Wer hat Angst vor dem gelben Mann?
Ist denn alles schlecht und unerhört oder was?
Nehmen wir ein paar ausgewählte Dekrete, die Donald Trump bereits am ersten Tag seiner Amtszeit unterzeichnet hat:
- eine 90-tägige Pause in Entwicklungshilfe, um deren Sinn zu bewerten.
- Offiziell soll es nur zwei Geschlechter geben: männlich und weiblich
- Ausstieg aus der Weltgesundheitsorganisation
- Kündigung des Pariser Klimaschutzabkommens
- Nationaler Energienotstand
- Überprüfung, ob sich China an das bilaterale Handelsabkommen hält
- Kartelle von Drogenhändlern, Waffenschmugglern und Menschenhändlern sind ausländische Terrororganisationen
- Abschiebung von Migranten ohne Bleiberecht, nationaler Notstand an der Südgrenze
Ist doch alles nicht nur blöd. Oder doch?
«Unberechenbar … verurteilter Straftäter … Beleidiger in Chief … nichts für alternde Männer … auf Kollisionskurs … am Ende als Sieger dastehen … katastrophale Auswirkungen … furchtbar … sprunghaft … Familienclan … Pate … gefährlich … gefährlicher … der gefährlichste Mann der Welt». Usw.
Kann man alles über Trump sagen, und einiges stimmt sogar. Aber ist das eine adäquate Reaktion auf seine ersten Handlungen im Amt? Statt Charakterstudien am untauglichen Objekt zu betreiben, wo liest man, was Trump in seiner zweiten Präsidentschaft genau vorhat? So weit er das selber weiss.
Wo liest man, dass die USA seit ihrer Gründung immer ein Staat mit viel Licht und viel Schatten waren? Am Anfang stand die fast vollständige Ausrottung der Indianer. Wohl noch niemals so brutal und wahrhaftig dargestellt wie in der Netflix-Serie «American Primeval». Nur für Hartgesottene geeignet.
Die meisten US-Präsidenten waren der Auffassung, dass die USA nicht nur «God owns Country» sei, sondern dass sie selbst im Auftrag und mit dem Segen einer höheren Macht handeln. Nicht nur Trump.
Sobald die Gringos zur Wirtschaft- und Militärmacht wurden, waren sie ein imperialistischer Staat. Die Philippinen, Kuba, ganz Lateinamerika ist unser Hinterhof, wir putschen sie weg oder töten uns unliebsame Regierungen. Wir begehen in Vietnam Kriegsverbrechen ohne Zahl und übernehmen dafür bis heute keine Verantwortung. Wir verwandeln Länder wie den Irak, Syrien oder Libyen in Schlachtfelder, erfinden eine Achse des Bösen und Massenvernichtungswaffen.
Wir unterhalten über 1000 Militärbasen überall auf der Welt, unser Rüstungsbudget ist so gross wie das der nächsten zehn Staaten der Welt zusammen. Wir haben die besten und grössten Geheimdienste um die NSA, CIA und andere Banden herum. Wir haben kulturimperialistisch Westeuropa eingenommen und mit unseren Werten und Unwerten durchtränkt.
Wir waren und sind der festen Überzeugung, dass am American Way of Life die Welt genesen muss. Wir sind überzeugt, dass unsere Auffassung von Freedom and Democracy die einzig richtige ist, die die Welt ins Paradies führt. Deren Ablehnung fatal falsch ist. Wir haben kein Problem damit, grosse Heuchler zu sein. Wir verurteilen Folter aufs entschiedenste und betreiben einen rechtsfreien Raum auf unserer Militärbasis Guantánamo auf Kuba. Wir scheissen drauf, dass die kubanische Regierung seit 1959 deren Rückgabe fordert.
Wir lassen Gefangene nach Polen oder Ägypten ausfliegen, damit sie dort gefoltert werden können. Wenn wir das nicht selbst tun wie in Abu Ghuraib. Wir verwenden unsere Weltwährung Dollar dafür, andere Staaten und weltweit Banken zu erpressen. Wir sind gegen Geldwäsche, Schwarzgelder und schmutziges Geld. Aber wir schliessen uns nicht dem Automatischen Informationsaustausch (AIA) an, sondern haben eine Datenkrake namens Fatca installiert, die alle Finanzdienstleister auf der Welt verpflichtet, uns Zugang zu allen Informationen zu verschaffen.
Wir betreiben die grössten Geldwaschmaschinen und anonyme Aufbewahrungsbunker für Gelder jeglicher Herkunft auf der ganzen Welt.
Und selbst unser Friedensnobelpreisträger Obama autorisierte wöchentlich eine Kill List, die Ermordung von allen, die des Terrorismus verdächtigt werden. Überall auf der Welt, denn wer kann uns zur Rechenschaft ziehen? Wenn mal eine ganze Hochzeitsgesellschaft dran glauben muss: sorry, shit happens. Wir anerkennen nicht die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs für Menschenrechte. Wir sind ganz einverstanden damit, dass der Putin anklagt, obwohl auch Russland ihn nicht anerkennt. Wir halten es für eine Riesensauerei, wenn auch Netanyahu angeklagt wird.
Wir sind das letzte Mal 1989 in Panama einmarschiert und haben das Operation «Just Cause» genannt, gerechte Sache. Weil wir immer nur und ausschliesslich gerechte Sachen vertreten, per Definition. Und wer das anders sieht, muss sich warm anziehen.
Wir halten bis heute den Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger in hohen Ehren, obwohl das ein Kriegsverbrecher und skrupelloser Machtmensch war. Oder kurz: alles, was wir tun, ist richtig und erlaubt. Alles, was uns nicht in den Kram passt, ist falsch und verboten.
In dieser Tradition ist Trump nun doch keine Ausnahme, sondern einfach ein etwas unverblümterer Exponent als seine Vorgänger.
Wieso liest man eine solche Einschätzung nirgends? Wieso sind solche Aspekte nicht Bestandteil der öffentlichen Debatte? Wieso muss stattdessen bis zum Erbrechen wiederholt werden, was für ein charakterlich defekter Mensch Trump ist?