Der perfekte Journalist
ZACKBUM bastelt sich ein Ideal.
Der Homunculus sieht so aus. Man nehme Roger Köppel und kreuze ihn mit Constantin Seibt. Dazu eine Prise Tom Kummer und als Abrundung etwas Urs Gehriger. Vielleicht noch einen Schuss Philipp Loser dazu. Und obendrauf, sonst wäre das Bild sexistisch, brauchen wir noch Raphaela Birrer, Salome Müller und Aleksandra Hiltmann.
Dieses Wunderwerk, diese Verkörperung geballter Kompetenz, Schreibkraft, Redlichkeit, intellektueller Ausstrahlung und des festen Willens, die Realität möglichst nach dem eigenen Wunschdenken zu gestalten – das ist das Zukunftsmodell.
Mit der Hilfe von AI sollte es möglich sein, eine solche Verschmelzung durchzuführen. Widmen wir uns kurz einigen wesentlichen Bestandteilen dieses Homunculus, dieses Golems.
Da hätten wir mal Constantin Seibt. Er ist der fatal Angeschlagene in diesem Bund. Er sieht rabenschwarz: «Bei allen Fehlern waren die USA lange das Licht der Welt. Das wird nun ausgelöscht. Ein Besuch in der tiefen, beängstigenden Dunkelheit.» Denn: «Seien Sie freundlich! Denn der Faschismus ist zurück». Das ist ja furchtbar. Seibt hatte schon mit Zehntausenden von Buchstaben davor gewarnt. Vergeblich. Denn der Faschismus war nie weg. Seibt hat ihn in den USA überall entdeckt. Seit vielen Monaten. Er hat heute nur noch endzeitliche Ratschläge:
«Das wahrscheinlich Klügste, was Sie tun können: Reservieren Sie Zeit für den Menschen an Ihrer Seite, für die Kinder – und wen Sie sonst noch lieben.»
Der Mann braucht dringend Medikamente, aber er verkörpert perfekt den Doomsday-Journalismus, dem sich so viele hingeben. Allerdings ist er so deprimierend, dumm und falsch, dass wir ihn doch schnell verlassen wollen.
Ganz anders dagegen Roger Köppel. Der ist voll im Saft und nimmt sich selbst zurück: «Draussen ist es dunkel. Ich steige ins Auto. Es klingelt. Rückruf. Am Telefon ist Gerhard Schröder.» So geht das zu in den einsamen Höhen des Ich-Journalismus. Man beachte: Schröder ruft ihn an. Nicht umgekehrt.
Aber Schröder ist fast nur noch eine Randfigur – Köppel hat IHN gesehen. Einem «vierstündigen, beeindruckenden Auftritt» gelauscht. Und seither weiss er: «Wir sind jetzt gegen eine Atommacht Kriegspartei.» Damit meint er nicht unbedingt sich selbst, aber die Schweiz.
Dagegen das: «Zum ersten Mal erlebe ich ihn aus nächster Nähe, während über vier Stunden, hochkonzentriert, differenziert, Vortrag, dann freie Rede, fast in sich gewandt, kein Einpeitscher, der einstudierte Parolen für die Heimatfront abfeuert. Darf man es sagen? Ich bin beeindruckt von diesem Mann.» Der Mann braucht keine Medikamente, aber vielleicht psychologische Betreuung: «Putin, so weit mein Eindruck, ist ein Marathonmann von Substanz und Energie.» Das ist Köppel ja auch, nur: was bringt’s?
Aber eigentlich ist selbst Putin für Köppel nur Staffage, es geht ihm schon mehr um sich: «Sein (Putins, Red.) Vortrag, mit dem er den Abend lanciert, in forschem, vorwärts drängendem Rhythmus geschäftsmässig abgelesen wie der Jahresrückblick eines internationalen Grosskonzerns, erinnert mich an ein Interview, das ich vor vielen Jahren mit Henry Kissinger in dessen Büro in Manhattan führen durfte.»
Das war ja auch ein Kriegsverbrecher, logisch, dass Köppel das einfällt.
Aber zurück zu Köppel, äh Putin. Den erlebt er hier ganz als Mensch: «Ist Putin ein Autokrat, ja, ein Diktator gar, wie bei uns ebenso unhinterfragt behauptet wird? An diesem Abend wirkt er nicht wie einer. Geduldig, höflich beantwortet er die Fragen.» Na dann, der Beweis: Putin ist kein Autokrat. Er verhält sich nur wie einer, läuft wie einer, herrscht über eine korrupte Oligarchie wie einer, trifft einsame Fehlentscheidungen wie einer, konnte von niemandem davon abgehalten werden, die grösste militärische Fehleinschätzung des 21. Jahrhunderts abzuliefern, was bei Autokraten halt üblich ist. Aber er ist keiner, meint Köppel,
Ergänzen wir den Homunculus noch mit dem Trump-Groupie Urs Gehriger. Der schwärmte schon mal von Melania Trumps wippendem Rock im Palast der absoluten Geschmacklosigkeit Mar-a-Lago. Nicht zuletzt deshalb darf er wieder dabeisein und aus der Kammerdienerperspektive die Mächtigen ehrfürchtig beobachten: «Donald Trump sitzt auf der Veranda seines Schlosses. Er hat eine schneeweisse Maga-Mütze auf, die ihm eine feierliche Aura verleiht. Neben ihm Elon Musk, ganz in Schwarz.»
Aber auch Gehriger geht es eigentlich in erster Linie um sich selbst: «Ich setze mich im Foyer auf einen Rokokostuhl mit Blick auf Palasteingang und Terrasse. … Eric, Donald Trumps Zweitgeborener, geht an mir vorbei, den Blick vergraben in sein Smartphone.» Wow, da wird Geschichte geschrieben, und Gehriger ist dabei.
Er gibt uns tiefe Einblicke, wie sie sonst niemand hat: «Ein Bote tritt an Trump heran. Der Präsident steht auf, breitet den Arm um den Emissär und gibt ihm mit seinem weiten Jackett Deckung wie Batman mit seinem Cape. Es ist einer jener intensiven Momente, die Trump-Vertraute die «New Yorker Minute» nennen.»
Aber auch er selbst wird beachtet: «Robert F. Kennedy Jr. tritt heraus. «Hey there», sagt er zu mir. Wir haben uns an der Wahlgala am Vorabend getroffen. Er reicht die Hand. «How are things?»» Wow, Kennedy spricht mit ihm.
Aber zurück zum Geschichtemachen und Zeuge sein: «Trump spricht am Telefon. Musk schaut ihm zu. Telefoniert er mit Selenskyj? Man hört es nicht.» Wow, Trump telefoniert, Musk hört zu. Der Mantel der Geschichte weht.
Aber auch Gehriger selbst macht Geschichte: ««Urs!», ruft eine vertraute Stimme. Es ist Edward McMullen, Trumps ehemaliger Botschafter in der Schweiz. Er möchte eine Grussbotschaft an die Schweiz richten.» Wow, und wer darf der Botschafter des Botschafters sein? Genau, Gehriger himself.
Er gönnt uns auch eine Blick in die Zukunft: «Trump wird seine Truppe nach dem Kriterium Loyalität zusammenstellen. Dann wird er loslegen, «mit Lichtgeschwindigkeit», wie eine ehemalige Trump-Beraterin erklärt.»
Wow, er hat mit einer ehemaligen Trump-Beraterin geredet. Einfach Wahnsinn, dieses Groupie.
Braucht’s bei diesen drei noch Kummer, Loser und die Frauen? Eigentlich nicht. Schon so angefüllt, wankt der Homunculus bedeutungsschwer vor dem Leser auf und ab – und bricht unter der eigenen Wichtigkeit zusammen, zerbröselt. Experiment der künstlichen Herstellung des idealen Journalisten gescheitert.