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Slalomkünstler Büttner

Wie hört sich eine mediale Entschuldigung an? Verlogen.

Tamedia hat – nicht nur bezüglich des Rammstein-Sängers Till Lindemann – ein Problem. Das Problem besteht darin, dass zu viele unqualifizierte Gesinnungsjournalisten losplappern, bevor sie auch nur eine Sekunde nachgedacht haben. Sobald das Wort «sexueller Übergriff» im Raum steht, fangen sie wie die Pavlowschen Hunde an zu sabbern, zu geifern und zu bellen.

Die Liste der Fälle ist lang. Aufgrund niemals belegter angeblicher Übergriffe hat sich sogar die damalige Führungsetage von Tamedia präventiv entschuldigt und betroffen gezeigt. Ein Verlust jeglicher journalistischer Ethik, Amnesie, dass Verdachtsberichterstattung etwas vom Übelsten ist. Dazu ein Machtmissbrauch.

Nun muss auch Tamedia damit umgehen, dass Lindemann – nach der Einstellung der Staatsanwaltschaft Berlin – das ist und bleibt, was er vor der wilden Hetzjagd auf ihn war: unschuldig. Unschuldig wie Andreas Tobler. Unschuldig wie Philipp Lo…, ups, diesen Namen wollten wir hier niemals mehr nennen. Unschuldig wie all die kleinen und grossen Japser, die sich tiefschürfende Gedanken über Machotum, das männerdominierte Rockbusiness und die Rolle der Frau darin machten.

Nun muss natürlich auch Tamedia seinen Lesern erklären, wieso man bei der Hetze mitmachte. Tobler hat sich dafür etwas disqualifiziert, also muss Jean-Martin Büttner in den saueren Apfel beissen. und zuschleimen, was sein eigenes Blatt verbrochen hat. Die Leserkommentare sind dementsprechend kritisch bis hämisch.

Büttner kann schreiben, aber hier ist er auf einer Mission impossible. Jeder Baustein seiner Argumentation zerbröselt bei genauerer Betrachtung. Ein Trauerspiel eines begabten Opportunisten. ZACKBUM seziert kurz:

  1. «Ihre Vorwürfe klangen aber so detailliert und fielen zugleich dermassen massiv aus, dass die Öffentlichkeit davon ausgehen musste, es müsse an ihnen etwas dran sein.» Musste «die Öffentlichkeit» das? Es ist wohl ein Unterschied, ob an den Klowänden des Internets, bei Facebook, Twitter & Co., anonyme Kreischen loskeiften – oder ob sich sogenannte Qualitätsmedien wie Tamedia daran beteiligen.
  2. «Ob das stimmt oder nicht, wissen wir auch jetzt nicht.» Büttner erfindet hier – analog zur Vorverurteilung – noch die Nachverurteilung. Nach der Devise: okay, es gibt nicht einmal eine Strafuntersuchung, weil an den Vorwürfen nichts dran ist. Aber wissen wir deswegen, ob wirklich nichts dran ist? Das ist schon sehr übelriechend.
  3. «Auch wenn sich die Vorwürfe gegen den Musiker nicht zu einer rechtlichen Klage konkretisieren lassen, steht ausser Frage, dass die Rockkultur aus einem sexistischen, männerdominierten Selbstverständnis heraus operiert. Und das seit Jahrzehnten. Dass diese Praxis jetzt öffentlich hinterfragt wird, ist eine positive Nebenwirkung der Kontroverse.» Nun stinkt’s zum Himmel. Lassen wir den Quatsch mit «nicht konkretisieren liess» beiseite. Da wird einer – nicht zuletzt von Tamedia – öffentlich ans Kreuz genagelt, obwohl er unschuldig ist, aber das habe auch positive Nebenwirkungen einer «Kontroverse»? Was für einer Kontroverse? Ist Vorverurteilung, Kolportieren anonymer Anschuldigungen neuerdings eine Kontroverse und nicht mehr üble Hetze?
  4. «Der Entscheid der Staatsanwaltschaft zeigt aber auch, wie unglaublich schwierig es ist, sexuelle Übergriffe zu belegen.» Was für eine dumme Verallgemeinerung. Der Entscheid der Staatsanwaltschaft zeigt einzig, dass es im Fall Lindemann nicht genügend Verdachtsmomente gab, um eine Strafuntersuchung zu rechtfertigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
  5. «Die Vorwürfe gegen Till Lindemann fielen so heftig aus und wurden auch von seriösen Zeitungen dermassen hartnäckig vorgebracht, dass sie einer Vorverurteilung gleichkamen.» Näher an eine Selbstkritik lässt es Büttner nicht kommen. Wäre Tamedia wirklich reuig, hätten hier Beispiele und Namen aus dem eigenen Schaffen genannt werden müssen. Da das nicht erfolgt, verpestet der Haut-gout von Heuchelei die Luft.
  6. «Deshalb zu verlangen, die Medien dürften erst dann berichten, wenn eine konkrete Klage vorliege, klingt moralisch integer. Aber die Forderung missversteht die mediale Aufgabe, über laufende gesellschaftliche Fragen zu debattieren.» Mediale Aufgabe, anonyme Anschuldigungen von Trittbrettfahrerinnen zu kolportieren? Das ist ja nicht mal witzig, sondern nur blöd.
  7. «Dass die Berliner Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Medien entschieden hat, belegt beiläufig etwas anderes, und es ist entscheidend: Trotz hohem öffentlichem Druck hat der Rechtsstaat funktioniert.» Ach ja? Damit ist Lindemann, nachdem auch Tamedia auf die Unschuldsvermutung geschissen hat – und das nicht zum ersten Mal – wieder rehabilitiert? Werden all die Verleumder und diejenigen, die ihnen grosse Plattformen boten, streng bestraft? Nein, wenn die Medien jedes Mass verlieren, nicht mehr in der Lage sind, verantwortungsvoll mit ihrer Macht umzugehen, dann hat auch der Rechtsstaat ein gravierendes Problem. Er hat hier nicht einfach gesiegt. Sondern Lindemann hat schlichtweg genug Geld, um sich seine Gegenwehr leisten zu können. Das unterscheidet ihn zum Beispiel von Finn Canonica. Wie Tamedia mit dem umspringt, spottet jeder Beschreibung und wäre einen Kommentar von Büttner wahrlich wert. Aber hallo, wes Brot ich ess …

Um es gepflegt auszudrücken: hier wird mit hohler Geste ein «nostra culpa» aufgeblasen, so unnütz wie ein Aufruf zu Frieden auf der Welt und gegen den Hunger. Gleichzeitig wird jedes Argument aus der Ecke gekratzt, das zur Salvierung des eigenen Organs dienen könnte.

Wenn Tamedia meint, dass damit Büttner ein paar Kartoffeln aus dem Feuer geholt hat, täuscht sich die Teppichetage ein weiteres Mal. Das ist bloss Leserverarsche, und der Leser ist nicht so dumm, das abzukaufen. Da müssten Bigboss Supino und Little Boss Birrer schon noch ein paar bessere Kunststückchen einfallen. Wenn ihnen das gegeben wäre.

Das Prinzip billige Rechtfertigung. 

«Weltwoche»: Bier her!

Auch das gut gelaunte Blatt des gepflegten Tischgesprächs leidet unter der Hitze.

Anders ist es nicht zu erklären, dass das sonst eher nüchterne Wochenmagazin ganze 15 Seiten dem Gerstensaft widmet. Das hat sicherlich überhaupt nichts mit diesen beiden Inseraten zu tun:

Nachdem das geklärt ist, können wir uns dem weniger flüssigen Inhalt widmen. Roger Köppel ist mal wieder begeistert. Das merkt man daran, dass er von «Viktor Orbáns grosser Rede in Dallas» schwärmt. «Hervorragend, selbstbewusst und humorvoll» habe der ungarische Autokrat für die «Werte des Westens plädiert: Christentum, Freiheit, traditionelle Familie, tiefe Steuern».

Freiheit und tiefe Steuern könnte man gelten lassen. Hier wird’s dann aber düster mittelalterlich: «Wir müssen unseren jüdisch-christlichen Lehren vertrauen», rief Orbán den Republikanern zu, «denn diese Lehren helfen uns zu entscheiden, welche unserer Handlungen gut und welche böse sind». Wer an Gott glaube, könne kein Rassist sein», zitiert Köppel zustimmend.

Ein Ayatollah hätte das auch nicht besser formulieren können, allerdings hätte er eher an Mohammeds Lehren gedacht. Wer an Gott glaubt, war und ist so was von einem Rassisten. Was Millionen und Abermillionen von versklavten, missbrauchten, wie Vieh behandelten und abgeschlachteten Menschen in Lateinamerika und Afrika und Asien bezeugen, alles mit dem Segen, dem Einverständnis und der gottesfürchtigen Legitimation der christlichen Kirche, dieser ältesten Verbrecherorganisation der Welt. Vielleicht sollte Köppel, der ja viel liest, nur ein paar Bände von Karlheinz Deschners Lebenswerk «Kriminalgeschichte des Christentums» lesen.

Hier merkt man wieder schmerzlich, dass der WeWo Checks and Balances fehlen, denn niemand konnte Köppel davon abhalten, diese im Übrigen eher mässige, demagogische und effekthascherische Rede auf vier Seiten abzudrucken. Bier her, kann man da nur sagen.

Dann geht’s erwartbar weiter. Copy/paste-King Urs Gehriger erregt sich über «Amerikas politisierte Justiz». Natürlich meint er die Razzia bei Donald Trump zu Hause, die sei «beispiellos», «Geheimniskrämerei», wieso sage der FBI-Chef nix? Der übrigens noch von Trump höchstselbst ernannt worden war, der Schlingel.

Weil auch Gehriger nicht mehr weiss als alle anderen, nämlich nix, spielt er dann «wieso der, aber der und die nicht?» Also wieso Trump und nicht Hunter Biden, der dubiose Sohn des amtierenden Präsidenten? «Für Hillary Clintons Hetzkampagne gegen Trump hat sich das FBI nie interessiert», klagt Gehriger. Um gleich zum Schluss zu kommen, dass sich der Eindruck bei vielen Amerikanern bestätige, «dass die US-Justiz nicht nur auf einem Auge blind ist, sondern aus politischen Motiven agiert». Das ist dann schlichtweg andersrum blöd als der Kommentar von Tamedia-Münger. Sollen die beiden doch mal ein Bier trinken gehen.

Aber für bösartige Qualität sorgt wie meist dann Christoph Mörgeli. Er nimmt sich die «gefährlichste Denkfabrik der Schweiz» vor. Übertriebene Ehre für Foraus, aber dass hier Bundesbeamte mitschreiben und der Haufen mit 120’000 Steuerfranken subventioniert wird, sind zwei schöne Giftpfeile. Über die mangelnde Eignung der Co-Geschätfsführerin Anna-Lina Müller konnte man hier schon lesen.

Gerecht wie Salomon haut Mörgeli dann auch noch ihrer Kollegin Sanija Ameti eins über die Rübe. Auch über diese Flop-Königin war hier schon zu lesen. Mit seinen giftigen Bemerkungen hat sich Mörgeli gleich eine genauso giftige Reaktion eingefangen. Denn auch Libero ist kein Kind von Traurigkeit:

Mit solchen spätpubertären Scherzen verspielt die einstmals erfolgreiche Lobbytruppe ihr Renommee.

Wir wissen nun nicht, ob Mörgeli gläubig genug ist, um Rassist zu sein. Ihn aber wegen dieser Polemik als solchen zu bezeichnen, ist schlichtweg dumm.

Es folgt Erwartbares und Wiedergekäutes, «Die scheinheilige Supermacht» USA, auch Gehriger macht im Spielchen mit «Journalisten interviewen Journalisten» und will sich in den gleichen Sessel gesetzt haben, den zuvor noch Richie Sunak gewärmt habe, einer der beiden Spitzenkandidaten um die Nachfolge von Boris Johnson. Doch der war schon wieder weg, also interviewt Gehriger seinen Kollegen Charles Moore vom «Spectator». Damit sich die Reise nach London auch gelohnt hat, auf drei Seiten. Erkenntnisgewinn?

Aber, sonst wär’s ja nicht die WeWo, die Erinnerung an Hellé Nice, Aktmodell, Nackttänzerin und Rennfahrerin, grossartig. Hier leuchtet das Blatt auch hell, denn als nächstes kommt «Ukraines polnische Gespenster», eine gewinnbringende historische Einordnung des Verhältnisses zwischen Polen, Russland und dem Land, das heute Ukraine heisst. Erkenntnisgewinn:

Auf kulturellem Gebiet kann der WeWo schon seit Längerem höchstens noch die NZZ das Wasser reichen. Ein Jean-Martin Büttner in Bestform über Reggae, Bob Marley und kulturelle Aneignung. Das Feuilleton von Peter Weber ist jedes Mal ein Genuss. Intelligent, der Platz ist gut verwaltet, Aktuelles und Interessantes im Wechselspiel. Vielleicht fand deswegen das Gejammer von Milosz Matuschek ausserhalb statt. Der erzählt nochmal, als Teaser für sein Buch zum Thema, die leidige Geschichte nach, wie er als NZZ-Kolumnist abserviert wurde. Sicher kann man ihm da keine allzu grosse Objektivität unterstellen. Richtig Liga Ameti (die mit dem Sprung vor Rodins Höllentor) wird’s allerdings bei der Bebilderung. Da sehen wir Matuschek auf einem Steinbänkchen mit der NZZ in der Hand. Er schaut links nach oben, wo ein Denkmal von Victor Hugo thront. Man spürt die Absicht und ist verstimmt: ich, Matuschek, bin schon deutlich kleiner als der. Aber irgendwie spiele ich doch in der gleichen Liga. Tut er aber nicht. Um die Proportionen zu wahren, hätte man ihn so schrumpfen müssen, dass man ihn nur mit Lupe und hoher Auflösung erkannt hätte.

Ab «Leben heute» seichtelt es etwas vor sich hin; mit einzelnen Ausnahmen sind die Texte einfach zu platt und flach geschrieben, als dass Lebensfreude aufkommen könnte. Und bei allem Verständnis für die Massage von Werbekunden, was soll so ein Lead? «Niemand braucht ein Auto wie den Porsche Cayenne Turbo GT. Zum Glück wird es trotzdem gebaut.» Niemand braucht so einen Text, zum Pech des Lesers wird er trotzdem gedruckt.

Das gilt auch für den «Werber des Jahres», der offenbar das Pech hatte, in einem All-Inclusive-Hotel auf Mallorca zu landen. Dabei hätte er sich problemlos ein schnuckeliges Artsy-Fartsy-Designerjuwel-Boutique-Hotel leisten können, in dessen Stühle schon Philipp Starck persönlich furzte.

Aber so bleibt David Schärer nur, «Grüsse aus der Mittelschichts-Hölle» auszurichten: «Es herrschte rastlose Ereignislosigkeit.» Am Buffet habe er doch tatsächlich «an Sartre gedacht: «L’enfer, c’est les autres» (die Hölle, das sind die anderen).» Nett von ihm, dass er des Französischen nicht so mächtige Leser gleich mit der Übersetzung beglückt. Nur fragen die sich vielleicht: wer ist Sartre, war das ein Kämpfer gegen schlechten Buffet-Frass? Und wenn man schon beim Fragen ist: wieso hat sich der Geizhalz diese Hölle angetan? Und ob er in der Lage wäre, ohne zu googeln zu sagen, aus welchem Buch das stammt und worum es darin geht?

Damit überspringen wir das EMS-Chemie-Kreuzworträtsel und sind auf Seite 100, also am Schluss angelangt. Himmel und Hölle liegen in der «Weltwoche» wirklich nahe beieinander.

Wumms: Jean-Martin Büttner

Die moderne Form, Äxgüsi zu sagen.

Die zusammengelegte und dadurch erstarkte Berner Lokalredaktion haute vor Kurzem eine Politikerin in die Pfanne:

Nachdem der Titel doch Stirnrunzeln auslöste, verschlimmbesserte man:

Das war ziemlich ruppig, unfair und faktisch falsch. Als der Journalismus noch sauber und anständig war (also manchmal), hätte das wohl eine nachträgliche Entschuldigung oder zumindest Richtigstellung nach sich gezogen.

Aber die heutigen Qualitätsmedien belieben, solche Probleme anders zu lösen:

Tamedia schickt einfach seine Allzweckwaffe Jean-Martin Büttner in die Schlacht. Der braucht das Geld und liefert ein für seine Verhältnisse eher schlapp geschriebenes Porträt der Politikerin ab, das sich immerhin in der Tonlage und im Inhalt von der Diffamierung zuvor unterscheidet.

Büttner stellt hier nochmal klar: «Selbst wenn sie mit den Anliegen eines Politikers übereinstimmt, ist sie noch lange nicht mit seinem Vorgehen einverstanden. «Aber wenn die Verhandlungen scheitern, werden noch viel mehr Menschen sterben. Das will doch niemand, oder?»»

Aber natürlich muss sich auch Büttner deutlich distanzieren: «Dass man für einen Diktator Verständnis haben soll, der die Zivilbevölkerung in der Ukraine massakriert und gezielt zivile Objekte bombardieren lässt, um eine maximale Zahl von Opfern und Flüchtlingen zu erreichen, bleibt unverständlich

Das nennt man zwischen Skylla und Charybdis hindurchschreiben. Denn Büttner kann natürlich seine Kollegen von der «Berner Zeitung/Der Bund» auch nicht im Regen stehen lassen. Das erklärt wohl die Lustlosigkeit, mit der er sich dieser Pflichtaufgabe entledigt hat.

Clapton is God – fallen

Eric «Slowhand» Clapton ist der beste Blues-Gitarrist der Welt. So what?

Wenn es um musikalische Idole geht, ist der Musikfan so schnell begeistert wie auch abgeturnt. Wer gestern noch selig mit dem Fuss wippte, das Feuerzeug schwenkte und «Gänsehautfeeling» stammelte, kann heute «Verräter» knirschen. Das ging schon Grössen wie Bob Dylan so, als der sich eine elektrische Gitarre umhängte oder tief in religiösen Wahn verfiel.

So geht es Jean-Martin Büttner mit Eric Clapton: «Der weisse Bluesgitarrist macht durch jahrzehntelang unkorrigierten Rassismus und drei fanatische Antiimpfsongs von sich reden. Wie ist das bei einem wie ihm zu erklären?»

Die Klage trägt den Verdammnis-Titel: «Der tiefe Fall des Eric Clapton». Was ist passiert? Musste er ein Solo abbrechen? Ist er wieder in den Alkohol versunken? Ist seine Stimme noch schlechter geworden? Ist die Magie aus seinem Spiel gewichen?

Nichts von alldem. Im Gegenteil; mit «The Lady in the Balcony, Lockdown Sessions» hat Clapton ein Unplugged-Album voller Altersweisheit eingespielt; eine Reise durch seine musikalische Geschichte. Selbst seine Stimme, die immer bedauerlicherweise viel schlechter war als seine Gitarrenkunst, bekommt langsam eine Patina, die sie erträglich macht.

Nun leidet Clapton unter peripherer Neuropathie, einer chronische Nervenerkrankung, die seine Begegnung mit der Impfspritze zu einem traumatischen Erlebnis machte. Und ihn zum Impfskeptiker. Das wird man heutzutage nicht ungestraft, und Büttner straft mit.

Selbst Clapton darf nicht ungestraft Lieder spielen

Dazu dient ihm ein nicht ganz taufrischer Song namens «Stand and Deliver». Komponiert hat den Van Morrison, auch so ein Urgestein und böser Bube, der sich ebenfalls kritisch mit den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auseinandersetzt. Solange Protestlieder sich gegen das Unrecht der Welt, den Hunger, Krieg und andere ferne Unabänderlichkeiten richten, wippt und schwoft man gerne mit, im erhebenden Gefühl, zumindest musikalisch auf der guten Seite zu summen.

Dass Clapton im wahrsten Sinne des Wortes durch persönliches Erleben impfkritisch wurde, unterschlägt Büttner allerdings. Denn erklären will er nicht,  eher verurteilen. Er will er ihm den Text des Protestsongs «Stand and Deliver» vorwerfen. Genauer diese Zeilen: «Do you wanna be a free man / or do you wanna be a slave?» Zusammen mit «Do you wanna wear these chains / Until you’re lying in the grave», sei das «ein Direktvergleich der weissen Impfgegnerinnen und Impfgegner mit den afrikanischen Sklavinnen und Sklaven im amerikanischen Süden.

Die Analogie kommt einer Demütigung afroamerikanischer Bürgerinnen und Bürger gleich.»

Es ist wohl den hysterischen Zeiten geschuldet, wo sich selbst Büttner vor Kurzem über diese Woke-Empfindlichkeit und völlige Humorlosigkeit beschwert,  gepaart mit Abscheu vor Selbstkritik. Und nun auch er? Wer sich den Song und seine Lyrics anhört, seine Beschwörung der Magna Carta, der Bill of Rights und der amerikanischen Verfassung, kann keinerlei Demütigung erkennen. Das sähe sicherlich auch der von Büttner sehr gelobte Comedian David Chappelle so, der nun wirklich unglaublich unkorrekte Scherze über Schwarze macht.

Es gibt richtige und falsche Protestsongs

Das Werk von Morrison/Clapton ist ein klassischer Protestsong, der zum Widerstand aufruft, zum eigenständigen Denken und am Schluss noch einen lustigen Ausflug in die Geschichte mit einer Erwähnung von Dick Turpin macht, dem maskierten englischen Strassenräuber und Viehdieb, der 1739 gehängt wurde.

Darf das noch gesungen werden?

Dass sich Musikerkollegen deswegen von Clapton distanzieren, ist dem unseligen Zeitgeist geschuldet. Da kann man aber noch von auf offener Bühne ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten sprechen.

Was Büttner noch hinzufügt, ist aber unstatthaft. Zunächst will er den Titel eines früheren Albums «Me and Mr. Johnson» missverstehen. Mit der Reihenfolge habe Clapton gezeigt, dass er sich für wichtiger als den schwarzen Bluessänger der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts halte. Wenn das Janis Joplin gewusst hätte, als sie «Me and Bobby McGee» sang.

Ein besoffener Spruch vor 45 Jahren …

Aber selbst darüber könnte man noch mit Humor hinweggehen. Nun kommt aber das hier: «Clapton, schwer betrunken wie immer damals, trat ans Mikrofon und bekannte seine Sympathie für Enoch Powell. Der glühende Rassist, damals noch Präsident der Tories, hatte in seiner berühmten «Rivers of Blood»-Rede im April 1968 die Ausschaffung von Schwarzen, Indern, Arabern und Pakistanern aus Grossbritannien gefordert.»

Das war 1976. Schwerer Alkoholismus und Drogensucht entschuldigt nicht alles, aber ob man wirklich 45 Jahre später diesen unseligen Ausrutscher eines völlig besoffenen und bekoksten Musikers ihm heute noch um die Ohren schlagen muss? Obwohl sich Clapton dafür entschuldigte. Aber Büttner bleibt gnadenlos, denn: «Eric Clapton findet bis heute, Enoch Powell habe in vielem recht gehabt. Von dessen Rede in Birmingham hat er sich nie distanziert.»

Das wirklich Traurige ist hier, dass Büttner das Verhalten der von ihm so wortmächtig kritisierten Rechthaber der selbst angeeigneten Rechtschaffenheit und inquisitorischer Verurteilung übernimmt. Humorlos, übellaunig und ungerecht. Wer ist Büttner, dass er wie die von ihm kritisierte Inquisition eine «Distanzierung» von Clapton einfordert?

Da verstehe einer diesen Mann.

Quietschender Reifen

Kommentiert den Kommentator!

Jean-Martin Büttner kommentiert Christoph Mörgeli, weil der den Schweiz-Korrespondeten der FAZ kommentiert.

Das können wir nicht unkommentiert lassen. Wir bewundern Büttners Kurventechnik. Wäre er in der Formel 1 unterwegs, läge ein Podestplatz drin.

Zunächst kriegt Mörgeli, der «zum Journalisten umgebaute Politiker», eins in die Fresse. Empfindlich bei Kritik an ihm, aber gross im parteiischen Austeilen. Quietsch, Kurve, kann aber was, «hat mit seiner Kritik in vielem recht».

Quietsch, ist aber eine Mimose, wenn er selber angerempelt wird. Gerade kein Beispiel zur Hand, also quietsch, Niklaus Meienberg war auch so. Quietsch, Roger Schawinski war und ist so. Quietsch, gelte auch für «Woke-Sensible».

Damit hat Büttner auf wenigen Zeilen einen Satz Reifen verschlissen, und was er eigentlich sagen will, verschwindet im Qualm von rauchendem Gummi.