Frömmelnde «Weltwoche»
Kreuzzug im Geiste von anno dazumal.
Die christlichen Kreuzzüge waren eines der vielen Verbrechen, die die christliche Kirche verübte. Kreuz- und Raubritter wateten im Blut, um Jerusalem zu «befreien». «Deus lo vult», Gott will es. Damit rechtfertigte die Kirche dieses Morden und Metzeln und Brandschatzen und Rauben zwischen 1095 und dem 13. Jahrhundert.
Nun soll es aber angeblich einen «Kreuzzug gegen die Kirche» geben. Statt Gotteshäuser stehen nur noch rauchende Ruinen, Priester werden abgeschlachtet, fromme Gläubige massakriert. Oder wie Roger Köppel fromm barmt: «Niemand stellt sich vor die katholische Kirche. Niemand verteidigt die älteste und erfolgreichste Organisation der Welt. Wehrlos taumelt sie in den Seilen.»
Himmels willen, und Gott hilf. Zumindest Köppel eilt der taumelnden Kirche zur Seite. Gut so. Allerdings ist es durchaus eine erfolgreiche Organisation. Es ist die erfolgreiche und älteste Verbrecherorganisation der Welt.
Vielleicht sollte sich Köppel eine Buchempfehlung seines eigenen Blatts zu Herzen nehmen: «Deschner ist der wohl kompromissloseste Autor und Denker im deutschsprachigen Raum.» Gemeint ist damit Karlheinz Deschner, der wohl bedeutendste Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts. 1986 legte er den ersten Band seiner «Kriminalgeschichte des Christentums» vor. 2013 beendete er die Reihe aus gesundheitlichen Gründen mit dem 10. Band.
Niemals wurde das Walten und Wüten der Verkünder von Gottes Wort fundierter, kritischer und vor allem so unwiderlegbar seziert. Nur schon die völkermörderische Eroberung Lateinamerikas, von der Kirche gefeiert. Der 30-jährige Krieg. Die Hexenverfolgungen, die ungeheuerlichen Perversionen im Vatikan, der obszöne Reichtum der Kirche. Immer fanden sich Pfaffen, die Kanonen den Segen spendeten, das Mordhandwerk als gottgefällig weihten. Ihr – glücklicherweise vergeblicher – Versuch, Aufklärung, Naturwissenschaften, Fortschritt, Moderne unter dem Leichentuch einer Erzählungssammlung aus längst vergangenen Jahrhunderten zu begraben. Ihre Bigotterie, ihre mörderische Inquisition, ihre Heuchelei, ihre liebedienerische Unterstützung aller Mächtigen, wenn sie nur die Kirche walten liessen. All das macht – nicht nur, aber in erster Linie – die christliche Kirche aus.
All das blendet Köppel aus, wenn er zum «Widerstand der Christen gegen die neuen säkularen Heilslehren» aufruft. Und die Kirche als Lordsiegelbewahrer frommer Tugenden sieht: «Der konservative Katholizismus steht, unter anderem, für Familie, für Tradition, für Freiheit vom Staat, für die klare Unterscheidung zwischen Mann und Frau.»
Der konservative Katholizismus steht in Wirklichkeit für alles Muffige, Miefige, Überkommene, Menschen- und Frauenfeindliche in der Gesellschaft. Seine Freiheit vom Staat äussert sich darin, dass er vom Staat die Kirchensteuer eintreiben lässt. Dann schäumt Köppel, wir kritisierten das schon, zur Apotheose auf: «Die Schauprozesse gegen die Katholiken und ihre Kirche erinnern an den Tugendterror der Französischen Revolution. Wie ihre Vorfahren an der Guillotine verfolgen die «Woke»-Jakobiner rabiat das Ideal einer absoluten Gleichheit: gleiche Meinungen, gleiche Gesinnungen, gleiche Lebensstile, gleiche Vermögen, gleiche Werte und Gesetze auf der ganzen Welt.»
Kreuzzüge, Schauprozesse, Tugendterror, Guillotine, Robespierre, der Mann kennt kein Halten, und keiner kann ihn halten, wenn er ins Abseits galoppiert.
Wenn Kreuzritter Köppel wie Don Quijote losreitet, braucht er seinen Sancho Pansa. Der versucht aber nicht, ihn vor wildem Wahnsinn abzuhalten, sondern doppelt nach.
«Der Kirchen-Skandal ist ein Uni-Skandal», die Titelgeschichte von Christoph Mörgeli.
Man muss ihm lassen: mit gewichtigen Argumenten zerpflückt Mörgeli den «Pilotbericht» eines Forschungsteams der Uni Zürich. Der entspricht tatsächlich kaum ernsthaften wissenschaftlichen Kriterien, behauptet unbelegt, verwendet völlig unscharfe und nicht definierte Begriffe wie «problematische Grenzüberschreitungen» oder gar «verbal übergriffiges Verhalten». Dazu beträgt der so untersuchte Zeitraum mehr als 70 Jahre und beginnt 1950.
Mörgeli kommt dann zum polemischen Fazit: «Zweifellos ist die Gefahr, die von Familienvätern und Onkeln bezüglich sexuellen Missbrauchs ausgeht, entschieden grösser als jene von Priestern.»
Bis hierher kann man seiner Autopsie eines offensichtlich allen wissenschaftlichen Ansprüchen Hohn sprechenden Machwerks noch folgen. Aber dann muss auch er noch einen drauflegen: «So ungefähr haben sich dereinst Kreuzzüge, die Inquisition und Hexenprozesse abgespielt.»
Nein, lieber Historiker Christoph, so haben die sich nicht abgespielt. Da wurde gehauen und gestochen, geschlachtet und gequält, massakriert, aufgeknüpft und erschlagen, gefoltert mit allen Methoden, die sich kranke menschliche Hirne ersinnen konnten. Da wurde glühendes Blei in Münder gegossen, Menschen an auf den Rücken gefesselten Armen hochgezogen, bis die Gelenke krachten, da wurde aufs Rad geknüpft, Augen ausgestochen, Zungen herausgerissen, gevierteilt. Da wurden Menschen in blutige Krüppel verwandelt, die mit gebrochenen Gliedmassen vor Schmerzen zuerst schreiend, dann wimmernd darauf warteten, dass der Scharfrichter ihrem Elend endlich ein Ende machte. Da wurden ganze Urbevölkerungen abgeschlachtet im Namen des Herrn. Deus vult.
Und einem Deschner wäre es wie einem Giordano Bruno (und so vielen, allzu vielen anderen) ergangen, wenn diese Kirche heute noch die Macht hätte, die sie einmal missbrauchen konnte: auf den Scheiterhaufen mit dem Ketzer, Sünder, Zweifler, Denker.
Eine solche Verbrecherorganisation, die nur davon abliess, weil sie Gott sei Dank von der Aufklärung endlich in die Schranken gewiesen wurde, einen solch heuchlerischen Haufen als Bollwerk vermeintlicher Tugenden und guter Sitten missverstehen: das ist nun wirklich jenseits von Gut und Böse.
Das ist nicht mal wider den Stachel gelöckt. Wider den angeblichen Zeitgeist gestänkert. Das ist viel schlimmer. Es ist einfach falsch und dumm.