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Der Chor der Klagemänner

Die Hersteller von Dampflokomotiven erklären sich für systemrelevant.

Als ab 1804 die erste Dampflok den Siegeszug des Schienentransports einleitete, revolutionierte das den Güter- und Personenverkehr.

Als nach den Fuggerzeitungen, eine lose Blattsammlung einzelner Berichte, ab 1605 in Strassburg die erste gedruckte Zeitung entstand, Erscheinungsrhythmus einmal wöchentlich, revolutionierte das die Informationsvermittlung.

Als die Elektrolok ihren Siegeszug antrat, streikten die Eisenbahner noch 1982 – allerdings vergeblich – dafür, dass weiterhin ein Heizer mitfahren musste. Das war dann der Endpunkt der langen Auseinandersetzung, ob Elektroloks wirklich besser, effizienter und stärker als Dampfloks sind.

Kaum Veränderung seit 1605

Seit 1605 hat sich das Zeitungsgeschäft kaum verändert. News herstellen, von denen man annimmt, dass sie den Abonnenten interessieren könnten, jeden Tag aufs Neue die Illusion verbreiten, dass alles Wichtige, was auf der Welt passiert ist, erstaunlicherweise auf den für diesen Tag gedruckten Zeitungsseiten Platz fand.

So war das, so ist das, sollte es immerdar sein. Natürlich war das Radio und später dann auch das Fernsehen eine unangenehme, neue Konkurrenz. Aber man arrangierte sich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann verdienen sich die Besitzer von Medienkonzernen bis an ihr seliges Ende weiterhin dumm und krumm.

Leider ist das aber ein Märchenschluss, und die Wirklichkeit ist kein Ponyhof. 1990 entstand etwas, was die meisten Zeitungskonzerne lange Zeit belächelten, unterschätzten und für ein neumodisches Nice-to-Have hielten. So wie der Heizer auf der Elektrolok sich lange Zeit keine grossen Gedanken über seine Arbeitsplatzsicherheit machte.

In 30 Jahren nichts eingefallen

30 Jahre Zeitraffer, wir sind in der zweiten Jahreshälfte 2020. In diesen 30 Jahren ist den Schweizer Medienhäusern nichts Nachhaltiges, nichts Durchschlagendes, nichts Nennenswertes eingefallen, wie sie auf die Elektrolok Internet reagieren können. Sie heizen weiterhin jeden Tag ihre Dampflokomotiven ein, bedrucken riesige Papierrollen, die dann distribuiert werden müssen und den Konsumenten mit den Nachrichten erfreuen, die bis Mitternacht des Vortags anfielen.

Allerdings keuchen diese Loks immer asthmatischer, man kann ihnen fast beim Schrumpfen zuschauen. Divergenz, Konvergenz, disruptiv, metered content, pay per view, Bezahlschranke, Print first, online first, multimedial, multichannel, Klickrate, content is king, und immer den Leser dort abholen, wo er ist.

An dummem Managergequatsche hat es wahrlich nicht gefehlt. Während die Medienkonzerne zuschauten, wie ihnen Google, Facebook und Co. nicht nur die Butter vom Brot nahmen, sondern auch noch gleich das Brot und den Teller. An den Online-Werbeerträgen in der Schweiz kassieren diese grossen Kraken rund 90 Prozent ab.

Wenn die Einnahmen abschwirren, mach eine Holding

In den schäbigen Rest teilen sich dann die grossen Medienhäuser. Die noch einen weiteren Trick aus dem Ärmel zogen: Die Holdingstruktur mit deutlich getrennten Profitcenters. Ach, der Stellenanzeiger schwirrt mitsamt dem Wohnungsmarkt, überhaupt allen Marktplätzen ins Internet ab? Wunderbar, da kaufen wir uns für teures Geld auch ein paar Plattformen. Aber nein, diese Einkünfte können keineswegs den schwindsüchtigen Newsprodukten zugute kommen, das wäre ja Quersubvention, und aus unerfindlichen Gründen ist Quersubvention ganz schlecht.

Und dann auch noch Corona, jetzt ist’s aber echt furchtbar. Da versorgen die grossen Führungskräfte der Medienhäuser ihre Aston Martins, Bentleys und Jaguars in den Tiefgaragen, zerreissen sich die Kleider und gehen betteln.

Hilfe, kräht der Heizer auf der Elektrolok, ich bin systemrelevant, ich bin die vierte Gewalt, ich kontrolliere die Mächtigen, die Politik, die Regierungen. Und dafür sollen mir eben diese Politiker gefälligst Geld zustecken. Sonst muss ich noch die letzten paar verbliebenen Redaktoren entlassen, und wer schnipselt dann die SDA-Meldungen ins Blatt?

Gemeinsam ans Geld?

Natürlich verlangen sie nicht einfach Geld, sondern Subventionen. Also Geld, aber vornehmer ausgedrückt. Nun weiss eigentlich jeder, dass eine gemeinsame Lobbyarbeit am ehesten zum Ziel führt. Das wissen die Bauern, das weiss die Versicherungsbranche, das weiss Pharma. Das wissen die grossartigen Verleger nicht. Bevor es überhaupt beschlossen ist, ihnen wieder ein Stück Brot hinzuwerfen und sogar etwas Butter draufzuschmieren, liegen sie sich öffentlich in den Haaren.

Subventionen für Online-Medien – oder nicht? Geld für Gratis-Medien – oder nicht? Überproportional viel Subventionen für die wenigen überlebenden kleinen Medienhäuser – oder nicht? Direkte Subventionen, indirekte, und überhaupt? Garantieren die Printzeitungen die Grundversorgung, oder brauchen die Online-Newsportale mehr Geld, weil das die Zukunft ist? Und wie steht’s denn mit den Privat-Radios und TV-Stationen? Sollen die noch mehr kriegen?

Wer die letzte Sparrunde überlebte, ist bei der nächsten dran

Das ganze Geschrei ist begleitet vom Geräusch des Schredders, mit dem durch die Redaktionen gefräst wird. Denn nach der Sparrunde ist vor der Sparrunde, und wer beim letzten Mal noch den Kollegen nebendran verabschiedete, Bedauern heuchelte und froh war, dass es den traf, der ist das nächste Mal selber dran.

Angebot, Nachfrage, wenn der middle man, also der Vermittler zwischen Produzent und Konsument, den Löwenanteil des Profits einsteckt, wäre es vielleicht mal an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen? Das zu ändern? Ach was, zuerst muss das Fell verteilt werden, dann kommt die nächste Sparrunde, und dann schauen wir weiter