Der gemässigte Trump
Gaga-Biden hat aufgegeben, Amok-Trump macht weiter.
Donald Trump lässt kein Fettnäpfchen aus; und wenn keins rumsteht, stellt er’s selber hin. Dass ihn die Kugel eines Attentäters knapp verfehlte, das interpretiert er als Zeichen Gottes, der alte Heuchler, der sich auch schon mit Bibelfanatikern in frommem Gebet ablichten lässt. Oder mit der Bibel in der Hand, obwohl er auch in diesem Buch noch keine Zeile gelesen hat.
Der Mordanschlag habe ihn «auferstehen» lassen, frömmelt der WeWo-Chef Roger Köppel, der auf seine älteren Tage hin auch immer mehr zum Gottesfürchtigen mutiert. Trump sei nun sanfter, zurückhaltender, einfach noch besser geworden.
Blöd nur, dass Trump halt Trump bleibt, wenn man ihn lässt. Weicht er von seinem Redemanuskript ab, das auch er vom Teleprompter abliest, dann perseveriert er plötzlich über Hannibal Lecter, ohne dass es einsichtig wäre, was er damit meint.
Richtig sauer ist Trump, dass ihm sein Lieblingskonkurrent Joe Biden abhanden gekommen ist. Vom Zweikampf seniler Alter gegen Amok-Alter ist nur noch einer übriggeblieben. Also redet sich Trump schon mal gegen seine neue Konkurrentin warm: «Ich nenne sie lachende Kamala», polterte er bei einer Wahlveranstaltung gegen Harris los.
«Man kann sehr viel aus einem Lachen schliessen. Sie ist verrückt («crazy»), sie ist plemplem («nuts»).»
Mal schauen, zu welcher Diagnose wir bei diesen Aussagen kommen: «staatsmännische Würde … eine Art Wiedergeburt. Zum Guten? … bewährte sich als Held … reckte er, nicht zu bändigen, in unbesiegter Kämpferpose seine kraftvoll geballte Faust empor … eigenes Heldengemälde in Echtzeit … eine Schicksalsfügung Gottes … Das gottlose, heuchlerische Frömmlertum sah in Trump den Teufel …»
Mal Hand aufs Herz: ist solches Lobhudeln nicht crazy und nuts? Kann man den Autor solch wahnhafter Anbetung noch ernst nehmen? Ist sein Reflex, immer gegen den Strom zu schwimmen, aus Prinzip und ohne Reflexion, ausreichend als Entschuldigung?
Die NZZ sieht neuerdings in Donald Trump ein politisches Genie. Viele versuchen, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Wie kann es sein, dass ein vielfach gescheitertes Grossmaul mit der Moral eines Strassenköters («you can grab ‹em by the pussy»), ein Lügner, ein Greis mit absonderlicher Frisur und merkwürdiger Gesichtsfarbe, ein TV-Star, ein Narzisst, ein Heuchler, dazu völlig ungebildet, weitgehend kenntnisfrei, was die amerikanische oder die Weltgeschichte betrifft, Präsident der USA werden konnte?
Wie kann es sein, dass er – obwohl er seine letzte Niederlage bis heute leugnet, einen Mob zum Sturm aufs Capitol anstachelte, vergeblich versuchte, sich zusätzliche Stimmen zu bescheissen – nochmals antritt, im auch nicht mehr jugendlichen Alter von 78, und nicht nur begeisterten Zuspruch erfährt, sondern mit null Programm oder Vision nochmals eine gute Chance hat, gewählt zu werden?
Dass grosse Teile der US-Stimmbürger für ihn sind, ist mit mangelhaften Alternativen zu erklären. Mit dem Ennui über ein Politsystem in Washington, das dysfunktional, korrupt und völlig abgehoben funktioniert.
Aber wie können ansonsten zurechnungsfähige Journalisten in Hirnstarre und Schnappatmung verfallen, wenn sie über ihn berichten? Die einen, wenigen, weil sie ihn bewundern, geradezu anhimmeln. Die anderen, vielen, weil sie Schübe und Wallungen kriegen, wenn sie nur seinen Namen hören.
Das Grossmaul verspricht allen alles, so will er sämtliche internationalen Konflikte lösen, die USA wieder gross machen, illegale Einwanderung stoppen, Sachen reparieren, die gar nicht kaputt sind. Dabei äussert er sich unflätig über alle, die nicht auf seiner Seite sind – oder die es mal waren, sich aber mit Grausen abwandten, wie viele seiner Helfershelfer.
Und so eine Witzfigur hat ernsthafte Chancen, zum zweiten Mal zum Präsidenten der stärksten Militärmacht und noch stärksten Wirtschaftsmacht der Welt gewählt zu werden. In die mächtigste Position, die zu vergeben ist. Mit der Möglichkeit, einen Atomkrieg anzufangen. Sprunghaft Geschirr zu zerschlagen, ungeniert eigene Interessen (oder die seines Familienclans) mit den Möglichkeiten seines Amts zu verquicken (wie es auch schon der aktuelle Präsident tut).
Die Journaille scheitert regelmässig daran, dieses Phänomen zu erklären. Das beweist, dass auch hier das Niveau bedenklich gesunken ist. Wenn ein Artikel mit dem Satz beginnt: Unser Redaktor ordnet ein, weiss der kundige Leser, dass er weiterblättern oder scrollen sollte. Aber wohin nur?