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Tote zählen im Gazastreifen

Ist es möglich, deren Anzahl überhaupt zu erheben?

Bislang war die einzige Quelle die Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen. Israel denunziert sie als «Terrorpropaganda», und tatsächlich sind solche Zahlen bezweifelbar.

Zudem ist es äusserst schwierig, im weitgehend zerstörten Gazastreifen, in dem es zudem No-Go-Zonen gibt und der Zugang ausländischen Journalisten versperrt ist, entsprechende Erhebungen zu machen.

Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftler versucht, unabhängig Daten zu erheben und ihre Ergebnisse auf «medRxiv, the Reprint server for Health Sciences» veröffentlicht. Die Studienergebnisse wurden von «Nature» übernommen. Die seit 1869 erscheinende Zeitschrift ist bekannt für ihre hohe wissenschaftliche Integrität.

Diese vorsichtige Einleitung ist nötig, weil die Ergebnisse der Studie schockierend sind und selbstverständlich sofort geframt und bezweifelt werden.

Sie kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Zahl der Toten, zudem nur erhoben zwischen Oktober 2023 bis Anfang Januar 2025, bedeutend höher liegt als die Zahlen der Hamas. Laut der Erhebung starben in diesem Zeitraum beinahe 84’000 Menschen im Gazastreifen.

Mehr als die Hälfte der Getöteten seien Frauen im Alter von 18 bis 64, Kinder oder Menschen über 64.

Wer hinter der wissenschaftlichen Untersuchung steht, kann jeder selbst nachlesen und sich sein Urteil bilden.

Auf jeden Fall sind diese Zahlen um 60 Prozent höher als die vom Gesundheitsministerium angegebenen, während Israel keinerlei Zahlen veröffentlicht.

Selbst Zynikern verschlägt es langsam die Sprache, und nur noch ganz Verpeilte werfen Kritikern der Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verstössen gegen Völker- und Kriegsrecht der israelischen Regierung vor, sie würden haltlosen Unsinn verzapfen.

So wie ein feige sich hinter Pseudonym versteckender Amok auf «Inside Paradeplatz», als Reaktion auf einen Artikel des ZACKBUM-Redaktors René Zeyer:

«Antisemiten können aber nicht anders, als immer wieder auf ihre rassistische, judenfeindliche Gesinnung zurückzufallen. Zeyer – ein williger Unterstützer von Hamas, Hisbollah, Iran, Nordkorea, Russland & China!»

Immerhin hatte Tamedia den Mut, einen entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung» zu übernehmen. Wohlweisslich ohne Kommentarfunktion.

Quelle: «Tages-Anzeiger».

Sollten diese Zahlen stimmen, widerlegen sie die Behauptung der israelischen Armee, sie bemühe sich möglichst um eine Schonung der Zivilbevölkerung.

Obwohl die Studie bereits vor einer Woche erschienen ist, hat in den deutschsprachigen Medien bislang einzig die SZ (kopiert von Tamedia) diese Ergebnisse aufgenommen.

Medienkritisch geht es hier nicht um eine Diskussion der wissenschaftlichen Grundlage und der Plausibilität dieser Zahlen.

Sondern es geht darum, dass eine Debatte über den Gazakrieg im Sinne eines Meinungsaustauschs, basierend auf möglichen Erkenntnissen, kaum oder nicht möglich ist.

Verteidiger der israelischen Regierungspolitik verweisen auf die Greueltaten der Hamas, auf deren Massaker am 7. Oktober 2023. Da sie diktatorisch die Regierungsgewalt im Gazastreifen ausübt, sei die gesamte Bevölkerung mitschuldig daran – und letztlich selber schuld, wenn sie nun auch massakriert wird. Ein Zahlenvergleich sei obszön und nicht statthaft.

Noch erschreckender als diese Zahlen ist die meist fakten- und erkenntnisfreie öffentliche Debatte. Hilft alles andere nicht, schlägt die Antisemitismuskeule zu und wird an den Holocaust erinnert. Der deutsche Bundeskanzler Merz darf ungeniert davon sprechen, dass Israel hier die «Drecksarbeit» verrichte. In welchen Sprachduktus er sich damit begibt, fällt offenbar weder ihm noch breiten Teilen der Medien auf.

Wer auf der Einhaltung internationaler Regeln besteht, wird mit dem Argument niedergemacht, dass die gegen fundamentalistische Wahnsinnige und die Ayatollen im Iran nicht gelten würden. Wer Opfer eines Terrorangriffs und von den Mullahs in Teheran mit der Vernichtung bedroht wird, darf sich darum foutieren.

Dass sich damit die israelische Regierung und ihre Armee genauso zum Paria machen wie die von religiösen Wahnsinnigen regierten Staaten um das Land herum, genauso wie die Terrororganisationen Hamas und Hetzbollah, wird ignoriert.

Eine zivilisierte Gesellschaft kann sich nicht barbarisch gegen Barbaren wehren. Auch putative Notwehr hat ihre Grenzen. Sonst gilt einfach die Macht des Stärkeren, die alles Recht bricht.

Die Grundlagen zivilisierten Zusammenseins sind spätestens seit Kant bekannt. Wer sich aus Unkenntnis oder wissentlich selbst darüber hinwegsetzt, unterscheidet sich nicht mehr vom Barbaren und verliert jegliche Legitimation für sein Handeln.

 

Wenn der Richtige das Falsche schreibt

Chefredaktor Patrik Müller ist ein cleveres Kerlchen. Darf auch er sich mal verhauen?

Die Publizistik von CH Media flutscht skandalfrei über die Runden. Keine Untaten, keine erregten Mitarbeiterinnen, die haltlose anonyme Anschuldigungen in die Welt setzen. Kein ständiges Stühlerücken, kein Erfinden absurder Titel wie bei Ringier. Keine Schwachsinns-Kommentare, die bei Tamedia die Spalten füllen und die Leser quälen. Nicht zuletzt Müllers Verdienst.

Aber jetzt hat er in der auflagestärksten Wochenendzeitung einen rausgehauen, was an ein Zitat vom Philosophen Theodor W. Adorno erinnert: «Es gibt kein richtiges Leben im falschen.» Oder an Bertolt Brecht: «Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!»

Müller schreibt: «Die beiden in Europa weitherum verhassten Präsidenten Trump und Netanyahu haben ein wichtiges Ziel erreicht: die Schädigung des iranischen Atomprogramms. Trump und Netanyahu haben das Richtige getan.»

Schlimmer noch: «Es sind Lichtblicke in einer Region, deren Probleme fast unlösbar scheinen.»

Da sind dem Mann aber sein rechtsstaatliches Koordinatensystem und sein moralischer Kompass abhanden gekommen. Amok-Präsident Donald Trump fordert die Entlassung von Journalisten, weil CNN und «New York Times», gestützt auf Geheimdienstanalysen, es gewagt haben, das Ergebnis seiner «wohl erfolgreichsten Militäroperation aller Zeiten» in Frage zu stellen.

Der nur durch sein Amt vor dem Knast geschützte israelische Ministerpräsident ist verantwortlich für Kriegsverbrechen ohne Zahl. Israelische Soldaten schiessen gezielt auf hungernde Palästinenser vor Nahrungsausgabestationen, wie die renommierte Tageszeitung «Ha’aratz», gestützt auf Militärquellen, enthüllt.

Die fast völlige Zerstörung der Infrastruktur im Gazastreifen mit Tausenden von zivilen Toten und die Vertreibung der Bevölkerung, Bombardements im Libanon, Syrien und nun auch im Iran. Ausgelöst durch ein Massaker der fundamentalistischen Wahnsinnigen von der Hamas, begründet durch die irre Rhetorik der Ayatollen in Teheran, die von der Vernichtung Israels faseln.

Gezielte Tötungen, Massenmord an der Zivilbevölkerung, Ausbau illegaler Siedlungen im besetzten Westjordanland, Bombardierungen ohne Kriegserklärung, das alles sind Verbrechen. Kriegsverbrechen. Dass sich Staaten wie der Iran oder der westliche Verbündete Saudi-Arabien ausserhalb der zivilisierten Gemeinschaft befinden, dass Terrorgruppen wie die Hamas oder die Hetzbollah Verbrecherbanden sind, ist unbestritten.

Sie sind Parias – wie die israelische Regierung. Dass Trump ziemlich erfolgreich darin ist, das System der Checks and Balances in den USA auszuhebeln und dabei am helllichten Tag ungenierte Selbstbereicherung für sich und seinen Clan betreibt (alleine durch Insiderwissen bevorstehender Ankündigungen mit Auswirkungen auf die Finanzmärkte), ist ebenfalls eine Tatsache.

Sind das, was beide im Iran tun, wirklich «Lichtblicke»?

Lichtblick bedeutet, dass im dunklen Tunnel der Ausgang erkennbar wird. Es ist unbekannt, welche Auswirkungen dieses völkerrechtswidrige Bombardement auf die Fähigkeit Irans hat, eine Atombombe zu bauen. Es ist sonnenklar, dass es das Regime dazu motiviert, sich so schnell wie möglich eine oder mehrere zu verschaffen. Denn nur das schützt es – wie den Pariastaat Nordkorea – vor einer möglichen Invasion.

Pardon, vor einer «Befreiung» von aussen. Das hat bereits im Fall Iraks prima geklappt. Der Diktator Saddam Hussein (der niemals Massenvernichtungswaffen besass) ist weg, das Land ist im Chaos, wie Libyen.

Es sind die Falschen, die etwas tun. Darin kann man mit Müller übereinstimmen. Aber tun sie das «Richtige»? Das Richtige sollte ein erkennbares Ziel haben.

Da hat Müller erbärmlich wenig zu bieten:

«Die Hoffnung lebt weiter – auch für Frieden in Gaza. Gestärkt und mit verbesserten Umfragewerten könnte Netanyahu den Krieg beenden und den Austritt der Rechtsextremen aus seiner Regierung riskieren.»

Frieden in Gaza als Friedhofsruhe? Richtige Schritte zu einem friedlichen Zusammenleben mit Jordanien, Libanon, Syrien, Ägypten, selbst dem Iran? Mit den überlebenden Palästinensern? In welcher Parallelwelt lebt, denkt und schreibt Müller?

«Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage», so enden Märchen. Hat Müller in seiner Jugend die Erzählungen aus 1001-Nacht zu intensiv studiert? Oder wollte er sich in Dialektik versuchen, was nur was für Könner und nichts für Meiner ist? Hofft er, dass auch böse Buben Gutes tun können?

Beim Betrachten von Bäumen der irrigen Hoffnung schweigt er über so viele Verbrechen, die von diesen beiden «Falschen» verübt werden.Und lobt eines von ihnen.

Da hilft nur noch Friedrich Schiller: «Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.»

Aber Bildung ist längst nicht mehr eine Kernkompetenz der modernen Journaille im Elendsjournalismus.

 

Die Judenfrage

ZACKBUM begibt sich mutig auf dünnes Eis.

Ist Kritik an Israel, einem jüdischen Staat, erlaubt? Oder ist das gleich Kritik an «den Juden» und damit antisemitisch?

«Der jüdische Schriftsteller Thomas Meyer findet die Parteinahme von Nemo «dumm» und erklärt, warum wir Schweizer ein sehr spezifisches Antisemitismus-Problem haben.»

So leitet die «SonntagsZeitung» das Interview mit Meyer ein. Ginge es nach dem Schriftsteller, stünde bereits das Adjektiv «jüdisch» unter strengem Antisemitismusverdacht. Allein darin zeigt sich die Absurdität seiner Position.

Er wertet, urteilt, qualifiziert und denunziert. All das mit der Massgabe: «Ich finde jegliche Parteinahme dumm.» Also sind seine Parteinahmen auch dumm. Oder ist das bereits antisemitisch?

Dabei widerspricht er sich gleich selbst.

Auf die Frage, ob denn in keinem Konflikt eine Parteinahme erlaubt sei, antwortet er: «Natürlich nicht. Beim Ukraine-Krieg oder den Nazigräueln ist der Fall klar. Der Israel-Palästina-Konflikt aber ist so alt und komplex, dass man sich als vernünftiger und intelligenter Mensch keine Parteinahme leisten sollte.»

Ist im Ukrainekrieg der Fall wirklich «klar»? Ist dessen Geschichte nicht auch alt und komplex? Und worin bestünde dann diese «Klarheit»? Urteilen also nur unvernünftige und blöde Menschen über den Palästina-Konflikt? So wie er es weiter unten auch tut.

Man dürfte also weder die Verbrechen der fundamentalistischen Wahnsinnigen von der Hamas, noch die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung verurteilen? Es wäre nicht erlaubt, darauf hinzuweisen, dass der Ministerpräsident Netanyahu, der sich an sein Amt klammert, um dem Knast wegen Korruptionsanklagen zu entgehen, auf einer Fahndungsliste steht und eigentlich in jedem Land, das er besucht und das die Hoheit des Internationalen Strafgerichtshof anerkennt, verhaftet werden müsste?

So wie Putin, so wie die führenden Verbrecher der Hamas?

Noch mehr Unausgegorenes: «Parteinahme wertet bloss. Sie sagt: Dieses Leid ist schlimmer als das andere. Das halte ich für zynisch.» Man sollte also angesichts der völligen Zerstörung der Infrastruktur im Gazastreifen, der verbrecherischen Blockade jeglicher Hilfslieferungen an die leidenden Hunderttausenden von unschuldigen Zivilisten nicht parteilich werten dürfen, weil man dann bereits Antisemit sei? Und das Leiden der israelischen Geiseln sowie den terroristischen Angriff der Hamas damit als weniger schlimm taxierte?

Dass Meyer diese naheliegenden Fragen nicht gestellt wurden, zeugt von der Beisshemmung des Interviewers Christian Brüngger. Der ist «ist Redaktor, er kam 2001 zum Tages-Anzeiger. Er schreibt für das Ressort Reportagen & Storytelling. Davor arbeitete er viele Jahre fürs Sport-Team. Er studierte Geschichte und Filmwissenschaften in Zürich.» Also ein rundum qualifizierter, gut vorbereiteter Journalist, der hier seine Schleimspur hinterlässt.

Genauso hanebüchen ist Meyers Unterstellung aller Schweizer unter einen Generalverdacht. Die Schweiz habe seit den Pogromen im 14 Jahrhundert keine «Extreme» erlebt: «Viele Schweizerinnen und Schweizer glauben deshalb, das Land sei frei von diesem Problem. Das verleitet zu sagen: «Ich bin kein Antisemit, weil ich ja Schweizer bin. Und ausserdem ein guter Mensch.» Das führt dazu, dass man sein antisemitisches Gedankengut nicht als solches erkennt.»

Schön, dass Meyer, im Besitz eines geeichten Messgeräts für Antisemitismus, «vielen Schweizern» in die Fresse hauen kann, dass sie eben doch Antisemiten seien, es bloss nicht merkten. Denn auch wenn sie es nicht wissen, er weiss es:

«Alle Menschen, die mir antisemitische Dinge ins Gesicht sagten, waren überzeugt, keine Antisemiten zu sein. Vielmehr war in ihren Augen ich das Problem, weil ich angeblich überall Antisemitismus wittere.»

Wer also Meyer vorwirft, wie so viele andere, die die Antisemitismuskeule missbrauchen, selbst mit dieser Arroganz Antisemitismus zu befördern, ist in seinen Augen ein Antisemit. Dabei ist Kritik an den Untaten der israelischen Regierung keinesfalls per Definition antisemitisch. Sondern nötig und berechtigt. Es steht Meyer nicht an, hier den Schiedsrichter zu spielen, was zu sagen erlaubt ist und was nicht.

Seiner Logik folgend, dürfen nur Juden wie er Israel kritisieren: «Ich selber finde es, gerade als Jude, absolut unerträglich, in was für einen blindwütigen Verbrecherstaat sich Israel verwandelt hat.» Aber würde ZACKBUM als Nichtjude dasselbe sagen, stünde es bereits unter Antisemitismusverdacht, hätte Partei genommen, was Meyer ja eigentlich verurteilt, ausser, er tut es selbst.

Dass er die Parteinahme von Nemo und anderen Kunstschaffenden als «dumm» abqualifiziert, ist sein gutes Recht. Ist es dann auch möglich, seine Absonderungen als «dumm» zu bezeichnen? So als Nichtjude einem Juden gegenüber?

Folgte man seiner Aberwitzlogik, dürfte das allerhöchstens ein Jude tun. Das ist die gleiche woke Verpeiltheit, die fordert, dass nur Schwarze etwas über Angelegenheiten von Schwarzen sagen dürfen. Nur ein schwuler Schauspieler einen Schwulen spielen darf. Nur eine Frau über den Feminismus öffentlich nachdenken darf.

Meyer fordert einen «safe room» für alles, was mit dem Palästinakonflikt zu tun hat. In dem nur Juden Partei ergreifen dürfen, obwohl das eigentlich dumm sei.

Ein freier Diskurs, seit der Aufklärung unser probates Mittel zu Erkenntnisgewinn zu kommen, soll hier wieder in mittelalterliche Kerker der unberührbaren Themen gesperrt werden. Was die katholische Kirche damit angerichtet hat, ist bekannt.

Jeder Versuch einer Wiederholung ist strikt zurückzuweisen. Die Kirche masste sich an, als Verkünder des Wort Gottes über eine unumstössliche und nicht bezweifelbare Wahrheit zu verfügen. Wenn vergleichsweise kleine Lichter wie Meyer das auch für sich beanspruchen, machen sie sich nur lächerlich. Ein solches Urteil als antisemitisch zu denunzieren, was ja Meyers einziges, ärmliches Argument wäre, lässt die Frage aufkommen, ob dumm steigerbar ist.

Vermutlich ja.

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Der Artikel erschien zuerst auf «Inside Paradeplatz». 

Alex Baurs Replik

Ganz oder gar nicht sei sie zu publizieren, verlangt Freund Baur. Bitte sehr.

Von Alex Baur

Wenn Kollega Zeyer nichts besseres mehr einfällt, als mich persönlich zu beschimpfen, fehlen ihm offenbar die Argumente. Doch wenn ich seine etwas wirre Argumentationslinie richtig verstehe, baut seine Definition von Kriegsverbrechen primär auf der Zahl der zivilen Opfer. Als liesse sich das Problem mit einer mathematischen Formel lösen. Und das ist vom Ansatz her schon falsch.
Es gehört zu den grossen Errungenschaften der Aufklärung, dass nicht das Resultat eines Verbrechens (Erfolgsprinzip), sondern der Vorsatz dahinter (Verschuldensprinzip) bei der Einordnung einer Straftat und deren Schweregrad entscheidend ist. Um ein Beispiel zu nennen: Wer fahrlässig die Explosion eines mit Brennstoff beladenen Eisenbahnzuges verursacht, die hunderte von Toten fordert, kann mit einer milden Strafe rechnen; wer jedoch mit Tötungsabsicht gezielt auf einen Menschen schiesst, muss mit der Höchststrafe rechnen, unbesehen davon, ob das Opfer die Attacke überlebt. Kriegsverbrechen sind von diesem Prinzip nicht ausgenommen.
Nun ist der Vorsatz ein innerer Vorgang, den wir aufgrund äusserer Indizien und Verhaltensweisen nur deuten können. Und diese Deutung ist, wie es der Begriff schon verrät, keine präzise Wissenschaft. Eine mathematische Formel gibt es nicht, auch wenn uns Zeyer dies mit populistischen Verkürzungen vorgaukeln will.
Die Frage nach dem Verlauf eines Konfliktes und dessen Motivation ist daher wichtig: Wer hat den Krieg provoziert? Wer verfolgt welche Interessen und Ziele? Wer hat welche Möglichkeiten? Was wären die Alternativen?  Es geht dabei ebene gerade nicht um die Frage einer allfälligen moralischen Rechtfertigung, wie Zeyer insinuiert. Ob die Anliegen der Palästinenser oder jene der Zionisten im Kern gerechtfertigt sind, spielt bei dieser Auslegeordnung keine Rolle.
Fakt ist: Die Israeli hatten sich vor einem Jahr, als die Terror-Milizen des Irans ohne jeglichen Anlass die Grenze überquerten, um in der Nachbarschaft ein Blutbad anrichten bzw. Geiseln nahmen, längst aus Gaza und aus dem Südlibanon zurückgezogen; Israel erhebt keinen Anspruch auf diese Gebiete; und wenn es einem Juden in den Sinn käme, sich dort anzusiedeln, er würde nicht lange überleben; Netanjahu mag der Konflikt gelegen kommen oder auch nicht (man wird es nach den nächsten Wahlen sehen), doch Israel hat kein Interesse an diesem Krieg, der allein durch die Araber bzw. den Iran ausgelöst wurde.
Über 20 Prozent der Bevölkerung Israels sind Araber, Drusen oder Beduinen, die meisten von ihnen Muslime, rund 2 Millionen an der Zahl, die alle Bürgerrechte geniessen und heute sogar in der Armee dienen; wenn ein Palästinenser in der Westbank ein ernsthaftes gesundheitliches Problem hat, lässt er sich in Israel behandeln, gratis notabene;  vor den Terror-Angriffen auf Israel vom Oktober 2023 galt das auch für die Bevölkerung von Gaza; Israel versorgt Gaza nicht nur mit einem grossen Teil seines Wasserbedarfes, sondern auch mit Energie. Israel hat 2006 israelische Siedler gezwungen, Gaza zu verlassen. Es war gleichsam der Test für die famose «Zweistaaten-Lösung». Wäre die Entvölkerung oder die Annexion von Gaza das Ziel, würde sich Israel ganz anders verhalten. Die militärischen Mittel, um die Bevölkerung von Gaza auszulöschen, hätte die israelische Armee auf jeden Fall.
Zum Glück haben Israels Gegner diese militärischen Mittel nicht (an denen sie sie Jahren fieberhaft arbeiten). Das erklärte Ziel von Iran und seinen Vasallen (Hamas, Hisbollah) ist die Vernichtung von Israel und die Vertreibung der Juden, from the river to the sea. Die israelische Armee hat daher nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, seine Bevölkerung, ob jüdisch, muslimisch oder christlich, zu schützen und die Angreifer aus der Nachbarschaft unschädlich zu machen. Da weder die Bevölkerung von Gaza noch jene vom Libanon Willens oder in der Lage ist, die Terror-Milizen des Iran von ihrem Land fernzuhalten, muss es die israelische Armee an ihrer Stelle tun. Eine vernünftige Alternative gibt es nicht. Konzessionen gegenüber Terroristen, das hat die Erfahrung gezeigt – nicht nur im Nahen Osten, sondern auch etwa in Südamerika, wo der Autor dieser Zeilen lebt – verlängern das Blutvergiessen und das Leiden bloss. Das Ziel von Terror-Milizen ist niemals ein Frieden, und wenn sie dies vorgeben, meinen sie die ungeteilte Macht.
Iran und seine Vasallen verschanzen sich systematisch und gezielt hinter menschlichen Schutzschildern und zivilen Institutionen, ein klarer Verstoss gegen das Kriegsrecht. Sie sind daher die Hauptverantwortlichen für die zivilen Opfer und Verwüstungen. Das entbindet Israel zwar nicht von der Pflicht, zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden oder so tief wie möglich zu halten. Doch der Schutz der eigenen Bevölkerung vor den Angriffen aus der Nachbarschaft und die Vernichtung der Angreifer hat für die israelische Armee Priorität.
Selbstverständlich kann man die israelische Strategie kritisieren. Ob die israelische Armee wirklich alles tut, um zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden, ob ihre Strategie wirklich die klügste ist, wage ich als militärischer Laie allerdings nicht zu beurteilen. Das kann auch der Deutsche René Zeyer nicht. Doch hier geht es um die Frage, ob die israelische Armee Kriegsverbrechen oder gar einen Genozid zu verantworten hat. Und das ist nach dem aktuellen Stand des Wissens bzw. nach dem oben gesagten ganz klar nicht der Fall.
Was der Altmarxist René Zeyer hier durchexerziert, ist die verlogenene klassenkämpferische Taktik von Lenin und Konsorten: Man provoziert einen bewaffneten Konflikt, beschwört Menschenrechte und Demokratie, doch gemeint ist Unterdrückung und Parteidiktatur.
P.S.: Ich wage übrigens an dieser Stelle noch die Prognose, dass es dem in Israel äusserst unbeliebten Benjamin Netanjahu ergeht wie weiland Winston Churchill: Er wird den Krieg gegen die Barbarei gewinnen und danach vom eigenen Volk demokratisch abgewählt. Die meisten Israeli wollen keinen Krieg, doch wenn man ihnen einen solchen aufzwingt, dann ziehen sie die Sache durch bis zum bitteren Ende.

Zum Nachschlagen und Nachlesen:
Baurs Replik in der «Weltwoche»
Zeyers Duplik auf ZACKBUM

Kriegsverbrechen

Larifari statt Wertesystem.

Heuchelei und Verlogenheit passen nicht gut zum Ansatz, dass unsere westlichen, demokratischen, freiheitlichen Werte allen anderen Wertesystemen überlegen seien. Menschenrechte, Freiheit, Respekt vor dem anderen, Demokratie, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit. So der Kanon, heruntergebetet wie ein Rosenkranz.

Verstösse dagegen werden mindestens verbal streng geahndet. Die Parteidiktatur in China, die Familiendiktatur in Nordkorea, die korrupte Diktatur in Venezuela, das Putin-Regime in Russland. Die Mullah-Herrschaft im Iran. Furchtbar. Der Ukrainekrieg mit seinen Kriegsverbrechen, eigentlich ausschliesslich vom entmenschten Iwan verübt, furchtbar. Wie sagte doch die ukrainische Regierung so richtig: alle russischen Soldaten sind Kriminelle, Verbrecher und Vergewaltiger. Genau.

Deshalb darf man auch in der Schweiz keinen Dokumentarfilm zeigen, der russische Soldaten als Menschen porträtiert. Das sind sie doch nicht, das ist nur russische Propaganda.

Wie wär’s, wenn man das Gleiche über alle israelischen Soldaten sagen würde? Da erhöbe sich ein ungeheuerlicher Shitstorm, man sähe die Halszäpfchen in brüllenden Mäulern. Antisemit wäre noch das mildeste Schimpfwort, mit dem man bedacht würde.

Natürlich kann man das in dieser Allgemeinheit auch nicht über Mitglieder der israelischen Armee sagen. Aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass diese Armee Kriegsverbrechen im Libanon begeht. Wobei sich die Mainstreammedien hier auf eine rein deskriptive Berichterstattung zurückziehen.

So tickert der Qualitätskonzern Tamedia eine DPA-Meldung:

«Bei israelischen Angriffen im Libanon sind am Dienstag nach Behördenangaben mindestens 36 Menschen getötet worden. 150 weitere Personen seien verletzt worden, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit. Damit seien seit Ausbruch der Gefechte zwischen der Hizbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr mindestens 2119 Menschen getötet und 10’019 weitere verletzt worden, teilten Behörden mit. Das Ministerium unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hizbollah-Kämpfern.
Allein am Dienstag registrierte der Notfallausschuss der geschäftsführenden Regierung insgesamt 137 israelische Luftangriffe im Libanon.»

Bevor wieder die üblichen Rechthaber mit ihrem Sermon kommen, dass das halt ein asymmetrischer Krieg sei und Israel ja nichts dafürkönne, dass sich die Terroristen der Hetzbollah hinter Zivilisten versteckten: wer weiss eigentlich genau, was ein Kriegsverbrechen ist?

Irgend etwas Furchtbares, was im Krieg begangen wird, wobei Krieg als solcher ja schon ein Verbrechen darstellt, dürfte wohl die mistgenannte Antwort sein. Versuchen wir es etwas konkreter:

Als Kriegsverbrechen gelten Verhaltensweisen, die in den Genfer Konventionen von 1949 „als schwerer Verstoss“ definiert sind oder durch bestimmte Bestimmungen des Anhangs zur vierten Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 verboten sind.

Zum Beispiel?

  • Tötung, Geiselnahme, Folter und Vergewaltigung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen
  • Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäten und Denkmäler
  • Plünderungen und Zerstörung von Eigentum
  • Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen, friedenserhaltende Missionen und auf Missionen des Roten Kreuzes
  • Verwendung von biologischen, chemischen Waffen und Atomwaffen.

Womit die israelischen Angriffe in einem nicht erklärten Krieg gegen den Libanon eindeutig darunterfallen.

Geahndet werden Kriegsverbrechen, sollte die Nation, die sie begeht, nicht selbst dazu in der Lage sein, durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Allerdings muss seine Autorität zunächst einmal anerkannt werden. Länder wie die USA, China, Indien, Russland, Kuba, Pakistan – und Israel – tun das nicht.

So ist die seit Dezember 2019 andauernde Untersuchung von Kriegsverbrechen, die von Israel oder der Hamas oder anderen bewaffneten Gruppen in Palästina begangen wurden, ohne Wirkung. Dazu gehören auch Verbrechen im Zusammenhang mit der Errichtung illegaler israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland sowie Angriffe auf israelische Zivilisten durch die Hamas und deren Verwendung von Palästinensern als menschliche Schutzschilde.

Ein Massaker rechtfertigt nicht das nächste, es gibt keine Relativierung von Kriegsverbrechen. Wer sich ein Antidot gegen das Dröhnen einseitiger Darstellungen verabreichen will, kann diese ebenfalls einseitige Darstellung anschauen. Nicht als «so ist’s wirklich», sondern als «sieht man sonst eher nicht».

Wer eine regelbasierte Ordnung, die zwar mildernde Umstände und den Begriff der Notwehr kennt, dennoch aber universell gültig sein sollte, als letzten Schutzwall gegen Willkür, Faustrecht und Barbarei ansieht, muss Verstösse dagegen als Kriegsverbrechen bezeichnen.

Unabhängig davon, von wem sie begangen werden. In allen grossen Kriegen der Vergangenheit (und Gegenwart) gibt es immer die Flachdenke, dass die anderen, der Feind, der politische Gegner Kriegsverbrechen ohne Zahl begeht. Seine Soldateska ist enthemmt und entmenscht, während die eigenen Streitkräfte edel und gut sind. Die einen sind die Besetzer, die anderen die Befreier. Die anderen kämpfen für ein Unrechtsregime, die Eigenen für unsere moralisch überlegenen Werte.

Schiessen vertierte Hetzbollah-Terroristen eine Rakete auf ein ziviles Ziel in Israel, ist das ein Kriegsverbrechen. Schiesst die israelische Armee eine Rakete in ein Wohngebiet von Beirut, wo Terroristen vermutet werden, ist das legitim, sind getötete Zivilisten Kollateralschaden. Sie hätten halt rechtzeitig flüchten sollen, so wie im Gazastreifen. Wo ihnen zuerst angeblich sichere Gebiete zugewiesen wurden, die dann anschliessend bombardiert wurden.

Niemand, der nicht ein fundamentalistisch umnebelter Fanatiker ist, kann die terroristischen Aktionen der Hamas, der Hetzbollah und anderer Hilfstruppen des Iran, finanziert von Katar und anderen Scheichtümern, billigen. Aber das als billigen Vorwand zu nehmen, um alle israelischen Kriegsverbrechen zu legitimieren, ist unredlich und macht diese Verteidiger unglaubwürdig.

Was diese Eurozentristen ausblenden: genau aus diesem Grund findet die Sanktionspolitik der EU, der USA und ihrer wenigen Verbündeten bei fast allen Ländern der Welt keinen Anklang. Genau deswegen unterstützen viele Länder der Welt Israel nicht.

Denn die Definition von Kriegsverbrechen, der Versuch, etwas Zivilisation in die Barbarei eines Krieges zu bringen, gilt universell. Genau wie die Menschenrechte. Die auch dort gelten sollten, wo sie dem Wertewesten aus verschiedenen Gründen scheissegal sind. Zum Beispiel im Sudan, in Äthiopien oder in Eritrea. Weil dort die Menschen die falsche Hautfarbe haben und keine nennenswerten Rohstoffe. Oder in Saudi-Arabien, weil die Wahhabiten (noch schlimmere Fanatiker als die Schiiten im Iran) sehr viel Rohstoff haben.

Und bevor diese alte Leier nochmal kommt: natürlich war der Krieg gegen Hitlerdeutschland in jeder Form legitimiert und richtig, wobei man nicht vergessen sollte, dass die Sowjetunion den grössten Blutzoll entrichtete und die Deutschen  wie die Barbaren in den besetzten Gebieten wüteten. Dennoch war die Bombardierung Dresdens durch die Westalliierten ein Kriegsverbrechen.

Das Fundament unserer Rechtsverständnisses beruht darauf, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Sein sollten. Individuen genau wie Staaten. Im Frieden und im Krieg. Letztlich ganz einfach, aber offenbar so schwer zu verstehen.

Von Somm lernen, heisst Unsinn lernen

Nach diesem Artikel ist wieder Schluss mit Somm, versprochen.

Immerhin, Markus Somm hat Israel richtig geschrieben. Das ist für den Marignano-Verunstalter keine Selbstverständlichkeit.

Aber sonst ist alles so falsch, was er schreibt, dass nicht mal das Gegenteil richtig wäre.

Hier bejubelt Somm wie ein schmachtender Backfisch die Mordanschläge der israelischen Regierung auf zwei Führungsfiguren der Hamas und der Hetzbolla in Teheran und Beirut.

Da es sich um zwei üble Gestalten handelte, darf man durchaus klammheimliche Freude über ihr Ableben verspüren. Dass aber im angeblichen Qualitätsorgan Tamedia nun bereits zum zweiten Mal ungehindert Lobgesänge auf illegale Mordtaten erklingen, ist mehr als bedenklich. Bei dem Blatt sind die moralischen und ethischen Massstäbe verrutscht, im Keller gelandet und dort vergessen gegangen.

Aber während sich Robelli noch einigermassen einbremst, kriegt sich Somm gar nicht ein vor Freude. Wie es sich halt für einen Wendehals und Renegaten gehört, der in seiner ihn bis heute verfolgenden Jugend als Trotzkist und Armeegegner vielleicht auch mal für Jassir Arafat schwärmte.

Nun aber brennen ihm sämtliche Sicherungen durch: «Demütigung für das Regime der tödlichen Maulhelden … schlagkräftig … intelligent … wenn im Westen nun die Angsthasen unter den Politikern und Journalisten auch wimmern und vor der Eskalation warnen … die sicherheitspolitisch inkompetenten Demokraten in Washington … Diktatoren bewundern den Starken und verachten den Schwachen … Kommt es zum Krieg? Das ist die falsche Frage».

So hemmungslos wie in seiner Jugend verlässt Somm in seiner besoffenen Israel-Begeisterung den Bereich der demokratischen Rechtsstaatlichkeit und einer regelbasierten Ordnung, der letzte Schutzwall gegen Willkür und Barbarei:

«Der Krieg ist längst da. Wenn der Westen ihn gewinnen will – ob im Nahen Osten, in der Ukraine oder vielleicht bald in Asien, dann helfen uns weder humanitäres Völkerrecht noch UNO, «regelbasierte Ordnung» oder gesundbetende Diplomatie, sondern allein eine hochgerüstete Armee und Politiker, die auch bereit sind, sie in Marsch zu setzen.»

Dabei unterliegt er dem gleichen Grundlagenirrtum, dem er schon als linksradikaler Trotzkist unterlag: wer – wie Somm – weiss, was das Richtige und das Gute ist, dem sind alle Mittel recht, um es gegen das Falsche und Böse zu erreichen.

Wie alle Fanatiker vor ihm und mit ihm meint er, dass da alles erlaubt ist. Und übersieht, dass damit das Gute sich nicht mehr vom Bösen unterscheidet und damit die Legitimität verliert, dagegen vorzugehen. Mit solchem fundamentalistischen Unsinn verschwimmen alle Grenzen.

Auch die Hamas, auch die Hetzbolla sind sicher, für ihre angeblich gute Sache alle bösen Mittel einsetzen zu dürfen. Wo ist da der Unterschied zu Somm?

Bei solchen Amokläufern verschwimmen eben alle Regeln, die kennen keinen Kant mehr, die sind so besoffen von der eigenen Rechtschaffenheit und Unfehlbarkeit, dass sie gar nicht merken, wie sie den Monstern immer ähnlicher werden, die sie zu bekämpfen vorgeben.

Sie regredieren in frühkindliche Muster, wo in der Märchenwirklichkeit die Monster unbezweifelbar böse sind und von den Guten genauso unbezweifelbar auch mit bösen Mitteln besiegt werden, worauf die Welt geheilt und in Ordnung ist.

Mord (wie in diesen Fällen), Folter (wie in israelischen Gefängnissen), Freiheitsberaubung über Jahre hinweg ohne Prozess (wie in Israel und auch in Guantánamo, der illegalen US-Militärbasis auf Kuba), zivile Kollateralschaden mit Tausenden von Toten (wie bei den Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Gazastreifen), das bewusste Inkaufnehmen des Todes der verbliebenen Geiseln, eine Konfrontation der beiden Atommächte Israel und Iran (das von Pakistan beliefert wird), das alles gesteuert vom Wunsch des korrupten israelischen Ministerpräsidenten, dem Knast zu entgehen, solange er amtliche Immunität besitzt.

All das ist für Somm ein Anlass zu behaupten, dass man so siegen lernt. Vielleicht, aber nur vielleicht hat Somm in seiner Jugend mal Bertolt Brecht gelesen und erinnert sich an dessen offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller, als Reaktion auf die Wiederbewaffnung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg:

«Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.»

Brecht richtete sich damit gegen alle damaligen Kriegshetzer, er hatte sicherlich auch den nachgeborenen Somm im Sinn. Der verteidigt heute das ruchlose und potenziell existenzgefährdende Tun der israelischen Regierung, er hätte auch bei Diktatoren wie Stalin grosse Zustimmung gefunden: «Aussen- und Sicherheitspolitik hat etwas Barbarisches, Ruchloses.»

Das ist diese besinnungslose Begeisterung des Schreibtischtäters, des feigen Wortschnitzers an seinem Schreibtisch für die grossen Töter und ruchlosen Führer in der Geschichte und Gegenwart, am Handwerk des Tötens in Stahlgewittern und anderswo. Bei Ernst Jünger hatte das noch etwas pervers Faszinierendes, bei Somm ist es nur abscheulich abschreckend und widerwärtig.

Allerdings lehrt die Geschichte, nur nicht den Historiker Somm, dass Potentaten, Regimes oder Regierungen, die Aussenpolitik so barbarisch und ruchlos betreiben, früher oder später – untergehen. Das ging Hitler so, das passierte Stalin, das kann auch das Schicksal Israels sein, wenn es sich nicht so schnell wie möglich von dieser ruchlosen und barbarischen Regierung trennt.

Was auch endlich Tamedia mit dem Kolumnisten Somm tun sollte.

Blödelei vom Präsidenten

Jeder kocht sein Süppchen. Manche mit Fettwasser.

Wie umgehen mit islamistischem Terror und Wahnsinn? Da ist vor allem die Linke in Erklärungsnot. Die Fundamental-Taliban in Afghanistan, die ayatollen Wahnsinnigen im Iran, der westliche Verbündete Saudi-Arabien, wo die wahabistischen Machthaber seit Jahren in Jemen einen blutigen Krieg führen: das ist alles weit weg, also kann man’s wohlfeil verurteilen.

Im Nahen Osten wird’s schon schwieriger. Will man sich wirklich mit der radikalislamischen Hamas ins Bett legen? Die schliesslich den Gazastreifen nicht okkupierte, sondern von der Mehrheit der Bewohner gewählt wurde. Die übrigens auch Islam und Scharia mehrheitlich begrüssen. Also eine mittelalterliche, frauenfeindliche, rückwärts gewandte Religion, an der die Aufklärung spurlos vorbeiging.

Aber wie steht es, wenn islamistischer Terror ganz in der Nähe stattfindet? Wenn ein angeblich vorbildlich integrierter afghanischer Flüchtling zum Amok wird und aus eindeutig islamistischen Gründen einen sogenannten Islamkritiker mit dem Messer abstechen will? Und als ihm das nicht gelingt, einem Polizisten das Messer so in den Hals und Kopf rammt, dass der wenig später an den erlittenen Verletzung stirbt.

Da wird’s schwierig im Minenfeld von Willkommenskultur, Aufnahme von Flüchtlingen, multikultureller Gesellschaft, Bereicherung durch das Fremde. Im Kampf gegen Rassismus, Rechtspopulismus, Hetze, Intoleranz und bräunlichen «Ausländer raus»-Grölern wie auf Sylt.

Eine Variante ist, sich ganz allgemein gegen Gewalt auszusprechen. Das kostet nichts und man bezieht keine Position. Die zweite Variante ist, eine allgemeine Verrohung der politischen und gesellschaftlichen Sitten zu beklagen und sie flugs rechten Parteien in die Schuhe zu schieben. Dabei muss man allerdings den Begriff Islam weiträumig umfahren, denn man kann rechten Parteien vieles vorwerfen, aber besondere Liebe zur fundamentalistischen Religion von Zurückgebliebenen und Verlierern sicher nicht.

Ist also alles nicht so einfach. Ausser, man macht es sich ganz einfach und hopst mal wieder, wie mit seiner späten Trauerbekundung bei der Messerattacke in Zofingen, voll ins Fettnäpfchen. Eigentlich sollten Raphaela Birrer, die Chefredaktorin von Tamedia, und Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, zumindest eine Allianz eingehen, denn niemand schlägt sie beim Fettnäpfchen-Wettbewerb:

Damit betritt Wermuth nun ganz dünnes Eis, rutscht aus und schlägt hörbar auf. Islamismus sei «rechtsextreme Gewalt»? Gleichzusetzen mit «abendländischem Faschismus»?

Damit wärmt Wermuth eine längst erledigte Debatte wieder auf. Das Problem der Linken war und ist, dass Kritik am Islam und am Islamismus für sie streng nach Rassismus riecht. Denn für einige Gutmenschen ist sogar der Tschador, gar die Klitorisbeschneidung Ausdruck einer anderen Kultur, der man mit tolerantem Respekt und nicht mit eurozentristischer Arroganz und postkolonialer Verachtung gegenübertreten dürfe.

Nun ist das mit eigentlich inkompatiblen Ideologien oder religiösen Wahnvorstellungen so eine Sache. Das gleiche Spielchen versuchte die Linke auch mit dem Begriff Antisemitismus. Das sei per Definition eine rechte Geisteshaltung, wurde lange Zeit behauptet. Bis knirschend eingeräumt werden musste, dass es auch linken Antisemitismus gibt. Der sich innerhalb der berechtigten Kritik an den Kriegsverbrechen der israelischen Armee auch in Teilen der linken Studentenbewegung äussert.

Islamismus ist, kurz gesagt, «eine entgrenzte, totalitäre Bewegung gegen den als entartet wahrgenommenen Westen und die Juden als Inkarnation des Bösen», wie das die NZZ mal definierte. Nun ist es so absurd, Islamismus mit Rechtsextremismus gleichzusetzen wie mit Linksextremismus, nur weil der Top-Terrorist Carlos und andere Linksextreme zum Islam konvertiert sind.

Genauso dümmlich sind die Versuche von Rechten, dem Nationalsozialismus zu unterstellen, er sei eigentlich links gewesen, nur weil die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei schlichtweg aus Propagandagründen alle Slogans zusammenmixte.

Da schrieb die NZZ auch ganz richtig: «Da sich jedoch beide Bewegungen ganz verschiedener ideologischer Versatzstücke bedienen, gibt es keinen Grund, den Islamismus auch noch im vielzitierten «Kampf gegen rechts» zu integrieren (der sich längst auch gegen Konservative und Liberale richtet).»

Dagegen meint der Flachdenker Wermuth, rechtsextreme Gewalt käme «im Gewand des Islamismus oder des abendländischen Faschismus» daher.

Was für ein Glück, dass Helmut Hubacher nicht mehr erleben muss, auf welch erbärmliches intellektuelle Niveau eine Führungskraft der SP gesunken ist. Natürlich verführt X dazu, mal schnell einen rauszuhauen. Aber genau dann entlarvt sich der Autor in aller Erbärmlichkeit, in seiner Unfähigkeit zum differenzierten Denken, in seiner Verwendung untauglicher Vergleiche, deren Anwendung verheerende Auswirkungen auf das politische Tagesgeschäft hätte.

Aber es ist zu hoffen, dass es in der SP noch Restbestände von politischen Denkern gibt, die sich schaudernd von solchem Unsinn abwenden.

Wumms: Markus Somm

Wie ein Verzweifelnder zum Zyniker wird.

Markus Somm hat schwer zu tragen. Er wurde von Christoph Blocher himself als Chefredaktor und Mitbeteiligter an der «Basler Zeitung» eiskalt abserviert, obwohl er eine hymnische Biographie über ihn geschrieben hatte.

Dennoch sieht er sich als Unternehmer und Medienmanager. Und kaufte den «Nebelspalter», eine der aberwitzigsten Entscheidungen im jüngeren Schweizer Journalismus. Anschliessend machte er so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann. Eine unvollständige, weil sich ständig erweiternde Liste seiner Fehler kommt auf über 30 Positionen. Wozu sie wiederholen.

Der «Nebelspalter» geht den Weg alles Irdischen. Viel Geld verröstet, die Redaktion aufgebläht (inklusive «Assistentin der Chefredaktion»), dann brutal kleingeholzt. Wie man Leute entlässt, das ist immer ein Grandmesser für Anstand. Wie der Chefredaktor des Print-«Nebelspalter» entlassen wurde, ist ein abschreckendes Beispiel für fehlenden Anstand.

Dann hat Somm noch ein tieferreichendes Problem. Er ist Renegat. Er war mal links, sympathisierte mit dem Trotzkismus, solidarisierte sich mit der GSoA, die eine Abschaffung der Schweizer Armee forderte – und einen Achtungserfolg an der Urne erzielte.

Aber statt darauf stolz zu sein, muss er bis heute Abbitte leisten, bereuen, so stramm wie kein anderer Position beziehen. Besonders unappetitlich wird das im Fall Israels. Da ist ihm nichts zu dümmlich, um das Vorgehen der israelischen Regierung und Armee zu verteidigen. Das seien einfach «die Guten», entblödet er sich nicht zu schreiben.

Das kann man noch als intellektuelle Bankrotterklärung stehenlassen. Aber in seinem jüngsten «Memo» übertrifft er sich selbst, und das ist gar nicht so einfach.

Der Propaganda-Chef der israelischen Armee könnte das nicht besser: «Die Israelis haben inzwischen rund 950’000 Palästinenser aus Rafah evakuiert», behauptet er, also Somm. Das ist nett von den IDF. Muss man sich mal vorstellen: Panzer bilden ein Spalier, Militärpolizisten lenken den Verkehr, Soldaten verteilen Erfrischungen, Pioniere bauen währenddessen Zelte auf, installieren Latrinen und Küchen. Armeesanitäter bereiten alles für die medizinische Versorgung von 950’000 Palästinensern vor. Die sehen grosszügig darüber hinweg, dass ihnen noch vor Kurzem der Südwesten des Gazastreifens als sicheres Fluchtgebiet vorgegaukelt worden war. Was gestern noch Zuflucht war, ist heute halt Kriegszone.

Auch dahin waren sie bekanntlich von der israelischen Armee «evakuiert» worden. Nach der Devise: sorry, verpisst euch, wir müssen nun leider alles in Grund und Boden bombardieren, wo ihr gelebt habt. Denn darunter, tief im Boden, haust die Hamas, und die wollen wir  vernichten.

Wenn in den neuen Evakuierungsgebieten nicht alles so klappt, wie es soll, gibt es natürlich nur einen Schuldigen: «Die Versorgung ist jedoch prekär – zumal Hamas, eine Terrororganisation und Virtuosin des angewandten Zynismus, alles dafür tut, dass kaum Hilfsgüter in Gaza eintreffen.» Es ist aber auch zum Verzweifeln. Statt auf Besserwisser Somm an seinem Zürcher Schreibtisch zu hören, behaupten doch verschiedene UNO-Organisationen und NGOs vor Ort, dass sich Israel des Kriegsverbrechens schuldig mache, die Bevölkerung auszuhungern. Wie können die sich alle nur so irren.

Überhaupt sind die Bösen an allem schuld, weil die Guten ja an nichts schuld sein können: «Wenn heute Montag bekannt wurde, dass die Israelis ein Zeltlager in der humanitären Zone bombardiert haben, dann liegt das an diesem widerrechtlichen, kaltblütigen Verhalten der Hamas.»

Wenn es nicht so widerwärtig wäre, wäre es fast lustig: selbst der israelische Ministerpräsident bezeichnet die Bombardierung eines Flüchtlingslagers mit Dutzenden von Toten inzwischen als «tragisches Missgeschick», das er bedauert. Hört denn etwa auch der nicht auf Somm, der keinerlei Anlass für solche Weichheit sieht?

Was für den einen ein schreckliches Missgeschick ist, ist für den anderen halt ein «Kollateralschaden», denn wem sollte man glauben, fragt Somm rhetorisch, «den Terroristen, also ausgewiesenen Massenmördern, die bereits mehrfach der Lüge überführt worden sind

«Oder einem demokratischen Rechtsstaat, der sich im Übrigen der Kritik der ganzen Welt stellen muss» wie die Hamas auch und der ebenfalls schon mehrfach der Lüge überführt wurde?  Nein, den zweiten Teil hat Somm nicht über die Lippen gebracht, denn «die Guten» können doch nicht lügen. Aber:

«Gewiss, für die Flüchtlinge, die als «Kollateralschaden» ihr Leben verloren haben, ist das kein Trost, zumal er sie nie mehr erreichen kann. Krieg ist schrecklich. Gerade weil ständig Unschuldige sterben – das können auch Tausende von Warnungen und Flugblättern nicht ändern.
Umso mehr kommt es darauf an, nicht zu vergessen, wer diesen Krieg ausgelöst hat.»

Ja, Krieg ist eine schlimme Sache. Und immer diese Zivilisten, die der guten Sache im Weg stehen. Und ohne Trost sterben müssen. Aber vielleicht hilft es diesen Unschuldigen posthum, dass sie für das Gute gestorben sind, das halt über Leichen gehen muss, um das Böse zu vernichten.

Was ist denn mit den 300’000 Zivilisten, die trotz allen humanistischen Anstrengungen der Israelis immer noch im Gebiet blöd rumstehen, das ihnen von den Israelis als sicherer Zuflucht angepriesen wurde, jetzt aber auch laut Somm «Kriegsgebiet» ist?

«Keiner von ihnen hat es verdient zu sterben. Hoffentlich nehmen sie die vielen Warnungen und Angebote der Israelis endlich ernst.»

Das ist nun der Gipfel an Zynismus. Sie sollen die Warnungen ernst nehmen und sich in ein neues «humanitäres Gebiet» flüchten. Damit sie dann dort bombardiert werden, so wie sie im vorherigen «humanitären Gebiet» abgemurkst werden.

Und das alles, weil sie dem absurden Kriegsziel im Weg stehen, die Hamas vollständig zu vernichten. Laut Schätzungen sind bislang vielleicht ein Drittel ihrer Kämpfer getötet worden. Sobald Israel sich zurückzieht, werden ihnen Heerscharen von Freiwilligen zuströmen. Aus den Ruinen, aus der völlig zerstörten Infrastruktur des Gazastreifens. Wo nur noch Hass und Rachedurst wachsen, wo Tausende von Eltern ihre Kinder begraben mussten, und Tausende von Kindern ihre Eltern.

Damit stellt ZACKBUM die Berichterstattung über Somm endgültig ein. Es gibt Grenzen für alles. Ausser für ihn.

Eine Frage der Redlichkeit

Joelle Weil kritisiert die Anerkennung des palästinensischen Staates.

Das ist ihr gutes Recht, und CH Media gibt Weil eine grosse Plattform. Das ist auch erlaubt. Sie zieht gewaltig vom Leder:

«Es gehe bei der Anerkennung Palästinas um «Hoffnung», sagt der spanische Premierminister Pedro Sánchez. Was bedeutet: Hoffnung für ein Volk, das sich seit zwanzig Jahren auf seinem Territorium in Gaza selbst unterdrückt; wo auf Strassen gehängt wird oder gefoltert, wenn man für seine Freiheit gegen das eigene Hamas-Regime protestiert. Zwanzig Jahre lang gab es kaum internationale Forderungen gegen diese Diktatur zugunsten der Bevölkerung. Die Stille kam von allen Seiten. Man hatte bis heute genug Zeit, Palästina mit den Grenzen von 1967 anzuerkennen. Der aktuelle Zeitpunkt ist mehr als zynisch.»

«Zynisch», das ergänzt sie noch mit «schamlos», wer anerkenne, der «belohnt den Terror des 7. Oktobers», treibe die Unterdrückung des palästinensischen Volkes voran, sende ein «gefährliches Signal».

Schlimmer noch: «Wer sich jetzt nicht mit allen Kräften für ein Gaza ohne Hamas einsetzt, ist kein Freund, sondern füttert den Missstand und versucht, auf Kosten anderer sein eigenes Gewissen zu bereinigen.»

Und als krönender Höhepunkt am Schluss: Die Anerkennung zeige «ein Einknicken vor der Welt, die mit uns keine demokratischen und freien Werte teilt. Aber Einknicken gelingt ohne Rückgrat besonders gut».

Das ist starker Tobak. Der Redlichkeit wäre es vielleicht geschuldet zu erwähnen, dass Weil 9 Jahre lang in Tel Aviv lebte und von dort berichtete. Das könnte ihre Parteilichkeit und Einseitigkeit erklären. Wenn eine palästinensische Autorin die Meinung der Hamas verträte, wäre eine solche Einordnung auch hilfreich.

Dass der brutale Terroranschlag vom 7. Oktober ein barbarisches Verbrechen war, ist unbestreitbar. Zu behaupten, dass eine Anerkennung des palästinensischen Staates zynisch sei und gar diesen Terror «belohne», das ist schlichtweg unverschämt.

Es ist keine Belohnung dieser Barbarei, es ist eine Reaktion auf  das Wüten Israels im Gazastreifen. Vielen journalistischen Israel-Groupies wird es inzwischen klar, dass die fast vollständige Zerstörung der Infrastruktur dort, die Fortsetzung des Angriffs auf den angeblich sicheren Zufluchtsort Rafah, die Bombardierung eines Flüchtlingslagers, wo sich Palastinenser aufhalten, die auf Israels Zusicherung vertrauten, dort in Sicherheit zu sein – das alles nicht hilfreich ist, sondern der Sache Israels mehr schadet, als es die Hamas vermöchte.

Dass sich Hamaskämpfer feige in der Zivilbevölkerung verstecken, abscheulich. Dass Israel ohne Rücksicht auf Verluste fortfährt, ein unmögliches Ziel zu verfolgen – die Auslöschung der Hamas –, das ist ebenfalls abscheulich. Auf eine andere Art, aber das Gute kann nicht grenzenlos böse werden, um das Böse zu bekämpfen. Denn irgendwann verschwimmen die Unterschiede, und das ist das aktuelle Problem Israels.

Es ist nur am Rande Ausdruck einer antiisraelischen Haltung, wenn auch UNO-Gremien das Vorgehen des israelischen Militärs immer schärfer kritisieren.

Über dessen Führungspersonal man keine Worte mehr verlieren muss.

Weil hat eine ungute intellektuelle Entwicklung hinter sich, weg von journalistischer Neugier, hin zu Schwarzweissdenken. Dabei schrieb sie einmal:

«Diese Ratlosigkeit auf allen Seiten, die manchmal zur Verzweiflung wird. Nur eines habe ich mit Bestimmtheit gelernt: sich mit Urteilen zurückzuhalten. Lieber einmal mehr zuhören, als einmal zu oft zu reden.»

Das war 2018; sie lebte damals seit fünf Jahren als Schweizer Journalistin in Israel. Und bemühte sich noch, diese komplizierte, verkeilte, verkrampfte, komplexe Welt zu verstehen. Und gab offen zu, dass das schwierig bis unmöglich ist. Damals zeigte sie noch Einfühlungsvermögen und das Bedürfnis nach ausgewogenen Erklärungsversuchen, hatte mehr Fragen und Antworten.

Nun hat sie alle Antworten und keine Fragen mehr. Mehr noch, sie ist randvoll mit Urteilen, mit Verurteilungen. Damit will sie nicht mehr Verständnis schaffen, sondern ist auf dem Kriegspfad. Hat vergessen, dass man sich als ernstzunehmender Berichterstatter mit keiner Seite gemein machen sollte, nicht einmal mit der guten – oder welche man für die gute hält.

Dabei wäre es kinderleicht, eine banale Dialektik zu durchschauen. Viele Apologeten Israels verbitten sich jede Kritik an dessen Vorgehen; gehen ihnen andere Denunziationen aus, greifen sie zum Totschlagbegriff Antisemitismus. Wer die Israel idiotisch als «die Guten» bezeichnet und logischerweise «Hamas» als die Bösen, der schafft eine Dichotomie, die andere Verpeilte dazu motiviert, sich für die Bösen einzusetzen.

Dabei kann doch kein denkender Mensch etwas unterstützen, das mit fundamentalistischem Wahnsinn durchtränkt ist und eine Herrschaft ausübt, in der kein zivilisierter Mensch leben möchte, von Studenten in Europa oder den USA ganz zu schweigen.

Kein denkender Mensch kann die Politik der israelischen Regierung unterstützen, angeführt von einem gescheiterten und korrupten Regierungschef, der nicht nur gegen die Hamas kämpft, sondern auch gegen eine drohende Gefängnisstrafe. Eine Regierung, die die monatelangen Vorbereitungen auf den Terroranschlag vom 7. Oktober nicht bemerkt haben will, die am Anfang peinlich und schrecklich versagte, die eigene Bevölkerung zu schützen.

Darüber zu diskutieren, wo das noch erlaubt ist, würde sich lohnen. Was Weil betreibt, nützt nichts und schadet viel.

 

Müngers Wunderwelt

Die gute Nachricht: er lebt. Die schlechte: er schreibt.

Es gibt ganze Horden von wichtigtuerischen Meinungsträgern in den Medien, die die Welt unablässig mit guten Ratschlägen versorgen, was zu tun und was zu lassen sei.

Der Auslandchef einer Auslandberichterstattung von Tamedia, die fast ausschliesslich von München aus erledigt wird, hat lange geschwiegen. Und offenbar tief nachgedacht, um endlich zur ultimativen Lösung des Gemetzels im Gazastreifen zu kommen:

«Israel soll den Sieg verkünden und raus aus Gaza».  Heureka, dass darauf noch niemand gekommen ist. Jetzt weiss das israelische Kriegskabinett endlich, was zu tun ist. Denn, wie Christof Münger auch noch weiss: «Das Kalkül der Hamas ist aufgegangen

Welches Kalkül? Da schwirrt Münger allerdings in eine Parallewelt ab, die nicht von dieser Welt ist: «Die Täter-Opfer-Umkehr ist vollzogen, heute steht Israel am globalen Pranger, nicht die Hamas.» Echt jetzt? Weil einige randalierende Studenten und paar intellektuelle Tiefflieger ihre Kritik auf Israel konzentrieren?

Aber weil Münger wohl reiflich und länglich nachgedacht hat, klappert er nun mit der bereits ausgeleierten Litanei hinterher: «Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag lässt Augenmass vermissen. Wenigstens will der Chefankläger nicht nur den israelischen Premier und seinen Verteidigungsminister wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen anklagen, sondern auch drei Hamas-Führer. Die implizierte Tätersymmetrie ist jedoch ein weiterer Affront gegenüber Israel: Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant gehören einer demokratisch gewählten Regierung an, ungeachtet aller berechtigten Kritik an ihrem Vorgehen, die übrigens nirgends so laut erhoben wird wie in Israel selbst.»

Wieso die beiden israelischen Politiker die Tatsache, dass sie einer gewählten Regierung angehören, gegenüber dem Vorwurf immun machen soll, dass sie Kriegsverbrechen begangen haben könnten, dieses Geheimnis wird wohl nur in Müngers Parallelwelt aufgelöst.

Nun muss er auch noch den Stolperstein aus dem Weg schaffen, dass andere UNO-Gremien sich ebenfalls gegen Israel wenden:

«Das UNO-Weltgericht gab am Freitag einem Antrag Südafrikas statt, das den «sofortigen» Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen einschliesslich der Stadt Rafah gefordert hatte. Das Kalkül der Hamas-Terroristen ist somit vollständig aufgegangen. Obwohl sie am 7. Oktober mehr als 1200 Menschen bestialisch ermordeten. Obwohl sie immer noch mehr als 100 israelische Geiseln in ihrer Gewalt haben. Und obwohl der Genozid an Jüdinnen und Juden in der Charta der Hamas festgeschrieben ist

Das war das Kalkül der Hamas bei dem bestialischen Terrorangriff auf Israel? Interessant, wie weit fundamentalistische Fanatiker denken können.

Weiter in einer Parallelwelt:

«Zu diesem Kalkül gehören auch die gemäss Hamas 35’000 getöteten Palästinenserinnen und Palästinenser. Demnach sind Tausende Zivilisten darunter, Frauen, Alte und Kinder. Nichts ist den Hamas-Führern lieber als tote Kinder. Das grosse Leid kümmert sie nicht. Bilder von kleinen Leichensäcken lassen weltweit niemanden unberührt. Wie viele Terroristen unter den Toten sind, ist hingegen kaum ein Thema.»

Es mag durchaus sein, dass den zynischen Hamas-Führern «tote Kinder» als Propagandawaffe zupass kommen. Natürlich kann man ihnen auch eine gewisse Mitschuld zusprechen, da sich die Hamas-Kämpfer in der Zivilbevölkerung des Gazastreifens verstecken. Aber umgebracht werden die Kinder dann doch immer noch von israelischen Soldaten. Also zumindest in unserer Wirklichkeit.

Nach diesen Fantasien gibt Münger nun ungefragt gute Ratschläge. Aber auch sie baut er auf fragwürdigen Voraussetzungen auf: «Die israelischen Streitkräfte haben die Islamisten zwar nicht besiegt, aber zweifelsohne geschwächt.» Geschwächt, das ist so ein Allerweltswort, wenn man nicht eingestehen will, dass das erklärte Kriegsziel – die Vernichtung der Hamas – zwar auch von Irrwischen wie Markus Somm gefordert wird, aber völlig unrealistisch ist.

Also was tun, Netanyahu? Wenn dem Ministerpräsidenten nichts Besseres einfällt, dann halt das: «Der Zeitpunkt scheint gekommen, um den Sieg zu verkünden und sich zurückzuziehen, sobald die Hamas alle Geiseln freigelassen hat.» Absurde Voraussetzung; wieso sollte die Hamas bedingungslos die Geiseln freilassen? Wobei völlig unklar ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind. Kürzlich veröffentlichte Videoaufnahmen von Bodycams von Hamaskämpfern lassen da Übles ahnen, wenn sie echt sind.

Gut, aber weiter in der Parallelwelt von Münger. Nach Sieg, Freilassung und Rückzug, wie geht’s dann weiter? Da führe dann «kein Weg an der Idee der Zweistaatenlösung vorbei». Die zwar von Netanyahu strikt abgelehnt wird, aber nur in dieser Welt hier.

Am Schluss schwingt sich Münger noch zu einem getragen staatsmännischen Ton auf: «Ein Miteinander zwischen Israelis und Palästinensern ist undenkbar geworden, ein Nebeneinander muss denkbar werden.» Wunderbare Idee, und wie soll das Nebeneinander im weitgehend zerstörten Gazastreifen, im zerstückelten und von illegalen israelischen Siedlungen zerhackten Westjordanland gehen? Sollen dort im Nebeneinander die Ermordung von Palästinensern durch jüdische Siedler auch weitergehen?

ZACKBUM wünscht Tamedia, dass sein Auslandchef nun wieder in tiefes Schweigen zurückfällt. Und das wie ein Mönch in Nepal unverbrüchlich durchhält. Wäre besser so.