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Gegenwahrheiten, Teil 3

Ob provoziert oder unprovoziert – ein Krieg allein reicht nicht!

Von Felix Abt

Hier geht’s zu Teil eins und Teil zwei.

Mit der NATO-Erweiterung in Ost- und Nordeuropa ist es jedoch noch nicht getan. Jetzt arbeitet dieses Kriegsbündnis hart daran, auch in Asien zu expandieren, denn ein aufstrebendes China wird als Bedrohung für die alleinige Weltherrschaft der USA wahrgenommen. China wird also nicht nur mit einem erbitterten, von Washington geführten Wirtschafts- und Propagandakrieg überzogen, um die neue «gelbe Gefahr» einzudämmen. Auch die westlichen Armeen, die zusammen bereits ein Vielfaches mehr für «Verteidigung» ausgeben als China, sollen nun noch massiver aufgerüstet werden. Und wenn das Geld nicht reicht, kann man immer noch die Budgets für Bildung, Forschung, Gesundheit, soziale Dienste, und Infrastruktur kürzen und mehr Schulden machen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Medien die Tatsache nicht hervorheben, dass die USA aggressiver agieren und dass China sich als Reaktion auf diese Aggressionen eindeutig defensiv verhält. Aus dem nachfolgenden Schaubild wird deutlich ersichtlich, wie sehr die USA China eingekreist haben – und nicht umgekehrt:

(Quelle: Caitlin Johnstone)

Chinas Verhalten würde in mancher Hinsicht dem der Vereinigten Staaten ähneln, wenn Peking plötzlich anfangen würde so zu handeln, wie es westliche Politiker und Medien dem Land vorwerfen, zu tun oder tun zu wollen: Chinesische Kriegsschiffe, die in der Nähe von Kalifornien und Hawaii, im Golf von Mexiko und im Atlantischen Ozean im Rahmen der gleichen aggressiven Übungen zur «Freiheit der Schifffahrt» herumsegeln, die US-Kriegsschiffe zum Ärger Pekings routinemäßig in Gewässern in der Nähe Chinas durchführen. Darüber hinaus müsste China auch in Mittel- und Südamerika Militärstützpunkte errichten, ähnlich dem Netz von Militärstützpunkten, das die Vereinigten Staaten um China herum aufgebaut haben und bis heute weiter ausbauen. In der Tat scheint die militärische Expansion des US-Imperiums, das weltweit über 800 Militärstützpunkte verfügt, keine Grenzen zu kennen: Wie man auf der nachfolgenden Grafik sieht, werden auf den Philippinen derzeit vier neue, gegen China gerichtete US-Militärstützpunkte errichtet:

(Quelle: BBC)

Was verbirgt sich hinter der «chinesischen Bedrohung», die in den USA beschworen wird und in Europa ein Echo findet?

Gestatten Sie mir hier einen kurzen Exkurs: Der eigentliche Name Chinas ist Zhongguo (中国), was «Reich der Mitte» bedeutet. Es geht auf eine Zeit zurück, in der seine Bürger stolz darauf waren, die zivilisierteste Nation in ihrem eigenen Universum zu sein, in dem das von ihnen kontrollierte Gebiet im Zentrum einer Welt lag, die von weniger entwickelten fremden Kulturen und fremden Zivilisationen umgeben war.

Die Tatsache, dass China sich nun anschickt, nach einem Jahrhundert der Demütigung durch die heutigen G7-Länder im 19. und 20. Jahrhundert und jahrzehntelangen inneren Unruhen wieder zur führenden Wirtschaftsmacht aufzusteigen, ist im Westen beängstigend, zumal sie aus einer fremden Kultur kommt, die vielen Angst macht. Denn was man nicht kennt, nicht versteht und nicht einschätzen kann, wird oft als bedrohlich empfunden.

Das Ziel der Kommunistischen Partei Chinas ist es nicht, die Welt in ein «kommunistisches Paradies» zu verwandeln, nicht einmal ihr eigenes Land, sondern die Erneuerung des Landes zu fördern. Chinesische Politiker sprechen vom «chinesischen Traum», womit sie die nationale Erneuerung und Renaissance (und nicht den Kommunismus) meinen. Die Partei, die eher als patriotisch oder vielleicht nationalistisch denn als kommunistisch bezeichnet werden kann und die aus dem Marxismus lediglich ihren Alleinvertretungs- und Führungsanspruch für die Modernisierung des Landes ableitet, vertritt auch das jahrtausendealte Konzept des tianxi («alle unter einem Himmel»). Darunter wird eine inklusive Welt mit Harmonie für alle verstanden. Um es salopp auszudrücken: «Wir lassen euch in Frieden, und ihr lasst uns in Frieden.» Deshalb ist der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder für sie so wichtig.

Die Chinesen wollen also nicht die Welt erobern. Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie es beispielsweise im 13., 14. oder 15. Jahrhundert, als sie die unbestrittene und einzige wirtschaftliche Supermacht waren, mit Leichtigkeit tun können. Damals, als China anderen Ländern weit überlegen war, segelte der chinesische Admiral Zheng He mit der größten und am weitesten entwickelten Flotte der Welt (mit 317 Schiffen und 27.800 Seeleuten) auf mehreren Exkursionen von China bis nach Kenia, Somalia, Iran und Saudi-Arabien. Anstatt eine Kanonenbootpolitik zu betreiben, wollten die Chinesen Handel treiben. Im Gegensatz zu den Europäern nutzten sie nicht die Gelegenheit, andere Länder zu erobern und zu unterwerfen, weil sie einfach kein Interesse daran hatten.

Das ist heute nicht anders: Ihr Ziel ist es, ihre historische Spitzenposition in der Welt in einer friedlichen, stabilen internationalen Ordnung (in friedlicher Koexistenz mit anderen Mächten) wiederzuerlangen. Stabilität ist der Schlüssel zur Verwirklichung ihres Traums. Hier setzen die USA, ein von Grund auf unfriedliches Imperium, den Hebel an und schaffen die Instabilität, die die Chinesen so sehr fürchten, durch Abkopplung, Deglobalisierung oder Spannungen in Taiwan, im Südchinesischen Meer und auf der koreanischen Halbinsel.

Die Chinesen versuchen nicht, uns zu ihrem Modell zu bekehren. Im Gegensatz zu den Amerikanern fehlt es ihnen an Sendungsbewusstsein und Bekehrungseifer, und außerdem wäre das chinesische System für den Export ungeeignet, weil es so spezifisch und untrennbar mit der jahrtausendealten Tradition und Kultur des Landes verwoben ist.

Es waren die USA und der Rest des selbsternannten «werteorientierten Westens», die lange Zeit versuchten, die Chinesen dazu zu bringen, ihre rücksichtslose Version des Kapitalismus zu übernehmen und sie von ihrem Sozialmodell des staatlich kontrollierten Kapitalismus abzubringen (bahnbrechende Planungsziele und Forschungsinvestitionen, Zerschlagung und Verbot von Kartellen und Monopolen und Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs, Verpflichtung der Reichen, ihren gerechten Anteil an den Steuern zu zahlen, um soziale Ungleichheiten zu verringern usw.). Aber warum hätten sich die Chinesen ein Erfolgsmodell ausreden lassen sollen, das es China ermöglicht hat, in 30 Jahren einen Entwicklungsstand zu erreichen (einschließlich der Befreiung von 800 Millionen seiner Bürger aus der Armut), für den der Westen 200 Jahre gebraucht hat? Der Westen ignoriert auch die Tatsache, dass die durch und durch pragmatische chinesische Regierung den Markt als Wettbewerbsinstrument einsetzt, um Innovation und Modernisierung voranzutreiben und letztlich den chinesischen Traum zu verwirklichen.

Anders als Politiker, Experten und Journalisten des «Wertewestens» sind sie keine Ideologen, sondern Pragmatiker mit ausgeprägtem Realitätssinn. Die Experimentierfreudigkeit und die vielen atemberaubenden Veränderungen, die sich täglich im ganzen Land vollziehen, sind der Beweis dafür.

Noch einmal: Die Chinesen sind keine Missionare, fühlen sich nicht als Weltpolizisten berufen und haben keinen Expansionsdrang. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich radikal von den Amerikanern. Wenn amerikanische Politiker, Medien und ihre europäischen Nachbeter von der imperialistischen Gefahr und der Bedrohung durch China schwafeln, ist dies lediglich Ausdruck ihrer Unwissenheit und Projektion. Es ist kein Wunder, dass Imperialismus und Kolonialismus vom Westen geprägte und gelebte Begriffe sind, keine chinesischen.

Taiwan – Amerikas neuer Konfliktfall à la Ukraine?

Nach der Ukraine ist das nächste Pfand Taiwan; zumindest scheint dies das Ziel zu sein. Kann China ein neues Jahrhundert der Demütigung – einschließlich eines Krieges, der brutaler sein wird als die Opiumkriege – durch den Westen verhindern? Taiwan ist in gewissem Sinne der «ukrainische» Vorwand für einen möglichen direkten oder Stellvertreterkrieg mit China. Taiwans Regierungspartei, die sich in Selensky-Manier den US-Interessen anbiederte und die Insel mit amerikanischen Waffen gegen China aufrüsten wollte, erlitt bei den letzten Wahlen eine krachende Niederlage, über die in den westlichen Medien eher beiläufig, wenn überhaupt, berichtet wurde. Der Wahlsieger, die Oppositionspartei Kuomintang, tritt für eine Annäherung an China ein, was den Kriegsfanatikern in Washington missfallen dürfte.

Die taiwanesische Präsidentin trat daraufhin von ihrem Posten als Vorsitzende der Regierungspartei zurück. Noch wenige Monate zuvor hatte sie Nancy Pelosi und viele andere chinafeindliche und kriegstreiberische Politiker aus westlichen Ländern mit großem Pomp empfangen. Kürzlich verkündete sie jedoch kleinlaut, ein Krieg mit China sei «keine Option» – was nicht nur für die westliche Kriegsindustrie eine herbe Enttäuschung ist, sondern auch für deren politische und mediale Groupies, die dafür und entschlossen sind, «Stellung gegen China» zu beziehen. Nun, es bleibt ihnen immerhin die Hoffnung, dass die CIA dieses lästige politische Problem auf der unzuverlässigen Insel diskret für die westlichen Kriegsgurgeln löst. Allerdings sollte sie es diesmal etwas geschickter anstellen, als sie es in Hongkong (nachzulesen in Nury Vittachis Buch «The Other Side of the Story: A Secret War in Hong Kong») getan hat.