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Lesen statt labern

Wer ist ein Kriegsverbrecher im Nahen Osten?

Die Mainstream-Meinung ist klar gemacht: Die Führer der Hamas? Aber selbstverständlich. Völlig zu recht sind gegen Yahya Sinwar, Mohammed Deif und Ismail Haniyeh Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt worden. Schon alleine die Geschehnisse des 7. Oktober 2023 reichen aus, um diesen Verdacht zu begründen.

Grosses Gebrüll auch und gerade von kleinen Geistern erhebt sich aber, weil auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und der Verteidigungsminister Yoav Galant unter dem gleichen Verdacht stehen. Die dümmsten (aber beliebtesten) Wäffeleien dagegen sind: damit werde die fundamental-wahnsinnige Hamas und die gewählten Vertreter einer Demokratie auf die gleiche Stufe gestellt.

Das ist völliger Unsinn, weil es voraussetzt, dass Exponenten demokratischer Regierungssysteme keine Kriegsverbrechen begehen könnten. Sozusagen per Definition. Alleine eine oberflächliche Betrachtung der langen Reihe von US-Kriegsverbrechen, angefangen beim Vietnamkrieg, der Bombardierung von Laos und Kambodscha, die Kriegsverbrechen in Afghanistan, im Irak und während unzähligen militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg, führen diese Behauptung ad absurdum.

Die Art der Ausübung politischer (und militärischer) Herrschaft ist also völlig unerheblich bezüglich der Frage, ob Kriegsverbrechen begangen werden oder nicht.

Zudem hat sich der Internationale Strafgerichtshof der Unterstützung eines Expertengremiums versichert, das nochmals untersuchte, ob es genügend Anhaltspunkte, Indizien, Beweise für die Vorwürfe gegen diese fünf Verantwortlichen gibt.

Hier wird alleine Amal Clooney herausgegriffen, weil sie als attraktive Ehefrau von George Clooney eine Angriffsfläche für billige Polemik (mit stark sexistischen Untertönen) bietet. Dass in diesem Gremium andere honorige Rechtsgelehrte sitzen wie Sir Adrian Fulford, der israelisch-amerikanische Völkerrechtsexperte Theodor Meron, die britische Rechtsanwältin Baroness Helena Kennedy oder die britische Juristin Elizabeth Wilmshurst, das ist diesen Kritikastern egal. Weil es ihnen nicht in den Kram passt, dass niemand von denen seine Reputation aufs Spiel setzen würde, indem er aus welchen Gründen auch immer die Auffassung des Chefanklägers teilte, dass auch Netanyahu und sein Verteidigungsminister auf die Anklagebank gehören – wenn er nicht von der Richtigkeit überzeugt wäre.

Unterstützt wird das Gremium zudem von zwei akademischen Experten aus der ersten Liga. Aber all das ist einäugigen Schwarzweiss-Sehern völlig egal. Für die sind die Israelis einfach «die Guten», wie Markus Somm in beachtlicher Einfalt formulierte. Und Gute können bekanntlich nie böse sein, so wie Böse nie gut sein können. Das erkennt man in klassischen US-Western daran, dass die Bösen schwarze Cowboyhüte aufhaben, zur Unterscheidung von den Guten mit hellen.

Selig sind die Armen im Geist, das wusste schon die Bibel. Denn für sie ist die Welt nicht rund und kompliziert, sondern flach und einfach. Blöd nur, dass solche einfältigen Weltbilder nie sehr nahe an der Wirklichkeit liegen, was ihre Vertreter Mal für Mal erstaunt, aber keinesfalls in ihrer felsenfesten Überzeugung zweifeln lässt, dass sie – getragen von haltloser, aber tiefster Überzeugung, den absoluten Durchblick zu haben – das Leiden der Menschen in der Ukraine und im Gazastreifen für zwar bedauerlich, aber halt unvermeidlich halten.

Auch dort können natürlich nur und ausschliesslich die Russen Kriegsverbrechen begehen, wieso auch Präsident Putin per Haftbefehl gesucht wird. Auf ukrainischer Seite – denn auch das sind doch die Guten – ist aber niemand angeklagt.

Es gebührt wieder einmal der «Weltwoche» das Lob, dass sie als einziges deutschsprachiges Magazin die Erwägungen dieses Gremiums, die öffentlich erhältlich sind, auf Deutsch übersetzt hat und leicht gekürzt ins Netz stellt.

Die Lektüre ist nicht sehr prickelnd, weil es – wie es sich gehört – trocken-juristisch zu und her geht. Sie sei dennoch allen Kurzdenkern und Krakeelern empfohlen, die mal wieder mangelnde Kenntnis durch überreichlich Meinung wettmachen.

Dass deutsche Leitmedien in Sachen Israel mit gebremstem Schaum agieren, mag angesichts der Vergangenheit noch knapp verständlich sein. Wieso in der Schweiz unisono die beantragten Haftbefehle gegen Hamas-Führer als Nebensache abgetischt werden, aber grosses und aufgeregtes Geschrei herrscht, dass der Internationale Gerichtshof es wagt, gleiches Recht auch auf Israel anzuwenden, ist hingegen erbärmlich.

Dabei ist es, nochmals zum Mitschreiben, kinderleicht zu verstehen: Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen. Es gibt keine guten und bösen, keine erlaubten und verbotenen, keine verzeihlichen. Wer den Grundsatz «gleiches Recht für alle» aufweichen will, kann auch gleich die Wiedereinführung von Faustrecht oder Gottesurteilen, das Erlangen von Geständnissen durch Folter fordern. Denn er will den Wall des Rechts gegen Willkür und Barbarei aus politischer Sympathie schleifen. Und begibt sich damit jedes Rechts, unbarmherzige Bestrafung für Hamas-Verbrecher zu fordern.

Wumms: Peter Rásonyi

Der NZZ-Auslandchef als Besserwisser.

Der Internationale Strafgerichtshof in den Haag hat einen schweren Fehler gemacht. Er hat sich den Unwillen von Rásonyi zugezogen. Denn der richtet höchstamtlich: «Die Haftbefehle gegen israelische Regierungsmitglieder sind überheblich. Der Internationale Strafgerichtshof ignoriert die politischen Realitäten

Das ist zwar nicht justiziabel, aber nur deswegen, weil Dummheit nicht strafbar ist.

Die tropft aus ziemlich jeder Zeile dieses Kommentars, beim Titel angefangen: «Der ICC greift auf kontraproduktive Weise in den Nahostkonflikt ein». Wie äussert sich die? Die Juristen am Strafgerichtshof «pochen auf ihre institutionelle Unabhängigkeit, ihr juristisches Mandat und die Allgemeingültigkeit des internationalen Rechts. Das ist ein Fehler».

Diesen Satz muss man wirklich abschmecken. Die Juristen eines internationalen Strafgerichtshofs bestehen darauf, unabhängig zu sein? Ja hoffentlich, was denn sonst? Sie haben ein juristisches Mandat? Ja hoffentlich, was denn sonst? Und sie bestehen auf der Allgemeingültigkeit des internationalen Rechts? Ja hoffentlich, was denn sonst?

Das sei «ein Fehler»? Nein, der Fehler ist, dass so jemand Auslandchef bei der NZZ ist. Seine Schlussfolgerung besteht dann aus juristischen Gründen nicht Qualifizierbarem: «Die Leidtragenden werden die Menschen in Gaza sein, welche das Gericht eigentlich schützen will. Unsinniger kann sich eine internationale Organisation kaum verhalten.»

Die wirklich Leidtragenden sind die Leser der NZZ, die einmal mehr zur Kenntnis nehmen müssen, dass neben geistig Hochstehendem auch ein Sandkastengeneral mit notorisch falschen Prognosen und gelegentlich ein Auslandchef auf bedenklich niedrigem intellektuellem und moralischem Niveau schreibt. Leider das Privileg ausnützend, dass sich ja keiner traut, ihm Einhalt zu gebieten.

Nachdem er den ganzen Kommentar hindurch nur gegen die angebliche Unsinnigkeit eines Haftbefehls gegen die mutmasslichen israelischen Kriegsverbrecher gewettert hat, fällt ihm so in einem Nebensatz noch ein: «Mit Haftbefehlen gegen Netanyahu, Gallant und die Hamas-Schergen wird der ICC viel Aufsehen erregen, aber seine juristischen Ziele verfehlen, denn die Auslieferung dieser Personen ist völlig unrealistisch.»

Das ist ungefähr so intelligent wie die Behauptung, der Erlass eines Strafbefehls gegen einen flüchtigen Verbrecher verfehle seine «juristischen Ziele», wenn der sich ins auslieferungsfreie Ausland abgesetzt hat. Nach der Absurd-Logik von Rásonyi sollte die Justiz besser darauf verzichten.

Dass weder Israel, noch die USA (und auch nicht Russland) die Zuständigkeit des ICC anerkennen, muss nicht als angeblich realpolitische Tatsache hingenommen werden, sondern als das bezeichnet, was es ist: ein Skandal. Nur dank dieser Abstinenz musste ein Kriegsverbrecher wie Henry Kissinger nie befürchten, für sein Handeln haftbar gemacht zu werden. Das ist eine Schande, nichts, was man einfach so hinnehmen sollte.

Für einmal, so tief ist die NZZ gesunken, trocknet Tamedia die alte Tante ab, indem hier die richtige Meinung vertreten wird. Der Medienkonzern leiht sich zwar seinen Kommentar von der «Süddeutschen», aber den Überlegungen von Ronen Steinke merkt man an, dass der Autor im Völkerstrafrecht promoviert hat. Und deshalb zum klaren Urteil gelangt: «Diese Anklage ist richtig».

Steinke begründet das sachlogisch korrekt: «Das humanitäre Völkerrecht mit seinem zentralen Appell, Zivilisten zu schonen, bindet alle Seiten in einem Krieg, oder es ist wertlos. Es geht dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs erkennbar nicht um die Tatsache, dass Israel sich verteidigen muss. Sondern allein um die Art und Weise, wie es dies tut.»

Denn selbst diese banale Tatsache ist Rásonyi nicht geläufig: ein Kriegsverbrechen ist ein Kriegsverbrechen. Egal, aus welchen Motiven oder in welchen Zusammenhängen es verübt wird. Egal, ob es von fundamentalistischen Wahnsinnigen oder einem Regierungschef, der nicht in den Knast will, begangen wird. Egal, ob es von einer Organisation fundamentalistischer Irrer verbrochen wird, die ihr Verständnis von Demokratie damit beweisen, dass sie gewählte Volksvertreter von Dächern stürzen. Oder ob es von Vertretern eines demokratischen Staates verbrochen wird, die aus egoistischen Gründen die eigene Verfassung umbiegen wollten. So liegen sich Rásonyi und Markus Sommdie Isrealis sind die Guten») in den Armen. Was für ein trauriges Paar.

Natürlich muss der Strafgerichtshof beiden mutmasslichen Verbrechen nachgehen, wenn er genügend Indizien und Anhaltspunkte für einen Haftbefehl sieht.

Das ist ein Lichtblick. Was manchmal in der NZZ erscheint, ist eine Schande.