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Die Macht des Unerträglichen

Der Fotograf der wuchtigen Wahrheit ist tot.

Sebastiáo Salgado (1944 – 2025) lebt weiter. Wer einmal seine Schwarzweissgemälde der Goldschürfer in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada gesehen hat, bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf. So wie diese gequälten Menschen in die Tiefen steigen, um ihr Leben für ein bisschen Überleben zu riskieren, so stieg er in die Abgründe der Welt.

«Arbeiter», «Exodus», «Genesis», das ist zur Zeitlosigkeit geronnene Realität. Langzeitprojekte des Magnum-Fotografen, der schwarzweiss der Wirklichkeit zur Kenntlichkeit verhalf.

Kaum jemand konnte so wie er alle Nuancen zwischen tiefem Schwarz und sehr wenig Weiss so begnadet zu Kunstwerken verdichten, wie es wohl zuvor nur Goya mit seinen «Desastres de la Guerra» (Die Schrecken des Krieges) oder seinen «Pinturas Negras» (14 Schwarze Bilder) vollbrachte.

Die Ästhetik und die vollkommene Komposition der Bilder von Salgado sind nie l’art pour l’art, sondern einfach perfekte Beherrschung des Handwerks, das einem höheren Zweck dienen soll. Jede Aufnahme ist wie eine Axt für das gefrorene Meer in uns.

Während wir von Fotos übersättigt sind, können wir uns an seinen Werken nie sattsehen. Sie sind Beispiele der höchsten Kunst, die immer über sich hinausweist, mehr enthält, als das Bild zu fassen vermag. Im Auge des Betrachters lebendig wird, obwohl es «nur» ein Abbild ist.

Ein reiner Zufall verschaffte ihm das Startkapital für seine jahrelangen monumentalen Erkundungen. 1981 war er dabei, als ein Attentäter auf den damaligen Präsidenten Ronald Reagan schoss. Sein Bild des am Boden überwältigten Schützen ging um die Welt. Dabei hatte er den Auftrag nur widerwillig angenommen, die Darstellung der ersten hundert Tage des Präsidenten interessierte ihn eigentlich nicht.

Seine Bilder von den durch Saddam Husseins Soldaten in Brand gesetzten Ölquellen in Kuwait gaben mit anderen Mitteln als denjenigen von Hieronymus Bosch eine Ahnung von Endzeitlichkeit, von einer Hölle auf Erden.

Als wollte er einen Gegenpol dazu schaffen, arbeitete er von 2004 bis 2013 an seinen letzten grossen Projekten «Genesis» und «Amazônia». Zurück zum Ursprung, zur unberührten Natur, wo sie noch zu finden ist. Hier zeigt er, dass man mit Schwarzweiss bunte Vielfalt und Schönheit einfangen kann, wie es einer Farbfotografie nie gelänge.

Wer durch seine Bildlandschaften wandelt, ist sich nicht mehr sicher, ob die Welt wirklich farbig ist oder in Wirklichkeit so, wie er sie einfing. Aus der Distanz der Einfarbigkeit entsteht Nähe, welch eine meisterhafte Kunst.

Salgado war ein Mann mit einer Mission. Ein Verzweifelter auch, der zu viel gesehen hatte, aber niemals die Augen schliessen konnte. Jedes seiner Werke vor «Genesis» ruft: schau hin, schau dir das genau an. Wie kannst du das nur aushalten? Wie halten es die Menschen aus, denen er in all ihrer Verzweiflung Würde verlieh. Deren Abbilder sie überdauern, wo sie doch schon längst ins Grab gesunken sind.

Der Brasilianer Salgado war selbst ein Entwurzelter, er wuchs auf der Fazenda seiner Eltern auf, studierte Wirtschaftswissenschaft an der Universität von Sao Paulo. Als in Brasilien eine Militärdiktatur die Macht übernahm, emigrierte er nach Paris, das bis zu seinem Tod sein Hauptwohnsitz bleiben sollte.

Seine Sprache sei das Licht, sagte er, und er meinte, dass er Licht in all die dunklen Gebiete der Erde werfen könnte, wo die Elenden, die Geschundenen und die Verdammten sich an ihr kümmerliches Leben klammern.

Auch er konnte die Welt nicht verändern, aber konnte unbestechlich und mit Mitgefühl uns zeigen, wovor wir lieber die Augen verschliessen. Schwarzweiss gab ihm selbst die Möglichkeit, das zu ertragen, was eigentlich unerträglich ist. Nachdem er das über Jahrzehnte getan hatte, suchte er mit seinem Projekt «Genesis» einen Ausgleich dazu. Auch wenn es klar ist, dass er gefährdete Paradiese fotografiert, ihnen ein Denkmal setzt, für all die Zeiten, wenn sie nicht mehr existieren.

Vielleicht noch der Kriegsreporter James Nachtwey vermag mit seinen Fotos uns so zu berühren, wie es Salgado konnte. Die Frage, wie hat er das nur gemacht, ist einfach zu beantworten. Er ist hingegangen, hat sich ausgesetzt, mitgelebt, mitgelitten, bis er in seine Seele aufgenommen hatte, was diejenigen erleiden, die er dann fotografiert. Als wär’s ein Teil von ihm selbst.

Und der Rest entsteht, wenn ein Genie am Werk ist.

Glücklicherweise hat sich der Taschen Verlag entschieden, seinen monumentalen Bilder in monumentalen Büchern Raum zu geben. Mindestens ein Band gehört in jede anständige Bibliothek.

Die Trauer über seinen Tod wird gemildert durch das Wissen, dass es ihm vergönnt war, seinen weltumspannenden Bogen abzuschreiten und am Schluss vielleicht sogar so etwas wie Erlösung zu finden. Das tröstet auch uns. Und solange Menschen sehen können, werden sie seine Werke begleiten. Mit der Macht des Unerträglichen.

Wumms: Igor Kravarik

Das kann auch dem besten Karikaturisten passieren.

Was für Journalisten gilt, gilt auch für Karikaturisten. Manchmal hat man einfach keine Idee, und dann will man sie trotzdem ausdrücken. Dabei kommt dann so etwas heraus:

Man kann nicht einmal von einer Fälschung des Originals sprechen:

Diese «pintura negra» des alten und desillusionierten Malers Goya zeigt, wie Gott Saturn eines seiner Kinder verspeist. Nach der Mythologie soll ihm geweissagt worden sein, dass er dereinst von einem eigenen Kind gestürzt werde. Was dann Jupiter auch gelingt, der diesem Massaker entkam.

Was will uns nun der Karikaturist sagen? Dass Putin auch seine Kinder verspeist? Dass er, was sich am einzigen eigenen Beitrag, Putins Kopf, überdeutlich zeigt, als Zeichner Goya nicht das Wasser reichen kann? Dass Kravarik mit so begriffsstutzigen Lesern rechnet, dass er noch einen Leichenberg mit ukrainischer Flagge ins Bild mechen muss?

Nein, es ist wohl viel banaler: Kravarik hatte keine Idee, also drückte er sie aus.