Schlagwortarchiv für: Kompass-Initiative

Kaputter Kompass

Wenn Milliardäre Initiative spielen.

Wer unter Schlaflosigkeit leidet, sollte sich auf der Webseite der Kompass-Initiative umtun. Nach dem Lesen der ersten Bandwurmsätze wird sich eine wohlige Müdigkeit, dann Schläfrigkeit, dann süsser Schlummer einstellen.

Man sollte sich aber nicht über das völlige Fehlen einer sinnvollen Navigation aufregen, das würde den Einschlafprozess beeinträchtigen.

Suchfunktion, Sitemap? Fehlanzeige.

Hier ein Leser-Belastungstest:

«Die Schweiz verfügt über ein einzigartiges politisches System, das sich durch direktdemokratische Entscheide und hohe Stabilität auszeichnet. Dieses System hat wesentlich zu unserem grossen gesellschaftlichen Konsens und zum heutigen Wohlstand beigetragen. Die im Rahmenvertrag vorgesehene automatische Rechtsübernahme und die Unterstellung unter die EU-Gerichtsbarkeit stellen unsere Selbstbestimmung nun in höchstem Mass in Frage. Dagegen wehren wir uns.»

Hallo, noch jemand wach? Das ändern wir mit einem Blick in die «Medienmappe». Dort, so könnte man meinen, sind brandneue Medientexte, Bilder und Logos zum Download, deutlich sichtbar eine Kontaktadresse für Medien vorhanden.

In Wirklichkeit besteht die Medienmappe aus aneinandergeklebten PDFs, angeführt vom brandaktuellen Einstieg «Einladung zur Medienkonferenz: Lancierung Kompass-Initiative», vom 26. September 2024 (!).

ZACKBUM verspricht, dass dann die Quälerei ein Ende hat, aber werfen wir zuvor noch einen Blick auf die Einleitung – wir holen tief Luft – zu den «Erläuterungen zum Text der Eidgenössischen Volksinitiative «Für eine direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz – keine EU-Passivmitgliedschaft (Kompass-Initiative)»»:

«Die Initiative will optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit die Schweiz als Wirtschaftsstandort
auch für künftige Generationen attraktiv bleibt. Die nachhaltige Stärkung des Wirtschaftsstandorts kann
nur gelingen, wenn die Schweiz auch in Zukunft eine eigenständige Wirtschaftspolitik verfolgt und die
demokratische Kontrolle über eine eigenständige Wirtschaftsregulierung gewahrt bleibt.»

Solche Bandwurmsätze kommen heraus, wenn man mit viel Geld, aber wenig Hirn und völlig ahnungslos, was im Internet gefordert ist, zu texten beginnt.

Als wäre das nicht schon fatal genug, hat diese Initiative des Partner Group Chefs Fredy Gantner und seiner Milliardärs-Partner noch einen weiteren Konstruktionsfehler.

Sie verlangt, dass die Entscheidung über Rahmenverträge und ähnliche internationale Vereinbarungen obligatorisch bei Abstimmungen auch ein Ständemehr braucht. Im Widerspruch zu dem zurzeit vom Bundesrat angedachten Prozedere, dass ein Volksmehr ausreiche.

Dieses Anliegen ist durchaus ehrenvoll. Nur: über diese Initiative wird erst dann abgestimmt, wenn die Abstimmung über den Rahmenvertrag schon längst über die Bühne gegangen ist. Mit oder ohne Ständemehr.

Selbst wenn die Initiative angenommen werden sollte, hätte sie keine retroaktive Wirkung. Wird sie abgelehnt, hat sie überhaupt keine Wirkung.

Kann man das noch steigern? Aber sicher. An einer Medienkonferenz hat Gantner gerade bekannt gegeben, dass die Initiative zurückgezogen werde, wenn der Bundesrat für die kommende Abstimmung über die EU-Anbindung die Unterstellung unter das doppelte Mehr, Volk und Stände, beschliessen sollte.

Eine Initiative wohlgemerkt, die noch nicht einmal eingereicht ist, weil noch nicht genügend Stimmen gesammelt sind. So etwas nennt man geschickt Propaganda für mehr Unterschriften machen.

Kann man das noch steigern? Aber sicher, wenn man Milliardär ist und Initiative spielt und schlecht vorbereitet in ein Interview mit der NZZ einsteigt:

«Apropos faktenbasiert: Sie behaupten, dass acht von zehn Unternehmern gegen die institutionelle Anbindung seien. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Jetzt haben Sie mich erwischt. Eine genaue Untersuchung kann ich nicht vorlegen. Wir beziehen uns auf eine Vielzahl von Unternehmern, mit denen wir im Kontakt stehen.»

Niemand verlangt von einem Finanzinvestor, der reich geworden ist, dass er sich auf dem Gebiet der Kommunikation auskennt. Auch das Stemmen einer Initiative muss nicht zu seinen Kernkompetenzen gehören. Aber es wäre doch keine schlechte Idee, sich Kompetenz einzukaufen.

Als letzten Heuler haben wir uns noch den Blick ins Impressum aufgespart. Das gibt normalerweise Auskunft darüber, wer der Verantwortliche ist und von wem die Webseite betrieben wird. Kurz und knackig. Oder aber in der Version Kompass

Alles Müller oder was?

Der Dritte im Bunde, Patrik Müller, ist auch aktiv.

Im Vergleich zu Tamedia geht’s im Wanner-Imperium recht ruhig und rumpelfrei zu. Obwohl man dort die neuste Runde des grossen Rausschmeissens einläutete. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des dortigen Oberchefredaktors Patrik Müller. Der ist als einziger von der Trinität übriggeblieben. Arthur Rutishauser, Oberchefredaktor Tamedia, lupfte es über den Protest von hysterisch-erregten Tamedia-Frauen, die eine ganze Latte von anonymen und nicht belegten Behauptungen in die Welt setzten, über Sexismus und unerträgliche Arbeitsbedingungen.

Dann lupfte es Christian Dorer, Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe. Über ein nie genauer erklärtes angebliches Fehlverhalten. Die Ergebnisse einer «Untersuchung» wurden angekündigt, aber niemals veröffentlicht. Was nachkam, war in beiden Häusern kläglich.

Nur Müller hält sich, ging sogar als Sieger im Zweikampf mit Pascal Hollenstein, der publizistischen Leiter des Hauses CH Media, hervor. Dieser hatte sich zu oft als Sprachrohr für eine ehemaliger Zuger Politikerin hergegeben, die ständig öffentlich wiederholt, dass sie aus der Öffentlichkeit verschwinden will.

Müllers bislang ungetrübte Karriere kann auch darin ihren Grund haben, dass er recht flexibel ist, was seine politische Positionierung betrifft. Denn offensichtlich sind im Hause Wanner die Befürworter einer engeren Anbindung an die EU tonangebend. Diese Marschrichtung wurde von ganz oben schon vorgegeben.

Also interviewt Patrik Müller den Staatsrechtler Georg Müller, der überhaupt nichts von der Kompass-Initiative hält: «Die Kompass-Initiative – von einem Komitee lanciert, dem drei Milliardären angehören – gibt vor, die direkte Demokratie in der Schweiz zu stärken. Aber in Wirklichkeit wollen die Initianten verhindern, dass die Erweiterungen der Bilateralen Verträge mit der EU (Bilaterale III) zustande kommen

Wumms. Müller (der Staatsrechtler) lässt kein gutes Haar an der Initiative:

«… unnötige Ausweitung, welche den Entscheidungsprozess  verzögern, komplizieren und unsicherer machen würde … würde die Initiative die Handlungsfähigkeit der Schweiz einschränken … das macht die Initiative zu einem verzweifelten Versuch, die bereits laufenden Verhandlungen zu stören … die Rückwirkung der Initiative wäre verheerend. Eine solche Regelung könnte zu gravierender Rechtsunsicherheit führen».

Dann noch seine Schlusssalve: «Es liegt nahe, dass die Initianten auf einen Abschreckungseffekt setzen. Sie wissen, dass ihre Initiative rechtlich und praktisch problematisch ist, hoffen aber, damit die Verhandlungen über die Bilateralen III zu torpedieren. Sollte dies ihr wahres Ziel sein, wäre dies ein verantwortungsloses Störmanöver. Für die Wahrung der aussen- und wirtschaftspolitischen Interessen sowie für die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vertragsstaat wäre dies verheerend.»

Mit anderen Worten: die Initiative ist so ziemlich das Schlechteste, was jemals seitdem es das Initiativrecht gibt, auf die Rampe geschoben wurde. Von ein paar verantwortungslosen Milliardären, die eigentlich keine Ahnung von staatsrechtlichen Aspekten haben.

Dieser Meinung kann man unbenommen sein. Es wäre allerdings einem Chefredaktor durchaus angestanden, sich nicht nur als Stichwortgeber oder als Souffleur mit ein paar pseudokritischen Fragen aufzuführen. Denn an Staatsrechtler Müllers Philippika gibt es dermassen viele Schwachpunkte, sie enthält dermassen viele polemisch-demagogische Unterstellungen und Halbwahrheiten, dass sich hier ein munteres Streitgespräch hätte entwickeln können.

Müller hätte zum Beispiel fragen können, was genau die finanziellen Auswirkungen einer Übernahme von EU-Recht wären. Was die Gewinne, was die zusätzlichen Ausgaben durch die Anpassung an das Bürokratiemonster Brüssel.

Aber das hätte dann nicht ganz den Absichten des Besitzerclans entsprochen.

Ein cleverer Mann, dieser Müller (nein, nicht der Staatsrechtler).