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Fake-Inserate

Immer wieder ganze Wellen auch in den seriösen Qualitätsmedien.

Der Trick ist immer der gleiche. Ein Online-Inserat lockt mit einer Hammer-Schlagzeile. «Der Skandal um Alain Berset», Roger Federer habe unglaubliche Gewinne erzielt (nein, nicht mit On), usw.

Früher oder später werden die Neugierigen, die darauf reinfallen, auf eine Seite gelotst, wo man ihnen Angebote macht, die eines gemeinsam haben: wird Geld gezahlt, ist es weg.

Hier ist eine neue Ausgabe:

Sieht aus wie eine Meldung vom «Blick», könnte sogar online im «Blick» aufpumpen. Oder bei Tamedia. Oder bei CH Media. Oder wo auch immer. Eine Runde widerwärtiger ist dann diese Variante:

Die zirkuliert auf Facebook und Instagram, natürlich ohne den Aufkleber «Fälschung».

Was soll das, wie ist das möglich? Ganz einfach, die meisten Qualitätsmedien sind bis heute nicht in der Lage, ihre Inserateplätze online selbst zu verwalten. Also stellen sie sie Google zur Verfügung, und das Datenmonster bespielt die dann mit Inseraten, die bei Google in Auftrag gegeben werden. Weniger Arbeit für die Medien, aber viel weniger Geld. Denn den Löwenanteil der Einnahmen kassiert natürlich Google, nicht etwa das Medium, bei dem die Inserate erscheinen.

Nun ist die überwiegende Mehrheit harmlos, der übliche Werbeschrott halt. Der Werbetreibende hat dabei einen gigantischen Vorteil gegenüber Werbung in der realen Welt. Während ein Printinserat oder -plakat im Schrotschussverfahren alle potenziellen Leser anspricht (oder eben nicht, Streuverlust gigantisch), kann der Inserent bei Google selbst bestimmen, wie sein Zielpublikum aussehen sollte. Er kann auch bestimmen, was ihm ein Klick auf sein Inserat wert ist, oder er wählt «pay per view», also jedes Mal, wenn die Webseite aufgerufen wird und auf ihr sein Inserat aufpoppt, zahlt er etwas.

Je mehr er aufwirft, desto häufiger und prominenter erscheint sein Inserat, desto höher die Einschaltquote, desto grösser die Chance, dass jemand draufklickt.

Nun ist die attention span, die Aufmerksamkeitsspanne im Internet, bekanntlich knackkurz, ein paar Sekunden höchstens. Also muss ein Inserat sofort einen Klick-Reflex auslösen, sonst ist es verpulvertes Geld. Und natürlich kann der Inserent, auch im Gegensatz zur realen Welt, auf den Klick genau nachvollziehen, welche Resonanz sein Inserat hatte.

Nun gibt es aber, wie die beiden obigen Beispiele zeigen, auch – wie überall im Kapitalismus – Beschiss und Missbrauch. Im ersten Beispiel sollen User einfach auf betrügerische Abzockseiten gelenkt werden. Im zweiten Beispiel geht’s ums Gleiche, zudem soll noch einer bestimmten Nationalität eine reingewürgt werden.

Oliver Zihlmann beschwert sich auf Tamedia wortreich darüber, dass «internationale Techkonzerne wie das Instagram-Mutterhaus Meta viel zu wenig gegen solche Inserate» vorgingen. Und: «Der zweite Grund ist die Untätigkeit unserer Behörden.» Den dritten Grund lässt Zihlmann aber wohlweislich beiseite: auch sein Medienhaus tut und investiert viel zu wenig, um solche Inserate zu verhindern.

So absurd und einfach ist es nämlich: würden die grossen Medienkonzerne die Inserate ihrer Online-Auftritte selbst bespielen, würden solche Fake-Werbungen bei ihnen gar nicht auftauchen. Aber selbst versagen und dann vorwurfsvoll Richtung Techkonzerne und Behörden mopsen – typisch Journalist.

Erregungsmaschinen

These: die Menschen waren schon immer so dumm. Man hat’s nur weniger gemerkt.

Schon der grosse Egoshooter Immanuel Kant wusste:

Damit meinte er, dass auch Zwang, Erziehung, Beratung, gutes Zureden nicht wirklich nützen. Aber er konnte wenigstens eine Richtschnur definieren, die das menschliche Handeln bestimmen soll.

Davon gibt es verschiedene Versionen, die wohl universellste lautet:

«Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.»

Das ist unter dem etwas pathetischen Begriff «kategorischer Imperativ» in die Geschichte eingegangen. Mehr ist nicht, da Kant nicht zu Unrecht lange Jahre auf dem Index der für Katholiken verbotenen Bücher stand. Weil er Setzungen der Bibel oder angeblich geoffenbarte göttliche Worte dahin verwies, wo sie hingehören: ins Reich des Glaubens, des nicht rational Begründbaren.

Fällt das als Handlungsanleitungen weg, fehlt die unbezweifelbare Letztbegründung, muss akzeptiert werden, dass alles, was wir unter Moral, Ethik, Anstand, Sitte verstehen, höchstens einsichtige Konventionen sind.

Ethik als Sammlung von Aussagen über das gute und gerechte Handeln des Menschen; Moral als Summe der geltenden Normen und Regeln, Tugend als Fähigkeit der richtigen Abwägung zwischen gut und böse, richtig und falsch. Alles schöne Begriffsturnereien, aber letztlich ohne viel praktische Brauchbarkeit.

Ich kann, weil ich will, was ich muss

Knackiger ist die Formulierung: «Ich kann, weil ich will, was ich muss.» Die wird Kant zugeschrieben, nur: hat er so nie gesagt. Aber das hier wäre der wahre Steinbruch der Erkenntniserweiterung, das wären eigentlich Fragen, mit denen sich der Mensch, der nicht mehr alle Energie darauf verwenden muss, sich am Leben zu erhalten, beschäftigen könnte.

In den (wenigen) zivilisierten Gegenden der Welt ist der Aufwand zur Selbsterhaltung, vulgo Arbeit oder Wertschöpfung genannt, überschaubar geworden. Schon mit einer Halbtagsstelle kann man sich über Wasser halten; mit genügend Konsumverzicht. Das vor Betreibung geschützte Existenzminimum beträgt in der reichen Schweiz bescheidene Fr. 1200. Plus Krankenkasse und Wohnung.

Also Zeit wäre genug vorhanden, sich mit bewusstseinserweiternden Fragen zu beschäftigen. Nur: dafür ist das krumme Holz offenbar nicht gemacht. Freizeit löst bei vielen Menschen Panik aus, wenn sie nicht irgendwie gefüllt werden kann. Womit auch immer. Ablenkungen jeder Art, sozial Depravierte verlieren sich in Videospielen, andere versuchen es mit Hobbys oder übermässigem TV-Konsum.

Neu entwickelte Zeitvernichtungsmaschinen

Seit rund 15 Jahren gibt es aber vorher unbekannte Zeitvernichtungsmaschinen, die mit grossem manipulativen Geschick durch Dauererregung die Menschen in ihrem Räderwerk behalten. Sie heissen soziale Plattformen.

Sie arbeiten mit der Illusion, dass der Vereinzelte in Kontakt mit vielen Menschen stünde, eigentlich Zugang zu Milliarden von Nutzern hätte. Auf diese Weise nicht nur soziale Kontakte knüpfen und pflegen könne, sondern auch Gedanken und Ansichten austauschen, sich damit bereichern solle.

Trotz allen Beteuerungen war das natürlich niemals die Absicht der Erfinder von Facebook, Twitter, Instagram usw. Sie haben sich damit Profitgeneratoren geschaffen, die unvorstellbare Prozentsätze von Reingewinn ermöglichen. Beliebig skalierbar, das funktioniert bei 10 Millionen Nutzern genauso wie bei 100 Millionen, genauso wie bei einer Milliarde.

Gleichzeitig richten diese transnationalen Monster, die sowohl fiskalisch wie juristisch kaum zu fassen sind, unvorstellbare Schäden auf dem Gebiet der öffentlichen Auseinandersetzung an. Sie können manipulativ verwendet werden (Cambridge Analytica), sie werden zum Tummelfeld von Trollen, bösartigen Kampagnen, computergenerierten Bewegungen.

Verdumpfung der Debatte

Aber sie sorgen vor allem für eine Verrohung, Versimplung, Verdummung der Debatte. Wer sich daran gewöhnt hat, auf maximal 280 Zeichen eine Meinung zu formulieren, ist geistig auf das Niveau eines Dreijährigen zurückgefallen, womit keine aufgeweckten Dreijährigen beleidigt werden sollen.

Differenzierung, Diskursfähigkeit, das Erfassen komplexer Zusammenhänge, das Durchdringen komplexer Situationen, das Suchen nach adäquaten Erklärungen für interagierende Kraftfelder, in denen sich Gesellschaften normalerweise bewegen – all das übersteigt den geistigen Horizont der Teilnehmer.

Wer nicht spielsüchtig ist, wundert sich, wie Menschen stundenlang vor Slotmachines sitzen können und die unablässig mit Münzen füttern. Das liegt auch daran, dass diese Maschinen mit grosser Ingenieurskunst und psychologischen Beeinflussungsmechanismen so gebaut sind und funktionieren, dass alle Suchtmechanismen im Hirn getriggert werden.

Genau gleich sitzen Hunderte von Millionen von Menschen vor den Slotmachines der sozialen Plattformen. Und füttern sie unablässig mit ihren Daten, in der irrigen Annahme, dass die Benutzung gratis sei. Das funktioniert dann am besten, wenn sie in einen Erregungszustand versetzt und in ihm gehalten werden.

Soziale Plattform, aus der Sicht des Betreibers.

Dann greift die fundamentale Erkenntnis von Gustave Le Bon, die er in seiner Untersuchung über die «Psychologie der Massen» festgehalten hat. Bei Massenveranstaltungen sinkt der durchschnittliche IQ der Teilnehmer auf den der dümmsten.

Genau das geschieht hier, im 21. Jahrhundert. Das Ausmass der menschlichen Dummheit ist nicht grösser geworden. Allerdings auch nicht kleiner. Zudem viel hör- und sichtbarer.

Trump gefährdet die öffentliche Ordnung

Das mag vielleicht sein. Aber dürfen nun Privatkonzerne Recht sprechen und Urteile fällen?

Ex-Präsident Donald Trump wird bis Januar 2023 keinen Zugang zu Facebook oder Instagram haben. Von Twitter ist er bereits lebenslänglich verbannt. Auch YouTube hat sich diesem Bann angeschlossen. Als diese Massnahmen zuerst im Zusammenhang mit der schändlichen Erstürmung des US-Kapitols bekannt gegeben wurden, passierten zwei Dinge.

Vom linken Mainstream wurden diese Zensurmasnahmen freudig begrüsst. Nur wenige Kommentatoren wagten es, sie als bedenklich und fragwürdig zu kritisieren. Nicht aus Sympathie für den notorischen Lügner Trump. Sondern weil es gefährlich ist, wenn solche Entscheide privater Gerichtsbarkeit überlassen werden.

Mit dem zunehmenden Bedeutungsverlusts Trumps, der wie der Politik-Irrwisch Steve Bannon wohl kaum ein Comeback feiern wird, liess zweitens das Interesse an der Debatte über solch eine Zensur aus privater Hand nach.

Zensur, also das Verbot bestimmter Inhalte, Publikationen, Meinungsäusserungen, diese Entscheidung war in modernen, zivilisierten Staaten ausschliesslich Staatsbehörden überlassen. Gegen die sich der Betroffene auf dem Rechtsweg wehren kann.

Wer entscheidet über Zensurmassnahmen?

Facebook, Twitter und Instagram sind dermassen weitverbreitet, dass es gerade für auf den Kontakt mit den Massen angewiesene Politiker einer schweren Strafe gleichkommt, diese Plattformen nicht mehr benützen zu können.

Das habe sich Trump selbst eingebrockt, mit seiner unverhohlenen anfänglichen Sympathie für den Abschaum, der den Sitz der US-Demokratie stürmte? Es geht doch nicht darum, dass diese Mann einen Sympathiewettbewerb gewinnen müsste.

Es geht darum, dass diese Verlängerung des Entscheids von Facebook (und damit Instagram), plus die Entscheide von Google oder Twitter aufgrund der Einschätzungen von Dunkelkammern gefällt werden. Bei Facebook heisst das «Oversight Board». Die hier versammelten Entscheidungsträger urteilen intransparent und nach Gusto, selbst Mark Zuckerberg muss sich diesen Entscheiden beugen.

Nur noch Berichterstatterpflicht in Schweizer Medien

Die Verlängerung wurde in den Schweizer Medienkonzernen als Meldung abgehandelt. Entweder, indem die SDA-Meldung übernommen wurde, oder – bei CH Media und der NZZ – eigene Korrespondeten so neutral wie möglich darüber berichteten. Ohne jede kritische Distanz, ohne wenigstens kurz darauf hinzuweisen, dass wohl die Mehrheit der Öffentlichkeit mit dieser zensur durchaus einverstanden ist, weil es sich um Trump handelt.

Wir müssten uns die Ohren zuhalten, würde das Barack Obama, Bill Clinton oder Jimmy Carter passieren. Die sind auch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung? Mag sein, aber wer entscheidet das? Das ist die entscheidende, zentrale Frage. Um die sich offensichtlich «Blick», Tamedia, CH Media und auch die NZZ drücken wollen.

Einfach berichten, ja nicht werten. Überhaupt nicht die Debatte weiterführen, ob es wirklich eine gute Idee ist, US-Multimilliardären – oder von denen eingesetzten Gerichtshöfen – Entscheidungen von solcher Tragweite zu überlassen. Was Trump vor und während des Angriffs einer Meute aufs Kapitol alles gesagt oder verbreitet hat, ist übel und eines US-Präsidenten unwürdig.

Aber nochmal, ein offensichtlich verhaltensgestörte Mark Zuckerberg, ein mindestens so merkwürdiger Boss von Twitter, von den Google-Chefs ganz zu schweigen, nun soll es in deren Macht liegen, jemanden einen sozialen Tod sterben zu lassen?

Jetzt herrscht in der Schweiz offenbar die stillschweigende Übereinkunft: kein Büro aufmachen deswegen. Es trifft doch den Richtigen. Was mal wieder (fast) alle übersehen: Es trifft zuerst immer die Richtigen. Bis es dann nicht mehr die Richtigen trifft.

Aber dann ist Protest normalerweise vergeblich und zu spät.