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Tote zählen im Gazastreifen

Ist es möglich, deren Anzahl überhaupt zu erheben?

Bislang war die einzige Quelle die Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen. Israel denunziert sie als «Terrorpropaganda», und tatsächlich sind solche Zahlen bezweifelbar.

Zudem ist es äusserst schwierig, im weitgehend zerstörten Gazastreifen, in dem es zudem No-Go-Zonen gibt und der Zugang ausländischen Journalisten versperrt ist, entsprechende Erhebungen zu machen.

Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftler versucht, unabhängig Daten zu erheben und ihre Ergebnisse auf «medRxiv, the Reprint server for Health Sciences» veröffentlicht. Die Studienergebnisse wurden von «Nature» übernommen. Die seit 1869 erscheinende Zeitschrift ist bekannt für ihre hohe wissenschaftliche Integrität.

Diese vorsichtige Einleitung ist nötig, weil die Ergebnisse der Studie schockierend sind und selbstverständlich sofort geframt und bezweifelt werden.

Sie kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Zahl der Toten, zudem nur erhoben zwischen Oktober 2023 bis Anfang Januar 2025, bedeutend höher liegt als die Zahlen der Hamas. Laut der Erhebung starben in diesem Zeitraum beinahe 84’000 Menschen im Gazastreifen.

Mehr als die Hälfte der Getöteten seien Frauen im Alter von 18 bis 64, Kinder oder Menschen über 64.

Wer hinter der wissenschaftlichen Untersuchung steht, kann jeder selbst nachlesen und sich sein Urteil bilden.

Auf jeden Fall sind diese Zahlen um 60 Prozent höher als die vom Gesundheitsministerium angegebenen, während Israel keinerlei Zahlen veröffentlicht.

Selbst Zynikern verschlägt es langsam die Sprache, und nur noch ganz Verpeilte werfen Kritikern der Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verstössen gegen Völker- und Kriegsrecht der israelischen Regierung vor, sie würden haltlosen Unsinn verzapfen.

So wie ein feige sich hinter Pseudonym versteckender Amok auf «Inside Paradeplatz», als Reaktion auf einen Artikel des ZACKBUM-Redaktors René Zeyer:

«Antisemiten können aber nicht anders, als immer wieder auf ihre rassistische, judenfeindliche Gesinnung zurückzufallen. Zeyer – ein williger Unterstützer von Hamas, Hisbollah, Iran, Nordkorea, Russland & China!»

Immerhin hatte Tamedia den Mut, einen entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung» zu übernehmen. Wohlweisslich ohne Kommentarfunktion.

Quelle: «Tages-Anzeiger».

Sollten diese Zahlen stimmen, widerlegen sie die Behauptung der israelischen Armee, sie bemühe sich möglichst um eine Schonung der Zivilbevölkerung.

Obwohl die Studie bereits vor einer Woche erschienen ist, hat in den deutschsprachigen Medien bislang einzig die SZ (kopiert von Tamedia) diese Ergebnisse aufgenommen.

Medienkritisch geht es hier nicht um eine Diskussion der wissenschaftlichen Grundlage und der Plausibilität dieser Zahlen.

Sondern es geht darum, dass eine Debatte über den Gazakrieg im Sinne eines Meinungsaustauschs, basierend auf möglichen Erkenntnissen, kaum oder nicht möglich ist.

Verteidiger der israelischen Regierungspolitik verweisen auf die Greueltaten der Hamas, auf deren Massaker am 7. Oktober 2023. Da sie diktatorisch die Regierungsgewalt im Gazastreifen ausübt, sei die gesamte Bevölkerung mitschuldig daran – und letztlich selber schuld, wenn sie nun auch massakriert wird. Ein Zahlenvergleich sei obszön und nicht statthaft.

Noch erschreckender als diese Zahlen ist die meist fakten- und erkenntnisfreie öffentliche Debatte. Hilft alles andere nicht, schlägt die Antisemitismuskeule zu und wird an den Holocaust erinnert. Der deutsche Bundeskanzler Merz darf ungeniert davon sprechen, dass Israel hier die «Drecksarbeit» verrichte. In welchen Sprachduktus er sich damit begibt, fällt offenbar weder ihm noch breiten Teilen der Medien auf.

Wer auf der Einhaltung internationaler Regeln besteht, wird mit dem Argument niedergemacht, dass die gegen fundamentalistische Wahnsinnige und die Ayatollen im Iran nicht gelten würden. Wer Opfer eines Terrorangriffs und von den Mullahs in Teheran mit der Vernichtung bedroht wird, darf sich darum foutieren.

Dass sich damit die israelische Regierung und ihre Armee genauso zum Paria machen wie die von religiösen Wahnsinnigen regierten Staaten um das Land herum, genauso wie die Terrororganisationen Hamas und Hetzbollah, wird ignoriert.

Eine zivilisierte Gesellschaft kann sich nicht barbarisch gegen Barbaren wehren. Auch putative Notwehr hat ihre Grenzen. Sonst gilt einfach die Macht des Stärkeren, die alles Recht bricht.

Die Grundlagen zivilisierten Zusammenseins sind spätestens seit Kant bekannt. Wer sich aus Unkenntnis oder wissentlich selbst darüber hinwegsetzt, unterscheidet sich nicht mehr vom Barbaren und verliert jegliche Legitimation für sein Handeln.

 

Was ist das für eine Welt,

bei der ZACKBUM nicht weiss, in welche wir in zehn Tagen zurückkehren.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!

An die Nachgeborenen. Bertolt Brecht, 1938

Es geschieht, was wir uns nicht vorstellen konnten. Manche hatten eine Vorahnung, aber la réalité dépasse la fiction, wie Niklaus Meienberg selig zitierte. Nicht die Welt ist übergeschnappt, also nicht mehr, als sie es ohnehin war. Aber an den mächtigsten Schalthebeln der Macht sitzt ein Mad Man, ein gekränkter Narzisst, so viel mal gescheitert, dass ihm schlichtweg alles zuzutrauen ist.

Als er wie ein Berserker mit presidential orders alles zu übersteuern versuchte, was Checks and Balances in den USA seit vielen Jahren einigermassen im Gleichgewicht hält, sahen das einige als erfrischenden Neuanfang nach der Agonie eines senilen Greises, der zwar nicht mehr ganz Herr seiner Sinne und Wahrnehmung war; vielleicht gaga, aber nicht verrückt.

Nun kommt der grosse Baumeister, der nichts als Trümmer hinterliess. Gescheiterter Grössenwahn, noch schlimmer als seine reine Form.

Die Annexionspläne für Grönland und Panama, nötigenfalls mit Waffengewalt. Der moderne Big Stick («ich liebe das Wort Zölle»), die sofortige Amnestie für die Kriminellen, die das Capitol stürmten, um die demokratische Bestätigung seines Nachfolgers zu verhindern.

Und nun der völlig irre Plan, den Gazastreifen wie ein gigantisches Immobilienprojekt zu schaukeln, wo nicht Mieter, sondern die Bewohner ihrer Heimat rausgeschmissen werden. Wohin mit ihnen? Ach, das wird sich schon ein «gutes, frisches, schönes Stück Land» finden, irgendwo im Nirgendwo.

Es gibt seit dem Zweiten Weltkrieg durchaus wackelige supranationale Institutionen, ein Völkerrecht, eine Deklaration der Menschenrechte. Alles Stückwerk, unvollkommen. Aber zumindest der Versuch, unbeschränkte Macht zu begrenzen. Und den Rechtsstaat, auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Aber unsere letzten Bollwerke gegen Willkür, Faustrecht, Barbarei.

Nun ist der neighborhood bully wieder zurück. Nicht nur aus eigener Kraft. Sondern auch, weil seine Gegner sich in woken Korrektsprech-Transgender-Wahnsinn verlaufen hatten, nur lachhafte Alternativen zu bieten im Stande waren.Wer in Biden oder Harris valable Gegenkandidaten sah, ist mindestens so plemplem wie der grösste Lümmel aller Zeiten (Grölaz). Der sich selbst als Dealmaker sieht, dabei zieht er eine Spur der Verwüstung durch sein Geschäftsleben, hat anderen Milliardenverluste beschert, ist selbst nur mit Hilfe einer Anwaltriege und dem merkwürdigen Justizsystem der USA dem Knast bislang entgangen.

An seinen Taten zerschellen alle Worte, jegliche Vernunft schleppt sich verwundet vom Schlachtfeld der Lufthoheit über die öffentliche Meinung. Man bekommt wieder einen tiefen Einblick in die Abgründe der Dummheit, wenn man die viel zu vielen liest und hört, die so tun wie der Besitzer eines kläffenden Köters, der seine Zähne bleckt, während er sagt: er will doch nur spielen, und ich habe ihn an der Leine.

Der Mann hat erst angefangen, und wie die Welt aussieht, wenn er in knapp vier Jahren abtritt, wagen wir uns nicht vorzustellen. Die Fantasie reichte auch nicht dazu aus. Welches Genies bedürfte man, um die passenden Bilder, Metaphern dafür zu finden. Stattdessen Gewäffel und wortvolles und fassungsloses Erstaunen.

Niemals war es so offensichtlich, dass wir Wortkünstler, wir eingebildeten Intellektuellen mit unseren Kriegstänzen um verlöschende Feuer der Rationalität zwar mit grossem Tamtam auf die Resonanzkörper der Multiplikatoren hauen. Warnen, raten, mahnen und labern – aber völlig wirkungslos sind. Eine Zierleiste, die sich selbst zu wichtig nimmt und um das Eingeständnis mit Selbstbetrug herumbiegt, dass sie die Oberhoheit über den Diskurs hätte. Dabei sind wir wie Schmeissfliegen, die über einem grossen Haufen Scheisse summen, dabei sogar viele in Lohn und Brot stehen.

Oder einen kleinen Blog betreiben. Mit keiner anderen Letztbegründung als: Schreibzwang. Es macht Spass, aber das lässt nach.

Eine regelbasierte Ordnung, die es dem Menschen erlaubt, das zu suchen und zu finden, was er für sein kleines Glück hält. Die Abwesenheit von Gewalt, Unrecht, eine Kraft, die die Macht in die Schranken weist und ihr die Begründung verweigert: ich bin stark, du bist schwach, was willst du gegen mich. Ist das zu viel verlangt?

Nie war das vollkommen, so viele Male wurde es aufgebaut, um wieder zerstört zu werden. Die grosse Hoffnung der Menschheit, das langsame Voranschreiten auf dem schmalen Weg der Vernunft durch dunkle Nacht, die nächste Generation steht auf den Schultern der vorhergehenden, das Paradies kann von dieser Welt sein. Davon träumte der Marxismus und so viele mehr. Die Aufklärung, el siglo de las luces, das Jahrhundert des Lichts, wie das nicht nur der grosse Poet Alejo Carpentier nannte. Montesquieu (nur geteilte Macht ist gezähmt), Voltaire, Diderot, die grosse Französischen Revolution, die zuerst festlegte, dass jeder Mensch unveräusserliche Rechte habe, nur weil er Mensch ist, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung zuvor, die den pursuit of happiness, das Streben nach Glück, zum Menschenrecht ernannte.

Und die grosse Oktoberrevolution, angeführt von einem Jahrhundertgenie namens Lenin. Und wie endete das alles. In Terreur, im Stalinismus. Wenn die Tugend den Absolutheitsanspruch erhebt, l’ami du peuple, der zu seinem schlimmsten Feind wird, ist sie nicht minder schrecklich als jede diktatorische Herrschaft. Ihre Adepten sind noch heute unter uns, die Inquisitoren der zweifellosen Rechthaberei.

Also ist die Geschichte doch wohl wie ein Rad. Es dreht sich unablässig am Ort, was hinaufkommt, geht wieder darnieder, ewiglich. Wie es das Genie Shakespeare in seinen Königsdramen beschrieb, die eine zeitlose Gültigkeit haben wie kein Werk danach.

So kann man gut klugscheissen, wie es schon so viele zuvor vergeblich taten. Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Lincoln Steffens, Carl von Ossietzky und so viele mehr, die Ahnengalerie wie Schatten an der Wand. Die Philosophen mit ihren Welterklärungen, von Platon über Kant, Hegel bis Habermas. So voller kluger Gedanken, so viel Reflexion über das Selbst als sich erkennendes Subjekt und Objekt und sein Verhältnis zur Wirklichkeit.

So gültige Sitze wurden gefunden und sind verweht, wirkungslos: Das Unrecht, das dem Einzelnen widerfährt, ist eine Bedrohung für alle.

Letztlich ist es doch so, wie es Tucholsky vor seinem Ende beschrieb:

Die religiösen Welterklärung auf der Suche nach Sinn und Halt, voller leerer Versprechungen, immer endend in einer degenerierten Pfaffenkaste, die es sich hier Wohlergehen lässt und die Gläubigen auf die Verheißungen eines Jenseits vertröstet. Und wer nach dem Tod erwachte, müsste schmerzlich erkennen: es kommt nichts nachher.

Wenn die Worte alle werden und nur hohl verwehen, hilft einzig der Rückgriff auf einen, der es, soweit es uns gegeben ist, in Gedanken fasste.

Gegen Verführung

Laßt Euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.

Laßt Euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird Euch nicht genügen,
wenn Ihr es lassen müßt!

Laßt Euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.

Laßt Euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann Euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher.

Brecht

 

 

Unser Sorgenkind am Samstag

In der NZZ ist vieles gut. Aber …

Gar nicht gut ist, wenn der Name Barbara Bleisch auftaucht. Denn die Westentaschenphilosophin hat eigentlich ihre langjährige Belästigungs-Kolumne bei Tamedia aufgegeben.

Doch das Aufatmen war nur von kurzer Dauer. Da sie unermüdlich in der öffentlichen Wahrnehmung vorhanden sein will, benützt sie jede Gelegenheit, Flachheiten zu publizieren. Leider ist die NZZ da willfähriger Helfershelfer. Aber Hand aufs Herz, wenn sich der Inhalt eines sogenannten «Essays» problemlos so zusammenfassen lässt, warum in Hegel und Kants Namen muss dann die NZZ zwei Seiten Feuilleton darauf verschwenden?

Wenn ein «Essay» so jämmerlich flach beginnt, wieso hatte da ein Verantwortlicher nicht ein Einsehen mit dem Leser?

«Wenn es zuweilen heisst, über Geschmack lasse sich nicht streiten, gilt das wohl auch für die Frage, was stört. Was die einen irritiert, juckt die anderen offenbar nicht im Entferntesten.»

Das ist von einer dermassen erschütternden Banalität, dass man Bleisch schon ein gut ausgebildetes Selbstbewusstsein attestieren muss, dass sie sich das traut.

Schnell kommt das übliche Namedropping à la Bleisch, denn sie weiss schon, dass ausschliesslich Banalitäten doch etwas an ihrem Ruf als «Philosophin» kratzen würden. Also macht sie diesen Untergriff:

«Wer hat sich nicht schon über ein lästiges Insekt im Schlafzimmer geärgert und mit einer Zeitung oder einem Hausschuh bewaffnet nach dessen Leben getrachtet? Umso erstaunlicher, dass Sokrates ausgerechnet dieses Tier adelt, indem er sich selbst und sein Philosophieren mit ihr vergleicht.»

Ein Insekt im Schlafzimmer, daran geknüpft ein Aufschwung zu Sokrates. Muss man können. Denn Sokrates soll sich doch tatsächlich mit einer Stechfliege verglichen haben. Auch ihm sind nicht alle Metaphern geglückt, aber macht doch nix.

Aber wo Sokrates ist, da ist der Mann im Fass auch nicht weit: «denken wir etwa an Diogenes von Sinope, der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebte und bekannt ist für seine radikale Ablehnung sozialer Konventionen.» Dass von Diogenes so gut wie nichts direkt überliefert ist, hindert Bleisch natürlich nicht daran, den von Plutarch ein paar Jahrhunderte später überlieferten Spruch zu wiederholen. Obwohl das «geht mir ein wenig aus der Sonne» gegenüber der Frage Alexander des Grossen, was er denn für Diogenes tun könne, ungefähr so albgenudelt ist wie die Kleine Nachtmusik von Mozart oder der «Lettre à Elise» von Beethoven.

Zur Sicherheit legt Bleisch noch einen Namen drauf: «Auch Friedrich Nietzsches wortwörtlich explosives Bekenntnis «Ich bin Dynamit!» steht in dieser Tradition.» Wortwörtlich explosiv, aber hallo.

Aber irgendwie geht es hier scheint’s auch um Erkenntnis und so, und da darf natürlich einer nicht fehlen. Auch wenn er nur einen kurzen Gastauftritt hat. Wer? Na, Immanuel Kant natürlich, Dummerchen.

Und so mäandert es sich um den Begriff Störenfried herum und heraus. Aber hat die Dame eigentlich ein Anliegen, eine conclusio, wie sie sicher gerne sagen würde? Nun ja, sort of, wie der Engländer da sagt:

«Angesichts der Tatsache, dass in unserer Welt Hunger und Not, Entrechtung und Einsamkeit keineswegs der Vergangenheit angehören, dass populistische Zyniker in vielen Erdteilen nach der Macht greifen und wir die Klimakrise nicht im Ansatz hinreichend entschlossen angehen, ist keine sich duckende Herde gefragt, sondern gefragt sind Menschen, die den Blick heben und um sich schauen, nicht um in erster Linie die eigene Lage zu verbessern, sondern um für entschlossenes Handeln einzustehen.»

Also Menschen wie Bleisch. Die am Schluss gerne immer wieder auf Simone Weil hinweist. Wohl weil das auch eine Frau ist und auch jemand völlig Unbedeutender. Und als Absackerchen dann noch ein Allerweltszitat von Max Frisch, fertig ist die Katastrophe.

Hunger und Not, Entrechtung und Einsamkeit, furchtbar, und dann diese sich duckenden Herden, die aber überhaupt nicht gefragt sind. Gefragt sind hingegen, da wird es wieder dunkel, das Dichterwort, Menschen, die den Blick heben. Wozu? «Nicht um in erster Linie die eigene Lage zu verbessern, sondern um für entschlossenes Handeln einzustehen.»

Hä? Aus der duckenden Herde heben einige den Blick. Damit wollen sie nicht etwa die eigene Lage verbessern, obwohl man das mit Blicken vielleicht nicht unbedingt kann. Aber nein, ihr Blick soll für entschlossenen Handeln einstehen.

Das möchte ZACKBUM sehen. Bitte mit Foto. Der Blick, der für entschlossenes Handeln einsteht. Und selbst wenn man sich das schräge Sprachbild vorstellen könnte, worin bestünde denn dann das entschlossene Handeln?

Schreibverbot für Bleisch einfordern? Faule Eier auf die Fassade der NZZ werfen? Diogenes, Sokrates, Plutarch und Kant um Verzeihung bitten?

So ist’s halt immer mit der höheren Philosophie. Schwer verständlich ist sie. Eine Seite Kant ist nur was für Wildentschlossene. Zwei Seiten Bleisch, das hingegen ist nur was für Masochisten. Für Liebhaber des obskur Banalen. Für Freunde des Namedropping. Für Möchtegerns, die gerne auch mal sagen möchte:

Auf der Jagd nach einem Insekt im sokratischen Sinn könnte man auch Nietzsche explodieren lassen, wobei in der Kritik der reinen und der praktischen Vernunft Kant darauf hinwies, dass nur der erhobene Blick den Ausgang aus der selbstverschuldeten Mückenplage ermöglicht.

Damit kann man ungeheuer Eindruck schinden. Allerdings nur bei leicht unterbelichteten Zuhörern.

Alles eine Frage der Moral

Wohin Sittenverluderung führen kann.

Von Israel lernen, heisst Doppelmoral und Heuchelei lernen. Nicht irgendwer, sondern Israels Finanzminister Bezalel Smotrich sagte in einer Rede, es sei «gerecht und moralisch», die zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens auszuhungern, bis die israelischen Geiseln zurückgekehrt sein. Aber, fügte er bedauernd hinzu, «die Welt würde das nicht zulassen».

Das vollständige Zitat:

«In der heutigen globalen Realität ist es unmöglich, Krieg zu führen – niemand auf der Welt würde zulassen, dass wir zwei Millionen Bürger verhungern und verdursten lassen, auch wenn es gerecht und moralisch wäre, bis sie unsere Geiseln zurückgeben.»

Laut unabhängigen Beobachtern behindert Israel schon lange Nahrungsmittellieferungen in den Gazastreifen, die Regierung bestreitet das.

Wie moralisch verkommen muss ein Mensch sein, der so etwas sagt? Wie verludert müssen die Sitten in einer Regierung sein, dass ein Minister so etwas sagen darf?

Schnell kommen nun die Relativierer und Whatboutism-Künstler aus ihren Löchern und weisen auf das Massaker vom 7. Oktober hin. Auf das erklärte Ziel des Iran, der Hamas und der Hezbollah, sowie weiterer arabischer Staaten, Israel von der Landkarte zu tilgen. Auf die unzähligen Selbstmordattentate und Terrorakte, die diese fundamentalistischen Wahnsinnigen zu verantworten haben. Auf deren völlig fehlende Bereitschaft, zu einer Verhandlungslösung zu kommen.

Das ist alles richtig.

Aber: Moral ist nichts Relatives. Sondern absolut. Das ist ihr konstituierendes Merkmal, von Immanuel Kant unnachahmlich und gültig hergeleitet. Bei Moral gibt es kein «ja, aber». Kein «im Prinzip schon, aber in diesem Ausnahmefall nicht». Und erst recht kein «die auch, also dürfen wir ebenfalls».

Wer mit der moralischen Überlegenheit des Guten den Kampf gegen das Böse führen will, muss das legitimieren können.

Also muss er sich an das halten, was Kant bislang unübertroffen definiert hat:

«Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.»

Nun kommen die Relativierer aus den Löchern und sagen: Wenn man sich menschenverachtenden, keinerlei moralische Prinzipien befolgenden fundamentalistischen Wahnsinnigen gegenüber so verhält, dann kann man auch gleich Selbstmord begehen.

Das ist völlig falsch. Ein Mensch (oder ein Gemeinwesen), das sich nicht an diesen kategorischen Imperativ hält, ist innerlich verfault, morsch, wird früher oder später untergehen. So war es schon immer in der Geschichte.

Schon kommen die persönlich Betroffenen aus den Löchern und sagen: wenn dein Allerliebstes Opfer einer brutalen und grausamen Gewalttat geworden wäre, dann würdest du auch nicht für Milde für den Täter, verstehen, rechtliche Prinzipien und Resozialisierung plädieren.

Aber genau aus diesem Grund wurde die Blutrache, das Faustrecht und die Lynchjustiz abgeschafft. Weil der einzelne Betroffene verständlicherweise oftmals nicht in der Lage ist, sich an moralische Prinzipien zu halten. Genau dafür gibt es all das, was Amokläufer wie Markus Somm ablehnen: Regelwerke, Kontrollinstanzen, Recht. Statt ruchlose Barbarei.

Das hat sogar die Bibel ziemlich gültig formuliert, obwohl sie nur für Gläubige Letztbegründungen liefert:

«Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele

Wer sich nicht daran hält, ist keinen Deut besser – zumindest nicht moralisch überlegen – als ein Hamas-Wahnsinniger. Beginnt Relativierung, dann kommt es nur noch auf den Blickwinkel an. Die Iraner, die Hamas, die Hetzbolla halten ihr Vorgehen für gerechtfertigt, moralisch vertretbar, gesegnet durch den Islam.

Früher hielten auch Christen während den Kreuzzügen ihre Blutsäuferei und ihr hemmungsloses Abschlachten und Waten im Blut bei der Eroberung des heiligen Jerusalem für moralisch völlig einwandfrei, weil mit dem Segen der Kirche versehen. «Deus lo vult» ist die christliche Version von «im Namen Allahs». Mit beiden amoralischen Sätzen entäussert sich der Einzelne seiner moralischen Verantwortung und verlagert sie nach oben.

Auf einigen wenigen Inseln der Vernunft und der Moral sind wir aus solchen barbarischen Vorstellungen und Rechtfertigungen herausgewachsen.

Jede Konfrontation mit brutalen Barbaren ist eine neue Herausforderung. Hier zeigt sich, welche amoralischen Charakterlumpen bereit sind, die Prinzipien unserer Zivilisation, die einzige gültige Begründung für unsere moralische Überlegenheit und unser Recht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, über Bord zu werfen.

Diese Amokläufer unterscheiden sich im Kern in nichts von islamistischen oder fundamentalistischen Wahnsinnigen. Sie sind genauso verächtlich und müssen immer wieder scharf kritisiert werden. Eigentlich sind sie noch schlimmer. Denn im Gegensatz zu Fundamentalisten hatten sie die Möglichkeit, sich mit den Grundzügen und den Gesetzen einer höheren Moral vertraut zu machen. Aber sie sind offensichtlich nicht charakterlich gefestigt genug, um sich daran zu halten.

Für unsere Zivilisation, die wir verteidigen müssen, sind sie mindestens so gefährlich wie die Taliban. Sie sind geistige Selbstmordattentäter. Bereit heute das, morgen dies zu verteidigen und anzupreisen. Sie frohlocken «vom Sozialismus lernen, heisst siegen lernen». Sie behaupten «von der Sowjetunion lernen, heisst siegen lernen.» Dann grölen sie: «Von Israel lernen, heisst siegen lernen.» Morgen schon jubeln sie: «Von China lernen, heisst siegen lernen.» Das kommt eben davon, wenn man ungefestigt ist, seinen moralischen Kompass verloren hat, heute verrät, was man gestern noch als moralisch gut angehimmelt hat.

Es gibt nichts Verächtlicheres.

Wenn die NZZ gründelt,

dann bräuchte es etwas mehr Niveau …

Die gute Nachricht war, dass die Westentaschenphilosophin Barbara Bleisch bei Tamedia aufgegeben hat. Dafür hat aber die NZZ den Hosentaschenphilosophen Peter Strasser. Der versucht immer wieder, vor sich hin zu geistreicheln. Allerdings die Voraussetzungen …

Das ist natürlich eine ganz gewichtige Frage, so knapp hinter «woher komme ich, wer bin ich, wohin gehe ich?». Zunächst muss Strasser beklagen, wie schon so viele vor ihm (und so viele nach ihm), dass die Zeiten nicht mehr so sind wie früher: «Die systematische Enthemmung von Hass und Gewalt, die sich heute an allen Ecken und Enden der Welt manifestiert, wirft erneut die Frage nach dem Bösen auf. Sie schien in Zeiten des Fortschritts obsolet geworden.»

Welche Zeiten des Fortschritts meint er da wohl? Die Zeiten der Aufklärung, die in Blutbädern im Namen des Guten endeten? Gar die Zeiten des letzten Jahrhunderts, wo es bis heute unerreichte Enthemmungen von Hass und Gewalt gab?

Aber das «laufende Kant-Jahr» plus «die gegenwärtige Weltlage» gebe Anlass, «wieder ausführlicher über das Böse nachzudenken». Das mag sein, allerdings ist ein wenig Biologismus à la Lorenz, der unvermeidliche und wenig ausgelotete kategorische Imperativ von Kant und die unvermeidliche «Banalität des Bösen» bei Hannah Arendt vielleicht eine gar dünne Suppe. Dass Cesare Lombroso vom «geborenen Verbrecher» fantasiert hatte, ist zwar richtig. Dass er den allerdings an körperlichen Merkmalen wie eine besondere Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen identifizieren wollte, schuf nicht nur die Grundlagen für die wahnhaften Rassentheorien der Nazis, sondern ist blühender Unsinn.

Auch der Abstecher zu Kant, gespiegelt an einer geschmäcklerischen Kritik Goethes, gerät doch arg kurz. Denn wohl kaum ein moderner Philosoph hat sich so umfangreich mit dem Problem des Bösen und des Guten beschäftigt, um zur pessimistischen Aussage zu kommen: «Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden

Vor etwas dickeren Brettern schreckt Strasser allerdings zurück, deshalb lässt er Hegel beiseite: «Das Gute ist überhaupt das Wesen des Willens in seiner Substantialität und Allgemeinheit – der Wille in seiner Wahrheit; – es ist deswegen schlechthin nur im Denken und durch das Denken.» Darüber müsste man nun ein Weilchen nachdenken, um es auch nur umrissartig zu verstehen.

Stattdessen verliert sich Strasser lieber in der altbekannten Typologie der psychopathischen Persönlichkeiten; im Wesentlichen unterschieden als solche, die im Wissen um das Böse ihres Tuns handeln – und solche, denen diese Fähigkeit abgeht.

Daran geistreichelt er dann herum: «Das radikale und das strategisch Böse verkörpern zwei Arten der Unmoral, die ineinanderfliessen und dabei doch unterschiedlich wahrgenommen werden.» Es ist immer super, wenn man zur Begriffserklärung (radikal oder strategisch) ein weiteres Kriterium (Unmoral) herbeizieht, das man verabsäumt zu definieren. Daraus entsteht dann erkenntnistheoretischer Brei, philosophischer Dünnpfiff.

Ergänzt um das Beklagen garstiger Zustände: «Kriege und Konflikte prägen das Bild der heutigen Welt, statt Völkerverständigung herrscht Völkerfeindschaft.» Im Gegensatz zu welcher Welt? So ausserhalb des Paradieses? Dann schmeisst Strasser, weil das immer gut kommt, noch einen Sprutz Habermas in seinen Brei:

«Wenn aber Europa und die USA sowie jene Länder, welche die «Kontur des Westens» (Habermas) mitformen, die Freiheit ihrer demokratischen Gesellschaftssysteme und die humanen Errungenschaften der Aufklärung aufrichtig in die Zukunft retten wollen, dann dürfen sie vor den Gewalten des Bösen, wie und wo immer sich diese manifestieren, nicht zurückweichen

Die humanen Errungenschaften der Aufklärung in die Zukunft retten? Dafür seien nur die Länder Europas, die USA und ganz wenige weitere auserwählte fähig? Welch ein Rückfall in platten Eurozentrismus.

Aber all das ist nicht das Schlimmste an diesem Essay. Das verbirgt sich im letzten Satzteil. Diese «westliche Kontur» (meine Güte, wie kann man den armen Habermas mit seiner intelligenten Diskursethik nur so flachklopfen) ist vereinfacht gesagt das Gute. Das muss den «Gewalten des Bösen» entgegentreten. Die verkörpern sich in eigentlich allen anderen. insbesondere in Russland, China, der arabischen Welt.

Ob allerdings «das Bessere» (was ist denn das schon wieder?) siegen werde («nicht zuletzt dank neuer innerer Geschlossenheit und wiedererlangter militärischer Stärke»), das sei dann «eine Frage, auf die es zurzeit keine Antwort gibt».

Aber die alles entscheidende Frage bei einer Abhandlung über das Böse, die lässt Strasser  weg. Unbeantwortet. Was dieses Essay zu einem ärgerlichen Flop macht. So sehr er sich auch bemüht, ein paar Gedankensplitter zum Bösen zusammenzutragen: wie definiert sich dann eigentlich das Gute? Ausserhalb religiöser Wahnvorstellungen gibt es keine absolute Sicherheit darüber.

Noch wichtiger: gibt es eine Grenze, wo das Gute (vorausgesetzt, wir können uns auf eine kursorische Definition einigen) ins Böse umschlägt? Heiligt der gute Zweck die bösen Mittel? Ist es nicht vielmehr so, dass meistens nicht im Namen des Bösen, sondern im Namen des Guten unvorstellbare Gräueltaten vollbracht wurden? Ist das vermeintliche Wissen um das absolut Gute nicht gleichzeitig Ausdruck des absolut Bösen? Ist das nicht die dunkle Seite der Aufklärung, die Philipp Blom in seinem brillanten Essay «Gefangen im Panoptikum» glänzend dargestellt hat?

Das sei allen, die durch diese brackigen Gewässer voller philosophisch Abgestandenem gestolpert sind, herzlich zur Lektüre empfohlen.

 

Was macht eigentlich …

… die «Schweiz am Wochenende»?

Denn sie verkörpert die Zukunft des Printjournalismus. Nach der Zusammenlegung der Redaktionen (begleitet von den üblichen Sparmassnahmen, vulgo Rausschmeissen), kommt als nächster Schritt die Aufgabe der Printversion am Sonntag. Und/oder die Aufgabe einer Extra-Sonntagsausgabe. Teuer, Distribution ein Alptraum, die Wochenqualität ist sowieso schon durch Tagesqualität ersetzt.

Da geht der Wannerclan mutig voran. Nicht nur beim Rausschmeissen. Schon seit geraumer Zeit gibt es die ehemalige Sonntagszeitung als «Schweiz am Wochenende». Und das fängt bekanntlich am Samstag an und lässt sich daher kostengünstig schon am Freitag herstellen. Als nächstes wird die Montags-Printausgabe dran glauben, denn die muss kostenträchtig am Sonntag hergestellt und gedruckt werden.

Aber konkret, wie sieht denn die Ausgabe vom vergangenen Samstag so aus? Aus dem Cover lässt sich, im Gegensatz zur SoZ, noch wenig schliessen. «300 Jahre Immanuel Kant», das legt das Bildungsniveau schön hoch. «Die Schauspielerin ist in aller Munde», das legt das Sprachniveau schön tief. Dann die Fake News des noch jungen Jahres: «Eine Mehrheit will zukünftig auf das eigene Auto verzichten». In Umfragen vielleicht, im der Realität niemals. Und dass 2024 weltweit anscheinend zwei Milliarden Stimmbürger an die Urnen gerufen werden, hübsch. Aber ist das nicht immer mal wieder so?

Immerhin, mit einem solchen Zusammenschrieb lassen sich fast zwei Seiten füllen, allerdings nur, wenn man ein Riesenfoto von Donald Trump zu Hilfe nimmt. Dann kommt Ausgewogen-Belangloses, bis sich Francesco Benini an Frank A. Meyer abarbeitet. Als wolle er auf ZACKBUMs Spuren wandeln, haut er Ringiers ewigem Machthaber ohne Verantwortlichkeit kräftig eine rein: «Er schmeichelt sich ein bei den Mächtigen», schlimmer noch: «Seine Methoden sind heute in Verruf geraten», so gratuliert ihm Benini zum 80.

Genüsslich reibt er Meyer seine Nähe zu den Mächtigen, seine Rolle als Einflüsterer im Bundesrat, seinen Riesenflop beim damaligen Schweizer Botschafter in Berlin rein. Seinen Aufstieg im Verlag erklärt er so, dass Meyer zwar von Bruder Christoph Ringier in den Verlag geholt worden sei, sich dann aber auf die Seite von Michael geschlagen habe und sein Votum bei Mutter Ringier den Ausschlag gegeben habe: Christoph verliess bekanntlich das Unternehmen, Michael wurde zum Alleinherrscher.

Das «Dîner républicain» in Locarno, Frank-Walter Steinmeier als Preisträger, der sich mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz revanchierte, das Engagement von Gerhard Schröder als Berater, dass sich Meyer zum 80. von seiner eigenen Frau interviewen lässt, die in Auftrag gegebene Biographie von Lohnschreiber René Lüchinger (auf diesem Gebiet immer im Nahkampf mit Karl Lüönd), die zur Schlusspointe taugt, Benini lässt eigentlich nichts aus, um Meyer runterzumachen.

Nun polarisiert der Mann ungemein. Aber eine Würdigung zum 80. müsste auch beinhalten, wie er es eigentlich geschafft hat, sich so viele Jahre, manchmal in der Geschäftsleitung, manchmal ausserhalb, als zweitmächtigster Mann ohne Verantwortungsbereich in einem Milliarden-Medienkonzern zu halten. Und nicht alles, was er geschrieben hat, ist schlecht oder flach. Er arbeitet sich im Weinberg der Sprache ab, sucht nach dem passenden Wort, der treffenden Formulierung. Hat in seinen besten Zeiten eine didaktische Schreibe entwickelt, mit der er die Leser auf seinen Gedankengängen mitnimmt.

Bei all seinen Flops und Eitelkeiten war er immer ein Journalist mit Herzblut, der für Qualitätsjournalismus (so wie er ihn versteht) eintritt. So etwas gibt es weder bei CH Media noch bei Tamedia. Vielleicht sollte man da zu gewissen Gelegenheiten die Häme herunterfahren und versuchen, ein literarisch anspruchsvolles Porträt zu schreiben. Aber versuchen kann man nur, was man kann.

Dann die Mutprobe; Aufmacher und Schwerpunkt im Bund «Wochenende» ist Immanuel Kant. Angekündigt als der «Maestro des Denkens». Grosses Thema, würde intellektuelle Grosstaten verlangen. Aber Raffael Schuppisser lässt’s bei Kleingeld bewenden. Er interviewt einfach einen Zeitgeist-Philosophen und stellt ihm Primarschülerfragen: «Wo ist Kant nach wie vor verblüffend aktuell», bitte den kategorischen Imperativ erklären (was der Philosoph dann nicht tut), was würde Kant zu Wokeness sagen, die Definition von Aufklärung, sozusagen die «Kleine Nachtmusik» der Philosophie, die Hamas sei «eine Rotte des Bösen», an der durchgeistigten Durchdringung der Aktualität scheitert dann der Philosoph.

Mit der Feier von Jubiläen hat es CH Media ganz allgemein nicht so. Der Beitrag zu «50 Jahre Kassensturz» kommt über eine reine Aufzählung vergangener Taten und Köpfe nicht hinaus.

Das «Lexikon für den gepflegten Smalltalk» ist hingegen ein nettes Zeitgeiststück, das den Leser unterhält.

Fazit? In vielem unaufgeregter als Tamedia. Allerdings scheitert CH Media an Würdigungen, und wenn man sich Kant vornimmt, dann sollte der Redaktor schon eine vertieftere Ahnung von diesem Philosophen haben, damit er im Interview den selbsternannten Nachfolger etwas besser in die Zange nehmen kann, wenn der sich in Flachheiten verliert.

Wumms: Irène Kälin

Wie peinlich darf’s denn sein?

Wir erinnern uns noch an ihren Frontbesuch in der Ukraine – inszeniert als Fotoromanza, als Gemeinschaftsproduktion mit dem «Blick». War das peinlich. Aber Kälin kann noch einen drauflegen.

««Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt», wusste schon Kant», will Kälin wissen, als sie die SoZ zum Thema Meinungsfreiheit befragt. Leider knapp daneben. Diesen Satz, der gelegentlich auch Rosa Luxemburg zugeschrieben wird, hat Kant nie gesagt.

Bekanntlich pflegte sich der Philosoph etwas komplizierter auszudrücken. Daher wurde ihm dieser Satz erst rund 100 Jahre nach seinem Ableben unterschoben.

Am nächsten kommt ihm wohl folgende Formulierung des Denkers:

«Niemand kann mich zwingen auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des Andern) nicht Abbruch.»

Aber für eher einfache Gemüter ist das halt schon etwas komplex …

Erhabener Quatsch

Westentaschen-Philosophie im Qualitätskonzern Tamedia.

Der normale Tamedia-Journalist ist nur durchschnittlich peinlich. Gut, es gibt Ausnahmen wie Loser oder Tobler, aber auch sie kommen nicht über die Kategorie «schweres Fremdschämen» hinaus. Die Gazetten sind allerdings, mangels Eigenleistungen, und wirklich alles kann man auch nicht aus München übernehmen, von Kolumnitis befallen.

Also keiner zum klein, Kolumnist zu sein. Das gilt auch für keine. Das gilt besonders für die Westentaschen-Philosophin Barbara Bleisch. ZACKBUM ist sich sicher: hätte sie ein anderes Geschlecht, sie wäre schon längst entsorgt worden. Das hätte allerdings zur Voraussetzung, dass es noch ein Qualitätsmanagement und/oder einen minimalen Qualitätsanspruch gäbe.

Da es den nicht gibt, wird der zahlende Leser hiermit gequält:

Schon der Titel ruft: lies mich nicht. «Post-Ferien-Kater»? Abgesehen von der geholperten Form: kann man im Zeitalter der korrekten Genderei überhaupt noch Kater verwenden?

Aber gut, der Leser ist vorgewarnt, wer sich dennoch auf den Text einlässt, wird nicht enttäuscht: der Adrenalinspiegel steigt, man greift sich an den Kopf, man ist kurz belustigt, dann ernsthaft beleidigt. Und fühlt sich bemüssigt, Schmerzensgeld einzufordern. Jeder ist selber schuld, wenn er auch noch den ersten Satz übersteht: «Seit Montag hat uns die Scholle wieder.» Nein, sie meint damit nicht den Goldbutt, sondern ein Stück Erde. Als ob die Leser alle Bauern wären.

Dann lässt sich die Schande für den Begriff Philosoph darüber aus, dass alle Ratschläge, wie man am Arbeitsplatz Ferienstimmung bewahren könne, nichts nützen. Erkenntniswert bis hier: null. Unterhaltungswert: minus eins. Aber dann wird’s noch schlimmer, denn Bleisch erinnert sich auch in dieser Kolumne plötzlich daran, dass sie ja eigentlich als «Philosophin» schreiben sollte. Und die Hälfte des Platzes hat sie schon mit luftleeren Allgemeinplätzen gefüllt.

Nun aber, der Aufschwung: «In der Philosophie ist in diesem Zusammenhang von der Kategorie des «Erhabenen» die Rede.» Wow. Erhabenheit hat zwar null und nix mit einem «Post-Ferien-Kater» zu tun, aber nach einem Blick in Wikipedia unter das entsprechende Stichwort kann Bleisch mit Namen klimpern: «Erhabenheit hat, wie man beispielsweise bei Edmund Burke oder Immanuel Kant nachlesen kann ..

Denn worum geht’s? Erhabenheit habe «mit der Erfahrung überbordender Quantität zu tun: mit der unendlichen Weite des Ozeans, der überwältigenden Tiefe einer Schlucht, der gigantischen Grösse eines Dschungels, dem endlosen Sternenhimmel über uns». Ist doch praktisch, dass in Wikipedia die Entwicklung des Begriffs von der Antike bis Burke und dann ab Kant dargestellt wird. Leider hat Bleisch aber nicht weitergelesen, was Kant denn über den Ozean sagt:

«So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden.»

Ups.

Dass sie dann Hegel, Schiller, Adorno und das Erhabene in der Musik aussen vor lässt – es sei ihr verdankt, denn mehr erträgt der philosophisch ein wenig gebildete Leser wirklich nicht.

Aber Bleisch hat ja im Holper-Titel noch Rezepte versprochen; wunderbar, dass sie noch ganz am Schluss sich daran erinnert. Da muss der Leser noch ein letztes Mal ganz stark sein, tief einatmen, Nase zuhalten und durch:

«Wer in den Ferien dem Gefühl des Erhabenen auf der Spur war, wird im Alltag die Ehrfurcht vermissen, die einen beim Anblick schneebedeckter Alpenketten, weiter Täler und endloser Ozeane erfüllt. Zurück im Büro helfen dann am ehesten ein Paar Kopfhörer und Beethovens Fünfte, gern brechend laut. Mit einem guten Beamer lässt sich abends ausserdem die Wohnung mit David Attenboroughs atemberaubenden BBC-Naturfilmen fluten. Beides reicht vielleicht nicht ganz an die Erhabenheit in wilder Natur, dürfte die Dimensionen aber zumindest kurzfristig wieder zurechtrücken und den Ferienkater vertreiben.»

Was ist eigentlich das Gegenteil von erhaben? Vielleicht lächerlich, erbärmlich, niedrig. Oder aber, wir haben ein neues Antonym entdeckt, um es mal hochstehend bis hochtrabend auszudrücken. Das Gegenteil von erhaben ist «Bleisch-Kolumne».