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Wie blöd kann es noch werden?

Die ehemalige Snowboarderin Ursina Haller unternimmt einen Rekordversuch.

Nur gelähmte oder gleichgültige Kontrollinstanzen können erklären, wie so ein Abschnitt überall durchrutscht und im ehemals angesehenen «Magazin» gedruckt wird:

«Obwohl das alles weit weg von mir passiert, merke sogar ich: Seit Kamala Harris amerikanische Präsidentschaftskandidatin ist, geht es mir irgendwie besser. Sie hat mir – zumindest für einen Moment – die Zukunftsangst genommen. Dabei weiss ich gar nicht viel über sie.»

Hier ist so ziemlich alles drin, was modernen Schmierenjournalismus ausmacht. Haller geht es gar nicht in erster Linie um den US-Wahlkampf oder um Harris. Sondern um ihren eigenen Bauchnabel, um sich selbst, um ihre Gefühlswelt. Die sie ungeniert dem Leser aufdrängt, obwohl der sich gar nicht dafür interessiert.

Putzig dann das Eingeständnis des Normalzustands eines Tamedia-Journalisten: sie weiss gar nicht viel über das Subjekt, worüber sie schreibt. Das macht aber nix, weil es sowieso mehr um die eigene Befindlichkeit geht, und da kennt sich Haller natürlich aus.

Also fährt sie fort in der Selbstbespiegelung, nur mühsam verkleidet als angebliches Porträt der Präsidentschaftskandidatin: «Wer dieses Material durchforstet, merkt schnell: Kamala Harris’ Geschichte ist vielschichtig. Jede Charakterisierung ihrer Person ist subjektiv, lückenhaft und oft aus zweiter Hand. Auch diese hier.»

Subjektiv und lückenhaft breitet Haller eine uralte Liebesgeschichte von Harris aus: «Der heute neunzigjährige Brown erzählt in einem Interview: «Es war wundervoll, diese Art von Beziehung mit einer Person zu haben, die sich für die Welt der Politik interessierte und die mit ihrer natürlichen Schönheit und ihrem ansteckenden Lachen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog.»» Meine Güte. Frauen machen wirklich so Karriere?

Dann wird es ganz krude: «Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Kamala Harris in der IQ-Lotterie einen Hauptgewinn gezogen hat. Ihr Vater, Donald Harris, war die erste schwarze Person, die eine Wirtschaftsprofessur auf Lebzeiten an der Eliteuniversität Stanford erhielt.» Und ihre Mutter war auch furchtbar schlau. IQ-Lotterie? Intelligenz ist vererblich? What a bullshit, wie der Ami sagt.

Immer wieder kreist Haller um ihr Lieblingsobjekt, um den Zentralstern ihrer Schreibe – um sich selbst: «In meinem Umfeld in den USA sah man Harris unmittelbar nach der Wahl als eine Art Co-Präsidentin, die Joe Biden über kurz oder lang ablösen würde.» So konnte sich ihr Umfeld täuschen.

Aber Umfeld ist das eine, Haller selbst ist das andere, Wichtige. Sie endet mit dem Lied «Freedom» von Beyoncé. Allerdings hat Haller wohl eine merkwürdige Version davon gehört. Denn sie beschreibt die Soul-Stimme so: «Zu kriegerischen Trommeln brüllt Beyoncé: «I’ma keep running ’cause a winner don’t quit on themselves» – ich renne weiter, eine Siegerin gibt nicht auf.» Kriegerische Trommeln? Brüllen? Und dann erst noch schlecht übersetzt …

Aber es geht Haller, richtig geraten, nicht um die Wahlkampfhymne selbst, auch nicht um Beyoncé. Sondern um sich selbst:

«Immer wenn ich dieses Lied höre, bekomme ich Gänsehaut. Ich habe Gänsehaut, weil Kamala Harris auf mich wie jemand wirkt, der die Mühen und Sehnsüchte aller Amerikaner:innen zu verstehen versucht. … Aber vielleicht ist es gerade das, was mich – und andere – an Kamala Harris berührt: Sie zeigt sich als Mensch.»

Quälend lange fast 33’000 A beschäftigt sich Haller mit sich selbst. Einen Mindfuck nennen das die Amis, wenn sich jemand selbst blockiert. Denn Haller will eigentlich über ihre Wunschkandidatin für die Präsidentschaft schreiben. Sie will sie an Begleitern, Familie, Partnern spiegeln. Sie will eigentlich schönschreiben, wieso Harris erst in letzter Verzweiflung von den Demokraten zur Präsidentschaftskandidatin gemacht wurde. Sie erwähnt dabei den wichtigsten Grund nicht: bei jedem anderen Ersatzkandidaten, und es gab einige bessere, hätten die Demokraten die üppigen Wahlspenden für das Ticket Biden/Harris zurückgeben müssen.

Haller lässt schon mal alles aus, was ihr nicht ins persönliche Harris-Bild passt. Aber noch schlimmer: sie lässt eigentlich auch sonst alles aus, was nicht in ihr persönliches Haller-Bild passt. Haller schreibt über Haller, als Vorwand dazu nimmt sie Harris.

Das ist abgründig, um es juristisch unangreifbar auszudrücken. Solch extremer Subjektivismus war im Gonzo-Stil im Schwang. Aber ein paar Irre wie Hunter S. Thompson machten da aus sich selbst ganz schöne Storys. Bei Haller gähnt nur die Langeweile, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

Journalisten neigen immer dazu, sich selbst – also den Boten – für mindestens so wichtig wie die Botschaft zu halten. Vor allem schlechte Journalisten halten sich sogar für noch wichtiger und haben gar keine Botschaft. Ausser einer: ich über mich, durch mich, mit mir, in mir, ausser mir. Oder einfach: ich. Und sonst gar nichts.

Ob das auch ein Beispiel für die Qualität ist, die sich Simon Bärtschi, aber lassen wir das, das wird langsam zu gemein.

Ryser rides again

Und serviert Aufgewärmtes in der «Weltwoche».

Checks and Balances, wir sagten es wohl schon, fehlt im Blatt der Vietnamreisenden, Putin-Versteher und -kritiker, der Pflegekräfte des möglichst freien Diskurses, die als ziemlich Einzige in der Schweiz noch Rede und Widerrede zulassen.

Nur so ist es zu erklären, dass Daniel Ryser schon wieder jede Menge Platz bekommt. Die Reise nach New York zum Vollamok Gavin McInnes musste noch einen Beifang abwerfen. Weil das grosse Vorbild von Ryser, Hunter S. Thompson, bekanntlich tot ist, liegt es für ihn nahe, es bei einem Apologeten zu probieren. Also klopft Ryser bei Matt Taibbi an. Matt who? Der ist sozusagen ein bei Geburt getrennter Zwilling von McInnes. Allerdings hat er entschieden mehr Grips und Schreibfähigkeit mitgekriegt.

Daher ist er – wie McInnes – in der Lage, einen One-Liner nach dem anderen rauszuhauen, angefangen mit dem Titelzitat «Biden ist gefährlicher als Trump». Das sind so Geistreicheleien, wie sie nur Amis gebacken kriegen. Hören sich aufregend und provokativ an, fallen aber bei näherer Betrachtung wie ein Soufflee, das zu schnell aus dem Ofen genommen wird, zusammen.

Mit solchen Leuten kann man einen lustigen Nachmittag verbringen und über Carl Schmitt, den Patriot Act, die Cancel-Culture und über andere Kurzgedanken plaudern. Oder über die Provokationen von Taibbi, der nach dem Tod des Rechtsaussen Andrew Breitbart titelte «Tod eines Trottels», das Ende eines Herausgebers herbeischrieb mit der Zeile «Die 52 lustigsten Dinge über den bevorstehenden Tod des Papstes».

Er ist – wie McInnes – ganz nach dem Geschmack Rysers: «Seine Bücher sind Bestseller, seine Reportagen sprachliche Achterbahnen, es entsteht ein Kult um den Mann, und zwar auch deshalb, weil er manchmal die Fassung verliert.» Er ist sehr nach dem Geschmack Rysers: «Er gilt als Nachfolger des Kultjournalisten Hunter S. Thompson und erhält Preise. Dann holt ihn die Vergangenheit ein.» Er ist ein Seelenverwandter Rysers: «Der Vorwurf 2017 lautet: Sexismus, sexuelle Belästigung oder das Ermöglichen sexueller Belästigung – und zwar damals, als er in Moskau arbeitete

Nun ist es so, dass die Tätigkeit und die Positionierung zwischen allen Stühlen von Taibbi nicht ganz neue News sind. So berichtete bereits vor drei Jahren die NZZ über diesen Journalisten, der damals erst 250’000 Dollar im Jahr bei substack verdiente; inzwischen ist es eine Viertelmillion im Monat.

Auch ZACKBUM konnte sich damals für das NZZ-Interview erwärmen und durfte es sogar – was damals noch alles möglich war – ebenfalls publizieren. Denn schon vor drei Jahren sagte Taibbi ungefähr das, was er auch zu Ryser sagt. Das kann man nun immer wieder sagen, und die Information, dass Taibbi einen inkontinenten Hund mit Durchfall hat, ist durchaus neu.

Auch meteorologische Betrachtungen – es hat während des Besuchs geregnet – setzen journalistische Glanzlichter. Allerdings schreibt auch Taibbi blühenden Unsinn, wenn der Tag lang ist und es das Image als ehemaliger linker Starschreiber verlangt: «In zwanzig Jahren, wenn wir alle wie prähistorische Menschenaffen leben und Ratten mit Stöcken jagen, werden wir wahrscheinlich auf diesen Moment zurückblicken als den Anfang vom Ende.» Schrieb er 2017 im Buch «Insane Clown President», und damit meinte er Trump, nicht Biden.

Das Problem bei solchen verbalen Amokläufen: sie sind schwer steigerbar; wenn Trump schon ein durchgeknallter Clown-Präsident war, wie kann man dann Biden noch schlimmer darstellen? Schwierig, aber nicht unmöglich, der sei dann einfach noch gefährlicher.

In all dem Wutwulst ist eigentlich nur sicher: auch dieser Text Rysers ist viel zu lang. Und wir werden in 14 Jahren sicherlich nicht wie prähistorische Menschenaffen leben. Aber leider ist zu befürchten, dass Ryser noch jede Menge solcher Figuren auf Lager hat. Wahrscheinlich googelt er sie mit dem Suchbegriff «wie Hunter S. Thompson». Kleiner Tipp: die Webseite literature-map hilft ungemein. Einfach die ausscheiden, die schon tot sind.

Wumms: Helge Timmerberg

Wenn ein Imitator alt wird, wird’s ätzend.

Helge Timmerberg weckerte schon, als er in Zeitgeist-Postillen seinen Hunter S. Thompson-Abklatsch veröffentlichte. Gonzo-Reportagen, zu Recht eine vergessene Phase von Schrott-Journalismus.

Alle wollten sich anhören wie William S. BurroughsNaked Lunch»), keiner schaffte es in seine Nähe.

Nun wird Timmerberg 70, ist in St. Gallen greifbar und wird vom «NZZ am Sonntag Magazin» interviewt. «Ich habe LSD im Kühlschrank. Wollen Sie? – Meine wahren Vorbilder sind Hermann Hesse und Charles Bukowski. – Ich muss kiffen, um zu schreiben.»

Gehabe als Haltung verkaufen, mit 70 immer noch den Wilden spielen, zwei Fragende mit offenen Mündern dasitzen lassen: wo bleibt hier die Qualitätskontrolle?

Peinlicher ist nur, wenn Tamedia einen Tag später mit einem weiteren Interview nachklappert …