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Kaltes Krematorium

Ein Buch, das man vielleicht nicht lesen sollte. Aber müsste.

Gerade in Zeiten, wo wirre Faschismus-Kreischen den Begriff zur Alltagsware machen und alles, was ihnen nicht passt und was sie nicht Arschloch nennen können, als Faschisten beschimpfen, tut es not, immer wieder darauf hinzuweisen, dass das nicht nur bescheuert, sondern auch eine Verhöhnung aller wahren Opfer des Faschismus ist.

Was hilft gegen das Verdummen und Vergessen? Zumindest die Illusion, dass lesen Erinnerung wachhält. Ein Freund von mir liest von Raul Hilberg «Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust». 30 Jahre Arbeit über die Täter, den Plan, das Tatschema, die Tat. Grauenhaft in seiner objektiven Kühle, hinter der die Hölle auf Erden lauert. Er tut es als selbst auferlegte Trauerarbeit.

Man kann von Eugen Kogon «Der SS-Staat» lesen, «Die Nürnberger Prozesse» vom amerikanischen Hauptankläger Telford Taylor. Man kann Reinhard Kühnl lesen, «Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten», oder von Ernst Klee «Das Personenlexikon zum Dritten Reich». Oder vom gleichen Autor «Was sie taten – was sie wurden».

Wer es mehr mit dem Plakativen hält, greife zum Grossformat «Faschismus» von Renzo Vespignani. Claude Lanzmanns Verschriftlichung seines Dokumentarfilmes «Shoah». «Das Diktat der Menschenverachtung» über den Nürnberger Ärzteprozess, herausgegeben von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Wer nach Mut sucht, lese «Reichtagsbrandprozess», Materialien über Georgi Dimitroff. Ein Erklärungsversuch? «Die Massenpsychologie des Faschismus» von Wilhelm Reich. Oder die «Deutschland-Berichte» der Sozialdemokratischen Partei im Exil von 1934 bis 1940. «An die Lebenden» eine Sammlung letzter Briefe deutscher Widerstandskämpfer, meistens Kommunisten.

«Das Wort der Verfolgten», eine Sammlung von Schriften Deutscher im Exil, durch die Zeiten hindurch. Oder vielleicht auch «Anne Frank, Spur eines Kindes» von Ernst Schnabel. Wer’s erträgt, kann auch «Auschwitz, Zeugnisse und Berichte» lesen, herausgegeben von H.G. Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner.

Schon eines der Bücher genügt, um einen Blutrausch zu bekommen, wenn dumme Provokateure und Brandstifter im Nazismus, selbst in der SS auch nicht so schlechte Seiten entdecken wollen, um differenzierte Betrachtung der Zeit des Faschismus bitten, sich dagegen verwahren, dass alle, ausnahmslos alle, die mitmachten, Verbrecher seien. Natürlich waren sie es, in grösserem oder minderem Ausmass.

Ist es ein Zeitzeichen, dass viele dieser Bücher vergriffen oder nur noch antiquarisch erhältlich sind?

Wer all das erträgt, erträgt vielleicht ein Buch nicht, das erst siebzig Jahre nach seinem Erscheinen auf Deutsch erhältlich ist. Guido Kalberer weist verdienstvollerweise in der NZZ darauf hin. Der Titel seiner Rezension ist schon abschreckend genug: ««Die Deutschen sind das Volk der Musiker, der Denker – und der Sadisten», schrieb József Debreczeni. Die Brutalität in den Lagern der Nazis dokumentierte er bis ins hinterletzte Grauen.»

Kalberer ist sicherlich aus dieser Lektüre nicht ganz unbeschädigt herausgekommen, und er will wohl auch den potenziellen Leser warnen, sollte der ein zu sensibles Gemüt haben. Also beginnt er seine Rezension mit dieser Schilderung:

«Eines Tages wird József Debreczeni Zeuge einer Szene von beispielloser Perversion: Ein SS-Hauptsturmführer, Oberaufseher des Lagerkomplexes Gross-Rosen bei Breslau, besucht das Arbeitslager, in dem Debreczeni inhaftiert ist. Der einarmige Nazi mit Hochschuldiplom fragt einen Bewacher, auch er ein Häftling: «Wer ist dein bester Mann?» – «46514!», antwortet dieser. Der Mann mit der Nummer 46514 steigt aus dem Graben, in dem er geschuftet hat, zieht die Mütze vom Kopf und meldet sich untertänigst.

Der SS-Scherge tritt wortlos neben den jungen Mann, hält ihm den Revolver an die Schläfe und drückt ab. Der Häftling fällt in die Grube zurück, in der sein lebloser Körper dumpf aufschlägt. «Das war eine kleine Demonstration», sagt der SS-Hauptsturmführer lächelnd, «um zu veranschaulichen, dass selbst der beste Jude krepieren muss.» Das geschah am 6. Juni 1944, an dem Tag, als die Alliierten in der Normandie landeten.»

Józef Debreczeni wurde 1905 unter anderem Namen in Budapest geboren, emigrierte nicht weit genug nach Jugoslawien, überlebte Auschwitz und Gross-Rosen. 1950 erschienen in Jugoslawien seine Memoiren, er starb 1978 in Belgrad. Er berichtet, wie viele Augenzeugen in Lanzmanns erschütternder Dokumentation, scheinbar ungerührt über das Erlebte, und genau das macht es so unerträglich: ««Ich sehne mich nicht nach dem Leben, auch nicht nach dem Tod. Von keinem der beiden verspreche ich mir etwas.» Irgendwann denke man an den Tod nur noch wie an ein angenehmes, erfrischendes Dampfbad. Schlimmer als in den Arbeits- und Konzentrationslagern, wo das Leid allgegenwärtig sei, könne es nirgendwo sein.»

Kalberer, der nun auch schon viel Ergreifendes und Erschütterndes gelesen hat, warnt den Leser ausdrücklich:

«Wer den «Bericht aus dem Land namens Auschwitz», so der Untertitel von «Kaltes Krematorium», lesen will, sollte sich Zeit nehmen. Viele Passagen sind so erschütternd, dass man regelmässig Pausen einlegen muss – nicht nur Stunden, sondern Tage. Es fällt schwer, das, was geschildert wird, zu begreifen und zu verarbeiten.»

Also das Betreten eines Buchs auf eigene Gefahr. Aber auch dieses Werk sollte man allen Relativierern der braunen Pest um die Ohren hauen. Und allen Dummschwätzern, denen die Beschimpfung Faschist so leicht von den Lippen geht, weil sie keine Ahnung haben, aber zu viel Meinung.

Es gibt nichts absolut Böses auf der Welt, aber der deutsche Faschismus kam ihm so nahe, wie es nur menschenmöglich ist.