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Schreibtäter Tobler

Ein Realitätsverweigerer nennt einen anderen so.

Der frischgebackenes Leiter des «Teams Gesellschaft/Debatte» von Tamedia mag Ueli Maurer nicht. Andreas Tobler mag auch die SVP nicht. Das ist so bekannt wie langweilig.

Nun hatte sich der Alt-Bundesrat ausgerechnet Tamedia ausgesucht, um zum ersten Mal seine Meinung zu den Erkenntnissen der PUK zum desaströsen Untergang der CS zum Besten zu geben. Dazu gehört auch die erstaunliche Aussage, dass er den Bericht gar nicht gelesen, dennoch eine dezidierte Meinung dazu habe.

Wie jeder Politiker weist Maurer jegliche Schuld an der Katastrophe weit von sich, räumt lediglich ein, dass er vielleicht von der CS-Spitze etwas eingeseift worden sei. Das ist nun alles schon Altpapier, bevor das Interview gedruckt wurde. Schnee von gestern. Unerheblich. Keine Sternstunde Maurers.

Aber für den Brachialjournalisten «Rammstein-Konzerte absagen»-Tobler Anlass genug zum Nachtreten. Dabei wäre doch seine Beförderung eine gute Gelegenheit gewesen, mal ein wenig Selbstkritik nach einer solchen Anzahl von Fehlleistungen zu üben, die ihn in jedem anständigen Medienhaus zum Ausgang und nicht nach oben geführt hätten.

Oder vielleicht war es ein wenig Neid, dass der Interview-Crack Tobler (er kroch schon Bärfuss, Neubauer oder Friedman verbal hinten rein) nicht höchstpersönlich mit Maurer sprechen durfte.

ZACKBUM kann sich nicht oft genug wiederholen:

Wer solchen Unsinn verzapft, wer die Unschuldsvermutung mit Füssen tritt, wer künstlerische und wirtschaftliche Existenzen rücksichtslos vernichten möchte, ist eigentlich für ein sogenanntes Qualitätsmedium nicht mehr tragbar.

Stattdessen nun ein gähnlangweiliges Abarbeiten am politischen Feindbild:

«… Ueli Maurer selbst, der sich im Interview hartnäckig den Fakten verweigert … seine Aussage ist vor allem komplett faktenfrei … auch sonst verweigert sich Maurer wiederholt den Fakten … Maurer ist daher kein Sündenbock, sondern ein Realitätsverweigerer» usw.

Das ist Polemik auf niedrigstem Niveau. Gäbe es im Hause Tamedia noch Niveaukontrolle, würde ein solcher Kommentar als zu tiefergelegt schlichtweg vor der Publikation abgefangen und gelöscht werden. Aber doch nicht hier. Also kann Tobler so sicher wie das Amen in der Kirche am Schluss noch sein Gewäffel von Maurer auf die SVP ausweiten:

«Um glaubwürdig zu bleiben, müsste die SVP – die längst zur Classe politique gehört – sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie in den Jahren der CS-Krise mit zahlreichen Vorstössen die Finma zu schwächen versuchte – und dass sie mit Ueli Maurer einen überforderten Bundesrat stellte, der sich nun aus der Verantwortung stehlen will.»

Das ist mal wieder ein Stück Zeigefingerjournalismus vom Unfeinsten. Tobler befiehlt der SVP («müsste»), was sie zu tun habe, um angeblich glaubwürdig zu bleiben. Tut sie das nicht, ist sie also nach seiner Logik unglaubwürdig. Und Maurer sei überfordert gewesen und wolle sich aus der Verantwortung stehlen.

Schau an, wer da spricht. Hat sich Tobler jemals gegenüber einer seiner vielen Fehlleistungen der Verantwortung gestellt? Hat man jemals ein selbstkritisches Wort von ihm gehört, nachdem er die Absage der Rammstein-Konzerte in der Schweiz forderte («es gilt die Unschuldsvermutung») und dann sämtliche gegen den Sänger der Band erhobenen Vorwürfe in sich zusammenfielen?

Wieso schreibt er nicht: Um glaubwürdig zu bleiben, müsste Tamedia sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie mit zahlreichen Verstössen den Journalismus zu schwächen versucht – und mit Tobler einen überforderten Ressortleiter stellt, der sich immer aus der Verantwortung stehlen will.

Das wäre wenigstens lesenswert. Aber eher friert die Hölle ein, als dass wir das lesen können.

Wumms: Verena Mayer

Gehns weida. Die SZ-Korrespondentin dreht auf – und durch.

Hilfä, kommen neue alte Zeiten einer Machtergreifung?

Eines ist für die SZ-Korrespondentin «für Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Moldau und Slowenien» schon im Titel klar: Kickl und seine FPÖ gehören nicht zu den «demokratischen Kräften». Denn die haben versagt. Also eigentlich hat der österreichische Stimmbürger versagt, aber das traut sich Mayer nicht so unverblümt zu schreiben.

Sie schreibt auch nicht, dass die «demokratischen Kräfte» an der Regierung halt Murks gemacht haben und dafür vom Wähler abgestraft wurden. Denn ähnlich wie bei der AfD in Deutschland glänzt die FPÖ nicht gerade mit vielversprechenden Konzepten für eine strahlende Zukunft Österreichs.

Apropos: haben diese Korrespondenten eigentlich überhaupt mal das Parteiprogramm der FPÖ gelesen oder ihren Lesern vermittelt? Es ist ohne grossen Rechercheaufwand auffindbar. Es strotzt vor nicht allgemeingefährlichen Allgemeinplätzen:

«Wir wollen die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Österreich mit seinem starken industriellen Kern verbessern.»

Das unterscheidet es im Übrigen nicht von dem Wahlprogramm der ÖVP:

«Wir bekennen uns zu einer Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung, fördern die
Leistungsorientierung und ermöglichen Wachstum für kleine und mittlere Unternehmen.»

Oder der SPÖ:

«Innovative Ein-Personen-Unternehmen (EPU), Klein- und Mittelunternehmen (KMU) und Start-ups sind das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft. Für sie muss die unternehmerische Tätigkeit einfacher werden.»

Das übliche Politikgelaber halt. Oh, hoppla, sehe gerade, da habe ich doch das Zitat der ÖVP und der FPÖ verwechselt. Ts, ts, aber das ist sicherlich jedem Leser aufgefallen, denn bei der ÖVP handelt es sich schliesslich um eine demokratische Kraft, während die FPÖ «in Teilen rechtsextrem» ist. Was Sebastian Kurz wiederum nicht war, denn der ist in der ÖVP. Oder doch in der FPÖ? Bei diesem typisch Wiener Kaiserschmarrn kommt doch keiner mehr draus.

Ausser Mayer. Die weiss alles: «Die Situation in Österreich steht exemplarisch für die Schwierigkeit vieler Parteien der Mitte, sich über die Lager hinweg auf ein Bündnis zu einigen.» Die «vielen Parteien» schrumpfen dann auf ÖVP, SPÖ, SPD, Grüne und FDP zusammen, aber macht ja nix.

Dafür erklärt sie noch schnell die Gesetzmäßigkeiten der Politik: «Die Geschichte hat oft gezeigt, dass politische Entwicklungen kein Wetterphänomen sind, das man einfach hinnehmen muss. Es ist daher auch kein Naturgesetz, dass sich die ÖVP nun doch bereit erklärt hat, mit jener FPÖ Koalitionsgespräche zu führen, die man bis vor kurzem noch als Gefahr für die Demokratie bezeichnet hat.»

Wie wahr; viel zu oft hat der Staatsbürger politische Entwicklungen wie Wetterphänomene hingenommen und an Naturgesetze in der Politik geglaubt.

Am Schluss ihres Kommentars, mit dem Tamedia mal wieder seine Leser belästigt, leidet Mayer unter dem Schicksal so vieler Kommentatoren, Rechthaber und Kennern der Sachlage: niemand hört auf sie. Denn: «Es hätte Möglichkeiten zu politischen Kompromissen gegeben, die Option, mit der SPÖ eine hauchdünne Mehrheit zu bilden und sich anlassbezogene Mehrheiten im Parlament zu organisieren.»

Aber eben; weil niemand auf Mayer hört, wurden all diese Möglichkeiten versemmelt. Typisch Österreich halt.

Quengel, quengel

Raphaela Birrer hat mal wieder einen rausgehauen.

Selten meldet sie sich zu Wort. Aber wenn, dann gibt es rote Köpfe.

Zunächst ist zu bewundern, dass die Länge des Kommentars durchaus variabel sein kann. Hier im Tagi sind es haargenau 2658 A. Der «Bund» kommt mit 1751 A aus, noch rund 65 Prozent der ursprünglichen Textmenge. Da kommt es Birrer wohl nicht so aufs Wort an. Der Text ist mehr so eine Knetmasse. Passt nicht alles ins Förmchen, kann problemlos weggelassen werden.

Aber abgesehen von der flexiblen Form, was ist denn der Inhalt? Birrer begrüsst, dass «unliebsame Volksentscheide nicht via Justiz rückgängig gemacht werden können». Grüne und SP-Frauen waren ans Bundesgericht gelangt, um die Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters wiederholen zu lassen. Das «war quenglerisch», urteilt Birrer mit leicht frauenfeindlichem Oberton. Fehlt nur noch, dass sie ihnen Hysterie vorwirft.

Die quengelnden Frauen hatten bemängelt, dass die sauknappe Abstimmung (50,6 Prozent dafür) auf fehlerhaften Berechnungen der Entwicklung der AHV beruht hatte, was durchaus seine Berechtigung hat. Dagegen wendet Birrer weibliche Logik an: «Dass der Bund sich verrechnete, ändert nichts daran, dass die AHV ohne diese Reform noch stärker in die roten Zahlen gerutscht wäre.» Das mag richtig sein, ist aber kein Gegenargument.

Apropos weibliche Logik, sich in einem Absatz diametral widersprechen, das schafft auch nicht jede(r)*:

«Mit seinem Urteil trägt das Bundesgericht nun zu einer verlässlichen Demokratie bei, in der missliebige Volksentscheide nicht via Justiz bekämpft werden

Einerseits. Andererseits: «Zwar hat das Gericht 2019 eine Abstimmung kassiert – jene zur Heiratsstrafe-Initiative. Der damalige Entscheid war aber richtig, weil die ausgewiesene Zahl der betroffenen Ehepaare viel zu tief und für den negativen Abstimmungsausgang wohl massgeblich war

Als alter weisser Mann muss man aufpassen, dennoch wagen wir zu widersprechen: Heiratsstrafe – gravierend falsche Zahlen. AHV – gravierend falsche Zahlen. Man suche den Unterschied.

Aber mit solchem Pipifax hält sich Birrer nicht auf, sie verlässt das kleine Feld der Widersprüchlichkeiten und erweitert den Blick: «Zu oft stimmen offizielle Zahlen des Bundes nicht, die dem Stimmvolk als Entscheidgrundlage dienen sollen. Bei der Unternehmenssteuerreform II wurden die Steuerausfälle im Vorfeld massiv unterschätzt. Und bei der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit ging der Bundesrat von jährlich nur 10’000 EU-Einwanderern aus – ein Bruchteil der effektiven Zahlen.»

Ohä, das scheint also doch ein gravierendes Problem zu sein; was tun? Nun ist aber auch der grösste Platz für einen Kommentar mal zu Ende (ausser, Pietro Supino greift in die Tasten). Also mit quietschenden Reifen bremsen: «Glaubwürdigkeit ist das kostbarste Gut der direkten Demokratie. Der Bund muss sie sorgfältiger schützen.»

Also, mach was draus, lieber Bund, der Ratschlag ist doch glasklar; schütze gefälligst sorgfältiger. Oder sagen wir mal so: Stringenz und Widerspruchsfreiheit ist das kostbarste Gut eines Kommentars einer Oberchefredaktorin. Wenn sie gleichzeitig zu erkennen gibt, dass es ihr völlig wurst ist, ob ihr Kommentar um ein Drittel zusammengeholzt wird, erhöht das die Glaubwürdigkeit auch nicht wirklich.

Birrer gibt’s noch

Wir machten uns schon Sorgen. Jetzt haben wir einen Grund dazu.

Seit der Ankündigung, dass zwecks Qualitätssteigerung bei Tamedia massenhaft Journalisten rausgeschmissen werden, hat sich die Oberchefredaktorin Raphaela Birrer haargenau zweimal zu Wort gemeldet. Einmal im Podcast «Politbüro», wo es um den «Durchmarsch der SVP» ging, was in gebotener Objektivität vom Dummschwätzer PhilippTrump ist ein Faschist») Loser, Jacqueline Büchi und Fabian Renz bestritten wurde.

Und einmal, um Redaktion wie Lesern zu erklären, wie mehr Qualität mit weniger Journalisten gehen soll. Nein, Scherz, hat sie nicht. Aber sie hat offensichtlich die Frage von ZACKBUM vernommen, wieso sich die Chefredaktorin des grössten Kopfblattsalats der Schweiz nicht zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen äussert. Tut uns ja Leid, denn jetzt haben wir den Salat:

Offensichtlich hat sich Birrer an ihre Zeit als Primarschullehrerin erinnert und erteilt uns allen eine Lektion, lässt uns gemeinsam, unter ihrer Anleitung, etwas lernen.

Allerdings macht sie uns das so schwer wie möglich. Denn schon die ersten zwei Sätze rufen uns zu: lass es, lies nicht weiter:

«Nichts ist nicht gesagt. Die politischen Kommentatoren haben den amerikanischen Wahlkampf in Einzelteile zerlegt.»

«Nichts ist nicht gesagt», das ist eine tiefschürfende Erkenntnis, so auf der Höhe von «ich weiss, dass ich nichts weiss». Darauf will sie auch wohl indirekt anspielen, denn sie fährt fort: «Denn trotz der geballten analytischen Kraft bleibt letztlich Ratlosigkeit angesichts des deutlichen Triumphs.»

Aber dieser Ratlosigkeit macht Birrer ein Ende; sie weiss weiter: «Trumps Sieg ist ein Sieg der Emotionen, der Befindlichkeiten und der politischen Gruppendynamiken.» Wow. Diese tiefe Erkenntnis wirft sie einfach so locker vom Hocker hin, nun muss sie aber etwas ausholen, um das zu verorten: «Bereits Anfang dieses Jahrhunderts sprach die Wissenschaft von der Amerikanisierung hiesiger Politik, also von der Stilisierung der Wahlkämpfe zu sportlichen Wettkämpfen («horse races»). Vom unbedingten Fokus auf die Person (statt auf die Themen).»

Was die Wissenschaft so alles plappert, wenn das Jahrhundert noch jung und eigentlich ein Jahrtausend ist. Vom bedingten Fokus zum unbedingten. Nun bricht aber ihr pädagogischer Muskel durch (schiefe Bilder können wir auch), und sie nimmt uns mit auf eine erkenntnistheoretische Reise: «Was also lernen wir aus Trumps Erfolg?» So fragt der Lehrer die Klasse, so fragt der Arzt den Patienten; wie geht es uns denn heute?

Birrer kommt dabei zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die an Originalität schwer zu überbieten ist: «Trump amerikanisiert sozusagen die Amerikanisierung, er setzt neue Massstäbe.» Das ist ein Satz von gedankenschwerer Tiefe, so etwa wie: Birrer kommentiert sozusagen die Kommentierung, sie setzt neue Massstäbe. Im Nonsens-Kommentieren.

Aber wie amerikanisiert der Amerikaner die Amerikanisierung? «Die Diffamierung der Gegner, die gezielten Lügen oder die Verunglimpfung der Medien: Solche Strategien werden andernorts Folgen haben, weil sie sich als erfolgreich erwiesen haben. Trumps Methoden werden – im länderspezifischen Kontext – adaptiert werden. In der konsensorientierten Schweiz wird sich nicht deren radikale Ausprägung durchsetzen.»

Da sind wir aber froh, dass die Amerikanisierung der Schweiz doch nicht radikal erfolgt. Aber, so warnt die Warnerin, auch in Europa ist nicht alles zum Besten bestellt: «Wir hier, die anderen da: Das Freund-Feind-Schema durchdringt die Politik heute auch in Europa – zunehmend unversöhnlicher.» Da sehnen wir uns in die guten, alten Zeiten zurück, wo die Politik noch ein Ponyhof war und ein zu fest geworfener Wattebausch bereits für Aufsehen sorgte.

Hier enteilt allerdings die Lehrerin der gebannt lauschenden Klasse und verliert sich etwas im Whataboutism: «Daraus zieht aktuell eine Sahra Wagenknecht in Deutschland ihre Kraft. Daraus speiste sich auch der Wahlerfolg der Schweizer Grünen im Jahr 2019.»

Aber genug von Trump erzählt, wieso in die Ferne schweifen, das Böse liegt so nah: «Die SVP ist Trumps Musterschülerin der Emotionalisierung.» Was blüht uns denn dann in der Schweiz? Trumps «popkulturell anmutender Nationalismus (die roten Kappen, das schrille Merchandising) wird sich knallhart in aussenpolitischem Isolationismus und wirtschaftspolitischem Protektionismus niederschlagen.» Hä? Man ist hier versucht, den Arm zu heben, mit den Fingern zu schnalzen und zu rufen: Frau Lehrerin, ich habe eine Frage. Was wollen Sie uns eigentlich sagen?

Gut, das würde mit einem strengen Blick und einer Strafaufgabe beantwortet, aber ZACKBUM hat ja bereits Schreibverbot bei Tamedia, also kann uns nichts mehr passieren. Daher dürfen wir offen gestehen, dass es nun etwas wirr wird bei Birrer: «Zieht sich der Weltpolizist zurück, wird das die Diskussion in unserem Land in entscheidenden Fragen beeinflussen.»

In diese Verwirrungen und Irrungen hinein setzt Birrer zum Aufschwung in den Schluss an. Wie schrieb man früher im Schulaufsatz und im Tagebuch? Ich muss hier leider schliessen. Birrers Version:

«Es gibt also viele Gründe, über Trumps Wahlsieg beunruhigt zu sein. Aber es gibt auch Anlass zur Zuversicht: Die Schweiz ist kulturell nicht die USA.»

Die Schweiz ist eigentlich überhaupt nicht die USA, so wenig, wie die USA die Schweiz sind. Während die Leser mit offenen Mündern dastehen, setzt Birrer noch eine Ratschlag an die Schweizer Parteien oben drauf: «Wenn sie unserer Gesprächskultur Sorge tragen, wird die trumpsche Manier nicht Einzug halten.» Das ist begleitet von einem strengen Lehrerblick für die Lümmel in der letzten Bank, für die Schmuddelkinder der SVP.

Das mag ja so sein. Wenn die Chefredaktorin allerdings ein paar Grundregeln von Logik, Sinnhaftigkeit und strukturiertem Denken Sorge tragen würde, dann hätte sie diesen Verhau, diesen unaufgeräumten Haufen von Gedankensplittern, diese Peinlichkeit weder geschrieben, noch publiziert. Sondern der Schreibkultur Sorge getragen und geschwiegen.

So aber gibt es wirklich Anlass zur Besorgnis. Denn das ist die Oberchefin eines Mediums, das täglich mehr als eine Million Leser beschallt. Und verwirrt. Und beunruhigt. Mehr, als es Trump je könnte.

Kornelius rettet die Welt

Wenn man ihn nur lassen würde …

«Stefan Kornelius leitet seit 2021 das Politik-Ressort der «Süddeutschen Zeitung» und schreibt in dieser Rolle auch für die Titel der Tamedia.»

Schreibt in dieser Rolle? Hat denn der Qualitätskonzern Tamedia keinen einzigen Redaktor, der diese Rolle spielen könnte? Dafür würde sich doch jeder Volontär eignen; irrwitziger als Kornelius würde der auch nicht schreiben.

Kornelius ist zunächst einer der bestvernetzten deutschen Journalisten. Mitglied der PR-Truppe «Atlantik-Brücke», im Beirat der «Bundesakademie für Sicherheitspolitik», der «Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik», usw. Wenn er schreibt, weiss man nie, wer ihm gerade die Feder führt.

ZACKBUM hat ihn schon als «Trumps allerschärfste Waffe» bezeichnet, denn wer solche Feinde hat, braucht eigentlich gar keine Unterstützer. Als «Verbal-Amok» quält er regelmässig die zahlenden Tamedia-Leser.

Zu seinen Lieblingsvokabeln gehören Aufforderungsverben. «Sollten, müssen, haben zu». Unablässig gibt er Anweisungen und Befehle. Unbeeindruckt davon, dass sie niemals ausgeführt oder umgesetzt werden. Wahrscheinlich verzweifelt er manchmal in seiner Schreibstube daran, dass die Welt so viel besser sein könnte, würde man nur auf ihn hören.

Aber das schreckt ihn nicht davon ab, einen aus wahltaktischen Gründen rausgehauenen Satz von Donald Trump für eine strenge Zurechtweisung aller zu missbrauchen. Von Beginn an lässt er keinen Zweifel daran, was er vom Präsidentschaftskandidaten hält, den das Weisse Haus als «unhinged» bezeichnet: «Das Übersetzungsspektrum reicht von «aus den Angeln gehoben» bis «irre» und beschreibt damit alles, was über den Mann zu sagen ist. Donald Trump ist von der Leine.» Ach, war er vorher angeleint?

«Wenn Trump bereits jetzt als Kandidat diesen Schaden anzurichten in der Lage ist – was erst wird er als Präsident tun?» Ja furchtbar, aber welchen Schaden hat der Mann denn angerichtet, ausser, den Blutdruck von Kornelius in ungesunde Höhen zu treiben? Na, nimm das, du Irrer:

«Trumps Bemerkung zum Nato-Bündnis, frivol leichtfertig dahingequatscht während einer Wahlveranstaltung auf dem Land in South Carolina, zeugt vom Irrsinn, der ihn umwölkt.»

Glücklicherweise für die Welt, also für die kleine Welt der Zwangsleser, entlarvt Kornelius Trump in seinem ganzen Wahnsinn: «Als wäre dies alles nicht dramatisch genug, geht Trump einen Schritt weiter und lädt Russland ein, «zu tun, was zum Teufel es tun will», sollten die Bündnisstaaten ihre Schulden an Amerika nicht begleichen.»

Zittere, Europa, denn was sind die Folgen? «Neun Monate reichen nicht aus, um die Nato, Europa und überhaupt die globale Sicherheitsarchitektur Trump-fest zu machen. Die europäischen Nato-Staaten sind dennoch gezwungen, mit dem plötzlichen Zusammenbruch ihrer Sicherheitsordnung zu rechnen. Wer sich heute nicht auf diese Gefahr vorbereitet, begeht ein historisches Versäumnis.»

Da sind aber die Regierungen in London, Paris, Madrid, Rom und Berlin froh, dass sie Kornelius vor einem historischen Versäumnis bewahrt. Nur, was sollen sie denn eigentlich tun? Da wird Kornelius erschreckend wolkig und schwammig: «Auch die tatsächliche Stärke Russlands und die strategischen Ambitionen Wladimir Putins zwingen zu einer nüchternen Bewertung der eigenen Sicherheit – und zu radikalen Entscheidungen.»

Nun gut, sagen die Regierungschefs Europas, aber Himmels willen, welche Entscheidungen sollen wir denn treffen? Da wird das Orakel, der grosse Ratgeber, der Mann mit Durchblick und Weitsicht, noch dunkler und unverständlicher:

«Der Mann, der am liebsten in den Spiegel schaut und sich selbst bewundert, hält allen anderen ebenfalls einen Spiegel vor. Es wird höchste Zeit, die Selbstbetrachtung zu beenden und zu handeln.»

Öhm, also Trump schaut am liebsten sich bewundernd in den Spiegel, hält ihn aber allen anderen vor. Wie geht das? Ein Wunderwerk der Spiegeltechnik, irgendwie. Aber wer betrachtet sich da eigentlich auch noch selbst, die europäischen Regierungschefs? Im Spiegel, den ihnen Trump vorhält, während er sich selbst, aber das wird nun wirklich kompliziert.

Aber stattdessen soll nun – höchste Eisenbahn – gehandelt werden. Aber was denn, wie denn, wo denn, womit denn? Kein Wunder, dass sich Kornelius sicherlich als männliche Kassandra empfindet; keiner glaubt seinen Weissagungen. Aber daran ist er selber schuld. Denn der Ratschlag «tu was» ist von solch abstrakter Inhaltsleere, dass ihn weder der Leser noch der Machthaber versteht.

Welch ein tragisches Schicksal: keiner versteht Kornelius. Schlimmer aber ist: der Tamedia-Leser zahlt noch dafür, dass er unter diesem Mumpitz leiden muss. Wie sagte da Bill Clinton so heuchlerisch wie richtig: «I can feel your pain». Aber es gäbe Abhilfe – wenn noch mehr Abonnenten handeln würden.

 

Der Monstertöter vom Dienst

Die angeblich neoliberale NZZ wird richtig böse.

Zuerst traut man seinen Augen nicht. Unter dem Titel «Wie man Monster zähmt: Die Politik ist gegenüber der UBS nicht machtlos», haut Eric Gujer richtig drauf:

«Banker sind gierig, siehe Bonus-Exzesse. Banker sind inkompetent, siehe das Debakel der Credit Suisse. Banker sind unbelehrbar, siehe Urs Rohner.»

Aber hallo, doch die Relativierung kommt sogleich: «Für jedes Klischee findet sich im Handumdrehen ein tatsächliches oder vermeintliches Beispiel. Keine Branche ist so sehr zur Projektionsfläche geworden für alle negativen Emotionen, zu denen Menschen fähig sind, wie die Banker und die Banken

Dann aber die Relativierung der Relativierung: «Sie sind selbst schuld dran

Nach diesem Rundumschlag mit dem Morgenstern kommt nun die UBS dran: «Ist die UBS eine Monster-Bank? Vielleicht. Wird man sie eines Tages wieder retten müssen? Vielleicht. Soll man aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen? Sicher nicht. Oberste Richtschnur für den Umgang mit Monstern aller Art muss der volkswirtschaftliche Gewinn sein, den die Schweiz aus ihnen zieht.»

Das nennt man mal einen ordnungspolitischen Zwischenruf. Monster müssen nicht getötet, aber benutzt werden. Dazu gebe es jede Menge Reformvorschläge, die natürlich von Gujer grösstenteils abgewatscht werden:

«Sie reichen von akademisch richtig, aber unrealistisch (drastische Erhöhung des Eigenkapitals bis zu neunmalklug und auch in ewiger Wiederholung nicht überzeugender (Trennbankensystem). Je kühner die Ideen sind, umso mehr gilt für sie die Chirurgenweisheit: Operation gelungen, Patient tot.»

Nun ist abwatschen einfacher als argumentieren. Was am richtigen und durchaus realisierbaren Vorschlag, die Schweizer Banken endlich mit genügend Eigenkapital auszustatten, was ihnen weltweit eine unvergleichliche USP verschaffen würde, unrealistisch sein soll? Und war nicht die neunmalkluge Aufhebung  des Trennbankensystems der Anfang der Finanzkrise eins?

Nach einem starken Antritt und einem starken ersten Teil geht nun aber Gujer lesbar die Luft aus:

«Niemand sieht gerne den Zusatz «Staats-» an sich kleben. Die Swisscom will kein Staatskonzern sein, die SRG kein Staatsfunk und die UBS keine Staatsbank. Dennoch trifft es auf alle drei Unternehmen zu. Die Politik steht daher vor einem Paradox. Einerseits ist sie der UBS ausgeliefert. Anderseits muss sie in Krisen entschlossener eingreifen als bisher. Denn alles, was Staatsunternehmen anrichten, fällt am Schluss auf die Politik zurück

Hier wird’s dann zu einem ordnungspolitischen Gequengel. Also was tun?

«Das politische System der Schweiz belohnt Zaudern, nicht resolutes Handeln. Entsprechend wird das Führungspersonal rekrutiert. Dennoch müssen Regierung und Regulatoren kein zahnloser Abnickverein sein.
Auch jenseits des Vorschriften-Dschungels zur Bankenregulierung verfügt der Bundesrat über ein unschätzbares Machtinstrument: die Öffentlichkeit

Nun schüttelt es alle Vertreter des FDP-Slogans «Weniger Staat, mehr Freiheit» kräftig durch: «Der Staat ist nicht nur der letzte Geldgeber, sondern auch die ultimative Quelle von Vertrauen und Legitimität. Firmen gehen unter, Staaten in der Regel nicht. Diese Art von Vertrauen kann sich keine Bank kaufen, es wird ihr vom Gemeinwesen geliehen.»

Am Schluss muss es natürlich wieder furios werden, und wir merken uns, was die UBS für Gujer ist: «Die Regierung besitzt erhebliche Macht, und sie sollte bereit sein, sie im richtigen Moment konsequent einzusetzen. Damit bringt man Monster nicht zum Verschwinden, aber man zähmt sie.»

Die UBS ist ein Monster, das man leider nicht killen kann, aber zähmen muss. Das werden Ermotti und Kelleher gar nicht gerne hören, denen Gujer sogar Triumphalismus vorwirft, warnt: «Dennoch pflegen Starallüren in der Schweiz nach hinten loszugehen. Im schlimmsten Fall siegen dann die Emotionen über das Nutzenkalkül.»

Und da behauptet doch die WoZ, die  NZZ vertrete die reine Lehre des Neoliberalismus. Was für ein Schwachsinn.

Birrer ist peino

Wieso hält niemand sie davon ab, Kommentare zu schreiben?

Raphaela Birrer hat’s schon wieder getan. Oops. Es brauche gegen eine «politische Kultur der Intoleranz eine  Gegenbewegung der Vernunft».

Wunderbar, nur: von ihr wird die nicht angeführt. Denn dazu bräuchte es Vernunft. Um gleich am Anfang klarzumachen, von wem denn die Intoleranz ausgeht, sagt ein Bild mehr als tausend Worte:

Screenshot «Tages-Anzeiger».

Bei einer Corona-Demo in Winterthur hätten Demonstranten «einen Wagen mit ihren Feindbildern tapeziet (sic)».

Dann leitet Birrer mit dem persönlichen Erlebnis ein. Eine Nationalrätin habe ihr «neulich beim Mittagessen» von den Anfeindungen erzählt, denen sie ausgesetzt sei. Wow, Birrer luncht mit einer Nationalrätin. Leider: «Ihren Namen will sie nicht in den Medien lesen

Schade aber auch; ZACKBUM hat heute mit einem leitenden Mitarbeiter von Tamedia geluncht, nur will der seinen Namen auch nicht in den Medien lesen. Wahr oder erfunden?

Dann schwingt sich Birrer ins Abstrakte auf, und das kann bei ihr nie gutgehen: «Die Verhärtungen in den Parlamenten sind letztlich ein Abbild der Verhärtungen in der Gesellschaft, also des empörten Geschreis in den sozialen Medien, des immer gehässiger werdenden Umgangstons gegenüber Andersdenkenden.»

Da könnte sie als konkretes Beispiel den leitenden Tamedia-Mitarbeiter Marc Brupbacher erwähnen, der sowohl den Bundesrat («total übergeschnappt») wie auch Wähler in den sozialen Medien mit empörtem Geschrei beschimpft, die nicht in seinem Sinn abstimmen. Dafür musste er sich dann immerhin entschuldigen. Ein anderes naheliegenden Beispiel wäre Philipp Loser, der keine Gelegenheit auslässt, geradezu obsessiv seiner tiefen Abneigung gegen die SVP Ausdruck zu verleihen. Oder der antidemokratische Politchef Denis von Burg, der zu Pandemiezeiten völlig durchrastete und Zwangsmassnahmen gegen Ungeimpfte forderte: «Jetzt muss Berset die Gegner endlich zur Impfung zwingen», titelte er unwidersprochen. Und ist heute noch im Amt.

Statt also im eigenen Saftladen aufzuräumen, jammert Birrer: «Kräfte, die für einen nüchtern-pragmatischen Politstil stehen, gelten gemeinhin als sterbenslangweilig».

Genau deswegen versucht auch Tamedia, möglichst zugespitzt die Klimahölle, die unerträgliche Diskriminierung von Gendern, die SVP, die «Rechtskonservativen», die «Hetzer», die «Rassisten» gar, die unvorstellbar verblödeten und angebräunten Wähler der AfD (und ihrer Gesinnungsgenossen in der Schweiz) an den medialen Pranger zu nageln.

Selbst einigen Kommentarschreibern fällt auf, dass Birrer sich über etwas bitterlich beklagt, was sie selbst zumindest in ihrer Redaktion abstellen könnte.

Eine Kritik an der Polarisierung zu äussern, dabei den Beitrag des eigenen Ladens schlichtweg ignorieren, nicht den Hauch eines selbstkritischen Gedankens aufblitzen lassen – wie darf man das noch öffentlich bezeichnen, ohne als Frauendiskriminierer beschimpft zu werden?

Vielleicht als bar jeder Vernunft? Vielleicht als intellektuell tiefergelegten Kommentar als Rohrkrepierer? Vielleicht als Wortmeldung, die die ganze Fallhöhe zu Kommentaren in der NZZ deutlich macht?

Die (wenigen) verbliebenen Redakteure bei Tamedia, die noch einen fehlerfreien und geraden Satz formulieren können, der auf einem interessanten Gedanken aufbaut – die müssen durch die Hölle gehen.

Wumms: Arne Perras

Zeichen und Wunder. Ein intelligenter Kommentar bei Tamedia.

Natürlich ist das nicht den eigenen Schreibkräften eingefallen, die hängen wohl noch in den Seilen nach der Street Parade und sehen den eigenen Bauchnabel doppelt.

Wie vieles Schlechte kommt aber auch ab und an etwas Gutes aus München. Hier in Gestalt des langjährigen Afrika-Korrespondenten Arne Perras. Schon der Anfang ist vielversprechend:

Natürlich war der Titel in der «Süddeutschen Zeitung» besser, aber das ist man sich von Tamedia gewohnt:

Glücklicherweise wurde am Inhalt auf den ersten Blick nichts gefummelt. Lustig ist auch, dass schlechte Kommentare aus München hinter der Bezahlschranke verstaut werden, dieser gute nicht.

Der Anfang ist sehr gut:

«Westliche Gesellschaften haben Gefallen gefunden an einer ausgiebigen Nabelschau. Familie, Beziehung, Gesundheit. Jede Facette des eigenen Lebens wird begutachtet, Berater und Influencer helfen bei der Selbstbespiegelung.»

Trifft haargenau auf das Biotop Tamedia zu, deshalb merken die diese Kritik nicht mal in ihrer Gesinnungsblase.

Dann bringt Perras das Verhalten der westlichen Industriestaaten gegenüber der Dritten Welt auf den Punkt: «Ihre eigene Selbstgerechtigkeit fällt den Industrieländern selten auf. Immer wieder fordern sie – gern im Duktus des Dozenten – Freiheit, Pluralismus oder Menschenrechte ein, sie wollen die Welt mit ihren Idealen beglücken.»

Es folgt eine gnadenlose Abrechnung mit westlichen Idiotien: «Ignoranz und Doppelmoral aber schaden dem Westen mehr, als es sich seine Regierungen eingestehen. Sie schüren Misstrauen. Sei es, weil das Erbe des Kolonialismus Schatten wirft; sei es, weil sich die Europäer durch Widersprüche unglaubwürdig machen. Kleinbauern in Westafrika mit Entwicklungshilfe zu fördern, aber zugleich lokale Märkte mit subventioniertem Geflügel aus Europa zu überschwemmen – das passt nicht zusammen.»

Dann zitiert Perras den indischen Aussenminister: «Sinngemäss merkte er an, dass Europa seine eigenen Probleme stets als Weltprobleme betrachte; aber wenn die Welt Probleme habe, sähen die Europäer diese nicht als die ihren an.»

Das sind mal erstaunlich wohltuende, reflektierte Zeilen, die sich auch die Tamedia-Redaktion zu Herzen nehmen könnte. Was sie tunlichst vermeiden wird. Denn dort gilt seit der Machtergreifung von nach Geschlecht Hochbeförderten: Denken kann der Arbeitsplatzsicherheit schaden. Nehmt euch ein Beispiel an der Führungsspitze.

 

1. August ohne Feuerwerk

Das gilt auch fürs Mediale.

Nehmen wir als Beispiel das Mittelmass. Also CH Media. Das Wanner-Imperium profitiert normalerweise davon, dass es zwar nicht so intellektuell ist wie die NZZ, dafür aber auch nicht so gender-kreischig wie Tamedia. Das erspart es CH Media häufig, in die ganz grossen Fettnäpfchen zu treten.

In die kleinen schon gelegentlich, wenn es sich auf Art des Hauses an der Hatz auf den ehemaligen Chefredaktor des «Magazin» beteiligt, dafür den Big Boss von Tamedia anrempelt – und zerknirscht eine öffentliche Entschuldigung vor den gelöschten Artikel stellen muss.

Idealtypisch wird Mass und Mitte vom Überchefredaktor Patrik Müller verkörpert. Kein Zufall, dass er inzwischen der einzige Überlebende des Triumvirats Christian Dorer, Arthur Rutishauser und eben Müller ist. Dorer wurde in ein «Nie mehr»-Sabbatical geschickt, Rutishauser wurde als Bauernopfer auf den Rang eines SoZ-Chefredaktors zurückgestuft.

Müller hingegen leitet, zeigt sich im «Sonntalk» und absolviert überhaupt einen Marathonlauf. Und schreibt den obligaten Kommentar zum 1. August.

Der fängt harmlos an: «Die Neutralität ist genial – aber sie braucht dringend einen neuen Anstrich.» Es gab da allerdings schon mal so einen Anstreicher, aber gut, Bilder sind so eine Sache. Dann wird Müller geschickt persönlich, Familienferien im Norden, Zwischenstopp in Brüssel, der zehnjährige Sohn tippt als Wunsch für Europa ein: «Neutral sein wie die Schweiz

Wunderbar, Leser abgeholt, sich als Familienvater gezeigt, schon Sohnemann beweist mit zehn Jahren politisches Bewusstsein. Bis hierhin wäre es einfach ein 08/15-Kommentar. Aber leider muss Müller dann Gas geben.

Neutralität sei identitätsstiftend, «solange daraus nicht Selbstgefälligkeit und die Neutralität nicht zum Götzen wird». Ohä, und wie könnte sie dazu denaturieren? Na klar, Ukrainekrieg: «Eigentlich war klar, dass es bei einem solch krassen Verstoss gegen das Völkerrecht keine neutrale Haltung geben konnte

Zuvor vergleicht Müller die Invasion der Ukraine mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen. Ohne sich bewusst zu sein, dass die Schweiz damals auch neutral war – und blieb. Aber mit historischen Vergleichen ist es halt so eine Sache, wenn Leichtmatrosen unterwegs sind.

Die aber mit starken Worten nicht sparen: «Es scheint, als wirke die Neutralität wie ein politisches Narkotikum, auch mehr als ein Jahr danach: Das Aufspüren russischer Oligarchengelder gehen unsere Behörden im Halbschlaf an. Da erstaunt es nicht, dass aus den USA Vorwürfe auf die Schweiz einprasseln, sie finanziere Putins Krieg.»

Dann legt sich Müller wieder in die Kurve, das sein «grösstenteils pure Polemik». Aber eben, bei den nachrichtenlosen Konti sei anfänglich auch unterschätzt worden, welche Bedeutung Kritik aus den USA habe – «was den Ruf der Schweiz beschädigte und den Anfang vom Ende des Bankgeheimnisses markierte».

Richtig wäre allerdings, dass das der erste Anschlag auf die Schweizer Rechtssouveränität war, dem weitere folgten, bis sich der Bundesrat tatsächlich entschloss, US-Gesetze auch in der Schweiz gelten zu lassen. Was damals im Übrigen von ebendiesem Müller scharf kritisiert worden war. Aber seither sind einige 1.-August-Feiern ins Land gegangen.

Aber dieses Geholper soll nur auf die Zielgerade führen; die Bevölkerung sei schon viel weiter «als manche Ideologen in der Politik:Neutralität als Mittel zum Zweck statt als Selbstzweck. Entwickeln wir sie nicht weiter, so wie das seit ihrer Begründung 1815 wiederholt geschah, verliert sie ihre Genialität – und wird zum falschen Zauber.»

Das ist wieder einmal ein Gedankenflug, dem nur schwer zu folgen ist. Neutralität war noch nie Selbstzweck, was sollte das auch sein? Sie solle weiterentwickelt werden? Wieso nicht, kann man darüber diskutieren. Aber einleitend meinte Müller ja, dass es bezüglich des Ukrainekrieg keine Neutralität geben könnte. Hätte die Schweiz auch 1939 diesem Prinzip nachgelebt, wären aber wohl Diskussionen über Neutralität überflüssig; wozu auch in einem durch den Krieg zerstörten Land.

Werde sie nicht weiterentwickelt, offenbar in Richtung partieller Aufgabe, verlöre sie «ihre Genialität», werde gar «zum falschen Zauber». Genial an der Neutralität war und ist allerdings, dass sie beinhaltet, dass sich die Schweiz mit nichts und niemandem gemein macht. Weder mit der guten Sache, noch mit der schlechten. Wenn die gute Sache aber behauptet, wer nicht mit ihr sei, unterstütze die schlechte, dann muss man das aushalten und als machtpolitischen Egoismus durchschauen.

Statt schon wieder auf den falschen Zauber der USA hereinzufallen. Die haben tatsächlich das Schweizer Bankgeheimnis geknackt. Und sind seither noch unbestrittener der sichere Hort für Schwarzgeld, für kriminelle Gelder, betreiben die grössten Geldwaschmaschinen der Welt, in denen Milliarden Drogengelder blütenweiss werden – und pfeifen auf jede Teilnahme an Informationsaustauschsystemen wie den AIA. Im Gegenteil, mit ihrer Datenkrake FATCA zwingen sie alle Finanzhäuser der Welt, mittels der Weltmacht Dollar, alle Informationen herauszurücken, auf die die USA lustig sind. Umgeht gilt allerdings nicht.

Das ist falscher Zauber, nicht das Festhalten an der Schweizer Neutralität. Vielleicht sollte sich Müller doch leichtere Themen für seinen 1.-August-Kommentar aussuchen.

 

Stäuble: und tschüss

Wir erweitern die Liste der Un-Personen. Um Mario Stäuble.

Wie die Herrin, so’s Gescherr. Reimt sich zwar nicht so, aber das, was Raphaela Birrer von sich gibt, tut’s auch nicht. Auf ihren Spuren wandelt Mario Stäuble, der abmontierte Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeiger».

Er tut das, was alle hilflosen und einfallslosen Journalisten tun, die zu faul zum Recherchieren sind. Er kommentiert. Und wie: «Selenski legt die Heuchelei in der Schweizer Ukraine-Politik frei». Unglaublich, und wie schafft er das? Nun, sowohl der Präsident des Nationalrats wie die Präsidentin des Ständerats hätten Selenskyj vor und nach seiner Rede ihrer Solidarität versichert. Aber hinzugefügt: im Rahmen der Neutralität.

Da kommt Stäuble ins Vibrieren: «Solidarisch, aber neutral. Präsident Selenski ist in jenem Moment auf den Monitoren im Nationalratssaal noch nicht eingeblendet. Ob sich wohl Falten auf seiner Stirn gebildet haben? Wie sollen diese beiden Adjektive zueinander passen

Leider weiss Stäuble nichts Genaues über die Faltenbildung bei Selenskyj. Aber er weiss: «In den beiden kurzen Reden offenbarte sich die ganze Heuchelei der Schweizer Ukraine-Politik. Selenski hielt der Schweiz den Spiegel vor – allein durch seine virtuelle Präsenz.»

Der Mann spricht Dunkles und Unverständliches. Wieso soll der Hinweis auf die Schweizer Neutralität Heuchelei offenbaren? Wieso soll Selenskyj der Schweiz den Spiegel vorgehalten haben? Gaga.

Aber nun kommt Stäuble erst richtig in Fahrt: «Eine Partei, der die Souveränität des eigenen Landes heilig ist, verweigert dem höchsten Vertreter eines angegriffenen souveränen Rechtsstaats das Ohr.» Damit ist wohl die SVP gemeint, die nicht damit einverstanden war, dass zum ersten Mal in der modernen Geschichte der Schweiz ein Präsident, der in einen Krieg verwickelt ist, direkt zum Parlament sprechen darf.

Deren Absenz ist nicht etwa der anständige Ausdruck eines Protests, nein: «das ist feige». Welch ein Irrwisch; was soll denn daran feige sein?

Aber Stäuble hat noch nicht fertig. In einem wilden Gedankensprung wechselt er zu den «Hackerangriffen, welche diese Woche auf zahlreiche Schweizer Websites eingeprasselt sind». Nächster Schritt in die Absurd-Logik: «SVP-Vertreter argumentierten: Die Schweiz müsse sich eben auf die neutrale Vermittlerrolle beschränken, dann stelle man auch kein Angriffsziel dar.»

Aha, aber: «Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die – vergleichsweise harmlosen – Cyberangriffe sind ein Beispiel dafür, wie sich Risiken heute manifestieren

Wir versuchen zu entwirren. Für Russland ist die Schweiz, nicht zuletzt, weil sie die Sanktionen ungeprüft übernimmt, nicht mehr neutral. Aber das nur nebenbei. Denn Stäuble hat immer noch nicht fertig. Nun kommt der Abschuss des Air-Malaysia-Flugs vom Juli 2014 dran. Was der mit der Schweiz und der Neutralität zu tun hat? Nun, in dem Flugzeug seien 192 Niederländer gesessen. Daher: «Heute gehören die Niederlande zu den offensivsten Staaten, was die Unterstützung der Ukraine betrifft.»

Allerdings sind die Niederlande, wenn wir uns nicht täuschen, nicht neutral und Mitglied in der NATO. Im Gegensatz zur Schweiz. Die hingegen sei «wenn es zu schärferen Angriffen auf die Schweizer Infrastruktur käme», auf «internationale Unterstützung angewiesen». Aha. «Und auf befreundete Staaten, die nicht schulterzuckend erwidern: Wir sind solidarisch. Aber leider auch neutral

Allerdings gibt es, wenn wir uns nicht täuschen, in Europa nur noch den Vatikan, Liechtenstein und Österreich, die sich für neutral erklären. Oder meint Stäuble etwa Andorra, die Mongolei, Turkmenistan oder Costa Rica? Ohne deren Hilfe wäre die Schweiz allerdings verloren.

Es ist Sonntag, das Wetter ist zu schön, um sich weiterhin mit einem solchen Ausbund von Unlogik, Unfähigkeit und blinder Angriffigkeit herumzuschlagen. Wir nehmen auch Stäuble auf die Liste der personae non gratae von ZACKBUM. Kein Wort mehr über ihn.