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Virus und Hirn

«Blick» interviewt Pfizer. Mit Schleimspur.

Ein Interview mit der Schweizer Chefin von Big Pharma kann man machen. Wieso nicht, schliesslich verdient sich Pfizer an der Herstellung eines Vakzins dumm und krumm. Und dank Booster bleiben die Gewinne anhaltend garantiert.

Bruckner sagt das, was sie auch in einem bezahlten Inserat sagen würde.

Da könnte man jede Menge interessante Fragen stellen. Stattdessen holpert das Zentralorgan des investigativen Undercover-Journalismus so ins Gespräch:

«Frau Bruckner, welchen Vorsatz haben Sie sich als Chefin von Pfizer Schweiz für 2022 genommen?»

Vorsatz genommen? Aber gut, Frau Bruckner lehnt sich zurück: «Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicher durch diese Krise zu bringen – soweit das in meiner Macht steht. Zudem möchte ich möglichst viele Patientinnen und Patienten mit unseren Medikamenten und Impfstoffen versorgen.»

Nach diesem tiefen Einblick in geheimste Vorsätze will «Blick» wissen, ob sie ihren fünfjährigen Neffen impfen lassen würde – und das auch Schweizer Eltern rate.

Da eiert Bruckner: «Es ist nun mal so, dass Kinder unter 15 Jahren 26 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.» Schön, dass wir das nun wissen, aber sie wird noch präziser: «Allein in der Schweiz leben mehr als eine halbe Million Kinder zwischen fünf und elf Jahren

Da kann man locker eine Million Impfdosen loswerden, mit Booster sogar 1,5. Aber das sagt Bruckner natürlich nicht, sondern:

«Ich rate allen Eltern, sich bei den Kinderärzten beraten zu lassen

Statt hier nachzuhaken, will «Blick» nun wissen, ob Kinder auch geboostert werden sollten: «Derzeit gibt es keine Daten zum Booster bei Kindern und Jugendlichen von fünf bis unter 16 Jahren.»

Früher Abfall, heute dem Leser serviert

Früher einmal, ja früher hätte eine solche Null-Antwort dazu geführt, dass sie samt Frage gekübelt worden wäre. Aber das war früher. Heute wird gnadenlos nachgefragt, ob denn die Booster-Impfung gegen die Omikron-Variante wirke. Da kann Bruckner ganz uneigennützig verkünden: «Nach der Booster-Impfung ist bei Erwachsenen der Schutz vor einer Omikron-Erkrankung 25-mal höher. Das heisst, Boostern macht sicher Sinn – vor allem, um sich vor einem schweren Krankheitsverlauf zu schützen.»

Inhaltlicher Schrott, schrottig serviert.

Nun tribbelt der «Blick» aber an eine kritische Frage heran, schliesslich sei «Covid für Pfizer auch eine wirtschaftliche Chance» gewesen.

Bruckner kann dann ihr Glück nicht fassen, dass sie mit diesem Stehsatz davonkommt: «Covid war vor allem eine Chance für die Forschung, um der mRNA-Technologie zum Durchbruch zu verhelfen.» Und: «Pfizer allein hat mehr als zwei Milliarden Dollar in die Forschung und den Aufbau der Logistik sowie in die Produktion eines Impfstoffs investiert. Forschung ist ein Hochrisikogeschäft.»

«Blick» bleibt gnadenlos dran und fragt knallhart, wieso die Krankenkassen ab 1. Januar an den Bund 25 statt vorher 5 Franken pro Impfdosis zahlen müssten. Bruckner weicht problemlos aus: «Ich kenne die Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Krankenkassen nicht.»

Natürlich wirkt Pfizer auch uneigennützig in der Dritten Welt und spannt dort mit Coca-Cola zusammen, darf Bruckner noch loswerden. Mit diesen Gestammel endet das Interview:

Eine ganze Halde von nicht gestellten Fragen bleibt zurück. Pro Sekunde machen Pfizer Biontech und Moderna mit ihren Impfstoffen 1000 Dollar Gewinn. 2021 erwartet der weltweit führende Pharmariese alleine mit dem Vakzin einen Umsatz von über 33 Milliarden Dollar. Mit Staats- und Abnahmegarantie. Aber ohne Haftungsrisiko.

Schon jetzt gelten diese Impfstoffe als profitabelstes neues Pharmaprodukt aller Zeiten. Profitmarge mindestens 20 Prozent, man rechne.

Knebelverträge mit abnehmenden Staaten

Es sind Verträge zwischen Pfizer und abnehmenden Staaten ans Licht gekommen, in denen sich Pfizer jeglicher Haftung entledigt, bei Schadenersatzklagen haften die Staaten, sie müssen sogar die Verteidigungskosten für Pfizer übernehmen. Als Gerichtsstand ist prinzipiell New York angegeben. Denn in den USA geniessen Pharmamultis bei Notzulassungen Immunität gegen viele Gerichtsklagen.

Das und vieles mehr wären doch Fragen gewesen, die man hätte stellen sollen und müssen. Aber die schlecht vorbereiteten «Blick»-Journis doch nicht. Eigentlich hätte über diesem Werbespot «Publireportage» stehen sollen. Oder «Paid Content». Oder «Native Ad». Oder welche Euphemismen Medien auch immer verwenden, um Werbung zu camouflieren.

 

Ein Tamedia-Flop und seine Geschichte

Vierte Lieferung. Hier werden Fundstücke obduziert, um ihre Todesursache zu finden. Diesmal die Behauptung, BR Berset hätte ein Angebot abgelehnt, in der Schweiz Impfstoffe zu produzieren.

Primeurs sind schön. Daran labt sich der Journalist, obwohl es dem Leser eigentlich schnurz ist, wer was zuerst publiziert. Ein Primeur mit Wirkung und Hallo, das ist die Steigerung. Ein Primeur, bei dem eine ernstzunehmende Partei gleich eine Parlamentarische Untersuchungskommission fordert, das ist der Olymp.

Es gibt den aus Erfahrung gespeisten bösen Spruch: nur was man selbst erfindet, hat man exklusiv. So einfach ist das bei der Berset-Lonza-Story von Tamedia natürlich nicht. Aber genau das ist hier das Problem.

Die Story eines angekündigten Flops

Am 11. März platzierte Tamedia den Primeur: «Bund wollte keine eigene Impfproduktion». Der Tagi zeigt sogar das Foto einer grasenden Schafherde, die von einer Impf-Produktionsanlage vertrieben worden wäre. «Das Happy End war so nahe, aber der Mut fehlte», doppelte Autorin Isabel Strassheim in einem Kommentar nach.

Sie ist eine Kennerin der Pharma-Szene – und Mitunterzeichnerin des Protestschreibens einiger Tamedia-Frauen.

Beides spielt hier eine Rolle. Auch die Tatsache, dass sich Strassheim auf «verschiedene Quellen» berief. Anonyme Quellen, versteht sich. Diese Methode ist seit ihrer ständigen Anwendung durch die «Republik» etwas in Verruf geraten. Dennoch können Informanten helfen. Aber umso grösser das Thema, desto besser muss das abgesichert werden.

Dieser Primeur gab – wie erwartet – ein Riesengebrüll. Der Gesundheitsminister Alain Berset habe «das Lonza-Angebot abgelehnt», legte Tamedia zwei Tage später nach. Strassheim wird bereits von zwei männlichen Kollegen unterstützt. Am 17. März dann ein halber Offenbarungseid: Tamedia erklärt nun, wieso die Gespräche zwischen Berset und Lonza im Sand verlaufen sein sollen. Und in einem kleinen «Korrektur»-Kasten krebst der Medienkonzern von seiner ursprünglichen Kernaussage zurück.

Vorwärts, wir ziehen uns zurück

«Neue Recherchen» hätten gezeigt, dass es nicht um das Angebot einer bundeseigenen Impfstoffproduktion bei Lonza gegangen sei, sondern lediglich um eine «staatliche Mitfinanzierung». Kleiner Unterschied? Nein, kleingespielter Unterschied, denn Berset hatte bereits offiziell die erste Aussage dementiert. Die FDP, schon in Kampfeslaune mit einer PUK, stand plötzlich mit abgesägten Hosen da und sagte öffentlich Tapferes, im Hintergrund nicht Zitierbares.

Tamedia mopste noch etwas nach, Lonza sei am Limit, im System «knirscht» es, wie auch immer, die «Schweiz braucht eine eigene Impfstoffproduktion». Als man sich bei Tamedia schon wichtigeren Problemen zuwenden wollte; wer untersucht die anonymen Sexismus-Vorwürfe zum Beispiel, meldete sich die NZZamSonntag zu Wort.

Mutig durchs Labyrinth: Pacman NZZaS.

Zu Worten; dreieinhalb Seiten, über 30’000 Anschläge, als wär’s ein Stück der «Republik». Birgit Voigt und Multitalent Peter Hossli, der schon Alt Bundesrat Moritz Leuenberger in die Bredouille interviewt hatte, blätterten nochmal die Geschichte der Impfstoffsuche durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf.

Unvermeidbare und vermeidbare Fehlentscheide

Überraschungsfrei ist das eine komplizierte Kiste, geprägt von nur im Nachhinein als kapitale Fehler kritisierbaren Entscheiden und tatsächlichen Fehlentscheiden, eben typisch für die Entscheidungsaversion von Beamten.

Befeuert durch die völlige Fachfremdheit des damaligen BAG-Direktors Pascal Strupler, der nur durch Connections in dieses Amt gehievt worden war, weil man nicht im Traum daran dachte, dass das BAG einmal mit einer solchen Krise konfrontiert werden könnte. Natürlich mischt sich auch die grossartige Task Force to the Bundesrat ein, während die eigentlich zuständige Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) schlichtweg vergessen geht und erst später dazugerufen wird.

In all der damaligen Gemengelage, wie schlimm wird die Pandemie, auf welchen Impfstoff soll man setzen, was ist eigentlich diese neue mRNA-Methode, vom Startup Moderna und von Pfizer/Biontech vorangetrieben? Soll die Schweiz überhaupt eigene Impfstoffproduktion aufnehmen? Von wem sollte man wie viel Dosen kaufen? Wie lange dauert die Bewilligung durch die zuständigen Schweizer Behörden?

Der einfache Ansatz, lieber auf diverse Pferde setzen mit dem Risiko, dass einige nicht ins Ziel kommen, lieber zu viele, statt zu wenige Impfdosen ordern, lieber auf verschiedene Produktionsmethoden setzen als auf eine, das widersprach natürlich Schweizer Sparsamkeit und der Unwilligkeit komplizierter Apparate, einfach gemeinsam Vollgas zu geben.

Ein einziges, kurzes Gespräch zwischen Berset und dem Lonza-Chef

In diesem ganzen Kuddelmuddel gab es dann offenbar ein einziges Gespräch zwischen Berset und dem VR-Präsident der Lonza Group. Albert Baehny wurde dann ans BAG weitergereicht, wo er «einige Ideen skizzierte». Aus edlen Motiven: «Ich bin zum Bund gegangen als Schweizer Staatsbürger, der zur Krisenbewältigung beitragen will.»

Zur entscheidenden Frage, ob er dem Bund die Finanzierung und Übernahme einer ganzen Produktionslinie oder nur eine finanzielle Beteiligung vorschlug, antwortet er im NZZaS-Interview sehr diplomatisch: «Das wäre doch denkbar, oder?» Aber, nachdem er vorgetragen hatte, «gab es keinen weiteren Kontakt mehr». Darüber sei der Schweizer Staatsbürger zwar «perplex» gewesen, suchte aber seinerseits offenbar auch nicht mehr den Kontakt.

Also ist sowohl der Artikel wie auch das Interview mit dem Lonza-Chef genau betrachtet keine Bestätigung der These, dass Berset (oder das BAG) das Angebot einer staatlichen Impfproduktion abgelehnt habe. Es ist nicht mal klar, mit welcher Priorität Lonza das als mögliche Idee vorgetragen hat.

Tamedia hebt den Kopf wieder über die Wasserlinie

Aber wer liest heutzutage schon 30’000 A, sagt sich Tamedia völlig zu recht. Und poltert: «Lonza-Debakel: Jetzt braucht es volle Aufklärung», fordert der Wirtschaftschef von Tamedia höchstpersönlich. Und Peter Burkhardt endet unheilsschwanger: «Die Frage wiegt schwer: Wurde da eine einmalige Chance verpasst? Und wenn ja, wer trägt die Schuld?»

Wieso Debakel? Was ist noch nicht voll aufgeklärt?

Unterstützt natürlich durch «Lonza-Präsident widerspricht Berset». Was er zwar nicht tut, aber wenn auch wieder Parlamentarier neuerlich «Aufklärung und Untersuchung» fordern, dann ist die Welt doch wieder in Ordnung.

Es rauscht auch im Blätterwald, vor allem an dem Baum, an dem die gesammelten Kopfblätter von Tamedia hängen, plus «20 Minuten». Nur srf.ch behält noch einigermassen den kühlen Kopf: «Aussage gegen Aussage bei der Frage der Impfstrasse.»

Liegt zwar auch nur im Streubereich der Wahrheit, aber immerhin. Auch auf die Gefahr hin, uns zu wiederholen: die Recherchierfähigkeiten der Schweizer Qualitätsmedien, die Fähigkeit zum Verstehen auch längerer Artikel, das alles liegt nicht im Argen. Das liegt auf der Intenstivstation, wird künstlich beatmet, damit sich der Brustkorb noch bewegt, während schon längst der Hirntod eingetreten ist.