Schlagwortarchiv für: Invasion

Niemand ist eine Insel

Wenn interessiert schon Taiwan?

Mal Hand aufs Herz, hätten Sie vor einer Woche ohne zu zögern sagen können, wie die Hauptstadt von Taiwan heisst? Wo dieses Land liegt, ob es eine Insel ist? Ob es ein unabhängiger Nationalstaat ist oder irgendwie zu China gehört?

Hand vom Herz, hätten nicht allzu viele gewusst. Hätten Sie gewusst, wie es zu dieser Trennung zwischen Festlandchina und der Insel Formosa kam, die schon seit Urzeiten zu China gehört? Hätten Sie gewusst, dass die Schweiz, wie beinahe alle Länder der Welt, mit der Ausnahme des Vatikans, ein paar klitzekleiner Inseln und Haiti, Taiwan nicht als unabhängigen Staat anerkennt und daher auch keine diplomatischen Beziehungen unterhält?

Das hätten wohl die meisten nicht gewusst, und ohne dieses Wissen wären sie auch problemlos weiter über die Runden gekommen. Nun hat die Nummer drei in der Regierungshierarchie der USA diese Insel besucht, ihr die volle Unterstützung der USA zugesichert und gleichzeitig betont, dass die USA den Alleinvertretungsanspruch Chinas anerkennen.

Drei Faktoren kamen noch erschwerend hinzu. Sommerloch, und man kann nicht immer über die Hitze oder die Ukraine schreiben. Der Begriff gelbe Gefahr kann endlich aus der Mottenkiste geholt und abgestaubt werden. Drittens: Taiwan ist glücklicherweise viel weiter weg als die Ukraine. Satte 9642 km Luftlinie liegen zwischen Taipeh und Bern. Taipeh ist die Hauptstadt Taiwans, und Bern, aber gut, lassen wir das. Nur 1728 km Luftlinie trennen Bern von Kiew.

Was diese geographische Lektion sagen will? Im Journalismus gilt das Prinzip: umso weiter weg, desto gegendarstellungsfreier. Oberflächlichen Unsinn über nahegelegene Gebiete zu schreiben, das kann dem einen oder anderen Leser unangenehm aufstossen. Aber Taiwan? China? Asien? Weiss man da Genaues? Ist der chinesische Autokrat auch so eine Art Putin? Oder nicht? Was will er eigentlich von Taiwan? Die Insel heim ins Reich holen? Wozu? Aus Prinzip?

Und wieso rasselt der nun mit dem Säbel, was man heutzutage zu Wasser mit Flugzeugträgern macht und indem man ein paar Raketen abschiesst? Will er etwa diesen Besuch zum Anlass nehmen, die Insel zu erobern?

Die Journaille wurde vom Thema ziemlich auf dem falschen Fuss erwischt, aber es eignet sich blendend dafür, die Stirne zu runzeln und die Wörter «Pulverfass», «gefährlich», «unberechenbar», «Nationalstolz», «Gesichtsverlust» usw. in die Runde zu werfen. Um die völlige unsinnige Frage den üblichen Experten und Kennern zu unterbreiten: Wird China nun Taiwan angreifen? Erobern? Geht das? Und wenn ja, was machen dann die USA? Die Europäer? Die Schweiz?

Da hat die Journaille, ähnlich wie bei der Ukraine, wohlfeile Ratschläge zur Hand. Man solle, müsse die taiwanische «Demokratie» gegen die chinesische «Autokratie» verteidigen. Man müsse Stellung beziehen, ein Zeichen setzen nicht zulassen. Und Blabla.

Der SP-Nationalrat und Dummschwätzer Fabio Molina hat bereits den Bundesrat aufgefordert, den Chinesen zurechtzustossen, dass der Einsatz von militärischer Gewalt «inakzeptabel» sei. Damit konnte vorläufig das Schlimmste verhindert werden, denn seither zögert der chinesische Präsident, den Einsatzbefehl zu geben.

Aber im Ernst: natürlich wird China die Insel nicht militärisch angreifen. Die Gefahr, ähnlich wie Russland in einen langwierigen Krieg zu geraten, ist viel zu gross. Aber es gibt noch ein viel bedeutenderes Argument, wieso China sich hüten wird, bei einer Invasion Zerstörungen in Taiwan in Kauf zu nehmen. Das Argument lautet «Halbleiter». Halbleiter sind ein wichtiger Bestandteil von Chips, und ohne Chips läuft inzwischen ausser der Milch aus Kühen eigentlich nichts mehr. Und selbst Melkmaschinen verwenden Chips.

Taiwan stellt über 60 Prozent aller Halbleiter weltweit her. Der nächste Konkurrent liegt abgeschlagen bei 16 Prozent Weltmarktanteil. Über 60 Prozent ist faktisch ein Monopol. Zudem ist die Herstellung von Halbleitern etwas komplizierter als Kühe melken. Man kann diese Produktionskapazität nicht einfach substituieren und schnell ein paar Fabriken in China, den USA oder Europa bauen. Man geht davon aus, dass Taiwan einen technologischen Vorsprung von etwa 10 Jahren auf seine Konkurrenten hat.

Sollte China irrwitzigerweise dennoch über Taiwan herfallen, hätten wir die nächste Weltwirtschaftskrise. Ansonsten würde nichts passieren. Die USA, Europa und die Schweiz würden dem Beispiel von Molina folgen und die Aggression als inakzeptabel bezeichnen. Dann zur Tagesordnung übergehen.

Zwischen den Fronten

In der Todeszone zwischen den Meinungsschützengräben.

ZACKBUM bemüht sich immer, so differenziert wie möglich zu formulieren. Aus diversen Kommentaren schliessen wir aber, dass eine glasklare Position offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen wird:

Die Invasion der Ukraine stellt einen Bruch des Völkerrechts und aller bilateralen Abmachungen zwischen der Ukraine und Russland dar. Indem sich Präsident Putin darüber hinwegsetzt, wird er zum Politverbrecher und Kriminellen. Was er schon vorher war, allerdings in erster Linie, was schamlose Selbstbereicherung betrifft.

Das haben wir schon mehrfach klargestellt und halten es nicht für nötig, als Packungsbeilage ständig zu wiederholen.

Genauso gross wie unsere Bewunderung für tatkräftige Hilfe ist unser Abscheu vor politischen Maulhelden und journalistischen Schreibtischkriegern. Vor allen, die «Zeichen setzen», wenn die darin bestehen, dass ein «da sollte man mal, es müsste unbedingt» gefordert wird. Der Staat, der Bundesrat, die Kantone, die Gemeinden, die alle sollten mal. Wohlfeile Forderungen, wenn sie nicht mit eigenen Taten untermauert werden.

Nein, die Teilnahme an einer Friedensdemo, das Schwenken von Pace-Fahnen, das Posten von mutigen Messages in den sozialen Medien reicht nicht aus, um als Tat zu gelten. Im Gegenteil, dieses pseudomutige Maulheldentum ist ekelerregend.

Das Metier von ZACKBUM ist weder das Ordnen der Welt, noch das Aufstellen von sinnvollen oder sinnlosen Forderungen. Sondern die kritische Beobachtung der Medienlandschaft, vor allem in der Schweiz.

Dank unserer völligen Unabhängigkeit kann es sich ZACKBUM leisten, ohne Rücksichten auf Befindlichkeiten, Konzernmächte oder Einkommensverluste durch Schreibverbote die Lage ungeschminkt zu beurteilen. Also Trauerarbeit zu leisten.

Wenn differenzierte Analysen, historische Einblicke und Positionen gefordert werden, die über die eigene Nasenspitze, die in der Aktualität klebt, hinausgehen, dazu ein paar Erkenntnisbrocken hingeworfen werden, hat das überhaupt nichts mit einer Rechtfertigung der Handlungen Putins oder der militärischen Aggression zu tun.

Wir halten unverbrüchlich daran fest, dass Erkenntnisgewinn nur durch eine möglichst wirklichkeitsnahe Berichterstattung und eine möglichst zweckrationale Darstellung der Handlungsmotive aller Beteiligten möglich ist. Putin ist ein durchgeknallter Machtmensch, das erscheint uns nicht ausreichend.

Die Ukraine ist ausschliesslich unschuldiges Opfer einer militärischen Aggression, auch das erscheint uns zu kurz gegriffen. Das fängt bei der Frage an, was für ein Gebilde die Ukraine eigentlich ist, seit wann sie existiert, ob «nation building» seit der Unabhängigkeitserklärung von 1991 stattgefunden hat.

Wie sieht es mit ihren staatlichen, demokratischen Strukturen aus? Ist die Ukraine eine Demokratie, ein Rechtsstaat? Trifft es zu, dass sie seit 30 Jahren mehr oder minder von Oligarchen-Cliquen beherrscht wird? Stimmt es, dass sie sich weigerte, nach der Unabhängigkeit ihren Anteil an den Schulden der UdSSR zu übernehmen? Dass sie kleptokratisch Teile des durchgeleiteten russischen Erdgases abzwackte? Häufig ihre Rechnungen nicht beglich?

Bandera? Asow Brigade? Neonazi-Einfluss in der Ukraine? Massaker an russischen Minderheiten? Sind das alles Hirngespinste des Wahnsinnigen im Kreml? Der natürlich masslos übertreibt, wenn er die Entnazifizierung der Ukraine als Ziel erklärt und von einem Genozid an russischen Minderheiten faselt.

Aber die anderen, hässlichen Seiten der Ukraine gibt es eben auch. Welche Religionen spielen übrigens eine Rolle in der Ukraine? Orthodox, katholisch, wenn orthodox, nach Moskau orientiert oder die Kiewer Spielart? Gibt es Islam, fundamentalistische Tendenzen? Wissen Sie nicht? ZACKBUM auch nicht. Und wir verwenden viel, viel mehr Zeit als der Durchschnittsbürger darauf, uns aus möglichst vielen Quellen zu informieren. Dürfen wir den Wissensstand des durchschnittlich interessierten und informierten Eidgenossen darstellen?

Im Kreml sitzt ein verrückt gewordener Diktator mit Allmachtsfantasien. Der kann und muss mit Sanktionen in die Knie gezwungen werden. Denen sich auch die Schweiz anzuschliessen hat, weil es um Wichtigeres als die Neutralität eines Kleinstaats geht.

Ist das ein Wissensstand, der die Existenz von unabhängigen Qualitätsmedien belegt?

 

 

Roger Köppel: der Missversteher

Der Chefredaktor/Verleger/Besitzer hat schon ein Händchen für Timing.

Der bisherige Höhepunkt war «La crise n’existe pas». Eine Jubel-Titelstory «UBS und CS wieder auf dem Vormarsch», publiziert an dem Tag, als die UBS zu Kreuze kriechen und Staatshilfe erbetteln musste. Geschrieben von vier Koryphäen, die seit 2008 nur sehr ungern daran erinnert werden wollen.

Nun legt Roger Köppel mit einer Titelstory über Waldimir Putin, den «Missverstandenen», nach. Publiziert an dem Tag, als der russische Präsident sein Militär Richtung Ukraine in Marsch setzte. Geschrieben von einem regelmässigen Mitarbeiter von «Russia Today». Thomas Fasbender ist Journalist und Unternehmer mit Firmen in Russland.

Das muss seinen Blick nicht unbedingt beeinflussen, könnte ihn aber daran hindern, sich allzu kritisch über den Kreml zu äussern, da dessen Reaktionen auf Kritik – bspw. durch Oligarchen wie Chodorkowski – sattsam bekannt sind.

Die «Weltwoche» versucht sich hier in einem einfühlsamen psychologischen Porträt, einer Motivforschung eines leider «Missverstandenen». Auf der Ebene: «Er will doch nur spielen».

Wieder einmal wird Köppel zum Opfer seines Grundreflexes:

«Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen. Worum geht es eigentlich? Keine Ahnung, macht aber nix

Es war absehbar, dass er sich der zunehmend hysterischen und kriegstreiberischen Berichterstattung über Russlands Ukraine-Politik immer massiver entgegenstemmen würde.

Anlass zur Kritik gibt es genug

In seinen täglichen Videocasts, schriftlich, auf allen Kanälen warnte Köppel, warb er um Verständnis, kritisierte eine Verteufelung des Machthabers im Kreml, sah das Wiederaufleben alter Reflexe gegen den russischen Bären.

Es gibt tatsächlich einiges zu kritisieren an der Politik der NATO, den USA und Westeuropas gegenüber Russland, gegenüber ehemaligen Sowjetrepubliken oder Staaten des verblichenen Warschauer Pakts. Es gibt noch mehr zu kritisieren an der teilweise hysterischen Kriegsrhetorik westlicher Medien, die manchmal ohne weiteres den Tonfall treffen, der schon vor dem Ersten Weltkrieg herrschte: «Jeder Schuss ein toter Russ.»

Das ändert allerdings nichts daran, dass man Putin eigentlich nicht missverstehen kann. Wenn man um Verständnis für seine Politik wirbt, wird man selbst unverständlich. Gleich sieben Artikel der aktuellen «Weltwoche» widmen sich dem Thema Putin. In einer «Kleinen Psychologie der Putin-Kritik» versteigt sich Hobby-Historiker Köppel von einem schrägen historischen Vergleich zu einer Abrechnung zwischen «Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen», verkörpert durch Putin.

Der sei eine «wandelnde Kriegserklärung an den Zeitgeist, an die «Woke»- und «Cancel-Culture», der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen». Also kurz, er entlarve «den hohlen Moralismus seiner Gegner. Und die Dekadenz des Westens.» Der gesunde Naturbursche Putin, der sich gerne mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd präsentiert, als Gegenbild zum verweichlichten westlichen Intellektuellen, der unter Bedenkenträgerei fast zusammenbricht.

Ähnliche Bilder, sorry to say so, ähnlichen Körperkult betrieben sonst nur die Nazis. Und dass Wilhelm II, ein körperlich und geistig behinderter Irrwisch, durchgeknallte Gespräche führte, die dann zu einem von der deutschen Regierung unverständlicherweise autorisierten Interview in einer englischen Zeitung wurden, das hat nun mit Putin und dem 21. Jahrhundert genau null zu tun.

Gerade Männer des Wortes und der Schrift, wie Köppel einer ist, begeistern sich seit Urzeiten an harten Männern, an Stellvertretern: Putin fahre «mit seinen Panzerdivisionen auf. Botschaft: Es gibt da draussen doch noch so etwas wie eine harte Wirklichkeit der Tatsachen, nicht nur das eingebildete Metaversum der «Diskurse» und «Narrative», mit denen man sich die Welt so zurechtlegt, wie man sie gerne hätte.»

Im Grunde ist das eine Selbstkritik des Autors, der genau das tut. Sich als Hobbywelterklärer ein Metaversum schaffen, ein Narrativ eines unverstandenen Naturburschen Putin aufbauen. Wir wagen es nicht zu hoffen, dass Köppel zur Selbstreflexion und Selbstkritik fähig ist, die nun angebracht wäre.

Denn bevor in den Nebeln der Worte und des Krieges die Wirklichkeit der Tatsachen verschwindet:

Jeder wie auch immer geartete Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine ist ein klarer Bruch russischer Zusicherungen und vertraglicher Vereinbarungen. Damit ein Angriff auf das Völkerrecht, lässt an der Vertragstreue Russlands im Allgemeinen zweifeln.

Sollte Russland tatsächlich die Ukraine erobern, was militärisch kein grosses Problem sein dürfte, bindet sich der Kreml ein Milliardenproblem ans Bein, müsste einen bankrotten, korrupten Staat aufräumen, der im «nation bulding» seit 1991 nicht wirklich weit gekommen ist. Ein Spielball von Oligarchen und Cliquen, bei dem ein Komiker der kleinste gemeinsame Nenner für einen Staatspräsidenten ist.

Wenn man sich die Welt nicht so zurecht legt, wie man sie gerne hätte: wäre Putin wirklich ein geschickter Machtpolitiker, würde er nicht in ein solches Fass ohne Boden hopsen. Aber wer sich als Naturbursche mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt …