SRF plagt sich mit Fakten
Ausgewogene Berichterstattung von SRF?
In der Schweiz lebten 2019 knapp 8,6 Millionen Schweizerinnen und Schweizer. Die SVP hat Angst vor der 10-Millionen-Schwelle. «Zu viel ist zu viel!», brüllt sie und beweist das mit einem Fettarsch auf der Schweizer Karte. Keine Frage, die Begrenzungsinitiative der SVP ist die spannendste der fünf Vorlagen vom 27. September.
Wer viel Netflix guckt, hat Mühe, die verschiedenen Vorlagen zu begreifen. Jagdgesetz: Soll man den Wolf jetzt abknallen oder nicht? Vaterschaftsurlaub: Sollen junge Väter zwei Wochen faulenzen dürfen? Fördert das vielleicht die Menstruation?
Zum Glück gibt es das SRF. Mit seinen Publizistischen Leitlinien (58 Seiten) gewährt es blablabla journalistische Qualität blablabla ethische Grundsätze blablabla professionelle Ansprüche.
SRF-Mann Iwan Santoro blickt bei der Begrenzungsinitiative hinter die Zahlen. Er weiss: «Solche Fakten plagen Gegner wie Befürworter der Personenfreizügigkeit.» Als Befürworterin der Initiative tritt die SVP-Nationalrätin Esther Friedli auf. Sie kommt im Artikel ziemlich dämlich rüber. Friedli wird von Santoro gemassregelt («Fakt ist») und korrigiert («kein Fakt»). FDP-Nationalrat Kurt Fluri hingegen wird bestaunt («kennt die Wachstumsprobleme») und bedient («Fluri hält nicht allzu viel von solchen Prognosen»).
Interessant ist aber vor allem folgende Aussage:
Die Schweiz sei gerüstet für zehn Millionen – ohne weitere Zerstörung von Kulturland, sagt Fluri. «Es braucht eben auch die Verdichtung der Ortschaften nach innen und nicht nur der Städte. Es gibt sehr viele Brachen und vernachlässigte Wohnungen, die unternutzt sind.» Da lasse sich noch sehr viel Potenzial realisieren. Das neue Raumplanungsgesetz leiste gute Dienste.
1,4 Millionen mehr Einwohner und kein Quadratmeter Kulturland muss deswegen geopfert werden? Santoro schreibt auf Anfrage:
Dazu gibt es verschiedene Modellrechnungen. Bsp. eines von Avenir Suisse, wonach die Schweiz 10, 12 oder noch mehr Millionen Einwohner unterbringen könnte, ohne weiteren Kulturlandverlust.
Also 3,4 Millionen zusätzliche Schweizer und kein Boden muss aufgerissen werden? Welche Studie behauptet das? Santoro rückt die Studie nicht heraus, auch nicht nach wiederholter Bitte. Die einzige Studie von Avenir Suisse, die sich mit dem Thema auseinandersetzt stammt von 2014 und trägt den Titel «Zeitenwende in der Schweizer Raumplanung». Eine Aussage lautet:
Die bereits eingezonten und noch nicht überbauten Bauzonen sind gross genug, um 1 bis 2 Millionen zusätzliche Einwohner unterzubringen.
Das ändert aber nicht an der Tatsache, dass Kulturland aufgegeben werden muss. Es ist wie beim versprochenen Sex nach der Migräne. Die Zusage selbst zählt noch nicht.
Immerhin, Santoro zählt zu den sympathischen und ehrlichen Journalisten von SRF: «Ja, da haben Sie natürlich Recht. Wobei eben, theoretisch geht kein neues Kulturland verloren, weil es bereits jetzt ausgezont, rsp. eingezont ist.» Und fügt hinzu: «Viel Erfolg beim Artikel. Es ist kompliziert. Ich hatte auch Mühe (…).»