Schlagwortarchiv für: Kevin Spacey

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Die Schell-Schmiere

Wer meint, die Journaille könne sich nicht mehr tieferlegen …

Da gab es den Medienskandal um Kevin Spacey. Dann gab es den Medienskandal um Till Lindemann. Um Til Schweiger. Um einen Sternekoch. Um einen ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor. Um einen Reporter, der bei der WoZ und der «Republik» arbeitete.

Ach, und dann gibt es noch den Ukrainekrieg (gähn) und die Missbrauchsvorwürfe gegen die katholische Kirche (gähn). Eigentlich gäbe es die Inflation, die Altersvorsorge, die Krankenkassenprämien, die steigenden Lebensmittelpreise, den Energieschock, die Mieten. Die Heizkosten, die Masseneinwanderung, die Flüchtlingskrise. Aber alles etwas komplexere Themen, die ein Minimum an Kenntnissen voraussetzen. Also nix für die Journaille.

Die ist glücklich, wenn sich der selbstgemachte Läderach-Skandal nicht weiter auslutschen lässt, dass eine mässig begabte und bekannte Schauspielerin ihrer erlahmenden Karriere und dem schleppen Buchverkauf Schub geben möchte. Was eignet sich dafür besser als Mann, berühmt, tot. Was eignet sich dafür besser als Mutter, berühmt, tot. Also macht die Nichte von Maximilian Schell zunächst dunkle Andeutungen, um dann zu bestätigen, was jeder herauslesen konnte: ja, es war Schauspieler Schell, der mich missbrauchte.

Also findet sich sofort auch noch die Tochter, die das auch erlebt haben will. Tote können sich nicht mehr wehren, das ist sehr praktisch. Die Taten sind längst verjährt, das ist auch praktisch. Verleumdung eines Toten, wer will dagegen klagen oder vorgehen?

Die Witwe des 2014 verstorbenen Schauspielers sagt wohl das Nötige und Gültige zu dieser Schmiere:

«Ich finde es nur immer sehr problematisch, mit solchen Anschuldigungen nach so vielen Jahren an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn der Beschuldigte bereits seit 10 Jahren verstorben ist, sich nicht mehr dazu äussern und wehren kann und gleichzeitig die Promotion für ein neues Buch gestartet wird. Es hätte sicher Momente zu seinen Lebzeiten gegeben, ihn damit zu konfrontieren.»

Man kann es auch weniger höflich formulieren: das ist schlichtweg widerwärtig, unappetitlich, schamlos und entwürdigend für alle Beteiligten. Es ist diese ausgeleierte Nummer: Jahrzehntelang war es dem angeblichen Opfer nicht möglich, über die schrecklichen Vorfälle zu sprechen, geschweige denn, Strafanzeige zu stellen. Aber als Werbung für ein Buch ist der richtige Moment gekommen. Gesteigert wird diese Schmiere nur noch durch einem Skandal, Klickzahlen und Aufmerksamkeit alle Prinzipien opfernde Medien.

Als Begründung für das sehr späte Coming-Out wird immer die gleiche Ausrede missbraucht: das angebliche Opfer habe vorher nicht gekonnt, aber jetzt wolle es allen anderen Opfern Mut machen.

Wenn selbst die ehrwürdige NZZ einer mediengeilen Prostituierten ihre Spalten opfert und deren Lebensgefährten unwidersprochen von einem «Schicksalsschlag» schwafeln lässt, der in Wirklichkeit aus der Veröffentlichung eines verleumderischen Buchs mit unwahren und unappetitlichen Anschuldigungen bestand, dann muss sich ZACKBUM fragen, ob man fürderhin nicht ausschliesslich angelsächsische Medien lesen sollte. Denn selbst in der Schmiere ist ein «Daily Mirror» allem überlegen, was auf Deutsch erscheint. Und oberhalb davon gibt es mindestens ein Dutzend Qualitätsblätter, die diesen Namen auch verdienen.

Versager 3

Ein Männerberater darf im Tagi Unsinn verzapfen.

Bei einem Interview hat der Redaktor – neben dem Stellen von möglichst intelligenten Fragen – zwei Aufgaben. Er muss den Interviewten vor sich selbst beschützen. Und den Leser vor ihm.

Edgar Schuler hat hier tapfer gekämpft. Er interviewt den «Psychologen und Männerberater» Markus Theunert. Der freut sich natürlich über so viel Gratiswerbung. Und verzapft jede Menge Unsinn.

Gleich am Anfang galoppiert Theunert los: «Übergriffiges, grenzverletzendes, gewalttätiges Verhalten von Männern wird angeprangert, auch wenn es Männer mit Macht sind. Nicht der Missbrauch ist neu, sondern das öffentliche Anprangern

Schuler wendet ein, dass sich viele dieser Vorwürfe als falsch erwiesen und Karrieren zerstört wurden, zum Beispiel beim Schauspieler Kevin Spacey und beim Sänger Till Lindemann. Papperlapapp, meint Theunert: «Die Anschuldigungen erwiesen sich ja nicht als falsch, sondern in den beiden konkret untersuchten Fällen als strafrechtlich nicht genügend. Bei beiden Männern gibt es von zahlreichen Menschen ähnliche Anschuldigungen. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass da einfach nichts dran sei.»

Will sich wirklich jemand von so einem Psychologen helfen lassen, der selbstherrlich meint, Scharfrichter sein zu dürfen und selber Schuld von Unschuld unterscheiden kann?

Auch auf die Frage, was Theunert den Männern sage, die sich nicht mehr trauen, alleine mit einer Frau im Lift zu fahren, hat der Psychologe eine knallharte Antwort: «Ich halte diese Männer für ein Phantom. Für eine Kunstfigur zwecks Schüren von Verunsicherung. Oder sind Sie schon einmal einem begegnet

Als Schuler das bestätigt, fällt der Psychologe in ein psychologisches Koma: «Echt? (zögert) Das macht mich grad etwas betroffen. Diese Angst ist mir fremd

Aber nun zum Werbespot für Theunerts neues Buch. Das hat natürlich eine Mission: «Was ich will: Männer ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden, ohne sich von Männlichkeitsimperativen so arg beschneiden zu lassen. Das ist eine grosse Aufgabe! Wir haben da eine historische Chance.»

Er spricht da, ganz der Küchenpsychologe, natürlich aus eigenen Erfahrungen: «Wie alle Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft wie unserer aufgewachsen sind, habe ich toxische Männlichkeitsnormen verinnerlicht.» Deshalb habe er gedacht, er werde männlicher, wenn er mit möglichst vielen Frauen schlafe.

Aber dann hat er sich selbst entgiftet. Wie das? «Indem ich mich – auch emotional – der Einsicht gestellt habe: Das macht mich leer und letztlich einsam.»

Fehlt noch was? Aber ja, es ist Wahlkampf, da muss natürlich noch das gute, alte SVP-Bashing sein: «Ich finds eher interessant, weshalb die SVP so lange gewartet hat, bis sie auf den Anti-Gender-Zug der rechtspopulistischen Internationalen aufgesprungen ist. Das Muster ist global und leicht durchschaubar: Wer das Bewirtschaften von Ressentiments als politisches Geschäftsmodell hat, landet fast zwangsläufig beim Gender-Thema.»

Ganz im Gegensatz zu einem «Männerberater», der ein Geschäftsmodell daraus gemacht hat, Männer zu beraten, wie sie bessere Männer werden. Oder so.

Eigentlich ist im Song «Männer» von Herbert Grönemeyer mehr Erkenntnis drin als in all diesem Gequatsche.

 

Charakterlumpen

Aus rechtlichen Gründen wahren wir die Anonymität. Aber wohl jeder weiss, wer gemeint ist.

Kevin Spacey war einer der besten und vielbeschäftigten Hollywoodstars unserer Zeit, In «House of Cards» hatte er die Rolle seines Lebens gefunden. Bis er Jahre zurückliegender sexueller Belästigungen bezichtigt wurde. Von einem Moment auf den anderen verlor er alles. Ruf, Karriere, Geld.

Der hetzende Mob in den sozialen Medien, begleitet vom hetzenden Mob in den Massenmedien, senkte den Daumen über ihn. Der mediale Volksgerichtshof entschied: schuldig im Sinne der Anschuldigung, Gerichtsverfahren überflüssig, klare Sache. Nachdem Spacey nun von allen Anschuldigungen freigesprochen wurde, hat sich der verbale Lynchmob, wie seine realen Vorgänger in der Geschichte, still und leise verkrümelt. Ohne ein Wort des Bedauerns. Nur einem Mann wie Spacey mit gewissen finanziellen Möglichkeiten war es überhaupt vergönnt, das juristisch durchzustehen.

Finn Canonica hat nicht so viel Geld wie Spacey. Er begann, in Deutschland gegen den «Spiegel» zu prozessieren, der einer rachsüchtigen ehemaligen Mitarbeiterin von ihm, die zudem gefeuert worden war, eine Plattform geboten hatte, um eine Kaskade von erfundenen oder nicht belegbaren Beschuldigungen über ihn auszuschütten. Als ihm das Geld ausging, triumphierte der «Spiegel», er habe gesiegt. Dabei hat die üble Nachrede, die Existenzvernichtung mittels Anschuldigung von Belästigungen gesiegt.

Dieser Fall beinhaltet noch eine Steigerung der Widerwärtigkeit. Dass die üblichen Japser und Hetzer über Canonica herfielen, wie sie das unbelehrbar immer tun, leider normal heute. Aber seine Beschuldigerin fühlte sich so unangreifbar und sicher, dass sie sogar behauptete, bei gewissen Vorfällen sei die Redaktion Zeuge gewesen. Offensichtlich besteht diese Redaktion aber aus Charakterlumpen.

Denn kein Einziger dieser tapferen Verteidiger des Guten, dieser Besserwisser und moralisch Überlegenen, kein Einziger dieser Rechthaber, dieser Kämpfer für Menschenrechte, kein Einziger dieser Heuchler und Feiglinge kam auf die Idee, öffentlich Zeugnis abzulegen. Sei es als Bestätigung der Beschuldigungen, sei es als Dementi.

Leider machen diese Charakterlumpen sogar noch weiter Karriere, so verludert ist der Journalismus inzwischen.

Der zurzeit im Feuer von anonymen Beschuldigungen stehende Journalist wirft mit seinem Fall ein weiteres Schlaglicht auf die verlotternden Sitten und Zustände in angeblich linken, moralisch sauberen Redaktionen. Zum einen ist es keine Art, schon wieder höchstwahrscheinlich längst verjährte Anschuldigungen aus feiger Anonymität heraus zu kolportieren. Sind sie verjährt, dann besteht der einzige Gesetzesverstoss in einer Persönlichkeitsverletzung des Beschuldigten.

Dafür gibt sich sogar das Staatsradio hin, ein Sender, der eigentlich gewissen journalistischen Mindeststandards genügen sollte. Wie eine solche Denunziationsorgie durch alle Kontrollinstanzen rutschte und ausgestrahlt wurde, inklusive einer faktischen Enthüllung des Namens des Angeschuldigten, ungeheuerlich.

Aber das kann man noch steigern. Stimmen die Angaben, dann war das übergriffige und triebhafte Verhalten des Journalisten schon seit vielen Jahren bekannt. Nicht mal ein offenes Geheimnis. Allerdings kam es nie zu einer einzigen Anzeige, nie zu einer einzigen Beschwerde bei den dafür reichlich vorhandenen Institutionen. Aus unerfindlichen Gründen scheinen sechs Frauen beschlossen zu haben, gemeinsam und in feiger Anonymität erst heute über ihn herzufallen. Bislang mit dem üblichen, vernichtenden Erfolg.

Aber: dieses so verdammenswerte Verhalten des Journalisten haben über all die Jahre so sensible Redaktionen wie die vom «Magazin», von der WoZ, von der «Republik» nicht bemerkt? Stimmt es etwa nicht, dass mehr als einmal sein Verhalten recherchiert wurde, entsprechende Artikel aber abgewürgt, nicht publiziert wurden? Stimmt es etwa nicht, dass dieses Verhalten Bestandteil von Redaktionsklatsch war?

Und jetzt wollen all diese Charakterlumpen nichts gewusst haben, nichts gehört haben, nichts mitbekommen haben? Sind alle erschüttert, entrüstet, entsetzt, verurteilen entschieden, finden strenge, strafende Worte? Nachdem sie den Beschuldigten jahrelang als Star abfeierten, seine immer merkwürdiger werdenden Reportagen mit Jubelschreien begrüssten? Meinen sie ernsthaft, dass ihnen das noch jemand abnimmt?

Mit welchem moralischen Recht soll denn das «Magazin», die WoZ, die «Republik» jemals wieder einen Artikel über sexuell übergriffiges Verhalten am Arbeitsplatz schreiben? Traut sich einer dieser Charakterlumpen tatsächlich, einen weiteren Kommentar gegen Männerherrschaft, gegen Diskriminierung, für die Recht der Frau zu schreiben? Ohne dabei rot zu werden?

Das Allerletzte bei dieser ganzen Veranstaltung ist: natürlich werden sie all das tun. Es wird nach der ersten Schrecksekunde ein unerträgliches Gequatsche und Geschwurbel geben, eine Mischung aus ganz leiser Selbstkritik und ganz viel Eigenlob, dass man nun aber alles viel besser aufgestellt habe, das ein Weckruf war, so etwas nie mehr passieren könne. Vielleicht entschuldigen sich diese Charakterlumpen noch dafür, dass ein solches Sexmonster so lange völlig unerkannt sein Unwesen treiben konnte.

Aber nicht im Traum wird es ihnen einfallen, dass sie nur noch eins sind: lächerliche Hanswurste, in aller Erbärmlichkeit als Heuchler und Opportunisten ertappt. Eigentlich sollte nicht nur der Beschuldigte sich einen neuen Beruf suchen. Sondern sie alle auch. Das wäre endlich mal eine hygienische Reinigung des besudelten Journalismus.

Man darf ja noch träumen.

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.

 

Denunziations-Maschinen

Soziale Medien werden zum Rache-Verstärker. Die Medien auch.

«Unter einer Denunziation versteht man das Erstatten einer (Straf-)Anzeige durch einen Denunzianten aus persönlichen, niedrigen Beweggründen, wie zum Beispiel das Erlangen eines persönlichen Vorteils. … Das Wort «denunzieren» hat noch eine weitere Wortbedeutung, nämlich „als negativ hinstellen, brandmarken, öffentlich verurteilen“.»

Die Definition des Begriffs aus Wikipedia ist einfach. Die Methode selbst ist abartig und widerwärtig. Dazu gibt es aus dem Jahre 1884 ein hübsches Gedicht, das das Wesen des Denunzianten auf den Punkt bringt:

«Verpestet ist ein ganzes Land,
Wo schleicht herum der Denunziant.
[…]
Der Menschheit Schandfleck wird genannt
Der niederträcht’ge Denunziant.»

Üblicherweise erfolgen Denunziationen anonym. Im Rahmen der «#metoo»-Bewegung hat sich aber ein neues Modell entwickelt. Der Denunziant steht mit seinem Namen hin, denunziert aber eine einzelne Person oder eine ganze Gruppe von nicht genannten Opfern. Herausragendes Beispiel ist dafür der «Protestbrief» von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen, die über 60 angebliche Vorfälle als Beleg aufführten, dass im Konzern eine frauenfeindliche, diskriminierende, sexistische und demotivierende Stimmung herrsche.

Kleiner Schönheitsfehler: keine einzige dieser Denunziationen war verortbar. Es fehlten Umstände, Zusammenhänge, Zeitangaben. Daher konnte bis heute kein einziger Vorwurf verifiziert oder falsifiziert werden.

Eine Steigerung dazu stellt das dar, was gerade (und ausgerechnet) der linksradikalen deutschen Punkband «Feine Sahne Fischfilet» passiert. Sie muss sich damit auseinandersetzen, dass ein anonymer Blog anonyme und nicht einmal spezifizierte Vorwürfe angeblicher «sexualisierter Gewalt» mit angeblich 11 Opfern erhoben hat. Diese Denunziation tauchte im August 2022 im Internet auf und verfolgt die Band seither wie ein Gespenst.

Nicht nur für Patrizia Laeri sind solche Behauptungen sexueller Übergriffe ein wohlfeiles Transportmittel, um mal wieder in die Medien zu kommen. Solche Vorwürfe haben meistens drei Dinge gemein. Sie werden von einer Frau erhoben, sie liegen jenseits aller Verjährungsfristen in der Vergangenheit, sie wurden damals nicht aktenkundig gemacht, und sie richten sich zumindest öffentlich gegen unbekannt, gegen eine nicht genauer identifizierte Person. Damit wird jeglicher Klage oder Anzeige wegen Rufschädigung oder Ehrverletzung vorgebeugt.

Stellt sich in einer Untersuchung (die sich nach so vielen Jahren naturgemäss sehr schwierig gestaltet) heraus, dass sich der Vorwurf nicht erhärten lässt, zudem bei genauerer Betrachtung Widersprüche auftauchen, dann behauptet die Denunziantin, dass hier sicherlich schwerwiegende Fehler begangen wurden. Gerne deutet sie auch an, dass es sich um Männersolidarität handeln könnte.

Das Schweizer Farbfernsehen hatte es letzthin gleich mit zwei solcher Fälle zu tun. Einer betraf einen welschen TV-Starmoderator, der andere angeblich eine Führungskraft am Leutschenbach. Beide Denunziationen stellten sich als halt- und substanzlos heraus.

Die verschärfteste Version ist die öffentliche Hinrichtung mit Namensnennung in einem reichweitenstarken Titel. Das exerziert gerade eine gefeuerte Mitarbeiterin gegen ihren ehemaligen Chef und ihren Ex-Arbeitgeber durch. Beide hat sie öffentlich und mit Namensnennung denunziert, gegen den Arbeitgeber hat sie Klage eingereicht.

Besonders fatal ist hier noch, dass diese Denunziation im leserstarken «Spiegel» erschien, begleitet von einer fast zeitgleichen Veröffentlichung in der «Zeit» durch die offensichtlich mit der Denunziantin verbandelte Journalistin Salome Müller, die deren Behauptungen ungeprüft und im Indikativ übernahm. Zudem mit weiteren angeblichen anonymen «Zeugenaussagen» ausschmückte.

Hier zeigt eine genauere Überprüfung der konkret beschriebenen Vorwürfe, dass sie in ihrer grossen Mehrheit nicht haltbar sind, zum Teil aus der Lüge überführter Quelle stammen und von keinerlei namentlichen Zeugen bestätigt wurden.

Nicht einmal das mögliche und naheliegende Motiv der Urheberin – Rache, nachdem sie ihr Ziel nicht erreichte, den Posten des Angeschuldigten zu erobern und stattdessen gefeuert wurde – wurde vor Veröffentlichung zumindest überprüft.

Ob es sich um anonyme Anschuldigungen in den asozialen Medien oder um Behauptungen in den Mainstream-Medien handelt: immer entwickelt sich schnell ein ganzer Schwarm von Kolporteuren, die die Denunziation aufnehmen, ausschmücken, mit angeblichen (und natürlich auch anonymen) weiteren Zeugenaussagen unterfüttern.

In keinem dieser Fälle gelingt es jemals – unabhängig davon, ob die Vorwürfe erfunden und erlogen sind oder zumindest teilweise zutreffen –, den Geist wieder in die Flasche zu kriegen. Kann der Betroffene seine Anonymität wahren, hat er noch Schwein gehabt. In keinem einzigen Fall getraute sich ein so anonym Angerempelter, öffentlich hinzustehen und zu sagen: Ich soll der Täter gewesen sein, das ist aber erstunken und erlogen.

Obwohl oder gerade weil bei solchen Denunziationen die Beweisumkehr gilt. Nicht der Beschuldiger muss seine Behauptungen beweisen, der Beschuldigte muss seine Unschuld belegen können. Wie aber soll das ihm gelingen, da es sich meistens um Ereignisse handelt, die sich naturgemäss unter vier Augen, Ohren und zwei Körpern abspielten – sehr häufig vor vielen Jahren.

Nicht nur in der Schweiz gibt es erschreckende Beispiele für diese neue Denunziationskultur. Der deutsche Komiker Luke Mockridge wurde zu Unrecht der versuchten Vergewaltigung beschuldigt. Obwohl das Verfahren eingestellt wurde (eben typisch Männersolidarität), begleiten seine Tourneen seither Proteste, auch in der Schweiz, er soll gecancelt werden, von der Bühne verschwinden. Die Juso Zürich entblödeten sich nicht, gegen seinen Auftritt im Hallenstadion eine Petition zu starten.

Der US-Schauspieler Kevin Spacey verlor seine ihm auf den Leib geschneiderte Hauptrolle in «House of Cards»; bislang kam es zu keiner Verurteilung gegen ihn. Der schmutzige Scheidungskrieg zwischen Amber Heard und Johnny Depp endete trotz massiver Anschuldigungen gegen ihn mit seinem Sieg. Beschädigt blieben beide zurück. Dem 85-jährigen Morgan Freeman wurde vorgeworfen, vor vielen Jahren anzügliche Bemerkungen auf Filmsets gemacht zu haben. Schliesslich wurde Bob Dylan beschuldigt, vor fast 60 Jahren sexuell übergriffig geworden zu sein. Diese Klage machte ihn zum Rekordhalter, noch vor Dustin Hoffman, gegen den lagen die Vorwürfe lediglich rund 50 Jahre zurück.

Was all diesen Fällen gemeinsam ist: sie verhöhnen die Opfer wirklicher Belästigungen, Übergriffe, Vergewaltigungen. Vor den öffentlichen Gerichtshöfen der Moral werden gnadenlos und schnell gesellschaftliche Todesurteile ausgesprochen, Karrieren vernichtet, Menschen jahrelang wenn nicht lebenslänglich stigmatisiert.

Dass das Internet, die sozialen Plattformen dafür ungeahnte Möglichkeiten bieten, ist widerlich, aber wohl kaum vermeidbar. Dass sich auch sogenannte Qualitätsmedien daran beteiligen, allen voran und bedauerlicherweise der deutsche «Spiegel», ist abscheulich und wäre durchaus vermeidbar.

Dafür müssten sie sich nur an ein paar grundlegende Regeln des Handwerks erinnern. Motivlage des Anklägers. Faktencheck. Umfeldrecherche. Zeugenbefragung. Aufdecken von Widersprüchen. Und bei wackeliger Ausgangslage: Verzicht auf Publikation.

Aber seit der Unsitte der «Leaks» und «Papers», also das Arbeiten mit Hehlerware aus anonymen Quellen mit völlig undurchsichtigen Motiven, sind die Massstäbe eindeutig verrutscht. Nicht zum Wohle der Bezahlmedien …

Kläglich ist auch die Reaktion involvierter Medien auf Anfragen. Tamedia (wir wollen es bei diesem Begriff belassen) räumt lediglich ein: «Wir können bestätigen, dass eine Klage bei uns hängig gemacht wurde. Weitere Details dazu können wir nicht bekannt geben.» Also was genau Anuschka Roshani einklagte und wie sich Tamedia dagegen zu wehren gedenkt: Staatsgeheimnis. Auch die «Zeit», deren Mitarbeiterin Müller eine mehr als zwielichtige Rolle in der Affäre spielt, geruht nicht mehr, auf Anfragen zu reagieren. Ein Verhalten, das von Journalisten sonst gerne lauthals beklagt wird.

Besonders widerwärtig ist dabei, dass es auch rechtlich kaum Möglichkeiten gibt, sich gegen solche Denunziationen zur Wehr zu setzen. Was soll ein Gericht zu geschickt formulierten, viele Jahre zurückliegenden Vorwürfen sagen, die die Denunziantin damit begründet, dass es sich laut ihr so abgespielt habe oder sie zumindest eine Äusserung so empfunden habe?

Geradezu brüllend komisch ist eine Nebenwirkung dieser neuen Denunziationskultur. Viele Chefs entdecken hier den Vorteil des Grossraumbüros. Und sollten dennoch Gespräche zu heiklen Themen (ungenügende Arbeitsleistung, Kritik an einem Fehler, gar Kündigung) in vertraulichem Rahmen stattfinden, wird inzwischen immer ein Zeuge dazugerufen. Am besten weiblich und verlässlich. Damit die Kritisierte erst gar nicht auf die Idee kommt, mit einer Denunziation zurückzuschlagen.

Ausserdem getraut sich kein Mann, der noch bei Sinnen ist, in einen Lift einzusteigen, in dem sich eine einzige Frau befindet. Auch das Führen eines Tagebuchs drängt sich auf, mit wichtigen Eckdaten. So kann man dann beispielsweise den Vorwurf, es sei bei einer Jahre zurückliegenden Weihnachtsfeier zu anzüglichen Bemerkungen (oder gar Handlungen) gekommen, problemlos als Lüge entlarven, weil die Feier gar nicht stattfand – oder man gar nicht anwesend war …

Denunziationsmaschine #metoo

Kevin Spacey nochmals freigesprochen.

Francis Underwood wäre das nicht passiert. Mit der Verkörperung dieser Figur in «House of Cards» hatte Spacey wohl die Rolle seines Lebens gefunden. Er hob die Darstellung eines skrupellosen, intelligenten, mit allen Wassern gewaschenen Machtpolitikers auf eine neue Ebene. Er spielte nicht Underwood, er war seine Figur. Er machte den Zuschauer zu seinem Komplizen, wenn er mit charismatischer Bösartigkeit direkt in die Kamera sprach und seine machiavellistischen Schachzüge erläuterte.

Das hätte noch gut und gerne eine Weile so weitergehen können, wenn ihm nicht #metoo passiert wäre. Die Protagonistin der Bewegung musste sich schnell einmal selbst Missbrauchsvorwürfen erwehren. Und natürlich brachte sie Schweinebacken wie Harvey Weinstein zur Strecke, der den unseligen Hollywood-Brauch der Castingcouch weiterhin gepflegt hatte.

Wobei hoffnungsfrohe Schauspielerinnen ihm unfreiwillig, aber auch freiwillig zu Willen waren, um ihre Karriere zu befördern. Schnell aber wurden die Vorwürfe immer absurder und reichten in die tiefste Vergangenheit zurück. So musste sich Dustin Hoffman für einen möglichen Vorfall entschuldigen, der sich 1985 zugetragen haben sollte.

Auch Kevin Spacey sah sich unter anderem damit konfrontiert, dass er 1986 einen damals 14-Jährigen unsittlich berührt haben sollte. Der hatte 2017, als #metoo auf ihrem Höhepunkt war, diesen Vorwurf erhoben. Bei einer Party in Manhatten in Spaceys Apartement sei der zu ihm ins Schlafzimmer gekommen, habe ihn wie eine Braut hochgehoben und sich schliesslich quer über ihn gelegt. Dafür wollte das vermeintliche Opfer 40 Millionen Dollar Schadenersatz.

Die Jury brauchte dann nicht einmal eine Stunde, um Spacey von diesem Vorwurf freizusprechen. Dazu beigetragen hatte die Ausführung seiner Anwältin, dass es für den geschilderten Tathergang eine nicht vorhandene Wand und eine ebensolche Türe gebraucht hätte, denn Spaceys damalige Wohnung war eine Loft ohne eigenes Schlafzimmer. Zudem habe der 14-Jährige damals an einem Theaterstück mitgewirkt, in dem genau so eine Szene gespielt wurde.

Damit sind in den USA alle Vorwürfe gegen Spacey erledigt. Allerdings warten in England noch weitere Prozesse auf ihn. Die Zwischenbilanz ist auf jeden Fall ernüchternd. Natürlich hat #metoo den Blick auf Übergriffe geschärft, die unter Ausnützung von Abhängigkeitsverhältnissen, der jugendlichen Unerfahrenheit oder mit Hilfe des Nimbus der Berühmtheit begangen wurden.

Natürlich gibt es in all diesen Fällen eine Grauzone, wo ein Nein nicht als nein gemeint ist und ein Ja nicht als ja. Die Grauzone, dass zwischen Erwachsenen im gegenseitigen Einverständnis so ziemlich alles stattfinden kann. Die Grauzone, dass im Nachhinein einer der beiden Beteiligten aus welchen Gründen auch immer zur Erkenntnis gelangt, dass seine Teilnahme doch nicht freiwillig und einverständig erfolgte.

Allerdings ist Spacey bis heute so unschuldig wie alle Leser von ZACKBUM, die keinen Eintrag im Strafregister haben. Nur ist seine Karriere zerstört worden, hat er die Rolle seines Lebens verloren, wurde sogar in der allgemeinen Hysterie aus einem schon abgedrehten Film herausgeschnitten, als sei er ein Aussätziger, dessen Anblick man keinem Kinogänger zumuten könnte.

Wie meistens bei ins Hysterische umschlagenden Bewegungen übernimmt natürlich der Mob keinerlei Verantwortung für die Zerstörung von Karrieren und Existenzen. Denn gerade Vorwürfe, die sich auf Ereignisse beziehen, für die es normalerweise nur zwei Zeugen gibt, gerade Vorwürfe, die sexuelle Übergriffe zum Thema haben, bleiben an allen Betroffenen kleben. Seien sie schuldig oder unschuldig.

Deshalb müssten sie eigentlich mit grossem Verantwortungsbewusstsein erhoben werden. Im Wissen darum, dass vor allem ein Prominenter damit häufig seine Karriere beenden muss. Das ist aber auch bei Nicht-Prominenten der Fall. Man stelle sich nur vor, wie oft schon ein Vorgesetzter (seltener auch eine Vorgesetzte) wegen eines unbedachten Worts oder sogar wegen eines erfundenen Vorfalls aus Amt und Würden gejagt wurde.

Denn noch verächtlicher als ein sexueller Übergriff ist seine Erfindung als Waffe.