Ist Israel alles erlaubt?
Protest bleibt aus, nicht mal die richtige Bezeichnung wird verwendet.
Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs der israelischen Regierung auf den Iran wurde in der Hauptausgabe der deutschen «Tagesschau» von einer «Eskalation» gesprochen.
Auch die übrigen Massenmedien beschränken sich auf eine bewundernde Darstellung der Präzision des Angriffs, der technologischen und militärischen Überlegenheit Israels.
Die europäischen Regierungen und ihr grosser Bruder in Übersee vermeiden jede Kritik am Vorgehen und drücken höchstens ihre «Besorgnis» über Irans Atomwaffenprogramm aus.
Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass es klar definierte Kriterien für den Begriff Kriegsverbrechen gibt:
- Tötung, Geiselnahme, Folter und Vergewaltigung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen
- Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäten und Denkmäler
- Plünderungen und Zerstörung von Eigentum
- Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen, friedenserhaltende Missionen und auf Missionen des Roten Kreuzes
Alleine die gezielte Tötung von iranischen Professoren und Wissenschaftlern wäre selbst bei vorangehender Kriegserklärung, die Israel unterliess, ein Verbrechen, das geahndet werden müsste.
Dass hochrangige Generäle Opfer wurden, dafür könnte man cum grano salis noch Verständnis aufbringen. Man stelle sich aber das Aufheulen der Massenmedien vor, wenn es irgend einer Terrororganisation oder einem Staat gelungen wäre, die israelische Militärführung zu enthaupten.
Während die Tötung und Geiselnahme von Zivilbevölkerung durch die Hamas zu recht international verurteilt wurde, fällt die Beurteilung gleicher Verbrechen durch die israelische Armee im Gazastreifen deutlich milder aus.
Gleich verhält es sich auch mit den Angriffen auf humanitäre Hilfsmissionen oder beim Bombenterror im Libanon oder Syrien.
Bei Kriegshandlungen geht es immer in erster Linie um militärische Erfolge. Aber in einer modernen Gesellschaft ist die Propagandaschlacht um die Oberhoheit über Begrifflichkeit genauso wichtig. Auch in neutralen Staaten wie der Schweiz verhalten sich die Massenmedien wie weiland im Ersten und Zweiten Weltkrieg die nationale Kampfpresse.
Was die einen tun, ist verständlich, notwendig als Selbstverteidigung, provoziert von den anderen. Dubiose Führer wie Selenskyi oder Netanyahu handeln letztlich aus ehrenwerten Motiven. Ihre Gegner wie Putin oder der Ayatollah in Teheran sind abgrundtief böse und verächtlich.
Wenn jemand Kriegsverbrechen begeht, dann sind es die anderen. Die Eigenen, nun ja, die mögen vielleicht manchmal zu übertriebener Härte neigen, aber im Existenzkampf ist das erlaubt.
Man kann diese Ansicht durchaus vertreten. Nur begibt man sich damit jeglicher Glaubwürdigkeit, verspielt das Vertrauen der Konsumenten dieser Newsplattformen. Also des Teils, der sich nicht in seiner gleichlautenden, vorgefassten Meinung bestärkt sehen möchte.
Der Teil, der gerne Erkenntnisgewinn, möglichst realitätsnahe Berichterstattung möchte, weder gegenüber der Hamas, dem Iran oder Israel besondere Sympathien hat, verabschiedet sich.
Der Unterschied zu gelenkten Staatsmedien in so vielen Staaten der Welt sollte doch sein, dass die angeblich freie Presse des Westens behauptet, in unerschrockener Unabhängigkeit zu «sagen, was ist», wie das der «Spiegel» bei seinem letzten grossen Relotius-Skandal einfältig kundtat.
Es mag eine intellektuelle Turnübung sein, ein Kriegsverbrechen als bedauerlichen, aber notwendigen Kollateralschaden schönzuschwatzen. Dem Opfer die Schuld zuzuschieben, hätte halt nicht Atomwissenschaftler werden sollen. Übergeordnete Gründe anzuführen, die das angeblich legitimieren. Aber in Wirklichkeit ist das nur Dummschwätzen.
Wer ein Kriegsverbrechen nicht als Kriegsverbrechen bezeichnet, wenn es von einer Macht verübt wird, der man sympathisierend gegenübersteht, verwischt diesen Unterschied zur Unkenntlichkeit. Wer die Ermordung von Wissenschaftlern neutral vermeldet oder gar als gelungenen Präzisionsschlag bejubelt, könnte genauso gut in Nordkorea oder Kuba als Journalist arbeiten. Er hätte keinerlei Adaptionsprobleme.
Ausser vielleicht sprachliche.