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Deutsche auf dem Kriegspfad

Wie von Schlafwandlern wird der Krieg herbeigeredet.

«… in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muss, was was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht …»

Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit, 1919.

Kriege brechen nicht einfach aus. Sie werden vorbereitet, herbeigeschwatzt, aufgepeitscht. Von «nie wieder Krieg» wechselt das Narrativ zu «Verteidigung von Demokratie und Freiheit». Notfalls halt mit Krieg.

Der französische Präsident Macron quatscht bereits von «préparer l’esprit de guerre». Als hätte es den Franzosen nicht gereicht, dass Napoleon in den Weiten Russlands seine «Grande Armée» verlor.

Man konnte sich lange Zeit keinen Krieg mehr in Europa vorstellen. Wenn wir den Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien aussen vor lassen. Da gab es einmal den SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der sich nicht an einer der Koalitionen der angeblich «Willigen» beteiligen wollen, mit denen die USA ihr völkerrechtswidriges Intervenieren in fremden Staaten pseudolegitimierten.

Nun gibt es einen SPD-Kanzler Olaf Scholz, der sich standhaft weigert, einen deutschen Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Obwohl deutsche Sandkastengeneräle sich dabei abhören liessen, wie man mit dieser Waffe die russische Brücke zur Krim  zerstören könnte.

Munition, Waffen, Artillerie, Panzer, Flugzeuge, Raketen. Es fehlen eigentlich nur noch die Truppen, und schon hätten wir eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland. Kann man sich nicht vorstellen? Eben, könnte man es, es geschähe vielleicht nicht.

Hoffte noch Karl Kraus als Resümee des Ersten Weltkriegs. Aber wer erinnert sich schon noch, wer das war.

Nun gibt es in Deutschland ganz neue Kampfeslinien zwischen Politikern, die nicht an einer Eskalation interessiert sind, und echten Kriegsgurgeln, die oftmals nur aus parteipolitischem Kalkül verbal aufrüsten. Zuvorderst marschiert Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie verkauft sich als «Eurofighterin» und «Oma Courage» und möchte am liebsten mit der Waffe in der Hand gegen den russischen Untermenschen anstürmen. Ein rechtes Flintenweib.

In kriegerische Wallungen bringt auch der SPD-Politiker Rolf Mützenich fanatische Kriegsgurgeln mit einer durchaus vernünftigen Aussage:

«Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann

CDU-Aussensprachrohr Norbert Röttgen keift: «Um Europa von der ›Kriegsfessel‹ zu befreien, will Mützenich den Krieg einfrieren. Damit verabschiedet sich die SPD von dem Ziel, den Krieg Putins zum Scheitern zu bringen.»

Aber die Grünen schlägt niemand in Sachen Opportunismus und Wendehalsigkeit. Die ehemalige Friedenspartei behauptet, diese Aussage sei ein «Rückfall in die alte Russlandpolitik der Sozialdemokratie», die nun doch nicht von ihrer «oftmals naiven Appeasementpolitik gegenüber Russland»  abgerückt sei. Dagegen behauptet die Grünen-Chefin Ricarda Lang: «Ich setze mich für mehr Unterstützung für die Ukraine ein, weil ich Frieden will

Frieden durch Krieg, mehr Unterstützung fürs Gemetzel, damit Leben gerettet werden. Oder zumindest Demokratie und Freiheit – in einem Land, das weder mit dem einen noch dem anderen viel am Hut hat. Ob die Dame frühere Durchhalteparolen der Deutschen nachahmt – oder sich geschichtsvergessen nicht daran erinnert? «Wir sollten da einen klaren Kurs behalten. Nicht ins Zögern verfallen, nicht ins Zaudern verfallen.» Kein Zögern, kein Zaudern, das bellte auch aus dem Volksempfänger.

Aber für den schärfsten Spruch ist der über seine unmöglichen Sprüche gefallene ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zuständig. Der ist nämlich nicht nur ein grosser Fan des Kriegsverbrechers, Nazi-Kollaborateurs und Antisemiten Stepan Bandera, sondern wäffelt auch aus dem fernen Brasilien über Mützenich: «Habe immer gesagt: Dieser Typ war und bleibt der widerlichste deutsche Politiker. Für immer und ewig.»

Und solche Amoks sollen von Deutschland unterstützt werden? Brandstifter und Kriegstreiber, verantwortungslos, geschichtsvergessen. An vorderster Front unglaublicherweise die Grünen. Es gibt eigentlich nichts, was diese charakterlosen Lumpen noch nicht verraten haben. AKW, nein danke? Ach was, kann man doch drüber reden. Braunkohlekraftwerke sind des Teufels? Ach, wenn man sie halt braucht, was soll’s. Die Grünen, angeführt von Petra Kelly, waren mal eine Friedenspartei? Na, Kelly ist schon lange tot, und wer erinnert sich noch an solchen Quatsch?

Ob Melnyk der widerlichste ukrainische Vertreter ist, das ist schwer zu beurteilen. Dass aber wie in der Vergangenheit verantwortungslose Zündler verbal das Terrain dafür vorbereiten, dass es halt mal wieder sein muss, jeder Schuss ein toter Russ, züchtigt die asiatischen Horden, verteidigt unsere Werte, wir haben nicht angefangen, aber nun wird endlich richtig zurückgeschossen – wanken wir wieder ins Unvorstellbare, das deswegen geschehen wird?

Putin ist in typischer Überheblichkeit eines autokratischen Herrschers, der von Jasagern umgeben ist und zudem fehlinformiert, in eine offenkundige Falle getreten. Er meinte, mit einer «militärischen  Spezialoperation» die Ukraine in wenigen Tagen erobern zu können, mit einem Enthauptungsschlag gegen Kiew. Zwei Jahre später ist es offenkundig, dass er damit krachend gescheitert ist. Aber nun müsste es darum gehen, wie er aus dem selbstverschuldeten Schlamassel wieder herauskommt, ohne dabei Gesicht und Leben zu verlieren.

Stattdessen wollen immer mehr westliche Kriegsgurgeln die Russen bluten lassen, auf Kosten des Bluts der Ukrainer. Die sollen alle nötigen Waffen bekommen, damit sie besser sterben können und das eigene Land noch mehr verwüsten. Als ob das die russischen Invasoren nicht schon zur Genüge täten.

Kriege enden am schnellsten mit Verhandlungen. Auch Deutschland, ausgerechnet, wäre die weitgehende Zerstörung erspart geblieben, wenn die dummen Deutschen nicht begeistert einem «totalen Krieg» zugestimmt hätten – als der Krieg schon total verloren war.

Wollen einzelne Exponenten schon wieder einen totalen Krieg? Glaubt jemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, dass Putin militärisch in die Knie gezwungen werden kann? Dass man ihn gegen die Wand klatschen könnte, und die Gefahr, dass er sich mit einem Atomschlag wehrt, wäre minimal?

Erreichen die Kriegsgurgeln das, was sie sich nicht vorstellen können, dann haben es im Nachhinein alle wieder nicht gewusst, konnten doch nicht ahnen, hätte niemals gedacht. Und auf jeden Fall wäre dann der Iwan dran schuld, doch nicht der Westen, der zivilisierte, aufgeklärte, der aus der Geschichte gelernt hat.

 

Sendepause

ZACKBUM macht etwas Originelles: ein Ukraine-Sabbatical.

Am 24. Februar jährte sich der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Bei aller Ursachen- und Motivforschung, bei allen gegenseitigen Schuldzuweisungen, bei allen auseinanderklaffenden Meinungen dazu: es war ein eklatanter Bruch der verbindlichen Zusage, gegen die Rückgabe der auf ukrainischem Boden stationierten Atomwaffen der ehemaligen UdSSR die territoriale Integrität des neu unabhängigen Staates zu garantieren.

Gleichzeitig ist es die übliche imperiale Machtpolitik, wie sie auch die USA (und neuerdings auch China) betreiben. Die USA sogar weltweit, von Südostasien bis in ihren sogenannten Hinterhof Lateinamerika.

Das macht natürlich die Invasion keinen Deut verständlicher, aber es relativiert alle Versuche, den Überfall eines korrupten Regimes auf einen korrupten Oligarchenstaat zu rechtfertigen.

ZACKBUM hat mit aller Stimmkraft klargestellt, dass wir persönlich null Bedürfnis haben, in einer geradezu endzeitlichen Auseinandersetzung zwischen dem angeblich Guten gegen das angeblich Böse atomar in Asche verwandelt zu werden.

Wir sind es zunehmend Leid, all diesen Schreibtischtätern auf die Finger klopfen zu müssen, die als Sandkastengeneräle gerne andere in den Tod schicken wollen, leiden lassen möchten, von der Verteidigung der Demokratie und der Freiheit und westlicher Werte ausgerechnet in der Ukraine faseln.

Daher hat die Redaktionsleitung von ZACKBUM beschlossen, in Rücksprache mit dem Verleger, der sich des Einverständnisses des Besitzers versicherte, vorläufig auf weitere Kommentierung zum Thema Ukraine zu verzichten. Die Redaktoren hat wie üblich keiner um ihre Meinung gefragt. Dieses Sabbatical gilt natürlich nicht für Zuarbeiter; so liberal sind alle Entscheidungsgremien bei ZACKBUM.

Das ist aber eine schlechte Nachricht für alle Medienschaffenden in der Schweiz. Sie produzieren ja auch auf anderen Gebieten jede Menge Stuss, der hier weiter aufgespiesst wird.

Ohne uns vergleichen zu wollen, Karl Kraus schrieb einmal: «Ich aber bleibe stumm, und sage nicht, warum.»

«Ich aber bleibe stumm;

und sage nicht, warum.» Ein Zitat des weitgehend vergessenen Karl Kraus.

Das Gedicht verdient es, vollständig zitiert zu werden:

«Man frage nicht, was all die Zeit ich machte.
Ich bleibe stumm;
und sage nicht, warum.
Und Stille gibt es, da die Erde krachte.
Kein Wort, das traf;
man spricht nur aus dem Schlaf.
Und träumt von einer Sonne, welche lachte.
Es geht vorbei;
nachher war’s einerlei.
Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.»

«Die Fackel», Oktober 1933

Es wäre mehr als vermessen, sich mit ihm vergleichen zu wollen. Aber aus Gründen der geistigen Hygiene – und aus vielen anderen Gründen – wird ZACKBUM bis auf Weiteres mit den beiden folgenden Artikel die Berichterstattung über den Ukrainekrieg einstellen.

Es ist zurzeit alles gesagt, alles gefordert, alles verurteilt, alles kritisiert, alles zugesosst, ein weiteres Mal bieten die sogenannten Qualitätsmedien ein jämmerliches Schauspiel. Schreibtäter und Schreikräfte, wildes Gefuchtel, wackelnde Zeigefinger, gerunzelte Stirnen, schweres Tragen an gestohlenem Leid, sinnlose Forderungen, Ratschläge, Verurteilungen.

Da machen wir nicht mehr mit, nicht mal mit der Kritik solchen Verhaltens. Denn wenn man sich selbst abschreiben könnte, weil nichts Neues zu beschreiben ist, sollte man das dem Leser ersparen. Es gibt ja noch genügend andere Themen auf der Welt.

Lachhaft

Absurdem kann man mit Humor begegnen. Oder mit Stärke.

Ist es weltbewegend, ob ein Tennisspieler in Australien Tennis spielen darf? Ist das Anlass für Hunderte, ja Tausende von Artikeln, Berichten?

Ist es lustig, dass Djokovic inzwischen mehr abgelehnte Visa hat als Grand-Slam-Titel? Bringt’s was zu scherzen, dass er, wenn er wie Jesus sei, doch übers Wasser von Australien weglaufen kann? Dass er wie Jesus am Kreuz gescheitert ist, in seinem Fall am falschen Kreuz bei den Visumfragen?

Ist das wichtiger als Corona, Ukraine, als Biden, Putin oder die chinesische Diktatur? Ist das wichtiger als die Uiguren, Kasachstan, Myanmar, Äthiopien, das anhaltende Schlamassel in den arabischen Ländern? War da mal was mit einer Pandemie?

Oder ist es Anlass, sich an ein brutales Zitat von Johann Nepomuk Nestroy zu erinnern? Wenn man sich die japsende, hyperventilierende, jedes Mass verlierende Medienmeute anschaut?

Wer war denn das?

Schliesslich hat Karl Kraus den österreichischen Autor und Stückeschreiber aufs höchste verehrt, dessen bittersüss-böse Weltsicht später nur von Ödön von Horváth übertroffen wurde. Okay, wer war Kraus, wer war Nestroy, wer war Horváth.

Und wer waren denn die?

Aber auch diese Banausen verstehen zumindest das Zitat:

 

 

Es war einmal …

Adventszeit, besinnliche Zeit. Gedenken an früher.

Es ist schon so lange her, dass es fast nicht mehr wahr ist. Als im deutschen Sprachraum Giganten wie Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Karl Kraus, Carl von Ossietzky oder Egon Erwin Kisch schrieben.

Von Ossietzky als KZ-Häftling, bevor er zu Tode gequält wurde.

Für Nachgeborene: googeln hilft. Zu diesen Zeiten legten Grössen wie Upton Sinclair oder Lincoln Steffens in den USA neue Massstäbe des literarischen Investigativjournalismus vor.

Sah harmlos aus, war aber brandgefährlich für die Herrschenden: Steffens.

Dem einen oder anderen Redaktor ist vielleicht Truman Capotes «Kaltblütig» bekannt. Weil er’s nicht gelesen hat (oder vielleicht nur die grossartige Verfilmung sah): beeindruckend langweilig geschrieben.

Tom Wolfe war da schon ein anderes Kaliber. «Fegefeuer der Eitelkeiten» oder «Back to Blood» waren herausragende Faction, also eine Mischung aus Fiktion und Fakten.

Alle tot; lebt noch einer? Ja, ein einziger: Gay Talese. Der ist allerdings schon fast 90. Und der Meister der Langzeitreportage. Wobei Langzeit zum Beispiel sechs Jahre bedeuten kann.

Haben alle diese Grössen ein Geheimnis, zumindest etwas Gemeinsames? Aber ja.

Was ist ihr Geheimnis?

Zunächst: sie lebten in Zeiten, in denen Journalismus noch so honoriert wurde, dass man davon leben konnte, sich auch Zeit nehmen. Und hingehen.

Die wichtigste Eigenschaft ist aber: sie haben ihr Thema durchdrungen. Verstanden und verdichtet. Ihre Schriftwerke strahlten immer aus: das ist nur der Kern, drum herum habe ich recherchiert und mich informiert und mich schlau gemacht. Aber das habe ich dann weggeschnitten.

Die zweitwichtigste: sie konnten schreiben. Nicht holpern. Sondern elegant, souverän, stilistisch auf Niveau, mit gelungenen Anspielungen, scharf geschnittenen Metaphern und Beschreibungen, die Atmosphäre, Raum und handelnde Figuren lebendig werden liessen.

Aber heute? In der Schweiz? Wie heisst es so schön: Wenn die Sonne der Kultur tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten.