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Grün vor Neid und Häme

Wenn der Tagi über eine Veranstaltung berichtet, verlässt er den Bereich des seriösen Journalismus.

Simon Widmer «beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Lateinamerika». Vom sicheren Schwerpunkt an der Zürcher Werdstrasse aus. Das lastet ihn aber nicht vollständig aus: «Sein besonderes Interesse gilt dem Aufstieg von populistischen Politikern.» Offenbar weltweit.

Für die Pflege dieses Schwerpunkts hatte er reichlich Gelegenheit, denn im Zürcher Hotel Dolder fand ein Anlass mit dem «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel und dem serbischen Präsidenten Aleksander Vucic statt. Dahin konnte Widmer per ÖV reisen, den Eintritt von 120 Franken ersparte er sich – oder nahm ihn auf Spesen, wenn’s das beim Tagi noch gibt.

Bei der Beschreibung beweist er ein Auge für wichtige Details: es sei ein «vermögendes Publikum» anwesend, «Männer in gut sitzenden Anzügen, Frauen mit Taschen von Louis Vuitton und Gucci». Bevor Widmer zur Beschreibung des Inhalts kommt, macht er zuerst Appell der Anwesenden: «der umstrittene Historiker Daniele Ganser ist da», auch Alt-Bundesrat Blocher, dazu «der Unternehmer und SVP-Politiker Peter Spuhler sowie Milorad Dodik, der Führer der bosnischen Serben, der unter US-Sanktionen steht». Also eigentlich die Haute-Volée und dazu Pfuibäh-Gäste. Das konnte ja nichts werden, bei so einem Publikum.

Das disqualifiziert sich für Widmer schon von Anfang an durch eine höfliche Geste: «Einen solchen Auftritt bekommt Aleksandar Vucic wohl nicht einmal vor Parteifreunden in Belgrad. Als der serbische Präsident mit Veranstalter Roger Köppel einen Saal des Zürcher Hotels Dolder Grand betritt, erheben sich fast alle der rund 500 Zuschauerinnen und Zuschauer und applaudieren.» Für jemanden, der noch nie bei einer Parteiveranstaltung in Belgrad war, eine kühn-absurde Vermutung, die ihm jede seriöse Redaktion sofort aus dem Manuskript gestrichen hätte. Der Tagi publiziert den Stuss.

Dann kann sich Widmer endlich auf den Inhalt konzentrieren. Beziehungsweise, er muss dumme Aussagen von Vucic sogleich korrigieren:

«Dem Westen wirft er mehrmals Heuchelei vor, gerade in der Ukraine-Frage. Regierungschefs würden auf die territoriale Integrität der Ukraine pochen, hätten diese aber in Serbien 1999 ignoriert.»

So nicht, Vucic, schulmeistert Widmer sogleich: «Allerdings sind die Differenzen zwischen dem Krieg gegen die Ukraine und der Nato-Intervention gegen Serbien offensichtlich. Damals griff die Nato ein, um einen drohenden Völkermord zu verhindern.» Tja, Geschichtskentnisse eines Lateinamerika-Spezialisten. Der sich die historische Wahrheit zurechtbiegt – oder schlichtweg nicht kennt. Denn in Wirklichkeit hatte die EU Serbien damals territoriale Integrität zugesagt, dann aber – leider angeführt von der Schweizer Aussenministerin Calmy-Rey – hatten einige, nicht alle EU-Mitglieder die Unabhängigkeit des Mafiastaats Kosovo anerkannt. Ein klarer Bruch der Zusage, so wie Putin die territoriale Integrität der Ukraine zugesagt hatte. Also ein völlig erlaubter Vergleich.

Immerhin muss Widmer einräumen, dass Vucic etwas hat, was Widmer völlig abgeht: «Seine Ausführungen unterbricht Vucic immer wieder mit selbstironischem Humor. «Die Serben wissen immer alles besser, auch wenn wir nichts wissen», sagt er einmal. Ein anderes Mal bezeichnet er sich als «überhaupt nicht charmant – im Gegensatz zu Roger»

Eigentlich ginge es darum, auf über 9000 A Bericht zu erstatten, was an diesem Abend stattfand. Das war eine Rede von Vucic, auf die aber Widmer keinen einzigen Satz verschwendet. Und eine Diskussion zwischen Köppel und Vucic, von der Widmer nur Bruchstücke wiedergibt, die sich für Häme eignen. So war auch der ursprüngliche Titel «Köppel und sein Stargast aus Belgrad» nicht angriffig genug, Er wurde ersetzt durch «Roger Köppel feiert Aleksander Vucic als Friedensbringer».

Dann setzt Widmer zu einer Reise in die Vergangenheit an: «Nicht zur Sprache kommt hingegen Vucics Vergangenheit in den 90er-Jahren. Diese hätte das von Köppel gezeichnete Bild des serbischen Präsidenten auch mächtig angekratzt.»

Sicherlich gibt es da Aussagen und Tätigkeiten von Vucic, die man kritisieren kann. Aber wieso Widmer weit mehr als die Hälfte seines Berichts darauf verschwendet, plus auf weitere Begegnungen Köppels, ist unerfindlich. Der serbische Präsident benützte seinen Aufenthalt in der Schweiz, um sich auch noch mit Bundespräsidentin Amherd und Bundesrat Jans zu treffen. Das kommentiert Widmer so: «Es handelt sich um einen informellen Höflichkeitsbesuch, keinen offiziellen Staatsempfang. Damit zeigt sich, dass Vucic wegen Roger Köppel in die Schweiz kommt, die Schweizer Regierung ist für ihn zweitrangig.» Hat Vucic mit Köppel einen «offiziellen Staatsempfang» zelebriert? Wie absurd kann Häme werden?

In jeder anständigen Redaktion würde spätestens der Ressortchef sagen: Thema verfehlt, was soll das? Papierkorb, nochmal neu, aber diesmal richtig, journalistisch und dem Thema entsprechend.

Im völlig haltlos gewordenen Tagi darf offensichtlich jeder hergelaufene Redaktor sein Mütchen kühlen, grün vor Neid über Köppels Reisebewegungen und Gesprächspartner demagogische Polemik ausgiessen.

Offensichtlich ist Oberchefredaktorin Raphaela Birrer nicht in der Lage, minimale Qualitätsstandards durchzusetzen, höchstens noch ein Schreibverbot. Offensichtlich ist die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi dazu auch nicht in der Lage. Offensichtlich ist es der Führungsriege von Tamedia, mit Absicht oder aus Unfähigkeit, völlig egal, dass mit einer solchen Berichterstattung die Reise in die Bedeutungslosigkeit des Kopfsalatmischmaschs weiter an Fahrt aufnimmt.

Es ist durchaus erlaubt, an Köppel und seinen publizistischen Positionen Kritik zu üben. Das gilt selbstverständlich auch für den serbischen Präsidenten. Aber über «Köppel und sein Stargast aus Belgrad» – nach Aufzählung des Publikums – reine Häme zu giessen, das ist nicht nur unredlich. Es ist dumm und selbstmörderisch.

Dazu passt auch, dass man sogar einen Fotografen an die Veranstaltung schickt und dann ein Bild auswählt, auf dem beide Protagonisten so unvorteilhaft wie möglich aussehen. Aus Copyrightgründen können wir das hier nicht abbilden, aber es ist widerlich demagogisch. So wie der Text dazu.

Dass das in der Gesinnungsblase einiger Tamedia-Leser auf Anklang stösst, ist völlig klar. Es ist allerdings die Frage, wann die «Republik» mit ihrer Abonnentenzahl auf Augenhöhe mit dem Tagi liegen wird. Dauert wohl nicht mehr allzu lange. Vorausgesetzt, der Tagi und sein Kopfblattsalat wird nicht vorher eingestampft.

Lachen mit Tamedia

Schmonzette aus dem Haus der Qualitätsmedien.

Ob das der Gründer der Grünliberalen Partei, der Nationalrat und grosse Kämpfer für die Sache der Ukraine auch lustig findet?

In der grossartigen Rubrik «Alkoholfreier Januar» findet man neben dem nicht minder grossartigen Test von alkoholfreien Bieren (der allerdings schon mehr als eine Woche dort hängt und langsam nach alten Socken riecht) brandneu einen Beitrag über Martin Bäumle.

Nicht nur, dass der von Selenskyj nicht empfangen wurde (Kritik verträgt der grosse Freiheitskämpfer nämlich nicht). Zu dieser Schmach findet sich Bäumle nun noch unter der Rubrik «alkoholfreier Januar». Was will uns Tamedia damit sagen?

Empfiehlt sie dem Politiker, im Januar weniger tief ins Glas zu schauen? Man weiss es nicht, man wird es – wie so vieles – nie erfahren. Oder war es so, dass ein Produzent von Tamedia diesem Ratschlag eines alkoholfreien Januars nicht folgte?

PS: Die Lektüre von ZACKBUM lohnt sich – auch für Online-Produzenten von Tamedia:

«Wein ohne Alkohol» statt Bäumle ohne Selenskyj. Nüchtern betrachtet ist das passender …

Haut die Wagenknecht

Medien als Meinungsträger statt Berichterstatter.

Hand aufs Herz: wie viele Teilnehmer hatte die Friedensdemonstration letzten Samstag in Berlin? Waren es 13’000, wie die Polizei und viele Medien behaupten? Waren es 50’000, wie die Veranstalter und wenige Medien behaupten? Oder waren es «viele tausend» worauf sich Tamedia und andere Schweizer Medienkonzerne zurückziehen?

Es erinnert etwas an eine Anti-Coronapolitik-Demonstration zu Bern, als die Schweizer Medien nur knirschend und unter Druck einräumten, dass sie mit der Zahl der Teilnehmer schwer untertrieben hatten. Als ob es heutzutage nicht bis auf den Kopf genau möglich wäre, die Anzahl Teilnehmer an einer Manifestation zu bestimmen.

Aber das ist ja nur ein Aperçu im Rahmen der ausgewogenen Berichterstattung über die Ziele dieser Manifestation. Inzwischen haben, wie der Autor René Zeyer, fast 700’000 Menschen das «Manifest für den Frieden» unterschrieben, während Gegenmanifeste (und Gegenmanifestationen) lediglich ein paar Verkrümelte mobilisieren konnten.

Aber das alles ist für die Leitmedien kein Anlass, wenigstens korrekt über Absichten, Ansichten, Reden und Inhalte zu berichten. Um dann anschliessend den Senf dazu zu geben. Zunächst einmal geht es gegen die beiden Initiantinnen. Alice Schwarzer, die für die Emanzipation der Frauen im deutschen Sprachraum alleine mehr getan hat als alle sogenannten Feministinnen in der Schweiz zusammen, kann von ihrem Renommee her nicht so einfach weggeräumt werden. Also wirft man ihr vor, sie habe doch keine Ahnung von Politik und solle sich gefälligst weiter um Frauenfragen kümmern.

Das geht nun bei Sahra Wagenknecht schlecht. Also wird ihr von ihrer politischen und sozialen Genese in der ehemaligen DDR, über angebliche Verherrlichung des Stalinismus bis hin zu Moskauhörigkeit und dem Handeln als nützliche Idiotin Putins so ziemlich alles vorgeworfen, mit dem man eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeiden kann.

Eine herausragende Rolle bei all diesen Denunziationen spielt auch, dass sich angeblich «vereinzelte Rechte und Rechtsradikale unter die Teilnehmer gemischt» hätten. Die Mitbegründer der deutschen Grünen, Petra Kelly und Gert Bastian, bekämen das grosse Kotzen, würden sie noch leben, wenn sie das Gewäffel des grünen Vizekanzlers Robert Habeck hören müssten: «Das ist kein Frieden, das ist eine Chimäre, die da aufgebaut wird, das ist eine politische Irreführung der Bevölkerung

Selbst aus ihrer eigenen Partei, der «Linken», wird Wagenknecht angegriffen, so behauptet die stellvertretende Parteivorsitzende: «Aber diese Demonstration hatte nichts mit linker Politik, gar mit linker Friedenspolitik zu tun

Besonders sauer stossen kriegerischen Friedenstauben Sätze von Wagenknecht wie dieser auf: «Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener russischen Frauen und Männer geschossen wird, deren Urgrosseltern tatsächlich von der Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden.»

Ds ist nun eine durchaus vertretbare Position, über die man, wie über den gesamten Inhalt des Friedensmanifests, trefflich inhaltlich streiten könnte. Stattdessen werden selbst die absurdesten Behauptungen aufgestellt: «Gleichsetzungen von Baerbock mit Hitler, wie sie unter den Teilnehmenden zu sehen waren, wurden nicht von der Bühne zurückgewiesen. In meinen Augen eine unfassbare Relativierung des Faschismus.»

Es ist also die Aufgabe einer Demonstrationsleitung, jedes einzelne Plakat einer Massendemonstration auf seine Korrektheit zu überprüfen und – sollte es durchfallen – von der Bühne aus zu kritisieren? Das könnte Anlass für eine saukomische Satire sein, wenn es nicht so beelendend mies und denunziatorisch wäre.

Nochmal Hand aufs Herz: welcher Leser könnte – nach Lektüre der Mainstreammedien und aufmerksamer Beobachtung der Berichterstattung im Schweizer Farbfernsehen – die wichtigsten Forderungen der Demonstration wiedergeben? Wer könnte eine Zusammenfassung der dort gehaltenen Reden machen? Wer kann behaupten, ein realitätsnahes Bild der politischen Verortung der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer erhalten zu haben?

Positionen wie diejenige von Wagenknecht und Schwarzer, Ansichten der Hunderttausenden von Unterzeichnern und Zehntausenden von Demonstrationsteilnehmern können falsch sein, kritisiert werden, argumentativ in der Luft zerrissen.

Nur findet das nicht statt. Es wird auf den Mann, Pardon, auf die Frau gezielt, nicht auf deren Argumente. Es wird unterstellt, assoziiert, es werden angebliche Haltungen («moskauhörig») unterstellt. Ist die Vermutung abwegig, dass das alles aus Mangel an Gegenargumenten geschieht?

Ist die Vermutung abwegig, dass diese Art der Berichterstattung wieder ein Schlag ins Kontor ist, was das wichtigste Asset der Medien betrifft? Nämlich ihre Glaubwürdigkeit als Bote, wo sich der Botschafter mitsamt seinen Ansichten nicht wichtiger nimmt als die Nachricht selbst.

Denn Wertungen und Kritiken nimmt man doch nur demjenigen ab, der zuvor bewiesen hat, dass er in der Lage ist, ein Ereignis korrekt zusammenzufassen und seine wichtigsten Elemente dem Leser mundgerecht zu servieren. Aber wer die Nachberichterstattung schon mit diesem Lead beginnt, hat bereits verloren:

«Selbst in der eigenen Partei hagelt es Kritik für die prominente Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrem sogenannten «Manifest für Frieden»».

Und die Zustimmung in der eigenen Partei? Und wieso «sogenannt»? Hat das auch nur im entferntesten mit handwerklich korrektem, professionellen, kompetenten Journalismus zu tun? Die Frage stellen, heisst sie beantworten.