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Ein grauenvolles Jahr

Tiefseebohrung. Das beschreibt den Zustand der Schweizer Medien im Jahr 2023.

Dass nach der Entlassungsrunde vor der Entlassungsrunde ist, daran mussten sich die verbliebenen angestellten Redakteure gewöhnen. Die grossen Verlagshäuser Tamedia, CH Media und Ringier zeigen damit den überlebenden Journalisten, was sie von ihnen halten: nichts.

Sie sind ein unangenehmer Kostenfaktor, bis die KI die meisten ihrer Aufgaben übernimmt. Den gutbezahlten Managern in der Teppichetage ist auch 2023 nur ein einziges Heilmittel gegen die Arglist der Zeit eingefallen: sparen, feuern, letzte Fleischreste vom Knochen abschaben. Das ist erbärmlich.

Allerdings tun auch die Journalisten nicht gerade viel, um die wichtigsten Assets, Glaubwürdigkeit und Vertrauen, zu schützen und zu bewahren. Nabelschau, kreischige Rechthaberei, Bedienung der Gesinnungsblase, Schwarzweiss-Verblödung. Wer dachte, man sei noch nie so schlecht über einen Krieg informiert gewesen wie in der Ukraine, sah sich eines Schlechteren belehrt. Was im Gazastreifen tatsächlich passiert, niemand weiss Genaueres.

In beiden Fällen versagt die Journaille auf einem ihrer wichtigsten Handlungsfelder: analytische Einordnung liefern, Argumente zur Bildung einer eigenen Meinung bei den Lesern. Da vielfach ältere und damit teurere Journalisten weggespart werden, sinkt das allgemeine Niveau der Berichterstattung auf erschreckend bildungs- und kulturlose Minusgrade. Historische Zusammenhänge, Kenntnis von Kultur und Literatur, was nicht im schnellen Zugriff mit Google aufpoppt, existiert nicht.

Wenn die Sprachverbrecher Lukas Bärfuss und Kim de l’Horizon als die zwei bedeutendsten Vertreter der Schweizer Gegenwartsliteratur angesehen werden, dann ist wohl der Boden der Geschmacklosigkeit erreicht. Wobei man mit solchen Vermutungen vorsichtig sein sollte. Bevor Kim auftauchte, meinte man den mit Bärfuss alleine schon ausgelotet.

Wer meinte, die Sprachreinigungshysterie, die Verhunzung der deutschen Sprache durch Gender-Sternchen und andere Methoden zur angeblichen Inkludierung habe einen dermassen hysterischen Höhepunkt erreicht, dass es nur noch vernünftiger werden könne, sah sich ein weiteres Mal getäuscht. Das gilt auch für alle Post-#metoo-Schwurbeleien.

Unbelegte Anschuldigungen öffentlichkeitsgeiler Weiber oder anonymer Denunzianten reichten auch 2023 aus, um Karrieren zu vernichten oder Menschen fertigzumachen. Trotz vielen Flops haben die Scharfrichter in den Medien nichts dazugelernt. Schnelle Vorverurteilung, grosse Entrüstung, dann peinlich berührtes Schweigen, wenn der Skandal mal wieder keiner war. Aber auf zum nächsten, der kommt bestimmt.

Auch als Jahresbilanz muss man festhalten: Dass sich die Medienproduzenten weiterhin von Google, Facebook & Co. online die Werbebutter vom Brot nehmen lassen, ist an Unfähigkeit und Dummheit nicht zu übertreffen. Das Gejammer über wegfallende Print-Inserate und der anhaltende Ruf nach staatlicher Unterstützung der Vierten Gewalt sollen nur übertönen, dass die Krise der Medien nicht den Umständen geschuldet ist, sondern selbstverschuldet.

Kein vernünftiges Distributionsmodell, das aberwitzige Geschäftsmodell, für immer weniger immer mehr zu verlangen, seichte Inhalte, sich im Hamsterrad der Online-Produktion bis zur Bewusstlosigkeit drehende News-Abdecker – wie kann man für diese klägliche Leistung ernsthaft Geld vom Konsumenten verlangen?

Geradezu autistisch richten viele Redakteure ihren Blick an diesen Problemen vorbei, schauen in sich hinein und langweilen den Leser mit der Leere, der sie dort begegnen. Oder regen ihn auf, indem sie ihre politischen und sozialen Steckenpferde auf offener Bühne zu Tode reiten. Ein Kommentar zur Gratis-Abgabe von Tampons, wieso traut sich keiner mehr, die einzig richtige Antwort an der Themenkonferenz zu geben: «Aber nicht im Ernst

In diesem Niedergang wird das Schweizer Farbfernsehen, die mit Gebühren alimentierten Radiosender immer wichtiger. Aber das Angebot der SRG ist dermassen lausig, dass die 200-Franken-Gebühreninitiative intakte Chancen hat. Auch hier ist es den privaten Unternehmen nicht gelungen, eine valable Konkurrenz dazu auf die Beine zu stellen. Das sei eben die Übermacht der SRG, jammert der Wannerclan von CH Media. Anstatt zuzugeben, dass die Einkaufstour in den elektronischen und Printmedien als deutlichstes Resultat lediglich eine Massenentlassung gebracht hat.

Völlig von der Rolle sind Tamedia und Ringier. Der Tagi war einmal eine ernstzunehmende, linksliberale Stimme, seine Leitartikel und Forderungen hatten Gewicht. Aber heute? Das nimmt doch keiner mehr ernst, wenn sich die Oberchefredaktorin zu Wort meldet und absurde Forderungen zu den nächsten Bundesratswahlen aufstellt.

Der «Blick» als wichtigstes Organ des Hauses Ringier wurde seines Wesenskerns beraubt, die Führungsriege geköpft, dafür ein Rudel von Heads und Chiefs installiert, deren Funktionsbezeichnungen kabarettreif sind. Weniger lustig sind allerdings ihre Leistungen. Springer zieht weiter in die Zukunft und trennt sich konsequent von seinen Printtiteln. Ringier kauft sie auf. Mathias Döpfner mag persönlich ein eher unausstehlicher Mensch sein, was er mit Marc Walder gemein hat. Aber der Unterschied im Wirken und in der Performance der beiden an ihren Unternehmen beteiligten CEOs ist unübersehbar.

Ach, und die NZZ? Ein Leuchtturm mit einigen blinden Flecken auf der Linse, das Bild ist schwer zu schlagen, so zutreffend ist es. Häufig Labsal und Kopfnahrung, manchmal aber auch ärgerliche Ausflüge ins Unterholz der vorgefassten Meinungen und neuerdings auch üblen Rempeleien in einer Tonlage, die die alte Tante seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr verwendete.

Auch der ruppige Umgang mit Chefredaktoren ist neu. War die Absetzung von Markus Spillmann zwar ein absolutes Novum, aber dennoch gerechtfertigt, wurde die Absetzung von Luzi Bernet und sein Ersatz durch Jonas Projer eher ruppig durchgeführt. Das war aber noch geradezu stilvoll und zartbesaitet im Vergleich dazu, wie dann Projer entsorgt wurde.

Dabei, wie bei der Nicht-Inauguration von Markus Somm als NZZ-Chefredaktor, spielte die Redaktion eine üble Rolle. Bei Somm stellte sich im Nachhinein heraus – als er mit der Absurd-Idee, aus dem «Nebelspalter» ein bürgerlich konservatives Kampforgan zu machen, baden ging –, dass der NZZ doch einiges erspart blieb. Aber der Zwergenaufstand in der Redaktion gegen Projer führte nur erwartungsgemäss dazu, dass die NZZaS viel näher an das Stammblatt gebunden wurde. Der notfallmässig installierte Beat Balzli ist noch viel mehr von der Gnade Eric Gujers abhängig als sein Vorgänger.

Allerhand Betrübliches und Besorgniserregendes ist von den Medien im Jahr 2023 zu vermelden. Gibt es Hoffnung für 2024? Für die klassische Medien nicht. Vor allem bei Jugendlichen haben sie längst die Meinungshoheit als Newslieferant verloren. Wenn der Bezahl-Inhalt qualitativ sich kaum von Gratis-Angeboten unterscheidet, wieso soll ein vernünftiger Mensch noch etwas bezahlen?

Natürlich sollte der Content einer Newsplattform nicht gratis sein. Eine Bezahlschranke macht aber nur dann Sinn, wenn dieser Inhalt auch etwas wert ist. «Blick+» ist das beste Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Die Idee wurde bei «Bild+» abgekupfert, aber jämmerlich umgesetzt. Tamedia macht ähnlichen Unsinn, indem es beim Berliner «Tagesspiegel» die Idee übernimmt, sauteure Angebote für spezifische Zielgruppen zu machen. Wer einen  fantasielosen Verwaltungsrat mit einer digitalen Offensive betraut, der sich dann an seine frühere Wirkungsstätte erinnert, ist selber schuld.

Nein, das ist kein Aufsteller,diese Jahresbilanz. Aber zum Jammertal, durch das der Journalismus wankt, passt eben auch, dass solche offenen Worte nurmehr hier auf ZACKBUM möglich sind.

Für das anhaltende Leserinteresse, liebe Worte (immer hinter vorgehaltener Hand) und auch (wenige) Widerworte danken wir ganz herzlich.

 

Die Jahresbilanz

Wie war 2022 für die Medien? Katastrophe.

Die Wirklichkeit müsste wie die Nemesis über ihre mediale Darstellung herfallen. Für die Ungebildeten unter den Journalisten: Die Nemesis ist die griechische Göttin des gerechten Zorns, der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Denn die grossen Massenmedien und sogenannten Qualitätszeitungen haben sich auch 2022 noch weiter von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt. Ihren Konsumenten und Zahlern ein bearbeitetes, eingeordnetes, nach Bedeutung gewichtetes Bild der Realität zu vermitteln.

Es gibt keine objektive Realität, wie schon viele Verteidiger des Marxismus-Leninismus leidvoll erfahren mussten. Aber es gibt mehr oder minder kompetente Versuche, eine Interpretation zu liefern, die dem Konsumenten einen Erkenntnisgewinn verschafft, ihn ein wenig begreifen lässt, was über 8 Milliarden Menschen in über 200 Staaten so treiben.

Wie sie leben, welche Träume sie haben, welche Mentalität sie prägt, welche geschichtlichen Erfahrungen. Wie sie Konflikte lösen oder eben nicht. Was sie so treiben, um das zu erreichen, was wohl der Traum jedes Erdenbürgers ist: sein kleines Glück im Diesseits verwirklichen.

Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen, gesteuert von Rationalität und auch Irrationalität. Die einen mehr, die anderen weniger. Er lebt in einer widersprüchlichen Wirklichkeit, einer multipolaren Welt, zersplittert, fragmentiert, granuliert und dennoch durch die Globalisierung so eng vernetzt wie noch nie in der Geschichte.

Dank Internet haben inzwischen rund 5 Milliarden Menschen Zugang zu einem Meer von Informationen. Das ist aber noch verschmutzter als die Weltmeere; dem Nutzer geht schnell die Luft aus und er ersäuft in wilden Strudeln von Belanglosigkeiten.

Dagegen zimmert er sich ein Rettungsboot, er schliesst sich einer Gruppe (oder mehreren) an. Hier versammeln sich die Kenner der Andamanen, die Sammler von Bierdeckeln, Sportsfreunde, Rechte, Linke, Abartige und Fetischisten, Kenner der Philosophie und Sammler von Pornos um wärmende Lagerfeuer, angefacht von Gleichgesinnten.

Dadurch wird die Welt vom bunten Kaleidoskop zu einem trichterförmigen Bildausschnitt, gleichförmig grau statt bunt, geordnet statt chaotisch, erklärbar statt geheimnisvoll. Rund statt kantig, einschränkend statt bewusstseinserweiternd.

In unsicheren Zeiten sucht der Mensch nach Sicherheiten. Will Bestätigung der eigenen Vorurteile, will nicht mit Widerspruch herausgefordert werden. Denn denken tut nicht weh, ist aber anstrengend. Schwarzweiss ist beruhigender als bunt und farbig. Aber Schwarzweiss-Seher sind wie blinde Maulwürfe, die sich durch die Erde graben und keine Ahnung haben, welche wahren Wunder sich an der Oberfläche abspielen.

Heinrich von Kleist verzweifelte an der einfachen Frage, wie es denn wäre, wenn alle Menschen grüne Brillen tragen würden, ohne das zu wissen. Dann käme ihnen die Realität grün vor, obwohl sie das nicht ist:

«Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün — und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr — und alles Bestreben, ein Eigenthum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich.»

Sind wir 2022 weiter als 1801, als Kleist das schrieb? Spielt in unserem Alltag die Nemesis noch eine Rolle? Damit sie das könnte, müsste man sich an sie erinnern. Nemesis, Zeus, Schwan, Helena, um derentwillen der Trojanische Krieg geführt wurde? Nemesis wird begleitet von Aidos, der Göttin der Scham. Ihre Hauptaufgabe ist, menschliche Hybris zu bestrafen und die Missachtung von Themis, der Göttin des übergeordneten Rechts und der Sittlichkeit.

Womit wir schon mitten im Problem der Medien wären. Brüllende Bildungsferne, historischer Analphabetismus, Schamlosigkeit und Unkenntnis des Begriffs Sittlichkeit: das sind Merkmale, mit denen man den modernen Journalismus ziemlich erschöpfend beschreiben kann. Es wird zunehmend gejapst und gehechelt, in ermüdenden Schlaufen die gleichen Narrative durchgekaut, die Bestätigung von Vorurteilen geliefert, statt die Bausteine für Urteile.

Denn, so ist der Mensch: er möchte die Welt schon verstehen. Er ist nicht bösartig von Natur aus, sondern eigentlich anteilnehmend und mitleidig. Nur kommt er so selten dazu. Er mag’s gerne kommod und bekömmlich. Aber bei der Lektüre der modernen Massenmedien (wenige Ausnahmen bestätigen die mächtige Regel) wird ihm Fastfood serviert. Angereichert mit Geschmacksverstärkern und Zucker als Geschmacksträger, der dank geschicktem Lobbying den Kampf gegen Fett längst gewonnen hat.

So wird das Drama der abserbelnden Medien zur Tragödie. Denn  eigentlich hätten die Helden des Stücks, die Journalisten und Publizisten, den Ausgang in der Hand. Seit rund 30 Jahren gibt es das Internet. Es ist damit eine Generation alt, und es wäre die Rettung für alle Anbieter bearbeiteter News mit Nutz- und Mehrwert.

1605 erschien die wohl erste Zeitung Europas, das Wochenblatt «Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien». 400 Jahre lang war Print das Medium der Wahl, nur ergänzt durch Radio und dann TV. Alles Medien, die keine Interaktion zulassen, keine Individualisierung, keine Vernetzung, keine verschiedenen Ebenen der Vertiefung, keine Dreidimensionalität. Im Gegensatz zum Internet.

Aber in den dreissig Jahren seiner Existenz ist den grossen Verlagen, immer noch geprägt von der Druckermentalität, nichts Neues eingefallen. Ausser: Internet muss auch sein, das ist dann einfach digital und flimmert. Aber wie man damit Geld verdienen könnte, dieses Geheimnis aufzudecken, ist noch niemandem vergönnt.

Also klagen und jammern die Medien, krähen nach Staatshilfe, weil sie angeblich für die Demokratie unersetzlich seien. Aber weil sie als Ausweg aus der Krise nur eins kennen – sparen, bis es quietscht und knirscht –, nimmt ihnen das die Bevölkerung nicht wirklich ab. Die verlorene Abstimmung über eine Steuermilliarde Subventionen, trotz der geballten Medienmacht derjenigen, die davon profitiert hätten, ist wie ein Menetekel an der Wand. Das ist ein Rebus und bedeutet wohl: «Gott hat dein Königtum gezählt und beendet

Der babylonische König Belsazar soll sich in frevlerischem Hochmut an Gott versündigt haben und sich über ihn gestellt. Wie dichtete Heinrich Heine, der wohl begabteste Lyriker deutscher Zunge, so schön (leicht gekürzt):

«Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward’s heimlich im Busen bang.
Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam’s hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.»

Es gab Zeiten, da meinten irre gewordene Banker, sie seien die «Master of the Universe». Es gab Zeiten, da meinten Medienclans, sie hätten Gelddruckmaschinen im Keller stehen, bis in alle Ewigkeit.

2022 bedeutet nicht das Ende der Newsmedien. Aber ihre selbstverschuldete Verzwergung, ihren beschleunigten Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Begleitet von rechthaberischem Geschrei, unbrauchbaren und haftungsfreien Kommentaren, fuchtelnder, aber verantwortungsloser Besserwisserei und unappetitlicher Betrachtung des eigenen Bauchnabels.

Sie gleichen immer mehr dem Idioten von Shakespeare, leicht abgewandelt trifft’s auf den Punkt:

«News are a tale
Told by an idiot
Full of sound and fury
signifying nothing.»