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Kreisch! Brüll! Kleb!

Aufmerksamkeitsmanagement leicht gemacht.

Seit auf allen Kanälen Informationen, Mitteilungen, Nachrichten in jeder Form, persönliche Zustandsmeldungen, Kommentare zu diesem, jenem und allem auf uns einprasseln, ist ein neues, wertvolles Gut entstanden.

Das heisst Aufmerksamkeit. Jüngere Leser seien an die Zeiten erinnert, als die Informationsaufnahme mit dem Hören der Morgennachrichten im Radio begann, mit der Lektüre einer Zeitung fortgesetzt wurde und am Abend die «Tagesschau» nochmals das Wichtigste des Tages zusammenfasste. Dazwischen gab es längere Pausen, ausser, man war Abonnent der NZZ, als die noch dreimal am Tag erschien.

Das hat sich ein wenig geändert. Durch die Reizüberflutung hat sich zunächst einmal die Aufmerksamkeitsspanne dramatisch verändert. Schon vor über 10 Jahren wurde eine Microsoft-Studie berühmt, die ermittelt haben wollte, dass die durchschnittliche Attention Span eines zivilisierten Menschen bei 8 Sekunden angekommen war. Demgegenüber könne sich ein Goldfisch immerhin 9 Sekunden auf etwas konzentrieren.

Das gab natürlich einen Kracher als Schlagzeile: Der Mensch kann weniger Aufmerksamkeit als ein Goldfisch.

Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, es ist sicherlich richtig, dass vor allem im Digitalen eine «wisch und weg»-Mentalität herrscht. Eine Webseite, die zu langsam lädt. Ein Shop, der zu viele Schritte abfordert, bis man kaufen und bezahlen kann. Ein umständlich geschriebener, langatmiger Artikel. Heutzutage verlieren solche Internet-Flops schneller User, als man ZACKBUM sagen kann.

All das konkurriert mit einer Unzahl von weiteren Angeboten, darunter so verführerischen wie Katzenbilder, Listicals («die besten, schlechtesten, aufregendsten Irgendwas»), sexuell anzüglichen Angeboten und Discountpreisen auf Viagra.

Da wird es schwerer und schwerer, sich ein Scheibchen von dieser flüchtigen Aufmerksamkeit abzuschneiden. Manchmal funktioniert das nach undurchschaubaren Mechanismen. Eine leicht autistische Schülerin setzt sich hin und streikt. Wenig später ist sie eine weltweite Berühmtheit, der Massen von Jugendlichen (und Erwachsenen) an den Lippen hängen und die sogar vor der UNO sprechen darf.

Völlig sinnentleerte Aktionen wie die «Ice Bucket Challenge» gehen viral und bringen ansonsten zurechnungsfähige Menschen dazu, sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf zu giessen. Nicht alle diese Aktionen sind absichtsvoll geplante Versuche, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen.

Auf der anderen Seite brauchen sowohl Bezahl- wie Gratismedien Attention. Denn auch letztere sind ja nicht gratis, sondern benützen ihre Konsumenten als Verkaufsargument gegenüber Inserenten. Daraus ergibt sich eine üble Mischung. Verdummende Redaktionen, Angst vor dem Leser/Konsumenten, der einerseits zwar belehrt, dem andererseits aber gerne nach dem Mund geschwatzt wird.

Schliesslich das Bedienen primitiver Narrative für alle Weltlagen. Ja keine neue, überraschende Sichtweisen. Denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er will Bestätigung, nicht Verunsicherung. Ein ganz wichtiger Satz für Politiker und auch Medien ist daher: wie ich schon immer gesagt habe.

Blöd wird das nur, wenn sich beispielsweise bei der Impffrage eine neue Erkenntnislage abzeichnet. Aber da hilft viel Abhärtung. Sollte es tatsächlich zutreffen, dass die Corona-Impfungen weder die Ansteckung noch die Übertragung des Virus nennenswert behindern konnten, dann würde eigentlich jeder Mensch, der zuvor Impfgegner, -verweigerer und -kritiker in allen Tonlagen beschimpft hätte, peinlich berührt in sich gehen und «`tschuldigung» murmeln.

Ganz anders die Medien und ihre Meinungsträger. Irrtum? Wir? Niemals. Ausgeschlossen. Dass ein Redaktor im Speziellen und ein Journalist im Allgemeinen einen Irrtum eingesteht, das erlebt man seltener als eine Begegnung mit dem Yeti.

In den unablässigen Versuchen, sich eine Scheibe Aufmerksamkeit abzuschneiden, wird zu immer absurderen Mitteln gegriffen. Wohlstandverwahrloste weisse Kids knieten nieder, senkten schuldbewusst das Haupt, liessen die Schultern unter der Last einer jahrhundertealten Schuld hängen und grölten: «Black lives matter». Ein Satz von dermassen banaler Richtigkeit und Einfalt, dass es eigentlich peinvoll sein müsste, ihn zu artikulieren.

Die neuste Masche im Versuch, im allgemeinen Geschrei und Gekräh nicht unterzugehen, praktizieren Umweltbewegte. Sie schrecken nicht davor zurück, sich an oder neben Kunstwerke zu kleben. Bis man sie dort wieder losgeeist hat, können sie auf allen Kanälen ihre Botschaft verkündigen.

Aber das Blöde am Buhlen um Aufmerksamkeit ist, dass es ständig höhere Dosen braucht, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Also ergänzen die Klebekünster ihr frivoles Tun noch um einen weiteren Akzente. Sie bewerfen oder beschmieren Kunstwerke mit eigens zu diesem Zweck mitgebrachter Tomatensosse oder Kartoffelbrei.

Damit ist ihnen tatsächlich mehr Aufmerksamkeit gewiss, als wenn sie mit Flugblättern oder dem Megaphon vor oder im Museum auf ihre Anliegen hinweisen würden. Nur: wer sich öffentlich wie ein Arschloch benimmt, bekommt auch ein gerüttelt Mass an Aufmerksamkeit. Nur nicht unbedingt die, die er sich wünscht.

Der Abfallhaufen Twitter ist das beste Beispiel dafür, wohin verzweifelte Suche nach Aufmerksamkeit führen kann. Wer lauter kreischt, kriegt mehr. Aber da alle immer lauter kreischen, wird das bald einmal zum ohrenbetäubenden, dissonanten Lärm, in dem man keine Einzelkreischer mehr unterscheiden kann. Und ständig überschreitet jemand alle Grenzen von Sitte, Anstand oder Gesetz.

Sich medienwirksam etwas zuzufügen, das ist auch eine beliebte Methode. Der/die/das Künstler rasierte sich bei einer Preisverleihung das Haupthaar. Um ein Zeichen der Solidarität mit iranischen Frauen und der dortigen Protestbewegung zu setzen. Dabei würde es selbst den aufgeklärtesten Iraner schütteln, wenn er diesen hybriden Menschen sähe.

Abgesehen davon sind solche Proteste nicht gerade neu oder originell. Einer der Ersten, der auf solche Effekte setzte, war der Schriftsteller Rainald Goetz. Beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis schlitzte er sich bei seiner Lesung vor laufenden Kameras die Stirne auf. Er beendete seinen Vortrag dann blutüberströmt, womit er ein Zeichen für irgendwas oder gegen irgendwas setzen wollte.

Er bekam den Preis dann doch nicht, und heute erinnert sich niemand mehr an Goetz (oder an sein Werk). Auch sein aktueller Nachahmer wird mal hinter dem Horizont verschwinden. Das gilt auch für die Klebekünstler und alle Kreischen auf Twitter oder in den Medien.