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«Republik» ganz unten

 Feuern, ohne zu fragen: Genau so sollte man es nicht machen.

Was tut man, wenn man ein Organ der politischen Korrektheit ist, der inkludierenden Sprache, abhold jeglicher Unterdrückung, Feind des Sexismus, Kämpfer gegen übergriffige Männer und auch sonst alles Üble auf der Welt?

Was tut man, wenn man zwar spärlich, aber doch täglich gute Ratschläge gibt, die Welt besser machen möchte, die Demokratie retten, die Umwelt, den Menschen, die Gesellschaft? Wenn man immer mit dem strafenden Zeigefinger wackelt, üble Missstände bei anderen Medien anprangert, wo Frauen Übergriffigkeiten, sexuellem Missbrauch, verbalen Attacken, Machotum, gar Diskriminierung ausgesetzt sind?

Was macht man, wenn man selbst Opfer seiner selbst wird? Opfer, weil offenbar mehrere Mitarbeiterinnen – und auch eine der WoZ – Anschuldigungen gegen den Star-Reporter des Blatts der guten Denkungsart und korrekten Lebensführung erheben? Er habe sie verbal sexuell belästigt, lauten die Denunziationen. In einem Fall sei es sogar zu einem massiven sexuellen Übergriff gekommen, behauptet eine.

Problemlage der «Republik»: alle diese Anschuldigungen wurden nur anonymisiert an sie weitergereicht. Sie liegen teilweise viele Jahre zurück. Sie wurden zuvor nie erhoben. Es wurde niemals Anzeige erstattet. Allerdings: als die «Republik» den Star-Reporter bei der WoZ abwarb, soll es sogar den Versuch gegeben haben, sein angebliches verbal übergriffiges Verhalten zu thematisieren und zu einem Artikel zu verarbeiten. Das sei dann als nicht opportun abgewürgt worden.

Es gibt also – wie meistens bei der ungemein transparenten «Republik» – eine ganze Latte von ungeklärten und unbeantworteten Fragen in eine intransparente Dunkelkammer hinein.

  •  Wieso mussten sich die Denunziantinnen an die «Fachstelle für Gleichstellung» der Stadt Zürich wenden? Gab es etwa intern keine inzwischen überall übliche Anlaufstelle?
  • Diese informierte die Geschäftsführung und Chefredaktion Ende Juni mittels eines Dossiers über die Anschuldigungen. Wieso dauerte es bis zum 23. August, dass der eigene VR darüber informiert wurde?
  • Wieso dauerte es gleichlang, dass der Betroffene informiert – und sofort freigestellt wurde?
  • Wie ist es möglich, dass weder die «Republik» noch der Beschuldigte bis heute die Namen der Denunziantinnen kennen?
  • Was hat es mit diesem Vermerk «See only» auf diesem Dossier für eine Bewandtnis? Die Fachstelle sagt glasklar, dass sie ihn nicht angebracht habe. Die «Republik» sagt, dass er auf dem Dossier stand, als sie es bekam – und er  ihr so erklärt wurde, dass das bedeute, dass weder der Beschuldigte noch andere Stellen über den Inhalt des Dossiers informiert werden dürften.
  • Welche Rolle spielt die «Mittelsperson» Rena Zulauf, die inzwischen nicht mehr mit Klagen droht, wenn man sie so bezeichnet – allerdings auch keine Fragen beantwortet?
  • Wie ist es möglich, dass erst nach dem Aufplatzen dieser Affäre eine «Meldeplattform» von der «Republik» eingerichtet wurde?
  • Wieso übernahm erst Anfang September der VR der «Republik» die Federführung und gab – bei völlig unbekannten Personen – entsprechende externe Untersuchungen in Auftrag?
  • Wieso bekam der Beschuldigte keine Möglichkeit, seine Denunziantinnen direkt zu konfrontieren?
  • Noch Mitte September war noch im Plural von «allfälligen Beschuldigten» die Rede. Gibt es nun nur noch einen?

Als ob das der offenen Fragen noch nicht genug wären: Am 5. Oktober teilte die «Republik» in einem «Update» mit, dass sie sich vom «Beschuldigten» getrennt habe. Oder auf Deutsch: sie hat ihn nach der fristlosen Freistellung auch noch fristlos gefeuert.

Begründung: «Aufgrund der Ergebnisse einer Untersuchung unter externer Leitung wird das Arbeits­verhältnis mit sofortiger Wirkung aufgelöst

Welche Ergebnisse? Schweigen. Noch Mitte September hatte der VR-Präsident Michel Huissoud getönt: «Ende September werden allfällige Beschuldigte angehört, Sie werden dann Gelegenheit haben, sich zu all den Vorwürfen zu äussern.» Ein hohles Versprechen, jetzt heisst es:

«Da eine sofortige Trennung aufgrund des ausgewerteten Materials für uns als Arbeit­geberin alternativlos war, hat keine Konfrontation des Beschuldigten mehr stattgefunden.»

Das nannte man früher Geheimjustiz. Das nannte man früher Inquisition. Ein Angeschuldigter weiss nicht, wer ihn beschuldigt, er weiss nicht, wessen er genau beschuldigt wird, er kann die Beschuldiger nicht konfrontieren, er kann sich nicht wehren, und am Schluss wird er abgeurteilt, ohne dass ihm die zuvor zugesicherte Möglichkeit einer Stellungnahme gewährt wird.

Es ist bis heute völlig ungeklärt, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Das Einzige, was klar ist: es gab niemals – vor diesen gesammelten Anschuldigungen – aktenkundige Beschwerden. Es gab niemals eine Anzeige wegen eines angeblichen massiven sexuellen Übergriffs. Es ist zudem davon auszugehen, dass die meisten Anschuldigungen längst verjährt sind. Es konnte niemals ein unabhängiges Gericht entscheiden, ob sich der Angeschuldigte eines strafbaren Vergehens schuldig gemacht habe oder nicht.

Die «Republik» erreicht damit eine neue Stufe der verantwortungslosen Hetze. In den jüngsten Fällen Kevin Spacey oder Till Lindemann kolportierten die Medien nur fleissig Anschuldigungen von Frauen und Männern, die sich so ihre fünf Minuten Ruhm – oder erkleckliche Geldsummen – verschaffen wollten. Als das dann verröchelte, verfielen die Medien in tiefes Schweigen.

Hier aber masst sich eine Redaktion an (denn die Mitteilung über den Rausschmiss ist nicht einmal unterzeichnet), aufgrund von nur ihr bekannten Denunziationen einen Mitarbeiter fristlos zu feuern. Von Denunziationen, die zumindest zum Teil von Personen stammen, deren Namen weder dem Angeschuldigten, noch der Redaktion bekannt sind.

Das ist einfach unglaublich.

Dazu passt auch, dass nicht mehr wie bis anhin die angefragte Geschäftsleitung antwortet, sondern der VR-Präsident Huissoud persönlich. Allerdings knüpft er seine Antworten an inakzeptable Bedingungen, weshalb wir auf eine Wiedergabe verzichten.

Wenn das ihre Art von Gerechtigkeit, Justiz, von Anstand, korrektem Vorgehen, vom Wahren des Grundprinzips «im Zweifel für den Angeschuldigten» ist, wie sie die «Republik» gerne für allgemeinverbindlich erklären möchte, dann ist das eine wahre Horrorvorstellung.

Schliesslich möchten die Besserwisser von der «Republik», das tropft bei jedem ihrer Artikel aus jedem Buchstaben, der Gesellschaft vorschreiben, wie sie besser funktionieren würde, wie es gerechter auf dieser Welt zuginge. Wenn man nur auf die Schreiber dieses Organs mit ihrem schnarchlangem Geseier hören würde.

Spätestens nach dieser Affäre ist klar: ja nicht. Die grosse Erleichterung besteht nur darin: auf diese Weltverbesserer mit unerschütterlicher Überzeugung, das Gute und Richtige zu kennen, hört sowieso keiner. Ihre schrumpfende Schar von Unterstützern, die ihnen mit Abos und Almosen diese völlig überflüssige Tätigkeit ermöglichen, wird nach dem Steuerskandal (und seiner Handhabung) und diesem Sexismus-Skandal (und seiner Handhabung) zunehmend das Vertrauen verlieren, dass diese Leute wenigstens den eigenen Laden im Griff haben.

Und wenn sie das nicht schaffen, was sind dann ihre gesammelten guten Ratschläge, Forderungen, Empfehlungen und Kritiken für und an der ganze Welt wert?

Nichts.

 

Frömmelnde «Weltwoche»

Kreuzzug im Geiste von anno dazumal.

Die christlichen Kreuzzüge waren eines der vielen Verbrechen, die die christliche Kirche verübte. Kreuz- und Raubritter wateten im Blut, um Jerusalem zu «befreien». «Deus lo vult», Gott will es. Damit rechtfertigte die Kirche dieses Morden und Metzeln und Brandschatzen und Rauben zwischen 1095 und dem 13. Jahrhundert.

Nun soll es aber angeblich einen «Kreuzzug gegen die Kirche» geben. Statt Gotteshäuser stehen nur noch rauchende Ruinen, Priester werden abgeschlachtet, fromme Gläubige massakriert. Oder wie Roger Köppel fromm barmt: «Niemand stellt sich vor die katholische Kirche. Niemand verteidigt die älteste und erfolgreichste Organisation der Welt. Wehrlos taumelt sie in den Seilen.»

Himmels willen, und Gott hilf. Zumindest Köppel eilt der taumelnden Kirche zur Seite. Gut so. Allerdings ist es durchaus eine erfolgreiche Organisation. Es ist die erfolgreiche und älteste Verbrecherorganisation der Welt.

Vielleicht sollte sich Köppel eine Buchempfehlung seines eigenen Blatts zu Herzen nehmen: «Deschner ist der wohl kompromissloseste Autor und Denker im deutschsprachigen Raum.»  Gemeint ist damit Karlheinz Deschner, der wohl bedeutendste Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts. 1986 legte er den ersten Band seiner «Kriminalgeschichte des Christentums» vor. 2013 beendete er die Reihe aus gesundheitlichen Gründen mit dem 10. Band.

Niemals wurde das Walten und Wüten der Verkünder von Gottes Wort fundierter, kritischer und vor allem so unwiderlegbar seziert. Nur schon die völkermörderische Eroberung Lateinamerikas, von der Kirche gefeiert. Der 30-jährige Krieg. Die Hexenverfolgungen, die ungeheuerlichen Perversionen im Vatikan, der obszöne Reichtum der Kirche. Immer fanden sich Pfaffen, die Kanonen den Segen spendeten, das Mordhandwerk als gottgefällig weihten. Ihr – glücklicherweise vergeblicher – Versuch, Aufklärung, Naturwissenschaften, Fortschritt, Moderne unter dem Leichentuch einer Erzählungssammlung aus längst vergangenen Jahrhunderten zu begraben. Ihre Bigotterie, ihre mörderische Inquisition, ihre Heuchelei, ihre liebedienerische Unterstützung aller Mächtigen, wenn sie nur die Kirche walten liessen. All das macht – nicht nur, aber in erster Linie – die christliche Kirche aus.

All das blendet Köppel aus, wenn er zum «Widerstand der Christen gegen die neuen säkularen Heilslehren» aufruft. Und die Kirche als Lordsiegelbewahrer frommer Tugenden sieht: «Der konservative Katholizismus steht, unter anderem, für Familie, für Tradition, für Freiheit vom Staat, für die klare Unterscheidung zwischen Mann und Frau.»

Der konservative Katholizismus steht in Wirklichkeit für alles Muffige, Miefige, Überkommene, Menschen- und Frauenfeindliche in der Gesellschaft. Seine Freiheit vom Staat äussert sich darin, dass er vom Staat die Kirchensteuer eintreiben lässt. Dann schäumt Köppel, wir kritisierten das schon, zur Apotheose auf: «Die Schauprozesse gegen die Katholiken und ihre Kirche erinnern an den Tugendterror der Französischen Revolution. Wie ihre Vorfahren an der Guillotine verfolgen die «Woke»-Jakobiner rabiat das Ideal einer absoluten Gleichheit: gleiche Meinungen, gleiche Gesinnungen, gleiche Lebensstile, gleiche Vermögen, gleiche Werte und Gesetze auf der ganzen Welt.»

Kreuzzüge, Schauprozesse, Tugendterror, Guillotine, Robespierre, der Mann kennt kein Halten, und keiner kann ihn halten, wenn er ins Abseits galoppiert.

Wenn Kreuzritter Köppel wie Don Quijote losreitet, braucht er seinen Sancho Pansa. Der versucht aber nicht, ihn vor wildem Wahnsinn abzuhalten, sondern doppelt nach.

«Der Kirchen-Skandal ist ein Uni-Skandal», die Titelgeschichte von Christoph Mörgeli.

Man muss ihm lassen: mit gewichtigen Argumenten zerpflückt Mörgeli den «Pilotbericht» eines Forschungsteams der Uni Zürich. Der entspricht tatsächlich kaum ernsthaften wissenschaftlichen Kriterien, behauptet unbelegt, verwendet völlig unscharfe und nicht definierte Begriffe wie «problematische Grenzüberschreitungen» oder gar «verbal übergriffiges Verhalten». Dazu beträgt der so untersuchte Zeitraum mehr als 70 Jahre und beginnt 1950.

Mörgeli kommt dann zum polemischen Fazit: «Zweifellos ist die Gefahr, die von Familienvätern und Onkeln bezüglich sexuellen Missbrauchs ausgeht, entschieden grösser als jene von Priestern.»

Bis hierher kann man seiner Autopsie eines offensichtlich allen wissenschaftlichen Ansprüchen Hohn sprechenden Machwerks noch folgen. Aber dann muss auch er noch einen drauflegen: «So ungefähr haben sich dereinst Kreuzzüge, die Inquisition und Hexenprozesse abgespielt.»

Nein, lieber Historiker Christoph, so haben die sich nicht abgespielt. Da wurde gehauen und gestochen, geschlachtet und gequält, massakriert, aufgeknüpft und erschlagen, gefoltert mit allen Methoden, die sich kranke menschliche Hirne ersinnen konnten. Da wurde glühendes Blei in Münder gegossen, Menschen an auf den Rücken gefesselten Armen hochgezogen, bis die Gelenke krachten, da wurde aufs Rad geknüpft, Augen ausgestochen, Zungen herausgerissen, gevierteilt. Da wurden Menschen in blutige Krüppel verwandelt, die mit gebrochenen Gliedmassen vor Schmerzen zuerst schreiend, dann wimmernd darauf warteten, dass der Scharfrichter ihrem Elend endlich ein Ende machte. Da wurden ganze Urbevölkerungen abgeschlachtet im Namen des Herrn. Deus vult.

Und einem Deschner wäre es wie einem Giordano Bruno (und so vielen, allzu vielen anderen) ergangen, wenn diese Kirche heute noch die Macht hätte, die sie einmal missbrauchen konnte: auf den Scheiterhaufen mit dem Ketzer, Sünder, Zweifler, Denker.

Eine solche Verbrecherorganisation, die nur davon abliess, weil sie Gott sei Dank von der Aufklärung endlich in die Schranken gewiesen wurde, einen solch heuchlerischen Haufen als Bollwerk vermeintlicher Tugenden und guter Sitten missverstehen: das ist nun wirklich jenseits von Gut und Böse.

Das ist nicht mal wider den Stachel gelöckt. Wider den angeblichen Zeitgeist gestänkert. Das ist viel schlimmer. Es ist einfach falsch und dumm.

Feige Inquisitorin

Verbot fordern, bei Nachfragen kneifen: typisch für Inquisitoren.

Stephanie Graetz-Pollack ist die Geschäftsleiterin der «Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus» (GRA). In dieser Eigenschaft forderte sie im «Tages-Anzeiger»:

Es «müsste die Hallenstadion AG Roger Waters eine klare Bedingung stellen: «Ohne Distanzierung von den problematischen Aussagen gibt es keinen Auftritt.»»

Als «problematisch» empfindet Graetz offenbar die Kritik von Waters am Zionismus sowie seine Unterstützung der israel-kritischen Organisation BDSBoycott, Divestment and Sanctions»).  BDS fordert im Wesentlichen, Israel müsse «die Okkupation und Kolonisation allen arabischen Landes beenden». Diese Forderung entspricht auch mehreren UNO-Resolutionen.

Zu den Unterstützern von BDS gehören neben unzähligen Organisationen weltweit auch Gruppen, die nicht antizionistisch oder israel-kritisch, sondern antisemitisch sind. Neben Waters gehören auch die aktuelle Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux oder der Erfolgsschriftsteller Henning Mankell zu den Unterstützern von BDS.

Graetz ist seit Anfang September Geschäftsleiterin der Stiftung GRA. Zur Begrüssung wird ihre langjährige Erfahrung im Kommunikationsbereich gelobt. Das Stiftungsziel soll sein: «Die GRA steht für Toleranz und gegen jegliche Art der rassistisch motivierten Diskriminierung

ZACKBUM wollte von Graetz wissen, wie sich dieses hehre Ziel mit ihrer Forderung nach einem Verbot des Auftritts von Waters im Zürcher Hallenstadion vereinen liesse, bzw. mit der ultimativen Forderung, er müsse sich vor dem Auftritt von gewissen «problematischen Aussagen» distanzieren. Wobei offensichtlich die oberste Instanz der Entscheidung, was «problematisch» sei und was nicht, bei Graetz liegt.

Konkret müsste man sich das also so vorstellen, dass Waters vor seinem Auftritt seine kleine Distanzierungsrede bei Graetz einreichen müsste, die dann entscheiden würde, ob der Auftritt stattfinden kann oder nicht.

Daher gelangte ZACKBUM an Graetz mit sieben präzisen Fragen:

  1. Sollte sich Waters nicht von «problematischen Aussagen» distanzieren, müsste also die Hallenstadion AG das Konzert absagen?

  2. Woher nehmen Sie die Autorität, zwischen «problematischen» Aussagen und nicht-problematischen zu unterscheiden?

  3. Haben Sie damit in irgend einer Form, die mir entgangen sein sollte, die Nachfolge der Inquisition angetreten?

  4. Sind Sie nicht der Auffassung, dass es strafbare Aussagen und nicht-strafbare gibt, aber keinesfalls «problematische Aussagen» solch drastische Konsequenzen haben sollten?

  5. Sind Sie nicht der Auffassung, dass die freiwillige Teilnahme an einem Konzert all denen erlaubt bleiben sollte, die Aussagen von Waters als nicht problematisch einschätzen?

  6. Sind Sie nicht der Auffassung, dass es genügt, wenn Menschen, die Waters Aussagen nicht schätzen, schlichtweg nicht an seine Konzerte gehen?

  7. Als «Stiftungsziel» formulieren Sie: «Die GRA steht für Toleranz und gegen jegliche Art der rassistisch motivierten Diskriminierung.» Halten Sie Ihre Aussage gegenüber Waters für damit vereinbar?

Daraufhin bekam ZACKBUM diese Nicht-Antwort:

«Es ist allgemein bekannt, dass Roger Waters ein Unterstützer der BDS-Bewegung ist und dass er sich in der Vergangenheit antisemitisch geäussert hat. Der Presse entnehmen wir darüber hinaus, dass Waters auch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine leugnet und als westliche Propaganda bezeichnet. Dies zeigt einmal mehr, dass Waters offenbar an Verschwörungstheorien glaubt. Allein aus aktuellem Anlass ist deshalb fraglich, ob man einem solchen Künstler überhaupt eine Bühne bieten soll. Es gilt nun, das Konzert zu beobachten. Sollten an einer solchen Veranstaltung rassistische oder antisemitische Aussagen gemacht werden, ist mit rechtlichen Folgen zu rechnen.»

Es ist nun allgemein bekannt, dass Graetz nicht in der Lage (oder willens) ist, konkrete Antworten auf konkrete Fragen zu geben. Unserem abschliessenden Kommentar an sie ist nichts hinzuzufügen:

Besten Dank für Ihre Nicht-Antwort. Ich hatte Ihnen 7 präzise Fragen gestellt, Sie haben keine einzige beantwortet.
Unterstellt, Waters sei Unterstützer von BDS, das ist auch die aktuelle Literaturpreisträgerin oder der Autor Mankell. Wären Sie dann auch dafür, dass deren Bücher verboten werden sollten?
Sie haben, was Sie nicht bestreiten, öffentlich gefordert, dass es ohne Distanzierung keinen Auftritt geben sollte. Womit Sie das begründen, woher Sie die Autorität für diese Forderung nehmen, ob es Ihnen nicht selbst auffällt, dass das übelstes, inquisitorisches Mittelalter ist, dazu sagen Sie nichts.
Es ist immer beelendend, wenn jemand so nassforsch wie Sie mit Forderungen in die Öffentlichkeit tritt, bei Nachfragen dann aber kneift. Aber es passt ins Bild.

Die Info-Krieger

Kaum verhohlene Häme: Köppels Twitter-Account kurzzeitig gesperrt.

Wir sind gut unterwegs – zurück in voraufklärerische Zeiten. Bevor Denis Diderot und seine Bundesgenossen darauf setzten, dass Erkenntnisse nur durch Meinungsfreiheit gewonnen werden, lag ein Leichentuch über dem europäischen Denken.

Die allmächtige Kirche bestimmte, was öffentlich (und privat) gedacht und gesagt werden durfte. Und was nicht. Bei Verstössen gegen diese Vorschriften stand die Inquisition bereit, den Sünder wieder auf den rechten Weg zu führen. Manchmal, wie im Fall Galilei, reichte das Zeigen der Instrumente. In hartnäckigerern Fällen kamen sie zu Einsatz. Der pervertierten menschlichen Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt.

Streckbänke, die Eiserne Jungfrau, glühende Zangen, flüssiges Blei in den Mund, schon das einfache Hochhieven an auf den Rücken gefesselten Händen sorgte für unerträgliche Qualen. Danach war der Tod oft eine Erlösung für das Höllenschmerzen erleidende Opfer. Oder aber, der Ketzer landete wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen.

Die Folterknechte, die Inquisitoren, waren guten Mutes und sicher, ein gottgefälliges Werk zu verrichten. Denn schliesslich ging es ihnen nur darum, eine verirrte Seele einzufangen, sie auf den richtigen Weg zu führen, zu verhindern, dass sie in der Hölle schmoren musste, zu ermöglichen, dass sie jubelnd in den Himmel aufsteigen konnte.

Die Erde sei keine Scheibe? Nicht das Zentrum des Universums? Es sind Zweifel an dem geoffenbarten Wort Gottes in der Bibel möglich? Der Papst sei nicht unfehlbar? Jemand glaubt nicht an Gott, bezweifelt gar seine  Existenz? Versündigt sich an edlen Ideen wie Kreuzzüge, Ablasshandel, kritisiert das gottlose Treiben von Pfaffen in Klöstern? Ts, ts, da musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um all diese Verdunkelungen des hell leuchtenden Glaubens zu beseitigen.

Auch Herrscher reagieren sehr ungnädig auf Spott, Ironie und Kritik. Im Ostblock war’s beliebt, einen Dissidenten in die Psychiatrie einzuliefern. Denn wer an der Richtigkeit und Überlegenheit des real existierenden Sozialismus zweifelt, muss doch krank im Kopf sein.

In westlichen Demokratien geht man normalweise subtiler vor. Da wird weder gefoltert, noch psychiatriert. Soziale Ächtung, Kampfbegriffe wie Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Leugner, ergänzt durch Hetzer, Rechtskonservativer, Nationalist und Irgendwas-Versteher, reichen normalweise aus. Plus die Sperrung des Zugangs zu Multiplikatoren, Ächtung der noch vorhandenen Plattformen.

Mit allen Fingern wird auf die drakonische Zensur in Russland gezeigt. Mit einem Finger leise gewackelt wird bei der drakonischen Zensur in der Türkei. Gerne unerwähnt gelassen wird die genauso drakonische Zensur in der Ukraine. Hochgelobt wird dagegen die Meinungsfreiheit im freien Westen. Hier hat jeder das Recht, nur beschränkt durch weitgefasste Gesetze gegen Verleumdung, Ehrverletzung, Beleidigung, Schmähung, Rufschädigung, Geschäftsschädigung.

Wie stolz sind wir doch darauf, dass wir im Gefolge der Aufklärung gelernt haben, dass nur ein freier Diskurs Erkenntnisgewinn bringt. Wie klar ist es uns, dass man zwischen Meinung und Meinungsträger, zwischen Äusserung und Gesinnung unterscheiden sollte. Klarheit herrscht, dass es nicht sinnvoll ist, Debattenbeiträge durch ihre Herkunft, vermutete Gesinnungen oder andere Markierungen abzuqualifizieren.

In die üble Vergangenheit verbannt sind alle Versuche, Wörter zu verbieten, die Sprache zu reinigen, Vorschriften zu machen, welche Wörter wie verwendet werden dürfen – und welche nicht. Grosses Gelächter erhebt sich, wenn ein Verpeilter meint, durch die Vergewaltigung der Sprache reale Vergewaltigungen bekämpfen zu wollen.

Ist das so? Das war einmal so. Bis sich das Leichentuch des Nationalsozialismus über die deutsche Gesellschaft und Sprache legte, galt in Debatten nur eins: intelligent muss es sein, unterhaltsam muss es sein, Funken schlagen soll es, brillant formuliert ist Voraussetzung für jede Polemik. Und Polemik ist gut, nur im Widerstreit der Meinungen kommt man weiter. So war das bis 1933, und nach 1945 wurden Freiräume zurückerobert.

Eine Einteilung der Welt gab genügend Sicherheit, fröhlich im Streit herauszufinden, ob kapitalistischer oder sozialistischer Imperialismus besser sei, oder ob beides gleich schlecht ist.

Als dann ab 1989 der Ostblock zusammenbröselte, setzte merkwürdigerweise nicht eine zusätzliche Befreiung des Denkens und Debattierens ein, sondern eine zunehmende Verunsicherung. Und Verunsicherung macht Angst. Angst macht repressiv. Denn natürlich hatte auch die Kirche, hat jeder Herrscher Angst vor dem freien Wort und freien Gedanken.

Genauso wie jeder kleine Pinscher, der meint, absolut zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Der mangels eigenen intellektuellen Fähigkeiten begrüsst, wenn ihm missliebige Meinungen unterdrückt werden.

Ein Schulbeispiel dafür sind die Reaktionen auf die kurzzeitige Sperrung des Twitter-Accounts von Roger Köppel. Maliziös wurde vom «Blick» aufwärts (abwärts geht schlecht) vermeldet, dass es wohl zahlreiche Beschwerden gegen den Account gegeben habe, worauf Twitter ihn wegen Regelverstoss und Hassreden gesperrt habe. Man hörte das mitschwingende «bravo», das «ätsch», das «hä, hä» dröhnen. Allgemein als Begründung wurde kolportiert, dass Köppel Vergewaltigungsopfer «verhöhnt» habe.  Mit seinem Tweet «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau» habe er indirekt dazu aufgefordert, ein Nein nicht zu akzeptieren.

Köppel müsse diesen und andere Tweets zuerst löschen, bevor er wieder zugelassen werde. Oder –hoffentlich – auf Lebenszeit gesperrt wie der Ex-US-Präsident Donald Trump. Nochmals «he, he».

Eher belämmert musste dann berichtet werden, dass sich Köppel doch tatsächlich nach kurzem Unterbruch auf Twitter gemeldet habe – ohne die kritisierten Tweets zu löschen. Dieser Schlingel.

Keinem der Kommentatoren in den Mainstream-Medien fiel es ein, auf den wahren Skandal hinzuweisen. Kann es richtig sein, dass eine private Bude wie Twitter selbstherrlich nach undurchschaubaren Kriterien in Dunkelkammern entscheidet, wer diesen Multiplikator wie benutzen darf? Das ist noch schlimmere Zensur als im Mittelalter.

Niemand wies auf den Skandal hin, dass Mini-Inquisitoren und Zensoren bewirken können, dass mit ihrer Meckerei ein Account gesperrt wird. Das ist die digitale Version der hetzenden Meute, die einen Abweichler durch die Strassen jagt und mit faulen Eiern, Tomaten und Steinen bewirft. Weil dieser Teil wegfällt, wirkt es zivilisierter, ist aber nicht minder barbarisch.

Bezeichnend ist auch, dass all diese Zensoren genauso wie die Unwohlsein Erleidenden beim Anblick kultureller Aneignungen ihre Denunziationen immer anonym ausführen. Früher, im Mittelalter und auch in neueren Zeiten, gab es dafür spezielle Briefkästen, in die jeder feige Denunziant seine Anklage anonym einwerfen konnte. Auf das ist heute dank Digitalisierung viel einfacher geworden.

Gibt es die völlige Meinungsfreiheit? Natürlich nicht, so wie es auf keinem Gebiet absolute Freiheit gibt, weil das immer in Willkür und Faustrecht und Barbarei ausarten würde. Aber es sollte die möglichst umfassende Meinungsfreiheit geben. Dazu muss gehören, Peinliches, Unsinniges, Falsches, Provokatives, politisch nicht Korrektes, Frauenverachtendes, Minoritäten Diskriminierendes, Frauen, Männer, Behinderte, Kinder, Menschen anderer Hautfarbe oder Kultur Abqualifizierendes, sagen zu dürfen. Menschliche Schneeflocken dürfen ihr Unbehagen, ihre Verletztheit durch ach so viele ausgrenzende und nicht-inkludierende Formulierungen zum Ausdruck bringen. Linke dürfen auf Rechte verbal einprügeln, Verteidiger der militärischen Spezialoperation zur Befreiung der Ukraine vom Faschismus dürfen sich Wortgefechte mit Kritikern liefern, die den völkerrechtswidrigen Überfall entschieden verurteilen.

Kriegsgurgeln dürfen mit Pazifisten im Clinch liegen. Sogar fundamentalistische Irre dürfen Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, die sie selbst in von ihnen beherrschten Ländern nicht im Traum einräumen würden. Feministinnen dürfen den Schleier als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung feiern, und von anderen Feministinnen in den Senkel gestellt werden, die den Schleier als Ausdruck einer frauenverachtenden, mittelalterlichen Männerherrschaft sehen.

So sollte das sein, wenn es in der öffentlichen Debatte um Erkenntnis und Forstschritt ginge. Da müsste man selbst den Verbal-Proleten Dieter Bohlen zumindest ernst nehmen und argumentativ begegnen, wenn der Verhandlungen in der Ukraine fordert, weil er «Krieg scheisse» findet. Gäbe es diese Geisteshaltung noch, müsste jeder Intellektuelle, der etwas Wert auf Anstand und Aufklärung legt, den Zensurversuch gegen Köppel aufs schärfste verurteilen. Müssten alle Bauchnabel-Kommentatoren – statt apodiktisch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden – sich ernsthafte Gedanken über die Verluderung der Streitkultur machen. Müssten alle Verfolger kultureller Aneignungen sich besser um das Wiedererstarkten von Denkverboten und Zensur kümmern.

Alle Alarmsirenen erschallen lassen, dass wir zunehmend das unter so vielen Opfern erkämpfte Recht auf freien Diskurs verlieren. Diesmal nicht auf Betreiben von Religion oder Herrschern, sondern zuvorderst gefordert von Meinungsträgern selbst, von fehlgeleiteten Journalisten, Publizisten, Redaktoren. Die ihre intellektuelle Unterlegenheit, ihre geistigen Tiefflüge durch Rufe nach Denk- und Formulierungsverboten bemänteln wollen. Denn wo es keine Widerrede gegen Blödes, Seichtes, Unsinniges und Flachdenkertum gibt, wird seine Erbärmlichkeit nicht erkennbar.

Sollte man Köppel das Maul stopfen? Niemals. Sollte man «Russia Today» verbieten? Unter keinen Umständen. Sollte man Befürworter der Politik Putins stigmatisieren, ausgrenzen, sozial ächten, Maulkörbe, Entlassungen für sie fordern? Unter keinen Umständen.

Nur Kurzdenker verstehen dieses Plädoyer als Unterstützung solcher Meinungen falsch.

Wie hältst du’s mit Putin?

Wir ignorieren uns gegenseitig. Ist das falsch?

Es erinnert an die finsteren Zeiten des Mittelalters. Dort wurde vor allem öffentlich immer wieder das Bekenntnis zur einzig wahren Religion abgefordert. Inklusive Gehorsam, was von der Kanzel als gut, was als böse definiert wurde.

Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Um im aufwärmenden Kalten Krieg neu aufzuleben. Statt Gottesglaube wird hier abgefragt, was man denn von Putin und seinem Überfall auf die Ukraine halte.

Wie im Mittelalter ist die Antwort nicht der Ort für Differenzierungen. Auch nicht für Abstinenz. Erst recht nicht für Ausweichen. Unterhalb von «ein wahnsinniger, skrupelloser Mörder und Kriegsverbrecher» geht da nichts.

Die erwähnten zehn Prinzipien der Kriegspropaganda sind amtlich und in Kraft gesetzt.

Faszinierend ist, dass Intellektuelle eine Fähigkeit verlieren, die sie sonst auszeichnet und auf die sie auch stolz sind. Die der Reflexion, der Differenzierung. Die Fähigkeit, der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen zu wollen, ohne Rücksichten auf Gefühle oder Meinungen oder Stimmungen, moralische Imperative oder Narrative.

ZACKBUM hat beschlossen, sich inhaltlich zum Kriegsgeschehen nicht mehr zu äussern. Aus einer Vielzahl von Gründen, darunter unsere mangelnde Kompetenz zur Beurteilung einer unübersichtlichen Kampflage. Zudem meint jeder etwas dazu, der mehr als drei Buchstaben, drei Hirnzellen und einen Multiplikator zur Verfügung hat. Meistens nichts sehr Sinnvolles oder Erhellendes.

Zudem sieht es ZACKBUM als vornehmste Aufgabe, sich darum zu kümmern, was eine kritische Medienplattform tun sollte. Kritisch über Medien berichten.

Sonst noch was?

Bitte, zum Einrahmen und Ausschneiden: Putin ist ein Kriegsverbrecher und ein Verlierer, der sich selbst in eine aussichtslose Lage manövriert hat. Nach dem Überfall wird jeder Ausweg, jeder angebliche Sieg eine Niederlage sein. Aber wer keinen Atomkrieg riskieren will, muss dafür besorgt sein, dass Putin sich nicht mit dem Rücken an der Wand fühlt.

Wie man das bewerkstelligen kann, da ist jedes konstruktive Denken willkommen. Ach, und sicherlich wird Putin nicht im Bett sterben …

Wer schützt vor Schutzbach?

Eine «Geschlechterforscherin» auf Abwegen.

Ich habe bislang die Fokussierung auf Gender- oder Frauenfragen, Untersuchungen zu «Antifeminismus» oder einer «maskulistischen Szene» für etwas merkwürdig, aber harmlos gehalten.

Schliesslich gibt es auch Menschen, die sich der Erforschung der Sitten der Andamanen, dem Balzverhalten der kleinen Wüstenspringmaus oder der deutschen Lautverschiebung widmen.

Wenn das der Zerstreuung oder der geistigen Erbauung dient, wohlan. Vielleicht ergeben sich sogar Erkenntnisse daraus, die wir alle in unserem Alltag verwenden können.

Schutzbach als Antidemokratin

Franziska Schutzbach fiel das erste Mal öffentlich unangenehm auf, als sie behauptete, dass man sogenannte rechtsnationale Kräfte in Europa, insbesondere die SVP in der Schweiz, nicht auf «formal-demokratischem Weg zurückdrängen» könne. Die Antidemokratin Schutzbach empfahl zivilen Ungehorsam, der sich zum Beispiel so äussern sollte, dass andere Parlamentarier den Nationalrat verlassen, wenn ein gewählter Volksvertreter «der extremen Rechten den Mund aufmacht».

Als das nicht wirklich gut ankam, versuchte sie, ihre Äusserungen als Ironie wieder einzufangen. Es wundert auch nicht, dass sich Schutzbach lebhaft im Twitter-Kanal von Jolanda Spiess-Hegglin äussert. Was sich dort abspielt, ist eine gruppenpsychologisch interessante gegenseitige Rückkoppelung bis zur argumentativen Bewusstlosigkeit.

Wiedereinführung von Inquisition und Gedankenpolizei

Mit merkwürdig, putzig oder harmlos hört es aber doch schnell auf, wenn man ihr Plädoyer für die Wiedereinführung von Inquisition, Gedankenpolizei und präventiver Zensur in der neusten Ausgabe der «WoZ» (Artikel hinter Bezahlschranke) liest.

Hier versteigt sich Schutzbach zur Kenntlichkeit eines voraufklärerischen Verständnisses von einer freien Debatte. Sie behauptet: «Ein Buch über Jolanda-Spiess-Hegglin darf nicht wie geplant erscheinen. Richtig so: Jene, die laut rufen, das sei ein «Angriff auf die Pressefreiheit», verteidigen in Wahrheit misogyne Grundstrukturen.»

Schlimmer noch: «Verteidigt wird der Anspruch, über die Intimsphäre von Frauen zu verfügen.» Eine Frau, die «traditionell männliche Güter» beanspruche, werde «dafür nach wie vor in die Schranken verwiesen». Und schliesslich komme «eine Grundstrategie frauenfeindlicher Agitation zum Einsatz: die Opfer-Täter-Umkehrung. Die Frau wird zur Gefahr stilisiert, hier zur Gefahr für die Pressefreiheit.»

Keine gefährliche Frau, aber gefährlicher Schwachsinn

Aus all diesen Gründen sei Spiess-Hegglin eine «gefährliche Frau», so der Titel dieser Ansammlung von geschütteltem Schwachsinn. Nein, von gefährlichem Schwachsinn. Zunächst, für Leser, die des Griechischen nicht mächtig sind: Misogynie heisst Frauenhass.

Seitdem sich eine Misogynie-Forschung entwickelt hat, unterscheidet man hier eine ganze Pyramide von angeblichen Erscheinungsformen. Von harmloseren wie «fehlende Unterstützung von Frauen» über «Verächtlichmachung von Frauen» bis hin zum «Femizid», also der Tötung von Frauen nur wegen ihres Geschlechts.

Frauenhass haben nicht nur Männer; er ist als «Mittäterschaft» und durch soziologische Prägung auch bei Frauen vorhanden. Und jetzt kommt der Clou: strukturelle Misogynie äussere sich in allem, was Männer tun oder beherrschen. Also eine einseitige, von männlichen Philosophen, Wissenschaftlern und Theoretikern beherrschte Gesellschaft.

Das Geschlecht definiert Täter und Opfer

Sorry, Jungs, das Geschlecht definiert Herrscher und Opfer. Eigentlich wussten wir es ja schon lange: Männer sind Schweine, Väter sind Täter, Misandrie existiert nicht. Wie in jedem voraufklärerischen Theoriegebäude, wo absurde Letztbegründungen für die Richtigkeit von Glaubenssätzen herangezogen werden, sei das das geoffenbarte Wort Gottes, sei das die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht, oder sei das schlicht und einfach das Geschlecht.

Gleichzeitig ermächtigt diese absurde Zuweisung von Wahrheit und Rechthaben, dass der Priester als Meister der Auslegung der Bibel, der Angehörige einer herrschenden Kaste als einzig Vernunftbegabter über das dumme Pleps herrschen oder eben eine Frau durch ihr Frausein angeblichen strukturellen Frauenhass definieren und denunzieren kann.

Zensur unter diesem Banner?

So weit, so absurd. Richtig gefährlich wird es aber, wenn unter diesem Banner das aufrechterhaltene Verbot, über ein frei gewähltes Thema zu recherchieren und zu publizieren, als völlig richtig verteidigt wird.

Man kann nun über das Buchprojekt von Michèle Binswanger durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Man kann sich seiner angeblich potenziell persönlichkeitsverletzenden Macht ganz einfach entziehen: Indem man es nicht liest.

Zu den grösseren Schätzen meiner Bibliothek gehört eine der letzten Ausgaben des «Index librorum prohibitorum». Also das Verzeichnis der verbotenen Bücher, deren Lektüre jedem Katholiken bei Strafe der Exkommunikation oder gar Schlimmerem untersagt war. Dieser Schutz des Seelenheils existierte von 1559 bis 1962.

Rückfall in voraufklärerische Zeiten

Gott sei Dank bewirkte die Aufklärung, dass solche Buch- und Denkverbote weitgehend aufgehoben wurden. Unter welchem Banner auch immer. Rückfälle in voraufklärerische Zeiten mit verbotenen Büchern waren immer die Begleiterscheinung nicht nur einer Diktatur, sondern auch eines Zusammenbruchs des Rechtsstaats und der Zivilisation.

Wer also kräht, all die, die in diesem absurden präventiven und putativen Verbot eines Zuger Richters den massivsten Angriff auf die Schweizer Pressefreiheit seit dem Zweiten Weltkrieg sehen, seien Verteidiger einer Gesellschaftsstruktur, die auf Frauenhass aufgebaut sei, ist ungefähr so bei Trost wie die Inquisitoren, denen es ja auch nur um die Rettung des Seelenheils ging, sei es auch unter Hinnahme unsäglicher Qualen vor der Verbrennung.

Gegen Schutzbach muss das freie Wort verteidigt werden

Schutzbach unterscheidet sich leider von Andamanen-Forschern und anderen leicht verschrobenen Wissenschaftlern dadurch, dass sie zutiefst antidemokratisch ist, am liebsten voraufklärerische Herrschaftsstrukturen wieder einführen möchte und sich dazu aufschwingt, nur legitimiert durch ihr Geschlecht bestimmen zu können, was frauenfeindlich, gar frauenhasserisch sei und was nicht. Was geschrieben oder gedacht werden darf – und was nicht.

 

Dagegen, auch wenn dieser Versuch lächerlich erscheint, müssen die Errungenschaften der Aufklärer verteidigt werden. Von Männern und Frauen. Und auch für Schutzbachs Recht, ihren Unsinn publizieren zu dürfen.