Wenn die NZZ gründelt,
dann bräuchte es etwas mehr Niveau …
Die gute Nachricht war, dass die Westentaschenphilosophin Barbara Bleisch bei Tamedia aufgegeben hat. Dafür hat aber die NZZ den Hosentaschenphilosophen Peter Strasser. Der versucht immer wieder, vor sich hin zu geistreicheln. Allerdings die Voraussetzungen …
Das ist natürlich eine ganz gewichtige Frage, so knapp hinter «woher komme ich, wer bin ich, wohin gehe ich?». Zunächst muss Strasser beklagen, wie schon so viele vor ihm (und so viele nach ihm), dass die Zeiten nicht mehr so sind wie früher: «Die systematische Enthemmung von Hass und Gewalt, die sich heute an allen Ecken und Enden der Welt manifestiert, wirft erneut die Frage nach dem Bösen auf. Sie schien in Zeiten des Fortschritts obsolet geworden.»
Welche Zeiten des Fortschritts meint er da wohl? Die Zeiten der Aufklärung, die in Blutbädern im Namen des Guten endeten? Gar die Zeiten des letzten Jahrhunderts, wo es bis heute unerreichte Enthemmungen von Hass und Gewalt gab?
Aber das «laufende Kant-Jahr» plus «die gegenwärtige Weltlage» gebe Anlass, «wieder ausführlicher über das Böse nachzudenken». Das mag sein, allerdings ist ein wenig Biologismus à la Lorenz, der unvermeidliche und wenig ausgelotete kategorische Imperativ von Kant und die unvermeidliche «Banalität des Bösen» bei Hannah Arendt vielleicht eine gar dünne Suppe. Dass Cesare Lombroso vom «geborenen Verbrecher» fantasiert hatte, ist zwar richtig. Dass er den allerdings an körperlichen Merkmalen wie eine besondere Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen identifizieren wollte, schuf nicht nur die Grundlagen für die wahnhaften Rassentheorien der Nazis, sondern ist blühender Unsinn.
Auch der Abstecher zu Kant, gespiegelt an einer geschmäcklerischen Kritik Goethes, gerät doch arg kurz. Denn wohl kaum ein moderner Philosoph hat sich so umfangreich mit dem Problem des Bösen und des Guten beschäftigt, um zur pessimistischen Aussage zu kommen: «Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.»
Vor etwas dickeren Brettern schreckt Strasser allerdings zurück, deshalb lässt er Hegel beiseite: «Das Gute ist überhaupt das Wesen des Willens in seiner Substantialität und Allgemeinheit – der Wille in seiner Wahrheit; – es ist deswegen schlechthin nur im Denken und durch das Denken.» Darüber müsste man nun ein Weilchen nachdenken, um es auch nur umrissartig zu verstehen.
Stattdessen verliert sich Strasser lieber in der altbekannten Typologie der psychopathischen Persönlichkeiten; im Wesentlichen unterschieden als solche, die im Wissen um das Böse ihres Tuns handeln – und solche, denen diese Fähigkeit abgeht.
Daran geistreichelt er dann herum: «Das radikale und das strategisch Böse verkörpern zwei Arten der Unmoral, die ineinanderfliessen und dabei doch unterschiedlich wahrgenommen werden.» Es ist immer super, wenn man zur Begriffserklärung (radikal oder strategisch) ein weiteres Kriterium (Unmoral) herbeizieht, das man verabsäumt zu definieren. Daraus entsteht dann erkenntnistheoretischer Brei, philosophischer Dünnpfiff.
Ergänzt um das Beklagen garstiger Zustände: «Kriege und Konflikte prägen das Bild der heutigen Welt, statt Völkerverständigung herrscht Völkerfeindschaft.» Im Gegensatz zu welcher Welt? So ausserhalb des Paradieses? Dann schmeisst Strasser, weil das immer gut kommt, noch einen Sprutz Habermas in seinen Brei:
«Wenn aber Europa und die USA sowie jene Länder, welche die «Kontur des Westens» (Habermas) mitformen, die Freiheit ihrer demokratischen Gesellschaftssysteme und die humanen Errungenschaften der Aufklärung aufrichtig in die Zukunft retten wollen, dann dürfen sie vor den Gewalten des Bösen, wie und wo immer sich diese manifestieren, nicht zurückweichen.»
Die humanen Errungenschaften der Aufklärung in die Zukunft retten? Dafür seien nur die Länder Europas, die USA und ganz wenige weitere auserwählte fähig? Welch ein Rückfall in platten Eurozentrismus.
Aber all das ist nicht das Schlimmste an diesem Essay. Das verbirgt sich im letzten Satzteil. Diese «westliche Kontur» (meine Güte, wie kann man den armen Habermas mit seiner intelligenten Diskursethik nur so flachklopfen) ist vereinfacht gesagt das Gute. Das muss den «Gewalten des Bösen» entgegentreten. Die verkörpern sich in eigentlich allen anderen. insbesondere in Russland, China, der arabischen Welt.
Ob allerdings «das Bessere» (was ist denn das schon wieder?) siegen werde («nicht zuletzt dank neuer innerer Geschlossenheit und wiedererlangter militärischer Stärke»), das sei dann «eine Frage, auf die es zurzeit keine Antwort gibt».
Aber die alles entscheidende Frage bei einer Abhandlung über das Böse, die lässt Strasser weg. Unbeantwortet. Was dieses Essay zu einem ärgerlichen Flop macht. So sehr er sich auch bemüht, ein paar Gedankensplitter zum Bösen zusammenzutragen: wie definiert sich dann eigentlich das Gute? Ausserhalb religiöser Wahnvorstellungen gibt es keine absolute Sicherheit darüber.
Noch wichtiger: gibt es eine Grenze, wo das Gute (vorausgesetzt, wir können uns auf eine kursorische Definition einigen) ins Böse umschlägt? Heiligt der gute Zweck die bösen Mittel? Ist es nicht vielmehr so, dass meistens nicht im Namen des Bösen, sondern im Namen des Guten unvorstellbare Gräueltaten vollbracht wurden? Ist das vermeintliche Wissen um das absolut Gute nicht gleichzeitig Ausdruck des absolut Bösen? Ist das nicht die dunkle Seite der Aufklärung, die Philipp Blom in seinem brillanten Essay «Gefangen im Panoptikum» glänzend dargestellt hat?
Das sei allen, die durch diese brackigen Gewässer voller philosophisch Abgestandenem gestolpert sind, herzlich zur Lektüre empfohlen.