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Pfeifen im Wald, Part x

Haben die Berichterstatter kein Gefühl für Peinlichkeit?

Diesmal ist Fabian Fellmann dran. «Seit Sommer 2021 berichtet der Nidwaldner als USA-Korrespondent aus Washington, D.C. Der Politologe lernte den Nachrichten-Journalismus unter anderem bei der Viehschau-Berichterstattung für die lokale Zeitung.»

Schon für eine solche Selbstbeschreibung braucht es unterentwickeltes Schamgefühl. Nun musste Fellmann in den saueren Apfel beissen. Donald Trump hat auch in South Carolina den Caucus gewonnen. Da stimmt für einmal, wenn er sagen würde «huge, gigantic, never before». Denn dort, wo seine letzte verbliebene Konkurrentin mal Gouverneurin war, holte er zwei Drittel der Stimmen – und alle 44 Delegierten. Nikki Haley «gewann keinen einzigen Distrikt – und null Delegierte», muss Fellmann einräumen und bilanziert bitter: «Es war die letzte reale Chance für seine einzige verbliebene Widersacherin, Nikki Haley, dem Platzhirsch noch gefährlich zu werden. South Carolina ist ihr Heimatstaat, sie war dort Gouverneurin, und bei der Vorwahl konnten nicht nur Republikaner mitmachen, sondern auch Demokraten.»

Das ist also keine Niederlage, sondern eine Klatsche, noch schlimmer als das, was dem Staatsanwalt im Vincenz-Prozess widerfuhr. Es ist eine Demütigung, eine krachende Niederlage, da wächst kein Gras mehr. Haley wird dadurch nicht länger zur Verliererin, sie wird zur Witzfigur, bemitleidenswert, Objekt tiefen Bedauerns, Anlass für Fremdschämen.

Oder nicht? Oder nicht, meint Fellmann. Denn er zaubert eine Erklärung aus dem Hut, ungefähr so gesucht wie die Versuche von Flatearthlern, die Erde zur Scheibe zu erklären:

«Warum gibt Haley nicht einfach auf? Weil die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner nicht zufrieden ist mit der Auswahl zwischen dem 81-jährigen Joe Biden und dem 77-jährigen Donald Trump. Und weil die 52-Jährige und ihre Geldgeber einen verzweifelten Kampf führen um die Seele der republikanischen Partei

Äh, selbst wenn das so wäre: offensichtlich sieht aber nur eine kleine Minderheit Haley als Möglichkeit, dieser angeblichen Unzufriedenheit der Mehrheit Ausdruck zu verleihen. Und «verzweifelter Kampf und die Seele»? Seit wann haben Parteien Seelen, und wie verzweifelt müssen diese Geldgeber sein, dass sie weiter Geldbündel zum Fenster rausschmeissen, in einem längst verlorenen Kampf?

Wogegen denn? Na, gegen den Gottseibeiuns: «Er hat weite Teile der Partei seinen persönlichen Interessen unterworfen, er lässt im Kongress die Migrationspolitik sabotieren und die Ukraine-Hilfe blockieren, regieren ist ein Ding der Unmöglichkeit geworden.» Also werden die USA gerade nicht mehr regiert? Im Paralleluniversum Fellmann offensichtlich.

Was tut denn Haley, ausser eine krachende Niederlage nach der anderen einzustecken? «Haley führt Trump damit vor Augen, dass er die politische Mitte nicht aus den Augen verlieren darf.» Obwohl er ohne das sämtliche Delegiertenstimmen einheimst?

Zum Schluss von Fellmanns Irrlichtern war der Titel dieser Serie «Pfeifen im Wald» noch nie so angebracht. Sollte Trump die Wahl verlieren oder über einen der Prozesse stolpern, wolle Haley bereit sein, Tagträumer Fellmann: «Es wären kathartische Momente, die Gelegenheit für Politikerinnen wie Haley und ihre Unterstützer, auf den Ruinen der republikanischen Trump-Partei wieder eine Grand Old Party aufzubauen, die ihren Übernamen einigermassen verdient und mehrheitsfähig ist.»

Ähem, sollte Trump aber gewinnen, dann wäre doch seine republikanische Partei mehrheitsfähig, oder nicht? Macht nix, das hätte doch mit Logik zu tun, pfuibäh. Stattdessen pfeift Fellmann aus dem letzten Loch, beziehungsweise im Wald, beziehungsweise lässt Haley pfeifen: ««Wenn die Zukunft des Landes auf dem Spiel steht, gibt man nicht auf.» Es ist derzeit eines der wenigen ermutigenden Zeichen für den Zustand der ältesten Demokratie der Welt, dass sie im Rennen bleibt.»

Einfach noch zum Verdeutlichen: dass eine Verliererin trotz einer krachenden Niederlage nach der anderen nicht aufgibt, um noch weitere krachende Niederlagen zu kassieren, das sei ein «ermutigendes Zeichen»?

Ein Boxer kassiert einen Kinnhaken nach dem anderen, steht wieder auf und sagt: ein ermutigendes Zeichen. Zack, wird er wieder auf die Bretter geschickt. Steht auf und sagt …

Leider gibt es in der Politik keinen Ringrichter, der einen solchen Irrwisch vor sich selbst schützt.

Die NZZ kann Hintergrund

Wieso ist sie damit so verdammt alleine?

Nachdem der zweitletzte Konkurrent von Donald Trump aufgegeben hat, herrscht allgemeines Rhabarber, was das denn nun bedeute. Ob Trump nun tatsächlich, Himmels willen, als Präsidentschaftskandidat der Republikaner gesetzt sei – oder ob Nikki Haley doch noch eine Chance habe.

Vermutungs- und Hoffnungsjournalismus, Pfeifen im Wald, Wundenlecken, die Journalisten sich selbstverschuldet durch unsinnige Prognosen zugefügt haben. Wildeste «würde, könnte, wenn, unter Voraussetzung, dass»-Turnereien.

Aber erklärt mal jemand, wie denn eigentlich das Vorwahlsystem der Republikaner genau funktioniert, was das für die weitere Entwicklung der Vorwahlen bedeutet? Dagegen spricht schon mal, dass es bei genauerer Betrachtung verdammt kompliziert ist.

Die Caucuses laufen nach verschiedenen Prinzipien ab, «the winner takes it all» gegen Proporzwahlsysteme, wobei eine absolute Mehrheit wieder Auswirkungen haben kann. Letztlich sieht es schwer danach aus, als ob Trump einen totalen Triumph einfahren könnte.

Woher ZACKBUM das weiss? Weil es die NZZ detailliert erklärt. Nolens volens endet der Autor Andreas Rüesch mit der düsteren Feststellung: «Trump könnte sogar einen eigentlichen Vorwahlkantersieg erringen, mit Erfolgen in sämtlichen Gliedstaaten. In der Geschichte der beiden Grossparteien ist dies, abgesehen von wieder antretenden Präsidenten, noch nie jemandem gelungen – und wäre, ohne Trumpsche Übertreibung, «really huge»

Das ist mal eine Analyse und Prognose mit Hand und Fuss. Kann doch gar nicht so schwer sein. Was unweigerlich zur Frage führt, wieso sich die übrigen deutschsprachigen Medien – vor allem auch die Deutschschweizer – dermassen damit schwertun, ihren Lesern inhaltlichen Mehrwert zu bieten?

Hier sind nur Vermutungen möglich, aber doch solche mit Hand und Fuss.

  1. Dem Journalisten ist die Zurschaustellung der eigenen Befindlichkeit wichtiger als die Befriedigung des Leserinteresses.
  2. Der Journalist sieht seine Aufgabe nicht in der möglichst akkuraten Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern in der Beschreibung, wie sie sein sollte.
  3. Der Journalist will nicht rapportieren, was seiner Meinung nach ist, sondern wie es sein sollte, könnte, müsste.
  4. Der Journalist will nicht aufklären, sondern belehren, erziehen, das Richtige vom Falschen trennen, den Konsumenten bevormunden.
  5. Der Journalist möchte seiner schwindenden Bedeutung mit dem Reiten seiner Steckenpferde begegnen. Sei das Wokeness, Genderwahnsinn, Warnung vor einem neuen Faschismus oder Polemik gegen alles, was ihm nicht in den Kram passt.
  6. Der Journalist missbraucht schreiben oder berichten als Selbsttherapie, indem er den Konsumenten mit seiner eigenen Befindlichkeit langweilt.

Es ist eine allgemeine zunehmende Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Brötchengeber, dem Zahler zu verzeichnen. Es ist so eine Haltung, wie wenn der Verkäufer im Laden sagen würde: ach, Sie möchten dieses Produkt kaufen? Sind Sie sicher? Also ich würde das nicht tun. Und haben Sie sich schon mal überlegt, ob es nicht von Kindern in der Dritten Welt hergestellt wurde? Und überhaupt, wollen Sie nicht zuerst meine Meinung zum Produkt und über die Welt anhören?

Ein solcher Verkäufer würde hochkant auf die Strasse gestellt – oder der Laden ginge pleite. Aber im Journalismus …