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Gesinnung statt Meinung

Zum Trio Infernal des Elendsjournalismus gehört der Kommentar.

Die Verarbeitung von Listen, die Erstellung von Rankings und der Faktencheck sind schon mal zwei Elendsgebiete des aktuell auf der Intensivstation liegenden Journalismus.

Zusammen mit Agenturmeldungen, zusammen mit Einheitssauce aus Zentralredaktionen, zusammen mit der Übernahme ausländischer Korrespondentennetzen, zusammen mit der Einsparung des Lokaljournalismus sind das deutlich sichtbare Krankheitssymptome.

Auch die schöne, alte Tradition, dass der Journalist die Käfighaltung in seinem Grossraumbüro, Pardon, im «Newsroom», verlässt, um seiner Aufgabe nachzugehen, wozu, es gibt doch Google, Videokonferenzen und auch das gute alte Telefon.

Von nichts eine Ahnung, zu allem eine Meinung

Zudem: Rausgehen kostet, vernichtet viel kostbare Zeit, die der Redaktor besser verwendet, indem er mindestens drei Online-News und noch Beigemüse rauspustet. Reportage ist sowieso so was von gestern. Heute ist: übernehmen, schütteln, anreichern und kürzen, und rein damit, ein neues Stück Qualitätsjournalismus.

Aber neben all dem, und etwas Aufmunterung muss ja sein, wuchern auf einem Gebiet die Erzeugnisse, als gäbe es keine Medienkrise. Dieses Gefäss kommt auch der Grundeinstellung jedes Journalisten entgegen. Denn er hat ja eigentlich von nichts eine Ahnung, weiss aber dennoch alles besser.

Stellen wir uns nur einmal vor, in welch paradiesischer Welt wir leben würden – wenn die Welt nur auf die Meinungen und Kommentare der Journalisten hören würde. Wir lebten dann in der beste aller Welten, von der schon Leibniz träumte. Wer war das schon wieder? Egal, viel wichtiger ist:

Würde die Welt nur auf die Journalisten hören

Trump? Hätte es nie gegeben. Flüchtlingskrise? Das Wort wäre nie geboren worden. Pandemie? Die wäre schon längst und eigentlich geräuschlos verschwunden. Entscheidungen von Politikern, Unternehmensführern, überhaupt von mächtigen Menschen? Selten gut, selten richtig.

Meistens «hätte man», «müsste man endlich», wäre es «höchste Zeit», ist es geradezu «uverständlich», ja «fahrlässig», schlichtweg «falsch», mindestens «kurzsichtig». Aber das ist ja längst nicht alles. Hier geigt der Journalist unermüdlich allen und der Welt, was alles falsch gemacht wird, was dringend anders gemacht werden müsste.

Soweit, so schlecht. Jeder darf haftungsfrei und verantwortungslos was reinbellen. Wenn er ein Megaphon dafür hat, umso besser. Aber in den letzten Jahren, seit die Welt immer unübersichtlicher geworden ist, multipolarer, wie man das akademisch nennt, Philosophen sprechen sogar von einer überkomplexen Wirklichkeit, steigt gleichzeitig das starke Bedürfnis nach Orientierung. Nach Koordinatensystemen beim Kartographieren dieses chaotischen Haufens namens Erde.

Nur eine Meinung? Nein, eine Gesinnung

Und, so ist der Mensch, umso einfacher, desto lieber. Also ja nicht zu kompliziert; die Welt ist es schon genug. Es muss einfach und klar sein. Wie macht man das? Na, einfach: indem man in dem Kommentar nicht einfach zwischen richtig und falsch unterscheidet. Sondern dahinter Gesinnungen denunziert.

Jemand, der zum Beispiel auch gute Eigenschaften bei Trump sieht, der liegt nicht einfach damit falsch. Ist nicht einfach ein Depp. Also einer von 70 Millionen Deppen, die ihn doch tatsächlich wiederwählen wollten. Nein, wer das sagt, zeigt damit seine Gesinnung. Er meint nicht einfach etwas – ob richtig oder falsch –, er ist etwas.

Und zwar nichts Angenehmes. Er hat noch Schwein, wenn er mit der Qualifizierung «Populist» davonkommt. Schreckt er nicht vor weiteren Dummheiten zurück, entwickelt er sich zu einem Rassisten, Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretiker, Neo- oder Altnazi, Fremdenfeind, kurz: zum Unmenschen.

Die Sicherheit des unfehlbaren Urteils

Woher nimmt denn der Kommentator die Sicherheit seines unfehlbaren Urteils? Nun, er speist es aus zwei Quellen. Dem tiefsitzenden Frust, dass er (und seine Meinung) immer unwichtiger werden. Dass es selbst dem «Spiegel» nicht gelingt, Trump «wegzuschreiben», wie es seine erklärte Absicht war. Das ist natürlich bitter, wenn der weltverändernde Kommentar nicht mal mehr von Kollegen gelesen wird.

Die zweite Quelle ist die unfehlbare Sicherheit aus moralischer Überlegenheit. Wer weiss, was gut und böse ist, weiss auch, wo das Böse lauert und dass man dem im Kampf fürs Gute sofort und streng Einhalt gebieten muss. Wobei klar ist: Böses sagt man nicht einfach so. Böses sagen nur böse Menschen. Schlechte Menschen. Unbelehrbare Menschen. Deshalb muss man sich auch gar nicht inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen. Kategorisieren reicht, dann kann es nur noch darum gehen, diese Gesinnungslumpen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschliessen.

Rein in die Framing-Kiste

Erkenntnis durch Debatte, Streitgespräche, das Aufeinanderprallen angeschärfter Argumente? Ach was, das ist so old school wie eine Reportage. Und überhaupt, wie soll man sich denn in 15 Minuten mit einer anderen Meinung auseinandersetzen können? Dann muss der Kommentar nämlich fertig sein. Also rein in die Framing-Kiste: Wer das sagt, der ist das. Und mit dieser Gesinnung sollte er möglichst schnell einfach die Schnauze halten. Der Böse.