Schlagwortarchiv für: innerdeutsch

Der Süddeutsche Anzeiger

Was ist eigentlich noch schweizerisch am Tagi?

Die Berichterstattung über die Irrungen und Wirrungen im US-Wahlkampf? Erledigen die Kollegen von der «Süddeutschen Zeitung» mit ihrer teutonischen Sicht. Ergänzendes leisten AFP/DPA/SDA.

Die Berichterstattung über den Nahen Osten? Newsticker … Gibt es auch Schweizerisches? Moment, doch: «Auf Zürcher Dächern nisten neuerdings Möwen», weiss Angela Barandum. Und scheissen ins, aber lassen wir das.

«Kryptowährung im Aufwind»? SDA-Ticker. Ein recht blutarmes Porträt über den Crowdstrike-Chef George Kurtz, «der Mann, der die Welt verlangsamte» und gerne karierte Anzüge trägt? Vom SZ-Autor Max Muth.

Meinungen? Gibt es noch was Grausameres als Claudia Schumacher oder Markus Somm? Kein Problem, sagt der Tagi, da hätten wir den SZ-Autor Robert Probst. Der macht sich noch im Nachhinein Gedanken über den gescheiterten Hitler-Attentäter von Stauffenberg. Hatten wir da nicht schon alles ein paar Tage zuvor?

Selbst die NZZ vergaloppierte sich beim Thema. Aber da kann der Tagi mit einer Leihmeinung noch locker einen drauflegen. Denn Probst geht es bei seinem Kommentar um ein rein innerdeutsches Problem. Der erschien auch rechtzeitig zum 20. Juli in der «Süddeutschen» und wird dann am 21. von Tamedia nachgereicht.

Zunächst serviert Probst das deutsche Leiden, dass eben nicht alle Deutschen innerlich im Widerstand waren und von den Nazigreueln eigentlich nichts wussten, während sie halt auch als KZ-Wächter nur Befehlen folgten und ihren Dienst versahen. «Die vielfach geäußerte Behauptung, „Opa war kein Nazi“ und/oder wahrscheinlich sogar im Widerstand, bringt weder die erhoffte Entlastung, noch eignet sie sich zur Schuldabwehr.»

Das ist nun für Schweizer Leser sehr bedingt interessant. Auch die irrige Meinung von Probst: «Der Mut und die Entschlossenheit der Verschwörer verdienen den höchsten Respekt.» In Wirklichkeit war der Anschlag eher dilettantisch vorbereitet, und Stauffenberg als wichtigster Ausführender versagte kläglich.

Nun widerspiegelt sich an der Interpretation der Motive der Attentäter um Stauffenberg die typisch deutsche Debatte, welche Rolle die Wehrmacht, der Adel, das Bürgertum in Nazideutschland spielten. Anscheinend kommt nun noch ein weiteres innerdeutsches Problem dazu:

«Die bisher gefährlichste Instrumentalisierung droht nun von rechtsextremen Kreisen. Schon seit einiger Zeit versucht die „Neue Rechte“ Stauffenberg für eine vermeintliche „Konservative Revolution“ in Dienst zu nehmen.»

Da gerät Probst deutlich in Wallungen: Inzwischen hätten «Querdenker, Eiferer und die AfD den Widerstand für sich entdeckt und wenden ihn in zerstörerischer Absicht gegen die Demokratie, Stichwort „Corona-Diktatur“. Hier wird der legitime Widerspruch in einer Demokratie mutwillig mit Widerstand in einem totalitären Regime verwechselt, mit der Absicht, den Parlamentarismus zu delegitimieren».

Wahnsinn, aber damit nicht genug: «Dazu Spaltung, völkische Hetze und einfache Heilsversprechen – kommt einem alles irgendwie bekannt vor».  Da hört Probst wieder mal die braune Liesl läuten. Gegenwehr tut not, solche «lebendige Debatten», wie Probst hier wohl zu führen meint, «sind bestens geeignet, das manipulative Geschwätz vom „Widerstand“ der Extremisten zu entlarven. Und gemeinsam eine Demokratie zu verteidigen, ist sehr viel leichter, als irgendwann für ihre Wiederherstellung kämpfen zu müssen.»

Es ist auch so eine typisch deutsche Eigenschaft, immer den Untergang vor Augen zu haben, am liebsten pompös mit Wagnermusik unterlegt.

Nun hat Deutschland so ungefähr seit 1870 (vorher allerdings auch, nur hiess es nicht so) seine liebe Mühe mit der Demokratie. Eigentlich ständig bis 1945. Seither herrscht hier etwas Ruhe, nicht zuletzt, weil der nicht gerade demokratische erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Gebiet verschwunden ist. Und so hätten sich SPD, CDU, FDP und Grüne in wechselnden Koalitionen weiterhin die Macht teilen können, wenn da nicht die Spielverderber Linke, Projekt Sahra Wagenknecht und vor allem die AfD aufgetaucht wären.

Das alles ist in München durchaus Anlass für Schübe, da schmeckt dann selbst das nach dem Reinheitsgebot gebraute Bier nicht mehr richtig, und die Weisswurst wird verzweifelt auch am Nachmittag verspeist.

Nur: interessiert das den Schweizer Leser einer Schweizer Tageszeitung wirklich? So detailliert, so innerdeutsch? Eigentlich nicht.

Und wenn’s ihn nicht interessiert, wieso bekommt er es dann serviert? Weil die Zentralredaktion von Tamedia über zu wenig Journalisten verfügt? Eigentlich nicht. Woran liegt’s denn dann?

Nun, wie immer stinkt der Fisch vom Kopf. Wer einen solchen Kommentar publiziert, betreibt Leserverarschung. Daran beteiligt sind alle gut bezahlten führenden Personen, von denen es ja genug gibt. Mehr als genug. Wir zählen nochmals auf:

Die Chefredaktion «Tages-Anzeiger»: Raphaela Birrer (rbi), Chefredaktorin. Adrian Zurbriggen (azu), stv. Chefredaktor. Matthias Chapman (cpm), Kerstin Hasse (kh).

Redaktionelle Steuerung: Newschef: Adrian Eng. Tagesleitung: Jacqueline Büchi, Anja Burri. Planungschefin: Ursula Schubiger. Printleitung: Rolf Eisenhut, Tatiana Gruosso, Lukas Lampart, Thomas Möckli, Stephan Reuter, Thomas Wernli, Corsin Zander.

Die «Leitung Analysen und Meinungen» hat  Fabian Renz, aber das ist bereits ein rein ausführendes Organ, der die Befehle der Chefredaktion, zum Beispiel ein Schreibverbot wegen «wir sind beleidigte Leberwürste» exekutieren muss.

Also haben insgesamt 15 Nasen die Chance gehabt, die Frage zu stellen, ob so ein innerdeutscher Kommentar zu einem innerdeutschen und längst vergangenen Thema wirklich die Schweizer Leser interessieren könnte. Entweder haben sie sie nicht gestellt, oder falsch beantwortet. Also versagt.

 

Was interessiert das die Schweiz?

Wenn Hubert Wetzel unablässig die Welt regelt.

Der Mann hat Sendungsbewusstsein. Und spart nicht mit harschen Urteilen: «Macron hat aussenpolitisch seinen Bankrott erklärt». Nein nicht gerade jetzt, das war sein Verdikt im April.

Im November 2020 sah er noch ganz andere Gefahren: «So sterben Demokratien», raunte er. Für jeden, der sich auch nur bemüht, Motive von Putin zu verstehen, diesen «paranoiden Diktator», hat Wetzel nur Verachtung übrig: «putinfreundliche Verschwörungsschwurbler».

Bis 2022 war er USA-Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung», womit sich seine Amokläufe auch in die Spalten des Qualitätsorgans «Tages-Anzeiger» ergossen. Seither wütet er in Brüssel, und Tamedia kriegt’s weiterhin ab.

Da muss er immer wieder streng werden und den europäischen Politikern und Regierungen die Kappe waschen. Zunächst aber ruft er eine Tatsache in  Erinnerung, die schon fast alle vergessen haben: «In der Ukraine herrscht Krieg.» Da fällt ihm selbst auf: «Das mag nach zwei Jahren des Tötens und Sterbens wie eine banale Feststellung klingen.» Wetzel und banal? Niemals; «aber es ist keine. Im Gegenteil». Was ist wohl das Gegenteil einer banalen Feststellung? Eine nicht-banale? Eine schwere, komplizierte, schwierige, komplexe?

Nun auf zu einer banalen Zweiteilung Europas: «Niemand rechtfertigt das Blutbad, das Wladimir Putin anrichtet. Aber im Grossen und Ganzen fühlen sich Spanien, Portugal oder Italien in ihrer Existenz durch den Krieg nicht wirklich bedroht

Typisch, diese lateinischen Schlappis. Mehr Zack herrscht «im zweiten Lager, dem der nördliche und der östliche Teil der EU-Staaten angehören».  Die wissen laut Wetzel: «In der Ukraine kämpfen nach dieser Deutung zwar ukrainische Soldaten, aber sie kämpfen stellvertretend für das EU-Europa und seine Prinzipien: Freiheit, Demokratie, Menschenwürde. Der Krieg ist nicht nur «deren Krieg», er betrifft nicht nur die Ukrainer. Der Krieg ist «unser Krieg» – Putin zielt auf uns alle, und er wird auch uns attackieren, wenn wir ihn nicht im Donbass aufhalten.»

Wenn «wir» ihn nicht im Donbass aufhalten? Müssen wir zukünftig auf die Schreibtischkommentare von Wetzel verzichten, weil er sich höchstpersönlich aufgemacht hat, den Iwan aufzuhalten? Da hält er sich dann doch bedeckt, schliesslich muss Europa seine ordnende Hand spüren: «Wie immer in solchen Fällen wäre es die Aufgabe Deutschlands und Frankreichs, die Führung zu übernehmen. Das aber funktioniert nicht.»

Wann genau haben Deutschland und Frankreich gemeinsam die Führung übernommen? Als sich Frankreich für die Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung den Euro ausbat? Oder lässt Frankreich neuerdings Deutschland an seiner Force de frappe teilhaben?

Aber es gibt noch eine viel grössere Gefahr, und die geht mal wieder von der SPD aus, diesen Pazifisten, Weichlingen, Defätisten, Diversanten. Ob sich hier eine neue Dolchstosslegende entwickelt? «Die Frage, ob man sich auf Deutschland – genauer: den Bundeskanzler – im Notfall verlassen kann, ist wieder zu hören, erst recht, seit in dessen SPD laut über das «Einfrieren» des Kriegs geredet wird.»

Die Frage sei zu hören? So, so, was Wetzel so alles hört. Und wie beantwortet er die Frage? Überhaupt nicht, denn neben der Feigheit vor dem Feind zeichnet ihn auch Feigheit vor der eigenen Regierung aus. Denn behaupten, auf den Bundeskanzler könne man sich «im Notfall» nicht verlassen, das wäre dann doch starker Tobak.

Die ganz grosse Frage ist allerdings: was interessiert den Schweizer Leser diese Schreibtherapie eines deutschen Wüterichs, der von einer düsteren Ankündigung zur nächsten stolpert, getrieben von typischer German Angst?

Die kann leicht beantwortet werden: überhaupt nicht, denn die Schweiz gehört weder zu Deutschland noch zur EU. Und auch, wenn Wetzel vielleicht meint, dass an seinem Wesen die Welt genesen sollte: ist hierzulande völlig unerheblich. Überflüssig. Eine ärgerliche Belästigung.