem Virologen Hendrik Streeck unterhalten. Ein seltener Vertreter seiner Zunft, der die Welt nicht nur durchs Mikroskop betrachtet. Dietrich Schotte setzt sich intelligent mit dem Begriff «Gewalt» auseinander. Eine dieser Worthohlkörper, die mit vermeintlich beliebigem Inhalt abgefüllt werden können. Das ändert Schotte mit einem Buch, das rezensiert die NZZ.

100 Jahre «Schweizer Monat» – hier wird’s gewürdigt

Sie zieht – als einziges Schweizer Medium – Bilanz nach 100 Jahren «Schweizer Monat». Die Zeitschrift mit der wohl beeindruckendsten Liste von Mitarbeitern über die Zeiten hinweg. Und auch heute ist der Monat, trotz beengten finanziellen Verhältnissen, immer wieder für einen Denkanstoss oder zwei gut. Allerdings nur für die happy few, die auch vor mehrseitigen Texten nicht zurückschrecken, wenn sie interessant sind. Ansonsten wird der Monat im Schwarzweiss-Raster des Mainstreams als Unterstützer der dunklen Seite der Macht denunziert – und ignoriert.

Schliesslich noch mein Liebling unter den Artikeln: «Wie Epidemien enden». Ja, über den Ausbruch, die Ursachen, die Bekämpfung gibt es Legionen von Untersuchungen. Aber ein Blick auf das Ende, wie findet es statt, wie wird es bewirkt, all das wurde bislang stiefmütterlich behandelt. Die NZZ ändert auch das. Bloss nicht nachlassen!

2021: Das Geschäftsmodell für Journalisten

Dreifach am Stuhl festschnallen. Auf die Frühpensionierung hoffen. Mit PR liebäugeln. Kann das alles sein?

Der Journalist als solcher neigt gerne dazu, allen anderen grossmäulig Ratschläge zu erteilen. Da sollte man sofort, es ist unverständlich, dass, unbedingt müsste man, fahrlässig und unverantwortlich, wenn man nicht.

Das gilt nicht nur für Corona, sondern ziemlich allgemein im Leben. Und weltweit. Wie konnten die Amis nur so dämlich sein, Trump zu wählen. Was haben sich die Brasilianer dabei gedacht, Bolsonaro zum Präsidenten zu machen. Wieso haben die Venezolaner nicht schon längst Maduro zum Teufel gejagt. Wieso lassen sich die Chinesen eine Diktatur gefallen.

Vom Corona-Bier zum Corona-Spezialisten

Wie schön und wohlgeordnet wäre die Welt, wenn man nur auf Journalisten hören würde. Wie frustrierend muss es sein, eigentlich alles besser zu wissen, die Lösungen zu kennen, Abhilfe schaffen zu wollen. Aber leider, leider, man hört kaum auf sie. Das schafft ganz schön Frustrationspotenzial.

Selten sind Journalisten häufiger öffentlich ausgeflippt als 2020. Aber es hilft ja nichts. Wer will, dass seinen Ratschlägen Gehör geschenkt wird, sollte eine gewisse Kompetenz ausstrahlen. Nicht einfach vom Corona-Trinker zum Corona-Spezialisten ungesattelt haben.

Schlimmer noch: wenn Journalisten eigentlich alles in Wirtschaft und Gesellschaft regeln könnten, wieso schaffen sie das im eigenen Leben nicht? Wieso hört man immer wieder bittere Klagelieder, weil sie es nicht mal vorhersehen konnten, dass nach dem grossen Rausschmeissen vor dem grossen Rausschmeissen ist?

Wer will schon abgehalfterte Journalisten?

Dass das Renommee, die Reputation eines Journalisten, seine Glaubwürdigkeit, ungefähr auf gleicher Flughöhe mit Politikern liegt, schon zur Kenntnis genommen? Dass eigentlich niemand Bedauern hat, wenn eines dieser Grossmäuler, das gestern noch von für einzelne Branchen brutalen, aber insgesamt unumgänglichen Massnahmen schrieb, heute selbst Opfer davon wird?

Wenn’s nicht mit Hängen und Würgen bis zur Frühpensionierung gereicht hat, was nun? Das RAV, sicher. Aber wer will schon einen abgehalfterten Journalisten, der sein Leben lang nicht viel mehr getan hat als Rechthaberei zu betreiben, unterbrochen von gelegentlichen Recherchen mit Google, skype und copy/paste in den Weiten des Internets?

Einige liebäugeln dann damit, auf die andere Seite des Ufers zu schwimmen. Also sich in die weite Welt der PR, der Mediensprecher, der Kommunikationsfuzzis im Dienste von Firmen zu begeben. Da habe man doch gerade auf so einen gewartet, meinen viele. Kontakte, kennt die Handy-Nummern von Chefredaktoren und Ressortleitern, weiss, wie man Propaganda und Werbung in journalistische Form bringt. Hat er ja auch vorher bei Autos, Reisen, Kosmetika und allen Grossinserenten schon getan.

Krisenkommunikation will gelernt und gekonnt sein

Nur: Was nützt es, die Handynummern zum Beispiel der beiden Co-Chefredaktoren vom Tagi zu haben? Kennt keiner, haben keinen Einfluss. Was nützt es, Werbesprache in Redaktionssprache umzumünzen? Kann heutzutage eigentlich jeder, denn überraschenderweise sind schon sehr viele Journis hierher geflüchtet. Ach, da bliebe aber noch Krisenkommunikation. Grosses Problem, grosse Kunst, grosse Lösung.

Dummerweise gibt es allerdings fast nur Beispiele, wie das von ehemaligen und gut vernetzten Journalisten mit grosser Klappe und kleiner Kompetenz grauenhaft gegen die Wand gefahren wird. Wer sich auf solche Cracks verlässt, gerne würden wir hier Namen nennen, der kann sich nur bei einem sicher sein: Er wird einen Riesenhaufen Geld los.

Was bleibt also? Mal ein Buch schreiben? Meine schönsten Reportagen? Meine meinungsstärksten Kommentare der letzten 20 Jahre? Interessiert doch auch nicht wirklich. Also ist der Weg nach unten vorgezeichnet.

Wieso nicht aktiv in eigener Sache?

Verblüffend ist nur, dass allzu wenige auf die naheliegende Idee kommen. Wieso mache ich nicht mein eigenes Ding? Einen Blog kann heute jeder Depp mit Bordmitteln basteln. Hosting, AGB, Verlinkungen, alles kein Problem, alles da. Dann muss nur noch Traffic kommen, und bald einmal kann man Werbung schalten, ein Bezahlmodell einführen, sich finanziell über Wasser halten.

Schafft doch eigentlich jeder, zumindest zum Beispiel Lukas Hässig. Es gibt allerdings einen Grund, wieso das in der Schweiz nur sehr zaghaft versucht wird. Lieber werden Mäzene angebaggert, die mit ein paar Millionen für ein Sicherheitsnetz sorgen. In das die meisten solcher Versuche früher oder später auch reinfallen.

Leute, die ihren Beruf verfehlt haben

Der eigentliche Grund ist: Trotz aller Rechthaberei, trotz allen schnell erteilten Ratschlägen, trotz Expertentum auf eigentlich allen Gebieten: einige, vielleicht sogar viele Journalisten sind zur Selbsterkenntnis fähig, dass auf sie die Feststellung von Karl Kraus zutrifft: Journalisten sind Leute, die ihren Beruf verfehlt haben. In besseren Zeiten in dieses Metier hineinrutschten, aber in Wirklichkeit immer Lücken hinterlassen, die sie völlig ausfüllen.

Weil ihre Kompetenz nicht weiter reicht als bis zum Ende des Schreibtischs, dessen Fläche in der modernen Käfigtierhaltung im Newsroom auch deutlich geschrumpft ist. Aber während bei so gehaltenen Schweinen sofort der Tierschutz auf der Matte stünde und Zeter und Mordio toben würde, interessiert das bei Journalisten eigentlich keinen. Denn das Mitleid mit ihnen hält sich in sehr überschaubaren Grenzen.