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Tagi -Qualität

Ein Jungredaktor verbockt einen Artikel. Er rutscht ins Blatt, durch alle Kontrollen.

Angeblich sollen fünf gnadenlose Kontroll- und Qualitätsprüfungen stattgefunden haben, bevor der Artikel «Sonja Rueff-Frenkel (FDP): Die Frau mit dem Spinnennetz» erschien.

Darin erlaubte sich Kevin Brühlmann einige fragwürdige Fragen und Bezüge auf orthodoxe jüdische Sichtweisen auf Frauen. Kann man so machen, sollte man nicht so machen.

Darauf erhob sich Protestgeschrei, und zweistufig krochen Oberchefredaktor Arthur Rutishauser und Pseudo-Co-Chefredaktorin Priska Amstutz zu Kreuze. Grosse Entschuldigungorgie, der sich auch der Autor anschloss.

Die Betroffene und Vertreter der jüdischen Gemeinde in Zürich zeigten sich davon befriedigt und wollten die Sache ad acta legen. Sie warnten sogar ausdrücklich davor, hier ein Exempel zu statuieren, weil die Probleme im Tagi wohl tiefergreifender seien, wenn ein solcher Text durch alle angeblich vorhandenen Kontrollinstanzen unbeschnitten rutschte.

Aber es wäre ja nicht das Qualitätsorgan Tamedia, wenn man sich nicht bemühen würde, die schlimmstmögliche Wendung zu finden.

Einem Journalisten fiel auf, dass Brühlmann bereits seit einer Woche nicht mehr im Impressum von Tamedia steht. Nach einigem Rumgedruckse räumte man ein, dass man sich inzwischen von Brühlmann «getrennt» habe, es habe immer wieder Differenzen bei der Auffassung gegeben, was Qualitätsjournalismus à la Tagi beinhalte.

Offenbar beinhaltet es, dass man sich dann doch, aber erst nach Tagen, vom Jungjournalisten trennte, auf Deutsch: ihn feuerte.

Damit verknüpft ist das mehrfache Lippenbekenntnis, dass man die Kontrollen und vor allem das Gegenlesen von Artikeln noch viel massiver implementieren möchte, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholten.

You’re kidding, wie da der Ami sagt. Was soll denn verbessert werden, wenn tatsächlich fünf Nasen den Artikel lasen und nichts daran auszusetzen fanden? Das ist doch schon mal die erste Bankrotterklärung.

In Hierarchien, die nicht nur klimgende Titel vergeben, sondern die auch an Verantwortung knüpfen, ist es völlig klar, dass der Verursacher eines Problems eine Mitverantwortung trägt. Noch grösser ist aber die Verantwortung der übergeordneten Kontrollinstanzen, die den Fehler nicht bemerkten, ihn zuliessen, ihrer Verpflichtung nicht nachkamen.

Die Entschuldigungsorgie wurde von Oberchefredaktor Rutishauser und Pseudo-Co-Chefredaktorin Amstutz unterzeichnet. Rutishauser hat die wenig beneidenswerte Aufgabe, bei rund einem Dutzend Kopfblättern nach dem Rechten sehen zu müssen. Also ständig Feuerwehrmann zu spielen, weil irgendwo immer Feuer im Dach ist.

Aber Amstutz hat ohne zu erröten diese Selbstbezichtigung unterzeichnet, dass diverse Kontrollinstanzen versagt hätten. Auf Deutsch: sie hat versagt. Ihr Mit-Co-Chefredaktor Mario Stäuble hat die Entschuldigung nicht mal mitunterzeichnet.

Weder von ihm, noch von ihr hat man bislang ein selbstkritisches Wort vernommen. Die zweite Bankrotterklärung. Erst auf dem Latrinenweg erfuhr die Öffentlichkeit davon, dass der Autor des Artikels gefeuert wurde. Keine Medienmitteilung, nichts. Erst nach einer Schrecksekunde räumte die Tamedia-Medienstelle ein, dass man sich getrennt habe. Wie, warum, fristlos, mit welcher Begründung genau? Da würde Transparenz für den Tagi offenbar zu weit führen. Dritte Bankrotterklärung.

Inzwischen soll die Redaktion, wird gemunkelt, ihr Befremden über diese Vorgehensweise ausgedrückt haben. Und, Traumtänzer, die sie sind, soll die Wiederanstellung von Brühlmann gefordert worden sein. Mehr wolle man aber öffentlich nicht sagen, wird verlautet.

Offenbar hat die Redaktion immerhin etwas vom Protestschreiben von 78 erregten Tamedia-Frauen gelernt, dass als interne Kritik etikettiert war, aber ohne Einverständnis aller Unterzeichnerinnen via Jolanda Spiess-Hegglin an die Öffentlichkeit gespült wurde. Wodurch mit diesem dubiosen Absender schon mal einiges an Wirkung verspielt wurde. Vierte und fünfte Bankrotterklärung.

Letztlich wird ebenfalls kolportiert, dass sich Big Boss Pietro Supino schon mehrfach über Artikel von Brühlmann echauffiert haben soll. Sollte das tatsächlich eine Rolle bei der Entlassung von Brühlmann gespielt haben, wäre das ein weiterer, eigentlich überflüssiger Beweis, dass die famose strikte Trennung zwischen Verlag und Redaktion ein müder Witz ist. Sechste Bankrotterklärung.

Frage: Wie oft können die wichtigsten Prinzipien eines seriösen, verantwortungsbewussten und ernstzunehmenden Journalismus an die Wand gefahren werden?

 

Kevin, allein zum Graus

Ein gut gestarteter Jungredaktor schreibt sich ins Aus.

Vielleicht ist Kevin Brühlmann unser Lob in den Kopf gestiegen. Denn was er auf den Spuren des Kalten Kriegers und Linkenjägers Ernst Cincera aufdeckte, war ein selten gutes Stück Recherchierjournalismus.

Einen ersten Schwächeanfall erlitt Brühlmann allerdings, als auch er noch seinen völlig überflüssigen Senf zur Bührle-Sammlung im Kunsthaus Zürich abgeben musste. Was besser unter «mein liebes Tagebuch» vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben wäre, ergoss sich in die Spalten des «Tages-Anzeiger».

Leider nahm Brühlmann dann den hier erfolgten Rüffel nicht zu Herzen. Denn diesmal ist’s ziemlich peinlich. Oberpeinlich, sogar. Denn Oberchefredaktor Arthur Rutishauser musste zusammen mit der Frühstücksdirektorin Priska Amstutz in die Tasten greifen. Co-Sub-Chef Mario Stäuble profitiert offenbar davon, dass ein Mann und eine Frau als Duo reichen.

Waren wieder erregte Tamedia-Frauen ausfällig geworden? Nein, es geht nur um eine einzige Frau. Beziehungsweise um ein Porträt der FDP-Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel. Aus der Feder von Kevin, dem Grausamen. Ein Schlag ins Kontor, denn nun schreiben die beiden:

«Wir entschuldigen uns».

Seit dem üblen Stück Konzernjournalismus von Philipp Loser über den Konkurrenten Lebrument ist der Tagi nie mehr so zu Kreuze gekrochen:

«Im Artikel wurden ungewollt antisemitische Klischees bedient. … Wir bedauern den Schaden, der mit der Veröffentlichung möglicherweise entstanden ist. … In diesem Fall haben wir unsere Qualitätsstandards nicht eingehalten, und die Kontrollinstanzen, die diese sicherstellen, haben nicht funktioniert. … Für die Publikation des Artikels und die dadurch verletzten Gefühle möchten wir uns entschuldigen.»

Das ist mal eine ganze Arie. Fehlt nur noch, dass sich Rutishauser und Amstutz vor dem Tamedia-Glashaus das Haupt mit Asche bestreuen, sich die Kleider zerreissen und «Entschuldigung» im Duett singen.

In «Tachles» war die Welt noch in Ordnung.

Was ist denn passiert? Kevin Brühlmann hatte sich an einem Porträt der FDP-Frau versucht: «Sonja Rueff-Frenkel (FDP): Die Frau mit dem Spinnennetz» (hinter Bezahlschranke). Eigentlich Trivialjournalismus, Anfängerübung, was für Kindersoldaten. Einen Tag begleiten, ein paar Quotes abholen, ein paar szenische Beschreibungen, eine Prise Kritik, der Versuch einer Schlusspointe. Et voilà.

Wenn ein Redaktor Ziel und Mass verliert

Läuft in der Liga «ein Tag in der Suppenküche», «mit dem Sozialarbeiter auf der Gasse». Kann eigentlich nix schiefgehen. Ausser, der Journalist verwechselt seine Notizen mit einem fertigen Artikel. Daher rutschte ihm zum Beispiel dieser hier rein: «Sie war für die drei Kinder zuständig, die eine jüdische Privatschule besuchten; ein Schuljahr kostet zwischen 19’000 und 28’000 Franken. … Sie ernährt sich koscher und hält den Sabbat ein (im Wahlkampf macht sie Ausnahmen).»

Soweit, so überflüssig, aber noch okay. Allerdings hängt Kevin der Kritische noch ein Interview dran, in dem er eine merkwürdige Vorliebe für die Menstruation an den Tag legt. Genauer: «Frauen gelten unter Orthodoxen bei Beginn ihrer Menstruation als unrein und dürfen von ihren Ehemännern nicht berührt werden – wie passt diese unterdrückte Sexualität mit Gleichstellung zusammen

Die Menstruation gnadenlos nachgefragt

Rüegg-Frenkel antwortet leicht ausweichend: «Ich glaube nicht, dass sich orthodoxe Jüdinnen unterdrückt fühlen.» Aber Kevin Gnadenlos bleibt auf der Blutspur: «Und die Tatsache, dass Frauen als «unrein» gelten?» Sie antwortet mit gesundheitlichen Aspekten, aber Kevin ist nicht zufrieden: «Diese Vorschriften sind aber jahrhundertealt.»

Spätestens nach der zweiten Fragen muss man tatsächlich sagen, dass ein solcher Pipifax von religiösen Uraltsitten in einem Porträt einer Kandidatin für ein politisches Amt nichts zu suchen hat.

Da ist ungefähr so sinn- und geschmackvoll, wenn man einen CVP-, Pardon, «Mitte»-Kandidaten fragen würde, was er eigentlich vom biblischen Verbot der Onanie hält. Kann man machen, muss man nicht machen, sollte man bei einer Frage bewenden lassen.

Übertrainierter Jungspund

Das kommt halt davon, wenn sich ein Jungredaktor ein paar Dinge über die jüdische Religion zusammengoogelt und sich dann für einen gnadenlosen Hirsch hält, wenn er auf einer solchen Frage rumreitet.

Loser hat sein Stück Schmierenjournalismus (leider) unbeschadet überlebt und salbadert weiterhin von Journalisten, die doch eigentlich «Helden» seien. Ob Brühlmann diesen zweiten Flop in seiner noch jungen Karriere überlebt? Auf Bührle kindisch rumtrampeln, das war ja erlaubt. Aber die jüdische Religion dermassen anrempeln? Seine Chefs zu einem solchen Kotau zwingen?

Oder ist Brühlmann Fan hiervon?

Der eigentliche Skandal wird nur angedeutet

Auch zum Eingeständnis, dass mal wieder alle Kontrollmechanismen versagten? Denn eigentlich liegt hier der wahre Skandal verborgen. Dass ein Jungspund über die Stränge schlägt, ist doch verständlich. Dass aber in einem angeblichen Qualitätsorgan der Ressortleiter, der Tagesverantwortliche, der Blattmacher, der Produzent und schlussendlich die Doppelspitze in der Chefredaktion des Tagi, die nun wahrlich nicht viel zu tun hat, ausser gelegentlich einen dünnen Kommentar zu schreiben, das durchwinken, das ist peinlich.

Das sollte dem abgehalfterten Duo Amstutz/Stäuble mindestens eine Abmahnung eintragen. Mit dem Hinweis: nochmal so einer, und Ihr sucht Euch einen Job, dem ihr auch gewachsen seid.

Man darf ja träumen

Zu früh für Papiermangel

Glanz und Elend nah beieinander: Kevin Brühlmann sucht und leidet.

Wir haben ihn gelobt. Sein Recherche-Stück über den Kommunisten-Jäger Ernst Cincera war erstklassig. Das hätte Brühlmann doch einfach so stehenlassen können.

Aber nein, noch vor dem Papiermangel gab ihm Tamedia Platz für eine «persönliche Betrachtung». So kommt auf einer Zeitungsseite ziemlich viel Elend zusammen, bis hinunter zum Elendsinserat einer Organisation, die offensichtlich zu viel Geld zum Verbraten hat.

Oben grau, unten grässlich: da hofft man auf Papiermangel.

Wenn diese Nicht-Werbung den Text darüber bezahlt, kann man wirklich von einer schlimmstmöglichen Wendung im dürrenmattschen Sinne sprechen.

Denn die «Betrachtung», die besser in «mein liebes Tagebuch» versenkt worden wäre, behandelt den Besuch Brühlmanns des neueröffneten Erweiterungsbaus des Kunsthauses Zürich. Darüber haben nun schon so ziemlich alle geschrieben, nur eben Brühlmann noch nicht.

Mit den Versatzstücken eines Pseudo-Artikels

Szenischer Einstieg, muss man machen, das weiss er, also erfindet er eine «Frau in den Fünfzigern», die im Garten hinter dem Kunsthaus sitze und «einen gespritzten Weissen» trinke. Tat zwar niemand, aber macht ja nix, Kunst ist frei.

Die Besucher weniger, denn vom «Flachdach herunter filmen Kameras die Bürgerinnen, die dieses Gebäude grösstenteils finanziert haben», beobachtet Brühlmann mit Adlerauge. Was ihn noch mehr erschüttern dürfte: auch diese Kameras wurden von den Bürgerinnen (allerdings auch von den Bürgern) bezahlt, zudem sind sie Bestandteil einer nicht unnötigen Überwachung des öffentlichen Raumes und des Inhalts des Kunsthauses im Speziellen.

Natürlich sagt ein Mann in der Bührle-Sammlung:

«Da steht ja gar nichts über seine Waffengeschäfte mit den Nazis.»

Den ganzen Saal, der das thematisiert, haben sowohl der Betrachter wie der Mann, den er erfunden hat, wohl übersehen.

Dann will Brühlmann, und da kommt Kunst halt leider von können, salopp-ironisch werden; nachdem er Angelesenes zu Bührle nachgereicht hat, schliesst er

«und ja, ein bisschen Raubkunst verfolgter jüdischer Kunsthändler war dabei, aber nichts Störendes».

Keine Ahnung, aber viel Meinung haben, eine unerquickliche Mischung.

Geht’s noch schlimmer? Immer. Denn Brühlmann erwartet von sich selbst nun noch künstlerisch Wertvolles. Also macht er sich über «Earth Beat» her, genauer über ein Kunstwerk von Joseph Beuys, «sozialkritischer Aktionskünstler und Feind des Kapitals». Was man mit Googeln so alles herausfindet.

Auf jeden Fall hängt dessen Werk «an einer grauen Wand, wie alles an uferlosen grauen Wänden hängt. Und das uferlose Grau neutralisiert. Macht aus den Kunstwerken blosse Bilder ohne Geschichte. Darum ist Beuys hier tot. Und Bührle zum Leben erweckt.» Hä? Also wenn man Bührles Sammlung ohne Geschichte betrachtet, dann wäre die doch auch tot. Oder nicht? Oder wohl?

Betrachtungen eines unverstandenen Unverständigen

Ach, lassen wir das, sagt sich Brühlmann, es fehlt doch noch etwas. Genau, nach der Kapitalismus-Kritik die Rassismus-Kritik. Wie bestellt sagt da eine weitere Kunstfigur, «ich finde auch schlecht, dass man nicht mehr Negerli sagen darf. Zehn kleine … ja, was soll man jetzt sagen?» Da denkt es in Brühlmann, und das kann er dem Leser nicht vorenthalten: «Gedanke: Einfach die rassistische Scheisse lassen. Antwort: «Schwarze.» «Das haben sie doch auch nicht gern.»»

Damit ist der Rassismus-Kritiker aber schachmatt gesetzt, noch die Sammlung Merzbacher geguckt, im Internet darüber schlau gemacht: «stammt aus jüdischer Familie in Deutschland, Flucht 1939 in die Schweiz (Eltern im KZ ermordet), verweigerte Einbürgerung, dann Pelzhandel-Millionär und Kunstsammler. Blick nach oben, zur Bührle-Sammlung. Uff. Wo ist der Ausgang?»

Pennälerscherze nannte man solche pubertären Anwandlungen früher.

Man merkt, nicht der Neigung, sondern der Pflicht gehorchend muss Brühlmann nun zum Ende kommen, maximale Anzahl Buchstaben verbraucht. Aber verflixt, Schlusspointe, das muss genauso sein wie der szenische Einstieg. Alle finden den gut beschilderten Ausgang problemlos, nur Brühlmann nicht:

«Eine Sicherheitsfrau zeigt auf ein grün-weisses Schild. Notausgang.»

Den hätte der Autor allerdings schon ganz am Anfang nehmen sollen. Dann wäre seine Reputation als cleverer Rechercheur intakt geblieben. Oder wie heisst es so schön: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Denn Kunst ist nicht für jedermann.

Wer finanzierte Spitzel Cincera

Die Schweiz war in Angst: Übernehmen die subversiven Roten die Macht?

Es gibt ab und an einen Lichtblick im trüben Sumpf der Schweizer Journaille. Der von der Schaffhauser AZ zum «Tages-Anzeiger» gestossene Redaktor Kevin Brühlmann hat ein feines Stück abgeliefert.

Er hat sich auf die Spuren des «Kommunistenjägers» Ernst Cincera begeben. Um den zu verstehen, muss man sich in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückbegeben. Es war die Hochzeit des Kalten Kriegs zwischen dem kapitalistischen und dem kommunistischen Lager, angeführt von den USA und der UdSSR. Da beide Supermächte über genügend Atomwaffen verfügten, um die Welt gleich mehrfach in die Luft zu sprengen, rückte die Möglichkeit einer militärischen Auseinandersetzung in weite Ferne.

Aber auch in der Schweiz ging die Angst um. Die Angst vor einer subversiven Wühlertätigkeit von verkappten Linksradikalen oder Kommunisten, die sich insgeheim daran machten, das Schweizer System zu unterwandern – und schliesslich mit einem Umsturz oder gar einer Revolution die Macht zu ergreifen.

Das Bürgertum wollte sich wehren – mit allen Mitteln

So jedenfalls die schreckensbleiche Vorstellung in rechtsbürgerlichen Kreisen. Um in den Verdacht zu geraten, zu diesen Umstürzlern zu gehören, reichte oft bereits eine Mitgliedschaft in der SP, Gewerkschaftsarbeit oder öffentliche linke Äusserungen. Zu trauriger Berühmtheit gelangte damals Ernst Cincera. Der nur 163 cm grosse gelernte Grafiker und Werber hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Kampf gegen die Subversiven persönlich zu führen.

Eine journalistische Spitzenleistung.

Schon in den späten 60er-Jahren hatte Cincera damit begonnen, ein Archiv anzulegen. Auf tausenden von Karteikarten notierte er die Namen von potenziell Verdächtigen, von Linken, von aus Moskau gesteuerten Systemveränderern. Oder zumindest von Personen, die Cincera dafür hielt. Längst war er nicht mehr als Werber tätig, sondern sammelte Informationen, Zeitungsausschnitte, Berichte, Spitzelrapporte und notierte all das fleissig auf seinen Karteikärtchen.

Denunziant Cincera zerstörte Karrieren

Was sich aus heutiger Sicht verschroben-putzig anhört, war es damals keinesfalls. Denn immer häufiger bedienten sich Firmen und sogar staatliche Stellen dieser Kartei. Man konnte sich bei Cincera melden und ihn um Auskunft über einen Stellenbewerber bitten.

Fand sich dessen Namen in seiner Kartei, wurde es nichts mit der Anstellung.

Cincera, Jahrgang 1928, war das Kind einer Arbeiterfamilie und sympathisierte selbst in seiner Jugend mit dem Kommunismus. Aber in der Rekrutenschule hatte er eine Art Erweckungserlebnis und gelangte zur Überzeugung, dass die Schweiz vor der Unterwanderung durch rote Gesellen geschützt werden müsse.

So denunzierte er einige Jahre ungestört vor sich hin. Bis 1976 der Journalist Jürg Frischknecht zusammen mit ein paar Helfern zum Gegenschlag ansetzte. Das Grüppchen brach in Cinceras Geheimarchiv ein, klaute ein paar tausend Karteikarten und brachte das Tun dieser «unheimlichen Patrioten» ans Tageslicht.

Cincera war aber nur die Spitze eines Eisbergs

Darauf wandten sich viele, die zuvor seine Dienste eifrig benützt hatten, offiziell von ihm ab. Aber das war nur das Vorspiel zu einem viel grösseren Bespitzelungsskandal. Nicht zuletzt gefüttert mit Erkenntnissen aus Cinceras Denunziantenarchiv, hatte die Bundespolizei ein eigenes Archiv von angeblich subversiven Zeitgenossen angelegt. Und zwar mit der grossen Kelle: Als auch diese geheime Fichensammlung 1989 aufflog, waren darin rund 900’000 Personen verzeichnet.

Später konnte man Einsicht in die eigene Fiche nehmen. Der ZACKBUM-Autor durfte dabei feststellen, dass sogar ein Besuch der kubanischen Botschaft in Bern verzeichnet worden war, nicht ohne die Erwähnung, dass er von einer nicht identifizierten Person dabei begleitet wurde. Herzerwärmend war auch, dass sogar ein Physiklehrer der Kantonsschule Aarau meinte, seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachgehen zu müssen und den Autor – ohne konkrete Verdachtsmomente – als ganz gefährlichen Aufrührer bei der Bundespolizei denunzierte. Eigentlich war dieser Mann dadurch charakterlich nicht geeignet, Schüler zu unterrichten, als bösartiger Spitzel.

Die ironische Fussnote besteht darin, dass Moritz Leuenberger, als er nach dem Studium auf der Suche nach einer Anstellung war, selbst Opfer des Denunziationsarchivs Cinceras wurde. Später aber seine politische Karriere vorantrieb, indem er zuvorderst bei der Aufklärung des staatlichen Fichenskandals wirkte – und schliesslich den Sprung in den Bundesrat schaffte.

Spitzel Cincera, Opfer Moritz Leuenberger (oben rechts).

Ein wichtiger Aspekt der Tätigkeit Cinceras bliebt aber bislang unbeleuchtet: wer hat dieses aufwendige Archiv, wer hat die Tätigkeit Cinceras finanziert? Da ist Brühlmann ein echter Fund und Treffer gelungen. Als Sammelbecken für Spenden diente damals das «Institut für politologische Zeitfragen», sozusagen eine bürgerliche Tarnorganisation. In dem Beirat sass Cincera, direkte Geldflüsse sind natürlich nicht nachweisbar.

Alle grossen Firmen spendeten für Spitzeltätigkeiten

Aber mit Schweizer Akkuratesse sind alle Spender von 1970 bis 1992, bis zur Auflösung des Instituts, aufgeführt. Darunter so ziemlich alle bedeutenden Schweizer Unternehmen; Migros, Zurich Versicherung, Nestlé, natürlich die Schweizer Grossbanken, usw.

Die akkurate Liste aller Spender.

Brühlmann zieht eine berechtigte und bittere Bilanz aus seiner hochinteressanten Recherche:

«In einer Demokratie, die sich rühmt, auf dem Wettbewerb um die besten Ideen zu fussen, musste man Anliegen junger Menschen, zum Beispiel gute Löhne oder mehr Mitbestimmung im Betrieb, nicht diskutieren, denn man konnte sie als Staatsfeinde an den Rand der Gesellschaft schieben. Und darüber hinaus.»

Die Liste der Spender eines Jahres.

Die Frage, ob sich ähnliche Strukturen heute wieder herausbilden, diesmal im Umgang mit den sogenannten Corona-Skeptikern, liegt auf der Hand. Wie China erschreckend vorführt, sind zudem heutzutage die Kontrolle- und Überwachungsmöglichkeiten durch die zunehmende Digitalisierung um Zehnerpotenzen grösser als zu Zeiten der kalten Krieger und unheimlichen Patrioten im letzten Jahrtausend.

Amateurhafte Stümper im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten

Der Karteikärtchen-King Cincera, die Bundesbeamten, die mit Schreibmaschine Fichen anlegten und archivierten, das waren alles Anfänger, Kinderkram, lachhafte Amateure im Vergleich zu den heutigen Spitzelmöglichkeiten der staatlichen Geheimdienste.

Brühlmann ist ein gelungenes Stück Recherche zu verdanken. Eine kleine Sternstunde des Journalismus, die zeigt, was alles möglich ist, wenn man sich nicht um die eigene Befindlichkeit kümmert, in wahnhafter Suche nach Diskriminierung oder nach einer gendergerechten Sprache verliert. Sondern das macht, wozu der Journalist da ist: einen Faden aufnehmen, ihm nachgehen durchs Labyrinth der Zeitgeschichte, um mit einem schönen, runden Ball an Story zurückzukehren.