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Es gilt die Antisemitismus-Vermutung

Ein Prozess als Symbol für die allgemeine Verirrung.

Was Antisemitismus sei, was antisemitisch, das wird in immer absurdere Höhen,Weiten und Grössen ausgedehnt. Wahrscheinlich ist bereits dieser Anfang antisemitisch. Irgendwie.

Werden solche Kampfbegriffe überdehnt, dann werden sie gleichzeitig sinnentleert, werden sie auf alles angewendet, bedeuten sie nichts. Werden als verbale Waffe stumpf, obwohl sie durchaus ihre Berechtigung haben, denn natürlich gibt es Antisemitismus und Judenhass.

Aber wer «Antisemit» wie Konfetti auf alles niederregnen lässt, was seiner eigenen Meinung widerspricht, entwertet den Begriff, so wie es bereits dem Schimpfwort «Nazi» ergangen ist. «Nazi» ist eigentlich inzwischen gleichbedeutend mit Arschloch und immer weniger Benutzer wissen überhaupt noch, wofür das Wort einstmals stand.

Dass es Israelhass gibt,  macht jegliche Solidarität mit den Palästinensern so schwierig. Denn sie haben im Gazastreifen ein Regime gewählt, das einem mittelalterlichen, fundamentalistischen Islamismus anhängt, mit dem kein vernünftiger Mensch einig gehen kann. Unter keinen Umständen. Weder das Ziel der Vernichtung Israels noch die Methoden zu seiner Erreichung können gebilligt, verteidigt, rechtfertigt werden.

Wo ist dann noch Platz, um gegen Kriegsverbrechen und Verstösse gegen das Völkerrecht seitens Israel zu protestieren? Zwischen allen Stühlen, also beispielsweise hier.

Lange Einleitung zu einem kurzen Prozess. Es ist ein Lehrstück über Missbrauch. Der mehr als Sohn von Abi denn als selbständiger Sänger bekannte Gil Ofarim machte vor zwei Jahren weltweit Schlagzeilen. Nicht mit seiner Sangeskunst, sondern mit einem Handyvideo, das er auf dem Boden sitzend vor einem Leipziger Hotel von sich aufgenommen hatte.

Der Rezeptionist des Hotels hinter ihm habe ihn aufgefordert, seine Halskette mit Davidstern abzulegen, wenn er einchecken wolle, berichtete ein aufgelöster Ofarim. Damit löste er einen Skandal aus. Vor dem Hotel gab es Demonstrationen, Politiker überschlugen sich in Vorverurteilungen, der Rezeptionist wurde suspendiert. Das sei ein unerträgliches Beispiel für alltäglichen Antisemitismus, behauptete der damalige Aussenminister Heiko Maas. Es wurde mit «Schande», «unerträglich», «Boykott» um sich geworfen.

Jetzt beginnt der Prozess gegen Ofarim vor dem Leipziger Landgericht. Der Verdacht: falsche Verdächtigung, Verleumdung, Betrug und falsche eidesstattliche Versicherung.

Denn nach der ersten grossen Aufregung kamen schnell Zweifel an der Darstellung Ofarims auf. Den angeblichen Streit um seinen Davidstern konnte keiner der fünf  Zeugen bestätigen, die das Wortgefecht an der Rezeption mitbekamen. Zudem ist auf Videoaufnahmen der Stern gar nicht zu sehen, von weiteren 31 Zeugen hat ihn – ausser einem, der sich laut Staatsanwaltschaft aber täuschen dürfte – keiner gesehen, also gibt es Zweifel, ob Ofarim ihn überhaupt sichtbar trug.

Der Vorfall ist von der Staatsanwaltschaft und von einer durch das Hotel beauftragten Kanzlei aufwendig und minutiös untersucht worden. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung, aber die Behauptung Ofarims auch vor dem Prozess, dass es sich so zugetragen habe, wie er behauptet, wird durch nichts gestützt.

Natürlich ist  die Motivforschung schwierig, wieso der Sänger gelogen haben könnte. Um Aufmerksamkeit auf seine mediokre Karriere zu lenken? Rache am Hotelmitarbeiter, der ihn seiner Meinung nach nicht seinem Status als Promi gemäss behandelt hatte? Zeugen wollen gehört haben, dass er am Schluss der Auseinandersetzung dem Rezeptionisten damit drohte, dass er gleich ein Video aufnehmen werde; «das werden Sie noch bereuen», soll er laut diesen Zeugen gesagt haben.

Ofarim beklagt sich im Vorfeld des Prozesses darüber, dass er sich seit seiner Jugend ständig antisemitische Beleidigungen anhören müsse und sogar attackiert worden sei. Das ist in Deutschland durchaus denkbar. Sollte sich in diesem Prozess allerdings herausstellen, dass es über jeden vernünftigen Zweifel erwiesen wäre, dass dieser antisemitische Vorfall von Ofarim erfunden wurde, hat er damit den Antisemitismus kräftig befördert.

Genau wie all die Kreischen, die jeder Kritik an Israel sofort das Etikett «Antisemit, Israelhasser, Judenhasser» ankleben. Leider vermehren sie sich täglich. In ihrer strotzende Selbstherrlichkeit merken sie nicht, wie sehr sie der Sache Israels schaden. Sie werden zu geistigen Terroristen, zu ideologischen Taliban, zu verblendeten Inquisitoren, die null und nichts zu einer möglichen Lösung beitragen, indem sie beispielsweise die Israelis als die schlichtweg «Guten» stilisieren.

Sie sind grösstenteils nicht mal in der Lage, eine Antwort auf eine naheliegende, einfache Frage zu geben: angenommen, Israel gelingt es, die Hamas zu liquidieren, was das erklärte Kriegsziel ist. Und dann?

Ruhe sanft, Glaubwürdigkeit

Eigentlich kann man das Gequatsche über das höchste Gut im Journalismus nicht mehr hören. Daher eine Grabrede.

So sicher, wie ein Bibelzitat in der Sonntagspredigt vorkommt, wird im Journalismus das Wort «Glaubwürdigkeit» wie ein Banner gehisst. Umgeben von den Wimpeln «unabhängig, nicht käuflich, redaktioneller Content und gekaufter Werbeplatz haben null miteinander zu tun».

Während die meisten Medien fast täglich den Gegenbeweis antreten, meinen sie weiterhin, damit punkten zu können. Denn sie halten, hieran deutlich sichtbar, ihre Konsumenten für furzblöd.

Da sie das aber (mehrheitlich) nicht sind, tragen wir doch endlich dieses Wort im Zusammenhang mit privaten Profitunternehmen zu Grabe, die als Produkt halt keine Schrauben, sondern News anbieten.

Verwischen bis zur Unkenntlichkeit

Um nicht die falsche Leiche zu beerdigen: Werbefreiheit als Garant für Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit ist natürlich auch Quatsch. Wie nicht nur die «Republik» beweist, ist dann das Organ zu 100 Prozent von der Gesinnungsblase seiner Unterstützer abhängig. Die nicht zögern, ihren Liebesentzug wegen der Veröffentlichung eines «falschen» Artikels sofort mit Abbestellung zu manifestieren.

Es ist auch okay, wenn Reiseberichterstattung inzwischen ausschliesslich «in Zusammenarbeit mit» stattfindet. Leicht euphemistische Umschreibung für: die haben bezahlt, wir haben publiziert. Auch dass alle Shopping-Tipps, Modeanregungen, Einrichtungshinweise, überhaupt alle mit käuflichen Waren verbundene Ratschläge nicht nach bestem Wissen und Gewissen gemacht werden, ist klar.

Die Grenzen zwischen bezahltem Inhalt und Inhalt, für den der Konsument bezahlen soll, verwischen sich aber bis zur Unkenntlichkeit. Ein kleines «Paid Content», ein «präsentiert von», eine Native Ad, eine «Content Bridge», alles kleinere oder grössere Sargnägel über der verblichenen Glaubwürdigkeit, die wir hier bestatten.

Das waren noch Zeiten, als Vielschreiber Max Küng Werbetexte für das Möbelhaus Pfister im «Magazin» rezyklierte. Das waren noch Zeiten, als das Füllen einer ganzen Ausgabe mit dem künstlerisch wertvollen, weil von Beda Achermann gestalteten Migros-Geschäftsbericht noch für Protestgeheul sorgte.

Wie Werbung ihre Glaubwürdigkeit steigern kann

Inzwischen wird vielfach gekaufte Werbefläche dem Erscheinungsbild von redaktioneller Eigenleistung so angepasst, dass irgendwann der Hinweis «das ist eine bezahlte Werbung» zur Steigerung der Glaubwürdigkeit ersetzt wird mit: «Das ist KEIN redaktioneller Inhalt».

Heutzutage, um ganz oben einzusteigen, lässt sich NZZ-Chefredaktor Eric Gujer im Hotelblog eines Fastenhotels mit lobenden Antworten auf Fragen zur Qualität des Gebotenen interviewen. Wobei er darauf hinweist, dass er dieses Angebot auf Anregung seiner Gattin benütze. Die wiederum unter ihrem nom de plume, Claudia Schwartz*, zwei Seiten in der NZZ füllt. Eine mit als «Erfahrungsbericht» verkleideten Lobhudelei auf eben dieses Hotel, die zweite mit einem «wie wollten Sie sich schon immer mal unbelästigt von kritischen Fragen aufplustern»-Interview mit dem «Chefarzt» eben dieser Fastenklinik im Luxushotel.

Auf dieser Ebene würde niemand vermuten wollen, dass Familie Gujer sich so gratis eine lustige Fastenkur gegönnt hat. Obwohl die Reinigung von Körper und Geist zu zweit doch rund 12’000 Franken kostet, für zwei Wochen, und weniger mache ja keinen Sinn, weiss Gujer in dem Interview. Aber erschütternd ist doch, dass die NZZ, in Gestalt ihrer Kommunikationsverantwortlichen, an die Gujers meine Fragen weiterreichten, überhaupt nicht, nicht im geringsten, auf keinen Fall auch nur den Hauch eines Geschmäckle erkennen kann.

Glaubwürdigkeit als guter Werbespruch

Denn, liebe Trauergäste, Glaubwürdigkeit – ebenso wie Anstand oder Höflichkeit – ist im heutigen Managersprech ein Soft Factor, ein Asset, das man gut bewerben kann, aber nicht unbedingt pflegen muss. Kann man schliesslich schlecht quantifizieren, wie viel kostet ein Stück Glaubwürdigkeit? Wie misst man den Schaden, falls die beschädigt werden sollte?

Diese Medienmanager als Erbsenzähler, die wohl deswegen auch dieser Trauerfeier fernbleiben, lassen sich von ihrer Zahlenhörigkeit den Blick auf etwas so Einfaches wie fundamental Wichtiges bei Medien verstellen.

Glaubwürdigkeit heisst, dass der Leser darauf zählen kann, dass der von ihm bezahlte Inhalt nach bestem Wissen und Gewissen des Journalisten hergestellt wurde,

zudem unter Beachtung gewisser Grundregeln. Und dass der Journalist seine Urteile, seine Bewertungen, seine Einschätzungen ganz sicher nicht käuflich in den Wind hängt.

Wieso soll der Leser für gekauften Inhalt bezahlen?

Denn der Berichterstatter ist (meistens) vor Ort, der Leser nicht. Der Leser muss ihm glauben, dass seine Darstellung von Angola, von Brasilien, von den USA oder Russland der Versuch ist, möglichst realitätsnah zu berichten, was sich dort abspielt. Stellt der Leser aus eigener Kenntnis oder aus anderen Gründen zu oft fest, dass diese Berichterstattung das Papier nicht wert ist, auf das sie gedruckt wird, nicht mal die winzige Energie, die ihr Transport auf den Bildschirm braucht, dann fragt er sich völlig zu Recht, wieso er dafür bezahlen soll. Mit Geld oder Aufmerksamkeit.

Fahrenheit 451: Das wenden viele Medien bei ihrer Glaubwürdigkeit an.

Daher, liebe Anwesenden, verabschieden wir uns hier von der Glaubwürdigkeit der Medien. Sie hatte ein längeres, erfülltes irdisches Dasein, überstand auch viele schwere Krankheiten, Angriffe auf Leib und Leben, wurde oftmals vergewaltigt, niedergeschlagen, eingesperrt, beraubt. Stand aber immer wieder auf. Nicht mehr länger. Ruhe wohl, Asche zu Asche, Staub zu Staub.

*Dank des Hinweises eines aufmerksamen Lesers wurde der falsch geschriebene Nachname korrigiert.