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Hysterie? Hysterie

Wie reagieren die Qualitätsmedien auf den Ex-Bundesrat Maurer?

Offensichtlich fühlt sich Ueli Maurer pudelwohl als ehemaliger Bundesrat. Endlich kann er klarstellen, wieso er bei der Credit Suisse nicht eingriff – wofür er kräftig Prügel bezog. Aber sein Argument, dass er gegen den Willen des damaligen Oberversagerrats Axel Lehmann nun schlecht einen Multimilliardenkredit beim Parlament habe verlangen können, leuchtet ein.

Noch prononcierter äussert sich Maurer zur überstandenen Pandemie: Die Reaktion darauf sei hysterisch gewesen, stellt er fest. Die «Sonntagszeitung» gab ihm Gelegenheit für ein langes Interview: «Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte».

Nun ist Maurer nicht nur ähnlich beliebt wie Bundesrat Rösti, sondern gehört wie der für viele Mainstream-Medien der falschen Partei an. Der SVP.

Also keift die NZZ, das andere Organ aus dem eigenen Hause sozusagen als «Beweis» zitierend: «Ueli Maurer werde, befreit von den Zwängen bundesrätlicher Kollegialität, immer radikaler. Das schrieb die «NZZ am Sonntag» vor zwei Wochen – und führte zahlreiche Beispiele von provokativen Aussagen Maurers zur Schweizer Corona-Politik an

Noch schlimmer, ein anonymer «Soziologe» diagnostiziere: «In den Aussagen von Maurer fänden sich «gezielt gesetzte Versatzstücke vieler verschwörungstheoretischer Erzählmuster»».

Dann schwant der NZZ noch mehr Übles. Der alt Bundesrat sei zwar 73-jährig. «Doch der frühere Präsident der SVP zeigt keine Lust, in aller Ruhe die Rente zu geniessen und – wie andere frühere Bundesräte – der Maxime «servir et disparaître» zu folgen. Er erklärt bereits, gegen «einen möglichen schlechten Rahmenvertrag» an vorderster Front kämpfen zu wollen.»

Auf Radio 1 hetzt der ehemalige SP-Stapi von Zürich Elmar Ledergerber, Maurer sei «schon immer ein illoyaler Bundesrat gewesen», habe «gehetzt» und Parteipolitik betrieben. Offenbar meint der Schwätzer, das versende sich doch schnell.

Schon am 20 Januar hatte die NZZ gerüpelt: «Ueli Maurer stösst mit kruden Aussagen selbst Parteifreunde vor den Kopf»; Simon Marti und Georg Humbel, brav im Dienste der FDP, schreiben von einem «Entfesselten». Auch der «Blick» stösst ins gleiche Horn: «Alt Bundesrat Maurer verbreitet krude Thesen». Das ist besonders mutig von einem Blatt, dessen CEO ein perfektes Beispiel für die Corona-Hysterie abgibt und seine Redaktionen anwies, brav die Regierungspolitik in der Pandemie zu unterstützen. Von seiner Standleitung zum damaligen Gesundheitsminister Berset ganz zu schweigen.

Etwas vornehmer formulierte Tamedia: «Ueli Maurer irritiert mit neuen Aussagen zur Pandemie selbst SVPler». Abgesehen davon, dass diese Aussagen keineswegs neu waren oder sind, und ein irritiertes Parteimitglied, das so gerne in die Medien kommen möchte, findet sich immer.

Viktor Giacobbo, dem es auch immer mehr egal ist, wie er in die Medien kommt, damit seinem Ex-Kollegen Mike «Arschloch»-Müller ähnlich, erinnert an sich selbst, als Maurer-Imitator mit Clownnase:

Nun kann man zu Maurers pointierter Position durchaus geteilter Meinung sein. Allerdings wäre es dann zumindest redlich, auf die Begründungen des alt Bundesrats einzugehen. Immerhin hat ihm die SoZ dazu Gelegenheit gegeben, was aber innerhalb von Tamedia sicherlich nicht gerne gesehen wurde.

Aber die fundierteste Kritik kommt vom Weltorgan «Zofinger Tagblatt», im Verbund der CH Media Presse. Das druckt einen Kommentar des Chefredaktors der «Aargauer Zeitung» nach. Fabian Hägler war lange Jahre Leiter des «Ressort Aargau», und dermassen qualifiziert weiss er: «Corona war keine bewusst geschürte Hysterie, die Massnahmen dagegen keine Massenhypnose. Die Impfung dagegen ist nicht heisse Luft, sondern hat unzählige Menschen vor einem schweren Krankheitsverlauf bewahrt. Das sind die Fakten und der wissenschaftliche Konsens zur Pandemie.»

Abgesehen davon, dass Maurer das so nicht formuliert hat: es ist immer beruhigend, wenn ein Lokalredaktor sich als Virologe, Immunologe und Kenner der Sachlage outet. Aber vielleicht hätte er doch bei der Berichterstattung über das Jubiläum des Kleintierzüchtervereins Oberentfelden bleiben sollen.

Denn das kann er; wir geben ein Müsterchen aus seinem jüngeren Schaffen: «Wenig ist so eng mit Lenzburg verknüpft wie die ehemalige Spielwarenfabrik Wisa Gloria. Und kaum etwas aus deren Sortiment war und ist bekannter als die ikonischen Kinderwagen. Florina Haderer hat beides verknüpft, ein 140-Jahr-Jubiläum draufgelegt und herausgekommen ist: eine Neulancierung der Kinderwagen von anno dazumal

Das kann er. Er kann aber auch die ganz grossen Bögen: «Wie der Kanton Aargau die Schweizer Traditionsanlässe mitprägt. Fête des Vignerons 2019 in Vevey, Olma 2015 in St. Gallen und Expo.02 in Neuenburg: Das waren die letzten Auftritte als Gastkanton.»

Ach ja, das Peter-Prinzip hat wieder zugeschlagen.

 

Hysterie als Grundstimmung

Atemlos durch die Nacht und den Tag. Überfordert und kurzatmig.

Instant opinion, so könnte man die aktuelle Gemütslage bezeichnen. Wer auch nur einen Moment nachdenkt, verliert. Meinungen bilden sich wie die Suppe aus der Tüte. Einrühren, fertig. Auch die schriftliche Debatte spielt sich inzwischen wie jede normale Talkshow ab.

Da weiss der geübte Teilnehmer, dass er sich vor allem Raum für eigene Worte erobern muss. Das gelingt, wenn man das Wort lange nicht loslässt, sobald  man es ergriffen hat. Beliebt sind hier Aufzählungen wie «ich möchte hier vier Punkte klarstellen». Da dreht der Moderator leicht die Augen nach oben. Ausser er heisst Brotz, dem ist auch das egal, schliesslich zählt nur seine eigene Meinung.

Aber früher oder später ist die Redezeit abgelaufen. Da muss auf ein kurzes Zögern, ein Luftholen, ein winziges Nachdenken der anderen Teilnehmer gelauert werden. Passiert das, kommt die verbale Blutgrätsche. Wehrt sich der andere, siegt die längere Fähigkeit, einfach unbeeindruckt weiterzuquatschen, bis niemand mehr reinredet.

Was hat das mit Erkenntnisgewinn oder neuen Aspekten oder gar differenzierter Nachdenklichkeit zu tun? Nichts natürlich. Ist bei solchen Veranstaltungen auch nicht gefragt.

Ähnliches gilt inzwischen auch für schriftliche Äusserungen. Das Bonmot, dass wir im Internet inzwischen die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs unterschritten haben, übertreibt nicht gewaltig. Die Fähigkeit, sich auf die Informationsaufnahme in einem Text zu konzentrieren, muss in Sekunden gemessen werden. Ob das eine ein- oder noch zweistellige Zahl ergibt, darüber streiten die Gelehrten.

Daher macht die Beschränkung eines Tweets auf 280 Zeichen durchaus Sinn. Das wird zwar durch Aneinanderreihung von Tweets umgangen. Aber damit verliert der Absender bereits massiv an Lesern. Denn wer will denn eine Botschaft aufnehmen, die nicht genau hier und jetzt aufhört?

Der vorangehende Absatz war so lang wie ein Tweet

Das waren 275 Zeichen; man hätte auch noch ein Smiley dranhängen können. Daraus ergab sich die Gewohnheit:

Es gibt eigentlich nichts auf der Welt, das sich notfalls und vorzugsweise auf 280 Zeichen abhandeln lässt. Inklusive Leerschläge.

Die Zeiten sind schon längst vorbei, als das böse Bonmot umging, dass sich der damalige Präsident Reagan verbat, mit Entscheidungspapers oder Analysen belästigt zu werden, die mehr als ein A4-Blatt umfassten. Wenn man die Auftritte des aktuellen US-Präsidenten verfolgt, ist man sicher, dass er eher in Tweet-Längen denkt und spricht. Abgesehen davon, dass er sowieso das meiste vom Teleprompter abliest.

Nun leiden politische Führer selbstverständlich immer unter einer Informationsüberflutung. Eine Krise jagt die nächste, eine Besprechung die andere. Da ist für lange Nachdenkpausen keine Zeit. Führungsstärke bedeutet, so schnell wie möglich als Chef in die Debatte reinzusägen: «Gut, das machen wir jetzt so …» Würde ein Leader sagen: Hm, da muss ich erst mal länger drüber nachdenken, seine Entourage würde sich ernsthaft Sorgen um seinen Geisteszustand machen.

Aber auch der durchaus politisch und an der Weltlage interessierte Staatsbürger leidet zunehmend unter Reizüberflutung. Er wird auf verschiedenen Kanälen und häufig gleichzeitig beschallt. Sozusagen in einer Hand die Fernbedienung, in der zweiten das Smartphone, und in der Werbepause kann’s auch mal ein Podcast sein.

Das hat dramatische Auswirkungen. Durch die sinkende Aufmerksamkeitsspanne müssen die Botschaften kurz und knackig sein. Ein Satz mit zwei Nebensätzen, ein einschränkendes Aber, eine Auslegeordnung, ein Hinweis, wie komplex, kompliziert, interagierend, multifaktoriell Situationen gemeinhin sind? Untauglich.

Leichte Agitiertheit und Hysterie

Verweise auf historische Wurzeln aktueller Konflikte, auf wirtschaftliche, soziologische, demografische, psychologische Faktoren oder gar mentalitätsmässig bedingte Handlungsmotive? Das verwirrt doch nur zusätzlich, widerspricht dem Bedürfnis nach überschaubarer Kartographie der Wirklichkeit. Mit wenigen, einfachen Strichen, am besten schwarzweiss. Mit einem riesigen Kompass, der sofort Orientierungshilfe gibt. Er zeigt nämlich nicht nach Norden oder Süden, sondern nach Gut oder Böse, nach Freund oder Feind.

Überfütterung mit Nahrung führt zu Magenproblemen. Überfütterung mit Informationen führt zu Hirnproblemen. Die äussern sich in einer Hyperaktivität, Augenflimmern, leichter Hysterie und Agitiertheit. Ein hübsches Beispiel dafür ist der Whatsaboutism. Also auf eine Feststellung oder Frage mit einer Gegenfeststellung oder Frage zu reagieren. Putin ist ein Kriegsverbrecher? Und wie war das beim Einmarsch in den Irak? Wir sind hilfsbereit gegenüber ukrainischen Flüchtlingen? Und wie steht es mit denen aus Syrien oder Afghanistan?

All diesen Verhaltensweisen ist eines gemein. Erkenntnisgewinn nahe null. In der Verkürzung sucht der Mensch Bestätigung, ja keine Verunsicherung. Das nennt man moderndeutsch Narrative. Kurzerzählungen, die sich durch ihre konstante Wiederholung in die Hirnsynapsen eingraben, bis sie als feststehende Tatsachen, Wahrheiten wahrgenommen werden. Obwohl sie nur Interpretationen der Wirklichkeit sind; häufig belegfrei, ohne logischen Zusammenhang, meistens mit rein propagandistischer Absicht.

Wer sich einmal daran gewöhnt hat, so ins Hyperventilieren zu geraten und in diesem Zustand zu verharren, wird der Fähigkeit entwöhnt, einen Schritt zurückzutreten, durchzuatmen und sich zu fragen: was weiss ich eigentlich? Habe ich genügend Fakten zur Beurteilung? Sind deren Quellen auch verlässlich? Zu welchen Schlussfolgerungen führt mich das? Was weiss ich nicht? Weiss ich so wenig, dass ich eigentlich gar keine Meinung bilden kann?

Früher war alles besser

Das wäre eigentlich das Vorgehen, mit dem in Salons, in diesen Brutstätten der Aufklärung und des kritischen Denkens, die Durchdringung der Wirklichkeit und ihre Veränderung begann. Dort gab es zum Beispiel den hübschen Brauch, dass der Teilnehmer an einer Debatte verpflichtet war, zuerst die Argumente seines Vorredners zusammenfassend zu ordnen und wiederzugeben. Um erst dann zu einer Replik anzusetzen.

Dem gegenüber steht die heutige, weitverbreitete Diskussionsunkultur, dass man die Ausführungen des anderen eher als störendes Geräusch wahrnimmt, sehnlich erwartet, dass das aufhört, damit man endlich seine eigene, unbezweifelbar richtige und vorgefertigte Meinung verkünden kann.

Unbeschadet davon, dass man von vielem schlichtweg keine Ahnung hat und bei vielem anderen nicht sicher ist, ob man über genügend belastbare Informationen verfügt.

Keine genauere Ahnung von nichts, aber aus dem Stand eine Meinung zu allem. Das zeichnet nicht nur den modernen Journalisten aus. Sondern die Mehrzahl der Teilhaber an dem, was wir hochgestochen den öffentlichen Diskurs nennen.

Denn das hektisch-hysterische moderne Wesen muss sich an Leitplanken orientieren können, um nicht völlig aus der Bahn zu geraten. Was auch bedeutet: wer diesen Text bis zu diesem Ende gelesen und seinen Inhalt aufmerksam zur Kenntnis genommen hat, gehört bereits zu einer radikal kleinen Minderheit. Kann aber darauf stolz sein.