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Deutliche Fallhöhe

Auch der NZZ-Chefredaktor greift zum Griffel. Da wird’s peinlich.

Aber nicht für Eric Gujer. Während sich seine Kollegin Raphaela Birrer quengelig und widersprüchlich in Kleinklein verliert, zeichnet God Almighty der NZZ mal wieder die ganz grossen Bögen.

Schon die Illustration, eine animierte Erdkugel mit Bildstörung, ist nicht schlecht. Denn Gujer versucht mit seinem »anderen Blick», den ganz grossen Überblick im Durcheinandertal zu behalten, wie das Dürrenmatt nannte:

«Die grosse Weltunordnung: Kriege und Chaos sind die neue Normalität. Worauf müssen wir uns noch einstellen?»

Für das Haus der ordnungspolitischen Zwischenrufe ist der Zustand der Welt ein desolater: «Die Welt ist ein Kartenhaus. … Solche Zäsuren sind die Signatur unserer Epoche: der überstürzte Abzug der Amerikaner aus Kabul, der russische Überfall auf die Ukraine, die sadistische Orgie der Hamas. Über Nacht werden neue, meist blutige Fakten geschaffen.»

Da gab es die Nachkriegszeit von 1945 bis 2022. Kalter Krieg, Zusammenbruch des sozialistischen Lagers, Pax Americana. Vorbei: «Wer bereit ist, maximale Gewalt anzuwenden, wer bereit ist, dafür notfalls auch einen hohen Preis zu zahlen, der kann viel Macht an sich reissen.»

Knallhart analysiert Gujer Russlands Stärke, vielmehr Schwäche: «Sie ist gross genug, um ein wehrloses Nachbarland zu überfallen. Aber sie genügt nicht für einen überlegenen Gegner oder einen weiter entfernten Schauplatz. So erscheinen die Warnungen, Putin werde sich nach der Ukraine dem Baltikum zuwenden, als masslos übertrieben.»

Noch ein hübscher Satz: «Putin ist ein Meister darin, grösser zu erscheinen, als er ist.» Das ist ziemlich bösartig, denn bekanntlich ist Putin auch körperlich nicht gerade grossgewachsen.

Aber auch die USA wirkten inzwischen häufig hilflos. Sie konnten Israel nicht im Zaum halten, sie wagen es nicht, massiv gegen die Mullahs in Teheran vorzugehen. Schlussfolgerung: es gebe heute «keine globale Ordnung» mehr: «Alle Machtverhältnisse sind flüchtig; es herrscht Weltunordnung.»

Soweit kann man Gujer kritiklos folgen. Dann aber setzt er zu einem Loblied auf Israel an. Seine Verbündeten hätten unablässig vor einer Eskalation gewarnt, aber: «Hätten sie sich durchgesetzt, hätte Israel keines seiner Kriegsziele erreicht. Ohne Risikobereitschaft werden keine Konflikte gewonnen. Die Warnung vor einer Eskalation indes verkommt zur Ausrede für westliche Untätigkeit.»

Die ununterbrochene Reihe von Kriegsverbrechen, die Israel begeht (wie andere Akteure im Nahen Osten auch), dass der sogenannte Wertewesten sich nur dann als moralisch überlegen aufspielen dürfte, wenn er es auch wäre – das verliert Gujer doch recht massiv aus dem Blick.

Stattdessen setzt er zum Lob des skrupellos Handelnden an: «Damit sich die Lage verbessert, muss man aktiv etwas dafür tun und auch bereit sein, Risiken einzugehen. Wer nur abwartet, gewinnt nichts.
Die USA haben im Nahen Osten zu lange zugeschaut. Das genügt nicht. Die Europäer wiederum vertrauen darauf, dass der grosse amerikanische Bruder mit Moskau eine Lösung für die Ukraine aushandelt. Das genügt erst recht nicht. Eine stabile Ordnung stellt sich nicht von alleine ein

Nun traut sich aber Gujer nicht, konkreter zu werden, was denn aktiv getan werden müsse. Militärisches Eingreifen in den Nachbarländern ohne Kriegserklärung? Bombardieren von ausgewählten Zielen in Grossstädten ohne Rücksicht auf Kollateralschäden? Ist das nicht ganz furchtbar, wenn es Russland in der Ukraine tut? Ist es dann vertretbar, wenn es Israel im Libanon und in Syrien tut?

Oder könnte man sich nicht darauf einigen, dass reine Machtpolitik immer amoralisch ist, schmutzig und skrupellos? So wie sie der Nobelpreisträger und Kriegsverbrecher Henry Kissinger mit offenem Zynismus betrieb. Das wäre dann den «anderen Blick» zu Ende gedacht. Was Dürrenmatt konnte, wovor Gujer zurückschreckt.

Die Zurückentwicklung

Joëlle Weil war einmal eine nachdenkliche Journalistin.

Die Journalistin lebte längere Zeit in Israel und schrieb 2018:

«Diese Ratlosigkeit auf allen Seiten, die manchmal zur Verzweiflung wird. Nur eines habe ich mit Bestimmtheit gelernt: sich mit Urteilen zurückzuhalten. Lieber einmal mehr zuhören, als einmal zu oft zu reden.»

Von dieser Position hat sie sich längst verabschiedet und zieht bei CH Media immer wieder mit Kommentaren kräftig vom Leder. Als Spanien die Anerkennung Palästinas als eigenen Staat forderte, keifte sie, das sei «zynisch» und «schamlos».

Sie verliert kein Wort über die israelischen Kriegsverbrechen und nimmt sich nun auch noch die UNO zur Brust. «Israel hält nichts mehr von der UNO – mit guten Gründen», kommentiert sie.

Anlass für diese Parteinahme ist das Einreiseverbot, das Israel gegenüber dem Generalsekretär der UNO António Guterres ausgesprochen hat. Ein international einmaliger Vorgang. Gerade die UNO wäre eine Organisation, wo sich Weil an ihren eigenen Ratschlag halten könnte und sollte. Denn auch da herrscht wirklich Ratlosigkeit.

Natürlich ist es absurd, dass Diktaturen über Menschenrechte befinden oder Saudi-Arabien «die Kommission der Vereinten Nationen zur Rechtsstellung der Frau leitet», wie Weil zu recht kritisiert.

Und dass Israel häufiger mit UNO-Resolutionen abgemahnt wird als jedes andere Land, auch das ist ungut, Ausdruck der Einflussnahme arabischer und anderer Gegner des Judenstaats.

Aber dann verlässt Weil den Raum der Ratlosigkeit und Nachdenklichkeit und haut drauf:

«Wer kann es Israel also verübeln, wenn es sich von der UNO abwendet? Wenn man ständig auf der Anklagebank sitzt, während die Schurken rundherum einander den Rücken freihalten

Und überhaupt:

«Die UNO ist eben nicht zwingend eine Stimme der Vernunft oder eine des Rechts. Und die antiisraelische Agenda ist der grösste gemeinsame Nenner vieler UN-Mitgliedsstaaten und wird so zum wichtigen Bindeglied. Nicht das Streben nach einer besseren Welt für alle.»

Das ist nun zumindest einäugig, wenn nicht blind gegenüber der Wirklichkeit. Natürlich gibt es UNO-Resolutionen gegen Israel, die eindeutig und einzig und alleine aus politischen Gründen beschlossen wurden. Und natürlich hat die Friedenstruppe der Unifil im Südlibanon versagt, was allerdings schon mit ihrer Verurteilung zur völligen Tatenlosigkeit angelegt war.

Alles unbestritten und richtig. Wäre Weil aber nachdenklich statt parteiisch, müsste sie auch einräumen, dass der Beschuss von Stellungen der Unifil durch die israelische Armee inakzeptabel ist und zu recht auch vom engsten Verbündeten, den USA, scharf kritisiert wird.

Der UNO-Resolution, die Israel aufforderte, den Überfall, die Invasion des Libanon im Jahre 1982 sofort zu beenden, wurde damals nicht durch ein Veto der USA verhindert – weil es sich einwandfrei um einen Verstoss gegen das Völkerrecht handelte.

Dass Israel seit 1967 genauso völkerrechtswidrig das Westjordanland besetzt und dort illegale Siedlungen unterhält und ausbaut, dass Israel völkerrechtswidrig die Golanhöhen besetzt, dass Israel zum wiederholten Mal in den Libanon einfällt, den Gazastreifen in Schutt und Asche bombt, dort Kriegsverbrechen ohne Zahl begeht, was nicht zuletzt von unverdächtigen Zeugen bestätigt wird, von 99 US-Ärzten, die dort tätig waren, eine Verurteilung dieser Untaten ist nicht Ausdruck einer antiisraelischen oder gar antisemitischen Politik.

Dass viele Mitgliedsstaaten der UNO keine Lichtgestalten sind, dass auch die USA beispielsweise auf einem illegal okkupierten Militärstützpunkt auf Kuba einen rechtsfreien Raum unterhalten, wo angebliche Terroristen oft jahrelang ohne Teilhabe an rechtsstaatlichen Möglichkeiten dahinvegetieren – das alles sind doch keine Gründe, um zu sagen: die auch, wieso dann wir nicht?

Natürlich ist es zutiefst widerwärtig, wenn die EU einem Diktator mit Blut an den Händen wie den saudischen Herrscher bin Salman hofiert, und gleichzeitig andere Staaten wegen Verstössen gegen Menschenrechte kritisiert.

Aber die UNO ist bei aller mangelnden Perfektion die einzige Plattform, auf die sich die Staaten der Welt einigen konnten, um wenigstens zu versuchen, miteinander ins Gespräch zu kommen und nicht gleich aufeinander los zu gehen.

Nur weil sich deren Generalsekretär völlig korrekt kritisch zu israelischen Verbrechen geäussert hat, wobei er genauso scharf die Gräueltaten der Hamas verurteilte, darf das kein Grund sein, ihm kindisch die Einreise zu verbieten.

Natürlich hat Weil im Rahmen der Meinungsfreiheit alles Recht, sich wiederholt über Logik und Vernunft hinwegzusetzen und gegen ihre eigene Mahnung zu verstossen. Wieso ihr allerdings CH Media wiederholt eine Plattform dafür bietet, ist unerfindlich.

Alex Baurs Replik

Ganz oder gar nicht sei sie zu publizieren, verlangt Freund Baur. Bitte sehr.

Von Alex Baur

Wenn Kollega Zeyer nichts besseres mehr einfällt, als mich persönlich zu beschimpfen, fehlen ihm offenbar die Argumente. Doch wenn ich seine etwas wirre Argumentationslinie richtig verstehe, baut seine Definition von Kriegsverbrechen primär auf der Zahl der zivilen Opfer. Als liesse sich das Problem mit einer mathematischen Formel lösen. Und das ist vom Ansatz her schon falsch.
Es gehört zu den grossen Errungenschaften der Aufklärung, dass nicht das Resultat eines Verbrechens (Erfolgsprinzip), sondern der Vorsatz dahinter (Verschuldensprinzip) bei der Einordnung einer Straftat und deren Schweregrad entscheidend ist. Um ein Beispiel zu nennen: Wer fahrlässig die Explosion eines mit Brennstoff beladenen Eisenbahnzuges verursacht, die hunderte von Toten fordert, kann mit einer milden Strafe rechnen; wer jedoch mit Tötungsabsicht gezielt auf einen Menschen schiesst, muss mit der Höchststrafe rechnen, unbesehen davon, ob das Opfer die Attacke überlebt. Kriegsverbrechen sind von diesem Prinzip nicht ausgenommen.
Nun ist der Vorsatz ein innerer Vorgang, den wir aufgrund äusserer Indizien und Verhaltensweisen nur deuten können. Und diese Deutung ist, wie es der Begriff schon verrät, keine präzise Wissenschaft. Eine mathematische Formel gibt es nicht, auch wenn uns Zeyer dies mit populistischen Verkürzungen vorgaukeln will.
Die Frage nach dem Verlauf eines Konfliktes und dessen Motivation ist daher wichtig: Wer hat den Krieg provoziert? Wer verfolgt welche Interessen und Ziele? Wer hat welche Möglichkeiten? Was wären die Alternativen?  Es geht dabei ebene gerade nicht um die Frage einer allfälligen moralischen Rechtfertigung, wie Zeyer insinuiert. Ob die Anliegen der Palästinenser oder jene der Zionisten im Kern gerechtfertigt sind, spielt bei dieser Auslegeordnung keine Rolle.
Fakt ist: Die Israeli hatten sich vor einem Jahr, als die Terror-Milizen des Irans ohne jeglichen Anlass die Grenze überquerten, um in der Nachbarschaft ein Blutbad anrichten bzw. Geiseln nahmen, längst aus Gaza und aus dem Südlibanon zurückgezogen; Israel erhebt keinen Anspruch auf diese Gebiete; und wenn es einem Juden in den Sinn käme, sich dort anzusiedeln, er würde nicht lange überleben; Netanjahu mag der Konflikt gelegen kommen oder auch nicht (man wird es nach den nächsten Wahlen sehen), doch Israel hat kein Interesse an diesem Krieg, der allein durch die Araber bzw. den Iran ausgelöst wurde.
Über 20 Prozent der Bevölkerung Israels sind Araber, Drusen oder Beduinen, die meisten von ihnen Muslime, rund 2 Millionen an der Zahl, die alle Bürgerrechte geniessen und heute sogar in der Armee dienen; wenn ein Palästinenser in der Westbank ein ernsthaftes gesundheitliches Problem hat, lässt er sich in Israel behandeln, gratis notabene;  vor den Terror-Angriffen auf Israel vom Oktober 2023 galt das auch für die Bevölkerung von Gaza; Israel versorgt Gaza nicht nur mit einem grossen Teil seines Wasserbedarfes, sondern auch mit Energie. Israel hat 2006 israelische Siedler gezwungen, Gaza zu verlassen. Es war gleichsam der Test für die famose «Zweistaaten-Lösung». Wäre die Entvölkerung oder die Annexion von Gaza das Ziel, würde sich Israel ganz anders verhalten. Die militärischen Mittel, um die Bevölkerung von Gaza auszulöschen, hätte die israelische Armee auf jeden Fall.
Zum Glück haben Israels Gegner diese militärischen Mittel nicht (an denen sie sie Jahren fieberhaft arbeiten). Das erklärte Ziel von Iran und seinen Vasallen (Hamas, Hisbollah) ist die Vernichtung von Israel und die Vertreibung der Juden, from the river to the sea. Die israelische Armee hat daher nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, seine Bevölkerung, ob jüdisch, muslimisch oder christlich, zu schützen und die Angreifer aus der Nachbarschaft unschädlich zu machen. Da weder die Bevölkerung von Gaza noch jene vom Libanon Willens oder in der Lage ist, die Terror-Milizen des Iran von ihrem Land fernzuhalten, muss es die israelische Armee an ihrer Stelle tun. Eine vernünftige Alternative gibt es nicht. Konzessionen gegenüber Terroristen, das hat die Erfahrung gezeigt – nicht nur im Nahen Osten, sondern auch etwa in Südamerika, wo der Autor dieser Zeilen lebt – verlängern das Blutvergiessen und das Leiden bloss. Das Ziel von Terror-Milizen ist niemals ein Frieden, und wenn sie dies vorgeben, meinen sie die ungeteilte Macht.
Iran und seine Vasallen verschanzen sich systematisch und gezielt hinter menschlichen Schutzschildern und zivilen Institutionen, ein klarer Verstoss gegen das Kriegsrecht. Sie sind daher die Hauptverantwortlichen für die zivilen Opfer und Verwüstungen. Das entbindet Israel zwar nicht von der Pflicht, zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden oder so tief wie möglich zu halten. Doch der Schutz der eigenen Bevölkerung vor den Angriffen aus der Nachbarschaft und die Vernichtung der Angreifer hat für die israelische Armee Priorität.
Selbstverständlich kann man die israelische Strategie kritisieren. Ob die israelische Armee wirklich alles tut, um zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden, ob ihre Strategie wirklich die klügste ist, wage ich als militärischer Laie allerdings nicht zu beurteilen. Das kann auch der Deutsche René Zeyer nicht. Doch hier geht es um die Frage, ob die israelische Armee Kriegsverbrechen oder gar einen Genozid zu verantworten hat. Und das ist nach dem aktuellen Stand des Wissens bzw. nach dem oben gesagten ganz klar nicht der Fall.
Was der Altmarxist René Zeyer hier durchexerziert, ist die verlogenene klassenkämpferische Taktik von Lenin und Konsorten: Man provoziert einen bewaffneten Konflikt, beschwört Menschenrechte und Demokratie, doch gemeint ist Unterdrückung und Parteidiktatur.
P.S.: Ich wage übrigens an dieser Stelle noch die Prognose, dass es dem in Israel äusserst unbeliebten Benjamin Netanjahu ergeht wie weiland Winston Churchill: Er wird den Krieg gegen die Barbarei gewinnen und danach vom eigenen Volk demokratisch abgewählt. Die meisten Israeli wollen keinen Krieg, doch wenn man ihnen einen solchen aufzwingt, dann ziehen sie die Sache durch bis zum bitteren Ende.

Zum Nachschlagen und Nachlesen:
Baurs Replik in der «Weltwoche»
Zeyers Duplik auf ZACKBUM

Die Wiederholung der Wiederholung

Anmerkungen zum israelischen Überfall auf den Libanon.

Man kann es wie Alex Baur sehen: «Der Iran und seine Vasallen hätten es in der Hand, das Blutvergiessen sofort zu beenden. Sie allein tragen die Verantwortung für das Elend.» (Siehe auch seine Replik in der heutigen Ausgabe von ZACKBUM)

Da aber der Libanon (genauso wenig wie Gaza) nicht zum Iran gehört, sondern eigentlich ein souveräner Staat ist, dürfte dieser fromme Wunsch wohl unerfüllt bleiben.

Auch an der Bezeichnung Überfall wird es Kritik geben. Wenn Russland behauptet, zwecks Selbstschutz müsse es eine militärische Spezialoperation zum Ausmerzen von Nazismus in der Ukraine ausführen, dann ist das selbstverständlich ein Überfall, eine Invasion. Wenn Israel behauptet, es müsse zwecks Selbstverteidigung militärische Schläge gegen den Libanon ausführen, zum Ausmerzen der Hisbollah, dann ist das was?

Die jüngere Geschichte zwischen Israel und dem Libanon wird in kaum einem der Kommentare, Analysen und Berichten über die jüngsten Kampfhandlungen erwähnt. Entweder aus der üblichen historischen Unkenntnis der Journalisten – oder ganz bewusst, weil das kein Ruhmesblatt für Israel ist.

Aus dem Kurzzeitgedächtnis der meisten scheint herausgefallen zu sein, dass es 1982 die Operation «Frieden für Galiläa» gab. Das war ein israelischer Angriffskrieg gegen den Libanon, eine militärische Offensive, die zur Besetzung grösserer Teile des Libanons inklusive der Hauptstadt Beirut durch israelische Truppen führte.

Schon damals war einer der Auslöser der Beschuss des Nordens Israels mit mehr als 100 Raketen, die vom Süden des Libanon abgefeuert wurden. Als israelische Truppen am 6. Juni 1982 die entmilitarisierte Zone durchquerten, verabschiedete damals der UNO-Sicherheitsrat (ohne dass die USA ihr Veto eingelegt hätten) die Resolution 509, die den sofortigen Rückzug der Truppen forderte – sie wurde von Israel ignoriert.

Diese Invasion führte zum Exodus der PLO aus dem Libanon, die in Tunis ihr neues Hauptquartier einrichtete. Am 16. September kam es zu einem zweitätigen Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Begangen von der maronitischen Phalange-Miliz, toleriert von den israelischen Truppen, die bei der Besetzung Beiruts diese Flüchtlingslager eingeschlossen hatten. Die Schätzungen über die Zahl der Toten gehen weit auseinander, von mindestens 300 bis über 3000.

Massaker in Schatila, 1982. 

Massaker beim Supernova Festival, 2023.

Angesichts solcher Gräueltaten mussten der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon, der Stabschef Rafael Elian und später auch der Premierminister Begin zurücktreten. Erst 2000 zogen sich die israelischen Truppen aus dem Libanon zurück. Durch den erzwungenen Abzug der PLO erstarkte die Hisbollah.

Im Jahr 2006 begann das, was Israel als zweiten Libanonkrieg bezeichnet. Auch hier waren der Invasion gegenseitige Provokationen der Hezbollah und Israels vorangegangen. Israelische Attentate, Raketenangriffe auf israelische Militärbasen, israelische Luftangriffe auf ein palästinensisches Flüchtlingslager im Libanon.

Nachdem Hamas-Terroristen auf israelischem Gebiet einen Soldaten gefangen genommen und dabei zwei weitere getötet hatten, begann einerseits die «Operation Sommerregen»; israelische Bodentruppen drangen in den Gazastreifen ein und besetzten ihn teilweise. Die Hamas reagierte mit Raketenangriffen auf Israel.

Als auch die Hetzbollah zwei israelische Soldaten auf israelischen Gebiet gefangennahm, begann die Operation «Gerechter Lohn». Am 12. Juli 2006 startete Israel eine grossangelegte Offensive gegen die Hisbollah im Libanon. Die israelische Luftwaffe bombardierte Strassen, Brücken und den Beiruter Flughafen und erzwang dessen Schliessung.

Am 23. Juli überquerten wieder israelische Truppen die Grenze zum Libanon. Die israelische Luftwaffe flog dabei über 15’000 Einsätze und die israelische Marine nahm rund 2500 Ziele entlang der Küste unter Feuer.

Die Hisbollah reagierte mit Raketenbeschuss gegen israelische Ziele, darunter Haifa, Nazaret und Tiberias.

Wikipedia schreibt: «Die zunehmende Zahl an Opfern unter den Zivilisten führte zu einer wachsenden Kritik an der israelischen Kriegsführung und einer Erhöhung des diplomatischen Druck auf Israel, insbesondere nach dem Tod der UNO-Beobachter in Chiyam. Hierzu trug auch das große Medienecho bei, das insbesondere der Luftangriff auf Kana, der Beschuss eines Flüchtlingskonvois bei Mardsch Uyun und der Angriff auf eine Gruppe syrischer Landarbeiter bei al-Qaa mit 23 Opfern hervorgerufen hatte

Im Oktober 2006 hatten sich die israelischen Truppen weitgehend aus dem Libanon zurückgezogen. Alleine dieser Krieg kostet Israel schätzungsweise 4 Milliarden Dollar, diesmal trat nur der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte zurück.

Bis heute ist die libanesische Regierung nicht Herr über das ganze Land; im Süden herrscht unangefochten die Hisbollah, Syrien und der Iran mischten und mischen sich ein, die 15’000 UNIFIL-Soldaten, die die entmilitarisierte Zone im Süden Libanons überwachen sollen, tun das nur unvollständig; aktuell werden sie von Israel zum Abzug aufgefordert.

Vor diesem Hintergrund ist – wie immer im Nahen Osten – die Forderung nach sogenannten einfachen Lösungen völlig unsinnig. Die Invasion Israels im Jahr 1982 wirkt bis heute nach, auch der zweite Überfall im Jahr 2006. Wie im Gazastreifen die Hamas stärkte Israel damit im Libanon die Hisbollah, die nun bekämpft wird – mit den üblichen Kollateralschäden bei der Zivilbevölkerung. Auch diesmal bombardiert Israel auch Wohnviertel in Beirut und anderswo.

Huhn oder Ei, wer hat angefangen, wer ist schuld? Im Nahen Osten eine Frage ohne Antwort. Nur ideologische Brillenträger haben eine einfache Antwort. Es ist eine atavistische Wiederholung der Wiederholung.

Als gesichert kann höchstens gelten, dass bislang keine der militärischen Interventionen Israels im Libanon das gewünschte Ziel erreicht hat – die Vernichtung der Hisbollah und die Befriedung der Nordgrenze. Woher da jemand die Hoffnung nimmt, dass es diesmal gelingen könnte?

Die ökonomischen Folgen dieser Kriege für Israel (von den desaströsen Zerstörungen im Gazastreifen und im Libanon ganz zu schweigen) sind katastrophal, es handelt sich um Multimilliarden. Wie lange der Staat noch in der Lage ist, diese Kosten zu stemmen, steht in den Sternen. Zu den horrenden Kosten dieser militärischen Interventionen kommen noch die Basiskosten der Aufrechterhaltung einer militärischen Abschreckung.

Wer das für eine nachhaltige, lösungsorientierte Politik hält, sollte sich untersuchen lassen.

 

Dokument des Grauens

99 US-Ärzte haben einen offenen Brief an Präsident Biden geschrieben.

Sie beklagen darin «unfassbare Verbrechen Israels in Gaza». Sie tun das aus eigener Anschauung und eigenem Erleben, denn sie haben zusammen 254 Wochen als Ärzte in diesem Kriegsgebiet gearbeitet. Sie unterstreichen, dass niemand von ihnen die Gräueltaten der Hamas unterstützt, die am 7. Oktober 2023 von bewaffneten palästinensischen Gruppen und Einzelpersonen in Israel begangen wurden.

Aber sie fordern, angesichts des unvorstellbaren Grauens, das sie erlebt und gesehen haben, dass die US-Regierung sofort ein internationales Waffenembargo gegen Israel und die Hamas in Kraft setzen.

Was die Ärzte im Einzelnen beschreiben, ist nur etwas für starke Nerven. Natürlich werden diese Augenzeugenberichte von Israel-Verteidigern («das sind die Guten», wie Markus Somm in unübertrefflicher Dummheit behauptet) als Propaganda zurückgewiesen.

Natürlich kann ZACKBUM die Authentizität und Wahrhaftigkeit der Aussagen nicht überprüfen. Es wäre aber höchst unwahrscheinlich, dass sich 99 US-Ärzte dazu verschwören, Lügengeschichten zu verbreiten. ZACKBUM dokumentiert einige Auszüge, der Link zum Original steht oben.

«Dieser Brief und der Anhang liefern beweiskräftige Angaben dafür, dass die Zahl der Opfer in Gaza seit Oktober weit höher ist als in den USA angenommen. Es ist wahrscheinlich, dass die Zahl der Todesopfer in diesem Konflikt bereits über 118.908 liegt, was erstaunlichen 5,4 % der Bevölkerung Gazas entspricht

«Ich habe noch nie so schreckliche Verletzungen in einem so großen Ausmaß mit so wenigen Ressourcen gesehen. Unsere Bomben töten Tausende von Frauen und Kindern. Ihre verstümmelten Körper sind ein Denkmal der Grausamkeit.»
Dr. Feroze Sidhwa, Unfall- und Intensivchirurg, Allgemeinchirurg des Veteranenministeriums

«Fast jedes Kind unter fünf Jahren, das wir im Krankenhaus und außerhalb antrafen, litt sowohl an Husten als auch an wässrigem Durchfall

«Mangelernährung führte zu zahlreichen Fehlgeburten, untergewichtigen Neugeborenen und der Unfähigkeit junger Mütter, ihre Kinder zu stillen. Da es in ganz Gaza keinen Zugang zu Trinkwasser gab, waren die Neugeborenen daher einem hohen Sterberisiko ausgesetzt. Viele dieser Säuglinge starben

«Insbesondere hat jeder von uns, der in der Notaufnahme, auf der Intensivstation oder in der Chirurgie gearbeitet hat, Kinder im vorpubertären Alter behandelt, denen regelmäßig oder sogar täglich in den Kopf oder die Brust geschossen wurde. Es ist unmöglich, dass derart weitverbreitete Schießereien auf kleine Kinder im gesamten Gazastreifen, die über ein ganzes Jahr andauern, zufällig waren oder den höchsten israelischen Zivil- und Militärbehörden nicht bekannt waren.»

«Präsident Biden und Vizepräsident Harris, wir können nicht begreifen, warum Sie weiterhin ein Land mit Waffen versorgen, das diese Kinder vorsätzlich massenhaft tötet.»

«Israel hat mehr als die Hälfte der Gesundheitsressourcen im Gazastreifen zerstört und fast tausend palästinensische Mitarbeiter des Gesundheitswesens getötet.»

«Alle waren sich sehr bewusst, dass ihre Arbeit als Gesundheitsdienstleister sie zu Zielscheiben für Israel gemacht hatte. Dies macht den Schutzstatus, der Krankenhäusern und Gesundheitsdienstleistern nach den ältesten und am weitesten verbreiteten Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zuerkannt wird, zur Farce.

Wir trafen in Gaza Gesundheitspersonal, das in Krankenhäusern arbeitete, die von Israel überfallen und zerstört worden waren. Viele unserer Kollegen wurden während der Angriffe von Israel verschleppt. Sie alle erzählten uns eine leicht unterschiedliche Version derselben Geschichte: In der Gefangenschaft wurden sie kaum ernährt, ständig physisch und psychisch misshandelt und schließlich nackt am Straßenrand abgeladen. Viele erzählten uns, dass sie Scheinhinrichtungen und anderen Formen der Misshandlung und Folter ausgesetzt waren. Viel zu viele unserer Kollegen im Gesundheitswesen sagten uns, sie hätten einfach nur auf den Tod gewartet.»

«Herr Präsident Biden und Frau Vizepräsidentin Harris, wir fordern Sie dringend auf, dem Staat Israel unverzüglich Ihre militärische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung einzustellen und sich an einem internationalen Waffenembargo gegen Israel und alle bewaffneten palästinensischen Gruppen zu beteiligen, bis in Gaza ein dauerhafter Waffenstillstand vereinbart ist, der die Freilassung aller israelischen und palästinensischen Geiseln umfasst, und bis zwischen den beiden Parteien eine dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ausgehandelt ist.»

Gleichzeitig unterstreichen die 99 Ärzte, dass sie während ihrer Tätigkeit im Gazastreifen in den Spitälern niemals militärische Aktivitäten beobachtet hätten.

Ihre Augenzeugenberichte sind umso wertvoller, da Israel bekanntlich keine unabhängige Berichterstattung aus dem Gazastreifen zulässt; mehr als 140 Medienschaffende sind dort bereits getötet worden, gemäss Reporter ohne Grenzen.

Israels Versuch, die fundamentalistische Terrororganisation Hamas auszulöschen, hat laut diesen Ärzten zu unfassbaren Kriegsverbrechen und Gräueltaten geführt; begangen nicht von der Hamas, sondern von Israel. Stimmt nur ein Teil dieser schweren Anschuldigungen, hat Israel jeden Anspruch auf moralische Überlegenheit verwirkt.

Nach dem brutalen und durch nichts zu rechtfertigenden Überfall, dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten und Besuchern eines Musikfestivals antwortet Israel offenbar seinerseits mit einem Massaker ungleich grösseren Ausmasses.

Kriegsverbrechen

Larifari statt Wertesystem.

Heuchelei und Verlogenheit passen nicht gut zum Ansatz, dass unsere westlichen, demokratischen, freiheitlichen Werte allen anderen Wertesystemen überlegen seien. Menschenrechte, Freiheit, Respekt vor dem anderen, Demokratie, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit. So der Kanon, heruntergebetet wie ein Rosenkranz.

Verstösse dagegen werden mindestens verbal streng geahndet. Die Parteidiktatur in China, die Familiendiktatur in Nordkorea, die korrupte Diktatur in Venezuela, das Putin-Regime in Russland. Die Mullah-Herrschaft im Iran. Furchtbar. Der Ukrainekrieg mit seinen Kriegsverbrechen, eigentlich ausschliesslich vom entmenschten Iwan verübt, furchtbar. Wie sagte doch die ukrainische Regierung so richtig: alle russischen Soldaten sind Kriminelle, Verbrecher und Vergewaltiger. Genau.

Deshalb darf man auch in der Schweiz keinen Dokumentarfilm zeigen, der russische Soldaten als Menschen porträtiert. Das sind sie doch nicht, das ist nur russische Propaganda.

Wie wär’s, wenn man das Gleiche über alle israelischen Soldaten sagen würde? Da erhöbe sich ein ungeheuerlicher Shitstorm, man sähe die Halszäpfchen in brüllenden Mäulern. Antisemit wäre noch das mildeste Schimpfwort, mit dem man bedacht würde.

Natürlich kann man das in dieser Allgemeinheit auch nicht über Mitglieder der israelischen Armee sagen. Aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass diese Armee Kriegsverbrechen im Libanon begeht. Wobei sich die Mainstreammedien hier auf eine rein deskriptive Berichterstattung zurückziehen.

So tickert der Qualitätskonzern Tamedia eine DPA-Meldung:

«Bei israelischen Angriffen im Libanon sind am Dienstag nach Behördenangaben mindestens 36 Menschen getötet worden. 150 weitere Personen seien verletzt worden, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit. Damit seien seit Ausbruch der Gefechte zwischen der Hizbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr mindestens 2119 Menschen getötet und 10’019 weitere verletzt worden, teilten Behörden mit. Das Ministerium unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hizbollah-Kämpfern.
Allein am Dienstag registrierte der Notfallausschuss der geschäftsführenden Regierung insgesamt 137 israelische Luftangriffe im Libanon.»

Bevor wieder die üblichen Rechthaber mit ihrem Sermon kommen, dass das halt ein asymmetrischer Krieg sei und Israel ja nichts dafürkönne, dass sich die Terroristen der Hetzbollah hinter Zivilisten versteckten: wer weiss eigentlich genau, was ein Kriegsverbrechen ist?

Irgend etwas Furchtbares, was im Krieg begangen wird, wobei Krieg als solcher ja schon ein Verbrechen darstellt, dürfte wohl die mistgenannte Antwort sein. Versuchen wir es etwas konkreter:

Als Kriegsverbrechen gelten Verhaltensweisen, die in den Genfer Konventionen von 1949 „als schwerer Verstoss“ definiert sind oder durch bestimmte Bestimmungen des Anhangs zur vierten Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 verboten sind.

Zum Beispiel?

  • Tötung, Geiselnahme, Folter und Vergewaltigung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen
  • Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäten und Denkmäler
  • Plünderungen und Zerstörung von Eigentum
  • Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen, friedenserhaltende Missionen und auf Missionen des Roten Kreuzes
  • Verwendung von biologischen, chemischen Waffen und Atomwaffen.

Womit die israelischen Angriffe in einem nicht erklärten Krieg gegen den Libanon eindeutig darunterfallen.

Geahndet werden Kriegsverbrechen, sollte die Nation, die sie begeht, nicht selbst dazu in der Lage sein, durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Allerdings muss seine Autorität zunächst einmal anerkannt werden. Länder wie die USA, China, Indien, Russland, Kuba, Pakistan – und Israel – tun das nicht.

So ist die seit Dezember 2019 andauernde Untersuchung von Kriegsverbrechen, die von Israel oder der Hamas oder anderen bewaffneten Gruppen in Palästina begangen wurden, ohne Wirkung. Dazu gehören auch Verbrechen im Zusammenhang mit der Errichtung illegaler israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland sowie Angriffe auf israelische Zivilisten durch die Hamas und deren Verwendung von Palästinensern als menschliche Schutzschilde.

Ein Massaker rechtfertigt nicht das nächste, es gibt keine Relativierung von Kriegsverbrechen. Wer sich ein Antidot gegen das Dröhnen einseitiger Darstellungen verabreichen will, kann diese ebenfalls einseitige Darstellung anschauen. Nicht als «so ist’s wirklich», sondern als «sieht man sonst eher nicht».

Wer eine regelbasierte Ordnung, die zwar mildernde Umstände und den Begriff der Notwehr kennt, dennoch aber universell gültig sein sollte, als letzten Schutzwall gegen Willkür, Faustrecht und Barbarei ansieht, muss Verstösse dagegen als Kriegsverbrechen bezeichnen.

Unabhängig davon, von wem sie begangen werden. In allen grossen Kriegen der Vergangenheit (und Gegenwart) gibt es immer die Flachdenke, dass die anderen, der Feind, der politische Gegner Kriegsverbrechen ohne Zahl begeht. Seine Soldateska ist enthemmt und entmenscht, während die eigenen Streitkräfte edel und gut sind. Die einen sind die Besetzer, die anderen die Befreier. Die anderen kämpfen für ein Unrechtsregime, die Eigenen für unsere moralisch überlegenen Werte.

Schiessen vertierte Hetzbollah-Terroristen eine Rakete auf ein ziviles Ziel in Israel, ist das ein Kriegsverbrechen. Schiesst die israelische Armee eine Rakete in ein Wohngebiet von Beirut, wo Terroristen vermutet werden, ist das legitim, sind getötete Zivilisten Kollateralschaden. Sie hätten halt rechtzeitig flüchten sollen, so wie im Gazastreifen. Wo ihnen zuerst angeblich sichere Gebiete zugewiesen wurden, die dann anschliessend bombardiert wurden.

Niemand, der nicht ein fundamentalistisch umnebelter Fanatiker ist, kann die terroristischen Aktionen der Hamas, der Hetzbollah und anderer Hilfstruppen des Iran, finanziert von Katar und anderen Scheichtümern, billigen. Aber das als billigen Vorwand zu nehmen, um alle israelischen Kriegsverbrechen zu legitimieren, ist unredlich und macht diese Verteidiger unglaubwürdig.

Was diese Eurozentristen ausblenden: genau aus diesem Grund findet die Sanktionspolitik der EU, der USA und ihrer wenigen Verbündeten bei fast allen Ländern der Welt keinen Anklang. Genau deswegen unterstützen viele Länder der Welt Israel nicht.

Denn die Definition von Kriegsverbrechen, der Versuch, etwas Zivilisation in die Barbarei eines Krieges zu bringen, gilt universell. Genau wie die Menschenrechte. Die auch dort gelten sollten, wo sie dem Wertewesten aus verschiedenen Gründen scheissegal sind. Zum Beispiel im Sudan, in Äthiopien oder in Eritrea. Weil dort die Menschen die falsche Hautfarbe haben und keine nennenswerten Rohstoffe. Oder in Saudi-Arabien, weil die Wahhabiten (noch schlimmere Fanatiker als die Schiiten im Iran) sehr viel Rohstoff haben.

Und bevor diese alte Leier nochmal kommt: natürlich war der Krieg gegen Hitlerdeutschland in jeder Form legitimiert und richtig, wobei man nicht vergessen sollte, dass die Sowjetunion den grössten Blutzoll entrichtete und die Deutschen  wie die Barbaren in den besetzten Gebieten wüteten. Dennoch war die Bombardierung Dresdens durch die Westalliierten ein Kriegsverbrechen.

Das Fundament unserer Rechtsverständnisses beruht darauf, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Sein sollten. Individuen genau wie Staaten. Im Frieden und im Krieg. Letztlich ganz einfach, aber offenbar so schwer zu verstehen.

Wer die Geschichte nicht kennt …

Ein ZACKBUM-Leser hat sich die Mühe gemacht, Geschichtsunterricht zu erteilen. Zwecks Erkenntnisgewinn …

Ich denke, wenn man die Gegenwart verstehen will, muss man die Vergangenheit kennen.
Für Israel bedeutet dies Rückblick bis Anfang des 20. Jahrhunderts.
Das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ist ein Kriegsverbrechen und muss verurteilen werden. Aber so einfach darf man es sich nicht machen.
Michael Lüders schreibt in seinem neuen Buch: Krieg ohne Ende, Folgendes:
Hier einige Auszüge:
Die geostrategische Bedeutung Palästinas führte 1917 zur Erklärung des britischen Aussenministers Lord Arthur Balfour, sein Land werde die Gründung einer jüdischen “Heimstätte“ in Palästina befürworten. Diese Balfour-Erklärung, leitete die Staatsgründung von Israel ein.
Am 2. November 1917 schreibt Balfour seinem adeligen Kollegen, dem britischen Zionisten und Banker Lord Walter Rothschild, die Regierung seiner Majestät betrachte „mit Wohlwollen“ die Errichtung einer „Heimstätte“ für das jüdische Volk in Palästina. Er hob auch hervor: „Dürften die Rechte der einheimischen, nichtjüdischen Gemeinschaft nicht beeinträchtigt werden“.
Obwohl 90% der Bevölkerung Araber waren, wurde das Wort „Araber“ im Brieftext nicht erwähnt. Und die Araber wurden auch nicht gefragt.
Ungeachtet der britischen Besetzung 1914/18 gehörte Palästina formal noch zum Osmanischen Reich. London versprach also Land, das ihm nicht gehörte, einer politischen Bewegung, der zionistischen, die nach damaligen Massstäben keinerlei legale Ansprüche auf die angestrebte „Heimstätte“erheben konnte.
Am 11. August 1919 hielt Balfour in einem Memorandum für die Regierung seiner Majestät fest:“Was Palästina betrifft, so denken wir nicht daran, die Wünsche der gegenwärtigen Bewohner des Landes zu berücksichtigen… Die Vier Grossmächte (Grossbritannien, Frankreich, Italien und die USA) sind dem Zionismus verpflichtet. Und der Zionismus ist – zu Recht oder zu Unrecht, im Guten wie im Schlechten – in jahrhundertealten Traditionen verwurzelt, in gegenwärtigen Notwendigkeiten, in zukünftigen Hoffnungen. All das ist von ungleich grösserer Bedeutung als die Wünsche und Vorurteile von 700’000 Araber, welche jetzt dieses Land bewohnen“.
Im Februar 1939 gab es in London eine Round-Table-Konferenz, an der palästinensische, arabische und zionistische Vertreter teilnahmen. Unter dem Eindruck dieser Konferenz kam im Mai 1939 ein neues Weissbuch (McDonald White Paper) den Araber entgegen, versprach den Palästinensern innerhalb der nächsten zehn Jahre sogar die Unabhängigkeit. Doch die facts on the ground waren längst unumkehrbar, und die Zeit arbeitete für die jüdische Seite, nicht für die palästinensische.
David Ben-Gurion, weitsichtiger Stratege und Realist (und Propagandist), hat die Hintergründe des Aufstands in einer internen Diskussion unter Führungskadern 1938 sehr offen benannt: „Wenn wir im Ausland argumentieren und unseren Standpunkt vermitteln, reden wir den arabischen Widerstand uns gegenüber klein….. Doch in vertrauten Runden sollten wir uns der Wahrheit nicht verschliessen. Die Wahrheit ist, dass wir, politisch gesehen die Aggressoren sind, während sie sich verteidigen…. Es ist ihr Land, weil sie es bewohnen, während wir hierherkommen und uns hier niederlassen...“.
Die Revolte sei ein „ aktiver Widerstand der Palästinenser gegen das, was sie als widerrechtliche Aneignung ihrer Heimat durch die Juden verstehen …. Hinter dem Terrorismus steht eine Bewegung, der es, obgleich primitiv, nicht an Idealismus und Opferbereitschaft fehlt.“
Gewaltverbrechen, ähnlich demjenigen der Hamas im letzten Oktober, gab es schon früher, z.B. Das Massaker von Deir Yassin einem Vorort Jerusalems am 9. April 1948.
Das kleine Dorf mit seinen 600 Einwohnern wurde von 120 zionistischen Paramilitärs grundlos attackiert. 150 Frauen, Männer und Kinder wurden massakriert, bei einigen Leichen Köpfe oder Gliedmassen abgetrennt. Der Ort wurde geplündert, mehrere Frauen wurden vergewaltigt, einige Überlebende durch die Strassen Westjerusalems getrieben, wo ein jüdischer Mob sie anspuckte, ihnen die Kleider vom Leibe riss, sie mit Steinen bewarf und schliesslich umbrachte.
Das Massaker von Deir Yassin löste eine Massenflucht der Palästinenser aus – was auch beabsichtigt war. Die Verantwortlichen, offenkundig stolz auf ihre Tat, luden alle ausländischen Korrespondenten im Land ein, die geschändeten Leichen und die Zerstörungen im Dorf in Augenschein zu nehmen. Die treibende Kraft dieser Brutalität war die Organisation „ Irgun Zvai Leumi“ (Nationale Militärorganistion) kurz Irgun, eine revisionistische, rechtsradikale Gruppierung unter Führung von Menachem Begin, von 1977 bis 1983 Israels Premierminister.
Begin selbst hat am Massaker nicht teilgenommen, er hielt sich nach zahlreichen Terroranschläge auf die Briten versteckt. Am bekanntesten wurde die von ihm veranlasste Sprengung des King David Hotels in Jerusalem, damals der britische Verwaltungssitz in Palästina, am 22. Juli 1946 mit 91 Toten.
(Jassir Arafat hatte in Menachem Begin einen guten Lehrmeister, der ihm gezeigt, hat was man mit Terror und Bombenanschlägen alles erreichen kann.)
Die Kämpfer der Irgun wurden nach der Staatsgründung Teil der israelischen Armee, ohne jemals juristisch belangt zu werden. Aus dem politischen Flügel ging 1948 die „Cherut“ („Freiheits“-)Partei hervor, deren Logo ein siegreich erhobenes Gewehr über der Landkarte von Israel/Palästina und Jordanien zeigt, versehen mit dem Spruch: „Beide Ufer des Jordan – dieses gehört uns, das andere auch“.
Ein weiteres Massaker fand am 22. Mai 1948 in der Hafenstadt Tantura statt. Ich verzichte auf eine Beschreibung der Taten. Ein Vergleich mit dem Massaker der Hamas am 7.Oktober 2023 ist aber nicht abwegig.
Am 28. Februar 1955 griff eine israelische Kommandoeinheit das ägyptische Militärhauptquartier in Gaza an. Dabei trat ein damals noch unbekannter junger Offizier durch besondere Brutalität hervor: Ariel Scharon, später Ministerpräsident (2001 – 2006) und Ikone der Siedlerbewegung.
Während der Nakba wurden 531 Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Dabei wurden mehr als siebzig Massaker mit über 15’000 Toten an der palästinensischen Bevölkerung verübt.
Man könnte annehmen, dass sich die israelische Führung, die eine Rückkehr der Vertriebenen kategorisch ablehnt, wenigstens bereit erklärt, die Palästinenser für ihren Besitz zu entschädigen, gemäss der zweiten wesentliche Forderung der UN-Resolution 194. Doch weit gefehlt, es geschah genau das Gegenteil.
Alles Geld, das die 1.3 Millionen Araber des Mandatsgebietes Palästina in Banken oder Institutionen angelegt hatten, wurde unmittelbar nach der israelischen Staatsgründung noch im Mai 1948 eingezogen und konfisziert. Auch das Vermögen jener Palästinenser, die nicht vertrieben wurden.
Der Gesamtbetrag belief sich auf 100 Millionen britische Pfund, entsprechend etwa 4 Milliarden Euro. Gleichzeitig gingen alle Immobilien sowie der Grund und Boden der Vertriebenen in den Besitz des jüdischen Nationalfonds über, insgesamt 3.5 Millionen Dunam (ein Dunam entspricht 1000 Quadratmeter). Alles entschädigungslos enteignet, was mit Rechtsstaatlichkeit wenig, mit Landraub und Diebstahl dagegen sehr viel zu tun hat.
Hier ist darauf hinzuweisen, dass Israel keine Verfassung hat und somit über keine klaren Landesgrenzen verfügt.
Die israelisch – palästinensische NGO Adalah führt, Stand 2017, mehr als 65 israelische Gesetze an, die unmittelbar oder indirekt palästinensische Bürger Israels und/oder jene der besetzten Gebiete allein deswegen diskriminieren, weil sie keine Juden sind.
Im Juli 2018 verabschiedete das israelische Parlament das „Nationalitätengesetz“ ein jahrelanges Herzensanliegen der Ultrarechten. Es definiert Israel ausdrücklich als jüdischen Nationalstaat. Was zunächst als weisser Schimmel anmutet, bedeutet konkret, dass ausschliesslich die jüdischen Bürger Israels das Recht auf Selbstbestimmung haben, einschliesslich des ungehinderten Erwerbs von Grund und Boden, nicht aber die palästinischen – von der Bevölkerung in den besetzten Gebieten ganz zu schweigen. Damit ist der weiteren Entrechtung von Palästinensern mit israelischem Pass, die ein Fünftel der Staatsbürger stellen, Tür und Tor geöffnet.
Darüber hinaus erklärt das „Nationalitätengesetz“ Gesamtjerusalem unwiderruflich zur Hauptstadt Israels, schafft die Arabische Sprache als zweite Landessprache ab, bekennt sich zum verstärkten Siedlungsbau und dessen zusätzlichen Finanzierung. Mit dem Ziel, das Westjordanland grossflächig zu annektieren und der Gesetzgebung Israels zu unterwerfen, ohne jedoch den Palästinensern Wahlrecht oder die Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Seit den 1990er Jahren sind israelische Regierungen damit befasst, Dokumente aus Staatsarchiven als geheim einzustufen, sie zu zensieren und folglich der Öffentlichkeit, namentlich kritischen Historikern, zu entziehen. So unterzeichnete Premier Netanjahu am 21. Januar 2019 eine Ergänzung zum „Archiv-Gesetz“, wodurch historisch relevante Quellen für weitere siebzig bis neunzig Jahre unter Verschluss gehalten werden. Das betrifft die Archive der Armee, des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, des Auslandsgeheimdienstes Mossad, der Kommission für Atomenergie, des Instituts für biologische Forschung und eine Vielzahl militärischer Einrichtungen. Dort geht es insbesondere um „Rohmaterial von geheimdienstlicher Bedeutung“.
Ein führender Spitzenbeamter des Verteidigungsministeriums bekannte freimütig, es gehe bei diesen Massnahmen darum, Historiker zu diskreditieren. Denn der Staat erhalte dadurch die Möglichkeit, bei umstrittenen Themen zu behaupten, der Historiker hätte Dokumente gefälscht.“
Nicht ohne Grund untersteht das israelische Nationalarchiv dem Büro des Ministerpräsidenten. Dessen Chefarchivar Yaacov Lozowick erklärte im Januar 2018, dass die Frage, welche Dokumente zur Einsicht freigegeben werden, auch eine politische sei.
Es gehe darum,“Teile der historischen Wahrheit zu verbergen, um eine gefälligeres Narrativ zu erhalten“. Vor allem dann, wenn die entsprechenden „Materialien… als israelische Kriegsverbrechen gedeutet werden können“.
Aus demselben Literaturhinweis durch Deepl übersetzt (HS):
Klar ist jedoch, dass diese Historiker offizielle Dokumente ausgegraben haben, die die israelische Schuld an der Vertreibung der Palästinenser, der Blockade der Rückkehr der Geflüchteten und der Begehung einer Reihe von Kriegsverbrechen bestätigen. In einem bahnbrechenden Dokument vom Juni 1948 – das von Benny Morris ausfindig gemacht und danach aus der Öffentlichkeit entfernt wurde – listete ein Geheimdienstoffizier viele der entvölkerten palästinensischen Dörfer aus der ersten Phase des Krieges von 1948 auf und erklärte für jedes Dorf praktisch, mit welchen Mitteln es entwurzelt wurde. Zu den Faktoren, die für den palästinensischen Exodus genannt wurden, gehörten «direkte feindliche jüdische Operationen», «jüdische Flüsteroperationen» (d.h. psychologische Kriegsführung), «ultimative Vertreibungsbefehle», «Angst vor jüdischer [Vergeltungs-] Reaktion» und andere. Obwohl palästinensische und arabische Gelehrte jahrzehntelang so argumentiert hatten (meist auf mündliche Überlieferungen), waren ihre Behauptungen in der westlichen Forschung oft an den Rand gedrängt worden. Diese Leugnung war nach der Veröffentlichung der Arbeit der Neuen Historiker nicht mehr möglich.
Man könnte nun weiterhin gegenseitig durchgeführte Massaker aufzählen, was wie ich finde keine Lösung des Problems ist, zeigt aber das der Terror ebenso von israelischer Seite ausgeht (vielleicht sogar begann?), sowohl physisch wie auch psychisch.
Die weit höheren Opferzahlen der palästinensischen Bevölkerung sprechen eine Sprache für sich.
Über den Libanon berichtet Karin Leukefeld aus den Nachdenkseiten wie folgt:
Seit dem 7. Oktober 2023 wird entlang der „Blauen Linie“ geschossen. Die libanesische Hisbollah bombardiert militärische Ziele und Überwachungsanlagen der israelischen Streitkräfte (IDF), die mit Drohnen, Kampfjets, Artillerie bis weit in den Libanon hinein bombardieren. Der Krieg begann mit dem Krieg gegen Gaza. Nach Angaben der Hisbollah werden die Angriffe gestoppt, sobald es in Gaza einen Waffenstillstand gibt.
In der Zeit vom 7. Oktober 2023 bis 21. Juni 2024 haben sich entlang der „Blauen Linie“ mindestens 7.400 Angriffe ereignet. Das ergibt eine Dokumentation des Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED), das entsprechendes Kartenmaterial veröffentlichte. 83 Prozent dieser Angriffe wurden demnach von Israel verübt, insgesamt 6.142. Dabei wurden mindestens 543 Personen im Libanon getötet. Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen seien demnach für 1.258 Angriffe verantwortlich, heißt es in dem Bericht. Dabei seien mindestens 21 Israelis getötet worden.
Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wurden auf libanesischer Seite mindestens 340.000 Tiere getötet, 47.000 Olivenbäume und 790 Hektar Agrarland zerstört, und zwar „während der Erntezeit“. Die Folge sei, dass die libanesischen Bauern mehr als 70 Prozent ihrer Ernte (2023/24) verloren und das Angebot von Nahrungsmitteln für die Bevölkerung sich verringert habe, heißt es in dem FAO-Bericht. In großem Umfang feuern die israelischen Streitkräfte weißen Phosphor auf libanesische Wälder und Agrarland. Ernten, Boden und Grundwasser werden verseucht, das Gift bedroht Menschen und Vieh gleichermaßen. Israel zerstöre absichtlich die Lebensgrundlagen der Bevölkerung, sind Gesprächspartner im Libanon sich sicher. Niemand soll jemals wieder in das fruchtbare, wasserreiche Gebiet zurückkehren, das Israel seit seiner Gründung 1948 besitzen will. Tausende Familien haben ihre Lebensgrundlagen verloren.
Wenn man verstehen will, was irgendwo auf der Welt geschieht, muss man wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist, daraus könnte oder noch besser sollte man etwas lernen.
Vermutlich hat António Guterres an diese geschichtsträchtigen Vorkommnisse gedacht, als er darauf hinwies: das Massaker kam nicht aus dem Nichts (oder so ähnlich).

Michael Lüders; Krieg ohne Ende, warum wir für Frieden im Nahen Osten unsere Haltung zu Israel ändern müssen.
Goldmann Verlag ISBN 978-3-442-31776-9

Wumms: Aline Trede

Die grüne «Nationalrätin und Unternehmerin» heuchelt vor sich hin.

Die Fraktionschefin der Grünen ist keine Zierde des Parlaments. So keifte sie in Fäkaliensprache «Stoppt dieses Scheissbuch», obwohl die umfangreiche Recherche von Michèle Binswanger gar noch nicht erschienen war. Aber sie gehört halt zum Unterstützerkreis einer Zuger Aktivistin, um die es eher ruhig geworden ist.

Auch opportunistische Heuchelei ist ihr nicht fremd: «Ich fliege nicht und finde, dass es in Europa für mich noch genug zu entdecken gibt.» Es gibt allerdings auch in Brasilien und Uruguay genug zu entdecken, weshalb Trede an einem Parlamentarierreisli dorthin teilnahm. Denn merke: Reisen auf Kosten des Steuerzahlers machen am meisten Spass. Und Trede fliegt nicht, ausser sie fliegt doch.

Nun berichtet sie in ihrer Kolumne im «Blick» über einen Ausflug nach Orgosolo. Der sardische Ort ist bekannt für seine Murales, seine Wandgemälde. Die sind in ihren Aussagen nicht über jeden Zweifel erhaben; so wird der deutsche Staatsmann Helmut Schmidt wegen des Todes von RAF-Terroristen in Stammheim als «Experte in Sachen Staatsmord» beschimpft.

Trede hat aber anderes betrachtet: «Zu sehen sind Wandmalereien, die aufzeigen, dass Krieg und Unterdrückung ein Teufelskreis sind.» Daher kümmert sich Trede gleich um die grossen Fragen:

«Warum führt jemand Krieg? Warum sollen alle die gleiche Religion haben? Warum leben einige in Saus und Braus, während andere nichts zu essen haben

Das beschäftigt die Menschheit, seit unsere Vorfahren sich in der Höhle ein Mammut gebraten haben und beim Kauen darüber philosophierten. Aber leider hat auch Trede keine Antwort darauf. Oder höchstens eine kleine:

«Wir sollten mehr in die Friedenspolitik investieren und eine friedenspolitische Strategie entwickeln. Dass diese Diskussion nicht mehr geführt wird, ist auch dem von der bürgerlichen Mehrheit und den Medien sofortigen Abtun als naive Pazifisten geschuldet. Klar bleibt: Frieden ist die einzige Lösung. Krieg hat keine Zukunft.»

Tja, ob die GSoA heute noch ein paar Prozent Stimmen machen würde? Und wo werden Debatten über friedenspolitische Strategien abgetan? Sie werden schlichtweg nicht geführt, am allerwenigsten von Trede.

Aber gut, dass sie endlich eine gültige Antwort gibt. Gewalt ist keine Lösung, wussten wir’s doch. «Krieg hat keine Zukunft», behauptet sie noch kühn. Das wagen wir allerdings zu bezweifeln. Oder sollte das gar eine versteckte (oder offene) Kritik an den Kriegshandlungen Israels sein? Will Trede damit sagen, dass im Nahen Osten endlich Friedensverhandlungen geführt werden sollten? Damit setzt sie sich doch der Gefahr aus, als Antisemitin gebrandmarkt zu werden, ts, ts.

ZACKBUM hingegen hatte nur eine kleine, friedfertige Frage an Trede. Mit welchen Transportmitteln denn die Nicht-Fliegerin auf die Insel Sardinien gelangte. Bequem per Flieger oder tatsächlich mit Zug und Schiff? Aber so friedfertig sich Trede auch gibt, die mitteleuropäische Sitte, auf journalistische Anfragen zu antworten, die geht ihr nachhaltig ab.

Schon als ZACKBUM fragte, wie sich denn die Flugreisen nach Lateinamerika mit ihrem Bekenntnis, nicht zu fliegen, vereinbaren liessen, schwieg sie verkniffen.

Grün ist die Farbe der Heuchelei, das gilt nicht nur in Deutschland.

Logik? Was ist das?

ZACKBUM hat weder die Welterklärungsformel, noch die Wahrheit gepachtet. Zwei Unterschiede zu den Medien.

Vergessen wir für einmal all die Kriegsgurgeln, Sandkastengeneräle, Besserwisser, Dummschwätzer und Rechthaber in den Medien. Die Halbwertszeit ihrer «Einordnungen» oder «Analysen» beträgt selten mehr als fünf Minuten.

Wenden wir stattdessen triviale deduktive Logik an. Indem wir banale Fragen zu beantworten versuchen. Immer unter der Massgabe, dass auch ZACKBUM sich täuschen kann. Auch das unterscheidet uns von der Journaille.

Israel ist eine Atommacht, deshalb ohne radioaktive Verheerung nicht zu besiegen. Die Palästinenser sind, ohne sie vollständig auszurotten, auch nicht zu besiegen. Also kann es nur eine Zweistaatenlösung geben. Wobei man nicht vergessen darf, dass die Hamas ein Gezücht ist, das Israels Ministerpräsident Netanyahu aufgepäppelt hat, indem der Milliardenzahlungen der Katari an die Hamas tolerierte. Die Idee war die Schwächung der Al Fatah, womit ein valabler Gesprächspartner desavouiert ist  und die illegale Besiedelung des Westjordanlands vorangetrieben werden kann.

Raffiniert, aber blöd. Man füttert nicht ungestraft ein Monster. Man hält sich nicht ungestraft an der Macht, weil nur sie Immunität vor einem Knastaufenthalt verspricht.

Dabei ist es logisch ganz einfach. Entweder wird Israel vernichtet, was angesichts der Milliardenkosten der Kriegsführung nicht ganz unwahrscheinlich ist. Oder die Palästinenser werden vernichtet, was angesichts ihrer Zahl und Reproduktionsrate unwahrscheinlich erscheint. Also kann es nur eine Zweistaatenlösung geben.

Alles Gedöns und Geschwurbel beiseite. Auch hier gilt logisch ein einfaches Prinzip. Der Krieg endet in einer völligen Vernichtung einer der beiden Kriegsparteien. Unmöglich. Also muss es eine Verhandlungslösung geben. Je schneller, desto weniger Opfer gibt es. Trivial, simpel, logisch, unwiderlegbar.

Die Ukraine ist militärisch der Atommacht Russland haushoch unterlegen. Aufgeblasen zu einem Scheinriesen durch die Unterstützung der NATO. Hier geht es nicht um die Verteidigung westlicher Werte gegen slawische Untermenschen. Hier geht es darum, dass der Westen ein korruptes Oligarchensystem gegen ein anderes korruptes Oligarchensystem unterstützt. Wobei beiden Oligarchien der Todeszoll, den die Menschen leisten müssen, scheissegal ist.

Tote Russen, tote Ukrainer, leidende Menschen, was soll’s; die Propagandamaschinen auf beiden Seiten schleimen sie als gefallene Helden im Kampf für das Gute weg. Dabei sind sie Kanonenfutter, wie im Ersten Weltkrieg, wo neben so vielen Kriegsgurgeln nur ein Amok wie Céline in der Lage war, das in gültige Worte zu fassen. Aber wer in der aktuellen Bildungswüste kennt den noch.

Auch die Auseinandersetzung Ukraine – Russland kann nur in der völligen Vernichtung einer der beiden Kriegsparteien oder in einer Verhandlungslösung enden. Da Russland als Atommacht das nicht treffen kann, muss die Ukraine mehr an der Verhandlungslösung interessiert sein. Dem steht eine korrupte Oligarchie in einem der korruptesten Länder der Welt entgegen, angeführt von einem Präsidentendarsteller, der in dieses Amt von einem Oligarchen gekauft wurde, demgegenüber er sich mit einer Amnestie für Milliardenbetrügereien revanchierte.

Also wäre es im ureigensten Interesse der ukrainischen Bevölkerung, genauso wie der israelischen, und auch der palästinensischen und der russischen, dass diese Schlachtereien so schnell wir möglich enden.

Mit der Anerkennung der Realitäten. Die Ukrainer, die Russen, die Israelis und die Palästinenser können nicht vernichtet werden. Das haben nicht einmal die Nazis geschafft, und niemand hat es ernsthafter versucht, ein Volk auszurotten.

Also würde die Logik gebieten, dass sofort Verhandlungen beginnen müssten. Schon die Römer wussten «vae victis», wehe den Besiegten. Schon die Römer wussten, dass eine völlige, absolute Niederlage des Feindes nur funktionieren kann, wenn er restlos vernichtet, ausgelöscht, vom Antlitz der Erde gelöscht wird.

Also begannen schon sie, die Niederlage für die Feinde erträglich zu machen. Das war vor 2000 Jahren staatsmännisches Grundwissen, das sollte es noch heute sein.

Wie erbärmlich dagegen all das Geseire und Geschwafel, die Wichtigtuerei von Flachdenkern in den deutschsprachigen Medien. Man wäre fast mitleidig gerührt und möchte ihnen zurufen: müh dich doch nicht so ab, hört sowieso keiner auf dich, du Eintagsfliege. Ist selbst deinen Lesern, sogar deinen Redaktionskollegen völlig wurst, was du der Welt zurufst, die sich eh nicht um dich kümmert.

Aber dann verstimmt die Arroganz, die Überheblichkeit, das erbärmliche intellektuelle und kulturelle Niveau. Das inquisitorische Rechthaben, noch unfundierter als bei allen Torquemadas, die ihre Wahnsinnsinquisition wenigstens noch scholastisch-jesuitisch geschickt begründen konnten.

Heute ist da nur noch Wüste, die sich auch nicht bewässern lässt, weil sie allen kritischen Geistern Schreibverbot erteilt, auf das die Erbärmlichkeit der eigenen Flachdenke weniger unangenehm auffällt.

Das alles hier erhebt keinen Anspruch auf alleinige Gültigkeit und Wahrheit. Müsste aber erst mal auf Niveau widerlegt werden …

Alles eine Frage der Moral

Wohin Sittenverluderung führen kann.

Von Israel lernen, heisst Doppelmoral und Heuchelei lernen. Nicht irgendwer, sondern Israels Finanzminister Bezalel Smotrich sagte in einer Rede, es sei «gerecht und moralisch», die zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens auszuhungern, bis die israelischen Geiseln zurückgekehrt sein. Aber, fügte er bedauernd hinzu, «die Welt würde das nicht zulassen».

Das vollständige Zitat:

«In der heutigen globalen Realität ist es unmöglich, Krieg zu führen – niemand auf der Welt würde zulassen, dass wir zwei Millionen Bürger verhungern und verdursten lassen, auch wenn es gerecht und moralisch wäre, bis sie unsere Geiseln zurückgeben.»

Laut unabhängigen Beobachtern behindert Israel schon lange Nahrungsmittellieferungen in den Gazastreifen, die Regierung bestreitet das.

Wie moralisch verkommen muss ein Mensch sein, der so etwas sagt? Wie verludert müssen die Sitten in einer Regierung sein, dass ein Minister so etwas sagen darf?

Schnell kommen nun die Relativierer und Whatboutism-Künstler aus ihren Löchern und weisen auf das Massaker vom 7. Oktober hin. Auf das erklärte Ziel des Iran, der Hamas und der Hezbollah, sowie weiterer arabischer Staaten, Israel von der Landkarte zu tilgen. Auf die unzähligen Selbstmordattentate und Terrorakte, die diese fundamentalistischen Wahnsinnigen zu verantworten haben. Auf deren völlig fehlende Bereitschaft, zu einer Verhandlungslösung zu kommen.

Das ist alles richtig.

Aber: Moral ist nichts Relatives. Sondern absolut. Das ist ihr konstituierendes Merkmal, von Immanuel Kant unnachahmlich und gültig hergeleitet. Bei Moral gibt es kein «ja, aber». Kein «im Prinzip schon, aber in diesem Ausnahmefall nicht». Und erst recht kein «die auch, also dürfen wir ebenfalls».

Wer mit der moralischen Überlegenheit des Guten den Kampf gegen das Böse führen will, muss das legitimieren können.

Also muss er sich an das halten, was Kant bislang unübertroffen definiert hat:

«Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.»

Nun kommen die Relativierer aus den Löchern und sagen: Wenn man sich menschenverachtenden, keinerlei moralische Prinzipien befolgenden fundamentalistischen Wahnsinnigen gegenüber so verhält, dann kann man auch gleich Selbstmord begehen.

Das ist völlig falsch. Ein Mensch (oder ein Gemeinwesen), das sich nicht an diesen kategorischen Imperativ hält, ist innerlich verfault, morsch, wird früher oder später untergehen. So war es schon immer in der Geschichte.

Schon kommen die persönlich Betroffenen aus den Löchern und sagen: wenn dein Allerliebstes Opfer einer brutalen und grausamen Gewalttat geworden wäre, dann würdest du auch nicht für Milde für den Täter, verstehen, rechtliche Prinzipien und Resozialisierung plädieren.

Aber genau aus diesem Grund wurde die Blutrache, das Faustrecht und die Lynchjustiz abgeschafft. Weil der einzelne Betroffene verständlicherweise oftmals nicht in der Lage ist, sich an moralische Prinzipien zu halten. Genau dafür gibt es all das, was Amokläufer wie Markus Somm ablehnen: Regelwerke, Kontrollinstanzen, Recht. Statt ruchlose Barbarei.

Das hat sogar die Bibel ziemlich gültig formuliert, obwohl sie nur für Gläubige Letztbegründungen liefert:

«Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele

Wer sich nicht daran hält, ist keinen Deut besser – zumindest nicht moralisch überlegen – als ein Hamas-Wahnsinniger. Beginnt Relativierung, dann kommt es nur noch auf den Blickwinkel an. Die Iraner, die Hamas, die Hetzbolla halten ihr Vorgehen für gerechtfertigt, moralisch vertretbar, gesegnet durch den Islam.

Früher hielten auch Christen während den Kreuzzügen ihre Blutsäuferei und ihr hemmungsloses Abschlachten und Waten im Blut bei der Eroberung des heiligen Jerusalem für moralisch völlig einwandfrei, weil mit dem Segen der Kirche versehen. «Deus lo vult» ist die christliche Version von «im Namen Allahs». Mit beiden amoralischen Sätzen entäussert sich der Einzelne seiner moralischen Verantwortung und verlagert sie nach oben.

Auf einigen wenigen Inseln der Vernunft und der Moral sind wir aus solchen barbarischen Vorstellungen und Rechtfertigungen herausgewachsen.

Jede Konfrontation mit brutalen Barbaren ist eine neue Herausforderung. Hier zeigt sich, welche amoralischen Charakterlumpen bereit sind, die Prinzipien unserer Zivilisation, die einzige gültige Begründung für unsere moralische Überlegenheit und unser Recht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, über Bord zu werfen.

Diese Amokläufer unterscheiden sich im Kern in nichts von islamistischen oder fundamentalistischen Wahnsinnigen. Sie sind genauso verächtlich und müssen immer wieder scharf kritisiert werden. Eigentlich sind sie noch schlimmer. Denn im Gegensatz zu Fundamentalisten hatten sie die Möglichkeit, sich mit den Grundzügen und den Gesetzen einer höheren Moral vertraut zu machen. Aber sie sind offensichtlich nicht charakterlich gefestigt genug, um sich daran zu halten.

Für unsere Zivilisation, die wir verteidigen müssen, sind sie mindestens so gefährlich wie die Taliban. Sie sind geistige Selbstmordattentäter. Bereit heute das, morgen dies zu verteidigen und anzupreisen. Sie frohlocken «vom Sozialismus lernen, heisst siegen lernen». Sie behaupten «von der Sowjetunion lernen, heisst siegen lernen.» Dann grölen sie: «Von Israel lernen, heisst siegen lernen.» Morgen schon jubeln sie: «Von China lernen, heisst siegen lernen.» Das kommt eben davon, wenn man ungefestigt ist, seinen moralischen Kompass verloren hat, heute verrät, was man gestern noch als moralisch gut angehimmelt hat.

Es gibt nichts Verächtlicheres.