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Heuchler Friedman

Ein neuer Tiefpunkt im Qualitätsjournalismus des Hauses Tamedia.

Andreas Tobler und Sandro Benini sind immer schnell zur Hand, wenn es um bissige und scharfe Kritik geht. Aber beim «deutschen Publizisten» Michel Friedman werden sie ganz handzahm und lassen den ungehemmt Flachheiten über die Schweiz, die Welt und vor allem über Moral verbreiten.

So stellen sie ihn vor: «Michel Friedman, zeitweiliger Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, gilt als ebenso streitbarer wie brillanter Publizist.»

Er war auch mal Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte seine eigen Talkshow und fiel schon immer damit auf, aggressiv und gnadenlos mit seinen Gesprächspartnern umzugehen. Bis er im Skandal versank.

Wird er hier interviewt, dann sind Tobler und Benini watteweich und anschmiegsam, auch wenn Friedman mehrfach unter Beweis stellt, dass er von der Schweiz keine grosse Ahnung, aber eine sehr abschätzige Meinung hat: «… wenn ich noch etwas hinzufügen darf: Ihr Schweizer habt es euch da zu einfach gemacht mit eurem Saisonnier-Statut.» Darauf hingewiesen, dass es das schon lange nicht mehr gibt, fährt Friedman unbeeindruckt fort: «Lange ist relativ. In der Schweiz dürfen nur die Nützlichen kommen, und selbst die nützlichen deutschen Ärzte erfahren rassistischen Gegenwind. Die Schweiz ist mit Sicherheit nicht das Vorbild einer weltoffenen Gesellschaft für Menschen.»

Es wurde 2002 abgeschafft. Deutsche Ärzte erfahren keineswegs «rassistischen Gegenwind», und im Vergleich zu Deutschland ist die Schweiz mit einem doppelt so hohen Ausländeranteil und ohne brennende Asylantenheime allerdings eine weltoffene Gesellschaft.

Dann salbadert Friedman weiter über Schweizer «Doppelzüngigkeit» bezüglich Vermummung von Frauen in der Öffentlichkeit, Darauf hingewiesen, dass es in der Schweiz verboten ist, eine Burka zu tragen, windet er sich: «Ich habe nicht von der klassischen Burka gesprochen. Mir geht es um die Doppelmoral und die Heuchelei. Mir geht es darum, dass man nicht einerseits für die Frauenrechte im Iran oder in Saudiarabien kämpfen kann und andererseits, in unserer modernen Gesellschaft, wenn es ums Geld geht, die Augen zumachen darf.»

Schliesslich greift Friedman zu seinem Allheilmittel, wenn in der Defensive: der polternde Angriff: «Eine kurze Frage an Sie: Sie haben doch auch Menschenhasser, Extremisten, Islamophobe, Antisemiten in der Schweiz, oder? Was machen Sie dagegen

Richtig widerlich wird Friedman aber gleich am Anfang: «Mit der Aufklärung ist neben der Freiheit eine unglaubliche und zugleich wunderbare Idee, die in der Philosophie schon lange im Gespräch war, gedacht worden: die Gleichheit der Menschen. Daraus entwickelten sich Humanismus, Menschenrechte und Demokratie.»

Welch wohlklingende Worte. Welch hohl klingende Worte, wenn sie aus dem Mund von jemandem purzeln, der ein verurteilter Straftäter ist. Ein Kokser mit einem unseligen Hang zu osteuropäischen Zwangsprostituierten.

2003 musste Friedman deswegen von all seinen öffentlichen Ämter zurücktreten, seine damalige Partnerin trennte sich angewidert von ihm.

Nun könnte man darüber den Schleier der Verjährung senken, wenn Friedman nicht – nach längerer Schweigepause – wieder genauso unerträglich moralisiert und rechhabert wir vor diesem Skandal. Da er das tut, hätten ihn die beiden Cracks vom Qualitätsorgan «SonntagsZeitung» unbedingt fragen müssen, woher er eigentlich die Chuzpe nimmt, die Dreistigkeit, dermassen ungeniert Betragensnoten zu verteilen und sich selbst als Bauchnabel der moralischen Superiorität aufzuspielen.

In diesem Interview verbindet Friedman Wissenslücken mit unqualifizierten Angriffen, redet von einem längst nicht mehr existierenden Saisonnier-Status, behauptet rassistischen Gegenwind und spricht der Schweiz ab, eine weltoffene Gesellschaft zu sein.

Aber den Höhepunkt erreicht er, wenn er über «Doppelmoral und Heuchelei» herzieht. Ausgerechnet er, dessen Doppelmoral und Heuchelei gerichtsnotorisch ist.

Aber statt ihm jede Berechtigung zu solch unqualifizierten Moralurteilen abzusprechen, haben die beiden Tagi-Journalisten den Weichzeichner eingeschaltet und weisen lediglich sanft auf grobe Falschbehauptungen hin. Lassen gleichzeitig Friedman eine Aufführung hinlegen, bei der Tartuffe vor Neid erbleichte.

Anlass für das Gesülze ist eine Buchtournee, bei der Friedman auch am Schauspielhaus Zürich auftritt. Moderiert wird er dabei von Roger de Weck. Wetten, dass auch dieser Qualitätsjournalist die grossen dunklen Flecken auf der Weste des Autors geflissentlich übersehen wird und stattdessen mit ihm über «Fremdheit, Gemeinschaft und Ausgrenzung» palavert.

Mit einem Menschen, der schlichtweg jedes Recht auf Moralurteile verwirkt hat.