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Meine Güte, Margrit Sprecher

Vor dieser grossen Dame sollten alle Zwerge verstummen.

Sie ist 88, man glaubt es kaum. Wenn Margrit Sprecher ein Porträt schreibt, dann fühlt man sich in den angelsächsischen Journalismus versetzt. Oder in eine Zeitreise zurück, als es noch Journalisten gab, die ein Porträt nicht nur beherrschten, sondern auch richtig verstanden.

Es geht nämlich darum, ein Bildnis von jemandem zu schaffen, dem Leser zu vermitteln, wer dieser Mensch eigentlich ist. Das ist heutzutage meistens zu Fertigmacher-Banalität verkommen, wo dem Journalisten schon vor dem ersten Wort, der ersten Begegnung völlig klar ist, was er mit dem Porträtierten machen will. Hinzu kommt zunehmendes sprachliches Unvermögen allerorten.

Dagegen Margrit Sprecher. Erst vor Kurzem zeigte sie in der NZZaS, wie Reportage geht. Und schon legt sie im NZZaS Magazin und in der NZZ nach; mit einem Porträt von Ueli Maurer. Echt jetzt, mag mancher denken, was gibt es denn über den noch zu schreiben? Ist doch alles bekannt, und ausserdem ist er nicht mehr Bundesrat.

Das ist richtig, aber dagegen kann man nur halten: wenn Sprecher ein Porträt schreibt, dann lohnt sich die Lektüre. Es ist über 21’000 A lang, und im Gegensatz zu den meisten solchen Strecken («Republik», horribile dictu) löst das Ende Bedauern aus. Das ist wohl das grösste Kompliment, das man einem Text machen kann: er sollte gar nicht aufhören.

«Treffen mit einem Erlösten», nennt Sprecher ihre Begegnung, und geschickt webt sie biographische Stationen, die Jetztzeit und Beobachtungen ineinander.

«Heute, im Sitzungszimmer der Zürcher SVP, vergleicht er sein Leben mit einem Stafettenlauf: «Solange du den Stab in den Händen hältst, musst du secklen.» Also ist er geseckelt.»

Und fiel immer wieder mit träfen Sprüchen auf. Allseits erinnerlich ist sein «Kä Luscht», als er überhaupt noch mit den Medien sprach, von denen er zunehmend und heute vollständig angewidert ist. Da es nur eine Sprecher gibt, völlig zu recht. Nicht schlecht ist auch sein Satz, den er «empörten Feministinnen» entgegenhielt: «Ich habe ein unverkrampftes Verhältnis zu den Frauen. Schon meine Mutter war eine Frau

Mit wenigen Sätzen erklärt Sprecher, wie erfolgreich Maurer als Bundesrat war: «Um die fehlende Widerspruchskultur zu fördern, erteilte er ganz offensichtlich sinnlose Befehle. «Niemand rebellierte.» Um die grassierende Kontrollitis einzudämmen, drohte er mit der Aufhebung von 78 Verfügungen, sollten sie die Zuständigen nicht bis Ende Jahr begründen können. «Begründet wurden genau fünf», sagt er.»

Wie gelingt ein solches Porträt, das einem Maurer näherbringt als alles andere, was schon über ihn geschrieben wurde? Eigentlich ganz einfach. Man macht sich mit der zu porträtierenden Person vertraut, vertieft sich in den Lebenslauf, den Leistungsausweis. Markiert entscheidende Weichenstellungen. Spricht mir ihr. Und dann sucht man aus all diesen Mosaiksteinchen die richtigen aus, und dann tut man so, als seien sie mit leichter Hand an die richtige Stelle gerückt worden.

Flachschreiber sehen eine Rolex an der Hand des NZZaS-Chefredaktors, sprechen zwei Stunden mit ihm, zitieren einen Satz, der in die Hinrichtung passt, und erwähnen natürlich die Uhr. Das ist Schweinejournalismus à la «Republik». Guter Journalismus ist, wenn man aus der Vielzahl von Beobachtungen, Anekdoten, Situationen, Zitaten diejenigen herausgreift, die sinnfällig ein Porträt vollkommen machen. So vollkommen es halt sein kann, wenn es um einen 73-Jährigen geht, der schon ziemlich lange in der Politik und der Öffentlichkeit steht.

Diese Auswahl, diese Ernte aus überreichlich Material, das ist’s was ein gelungenes Porträt ausmacht, das dem Porträtierten gerecht wird und den Leser bereichert.

Wie man das macht, das ist schwer zu vermitteln, unmöglich zu lernen. Da kann nur Goethe helfen: «Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.» Ein gutes Porträt muss sich beim Lesen gut anfühlen. Wenn man die Absicht spürt, ist man verstimmt. Aber wenn hier ein Mensch in all seinen Facetten entsteht und zu leben beginnt, dann fühlt sich’s gut an.

Also, liebe Margrit Sprecher. Ja nicht aufhören, Sie Quell der Labsal im dunkeldüsteren Tal der Flachschreiber.

Chapeau, Frau Roth

NZZaS, die Erste: so sollten Artikel am Sonntag sein.

Es ist ein Luxus, auf drei Zeitungsseiten eine Story ausbreiten zu können. Aber es ist auch anspruchsvoll, 25’000 A zu verbrauchen, ohne dass es dem Leser so langweilig wird wie bei der «Republik».

ZACKBUM musste Rafaela Roth schon tadeln. Zum Beispiel für einen völlig verunglückten Jubelartikel über eine umtriebige Anwältin, die sehr gut in der Selbstvermarktung ist, weniger gut in der Vertretung ihrer Mandanten. So hat sie für ein Berufsopfer – mit einer einzigen Ausnahme – nur krachende Niederlagen eingehandelt, bis zur Peinlichkeitsschwelle, am Bundesgericht gegen das Bundesgericht zu rekurrieren – und natürlich abgeklatscht zu werden. Zudem erzählt sie gerne Märchen; so dieses, dass fast täglich bei ihr Mandanten anklopften, um gegen diesen Medienblog vorgehen zu wollen.

Aber Schwamm über die Peinlichkeit, diese Selbstdarstellerin als «eine der geschicktesten Medienanwältinnen des Landes» zu bezeichnen, Roth hat sich wunderprächtig rehabilitiert. «Tod eines Glückskindes» ist ein rundum gelungenes Stück. Man könnte an ein paar Details mäkeln, aber die werden von der Wucht überspielt, mit der hier der Tod eines 18-jährigen Autisten dargestellt wird.

Er endete in den Händen des Psychiatrischen Dienstes des Kantons Aargau, geriet in die Klapsmühle im wahrsten Sinne des Wortes, bekam viele Medikamente und wenig Therapie. Schliesslich schauten die Pfleger zu, wie er manisch seinen Kopf auf den Boden schlug – bis er ohnmächtig wurde und nur noch sein Hirntod festgestellt werden konnte.

Daraus könnte man ein Melodram machen, eine emotionale Anklage, das Leid der Eltern exhibitionistisch vorführen, die Unmenschlichkeit der Schweizer Psychiatrie anprangern. Aber Roth ist eher ein Wurf wie «Einer flog übers Kuckucksnest» gelungen.

Sie verknüpft wohldosiert die verschiedenen Ebenen dieses Falles, lässt alle Beteiligten – soweit die sich äussern wollen – zu Wort kommen. Szenischer Einstieg, Leitmotiv Spaziergang, hineingeflochten die verschiedenen Erzählstränge, die Schilderung des jungen Lebens, das langsam aus der Bahn geriet, die Selbstvorwürfe der Eltern und des Bruders, dass man aus Überforderung und nur zum Besten der Einlieferung des Sohnes in die Psychiatrische Klinik  Königsfelden zustimmte.

Wie dann dort alles zunehmend ausser Kontrolle geriet, aber man der Autorität der Fachpersonen vertraute. Bis zum bitteren Ende, bis zur «Steigerung ins Amargeddon», wie das der Anwalt der Familie nennt. Der Tod, die Verarbeitungsversuche der geschädigten Hinterbliebenen. Dann die Aufarbeitungsversuche der Behörde, die allgemeine Problematik von jährlich 16’000 Zwangseinweisungen in die Psychiatrie in der Schweiz, Isolation, Fixierungen, Zwangsmedikation. Der staatliche Eingriff, dass der Patient nicht mehr selbst über seine Entlassung entscheiden kann.

All das schildert Roth souverän, emphatisch, in klarem Aufbau. Sie nimmt den Leser an der Hand und verläuft sich nie mit ihm. Sie ist auktorialer Erzähler im besten Sinn, nimmt Anteil, aber wahrt Distanz. Der Einzelfall, der Aufschwung ins Allgemeine, die unbeantworteten Fragen der Eltern, die übliche, zögerliche, bürokratische Reaktion der Behörden, die organisierte Verantwortungslosigkeit in staatlichen Institutionen, eine Knallerpointe am Schluss, den Artikel könnte man ausschneiden und angehenden Journalisten als Übungsmaterial überreichen.

Könnte, denn wer bekommt im heutigen Elendsjournalismus schon noch die Gelegenheit, ein solches Stück abzuliefern. Schön, dass Roth sie genutzt hat.

X für ein U?

Kann Rebranding funktionieren?

Twitter gibt es seit 2006. Im Jahr 2022 gab es nach nicht finalen Zahlen 368 Millionen Nutzer. 2023 sollen es nur noch 354 Millionen sein.

Das ist eher ein Zwerg im Ranking der grössten Social Networks. Platzhirsch ist immer noch Facebook mit rund 3 Milliarden monatlich aktiven Nutzern (MAUs), gemessen im Januar 2023. Danach kommt Googles YouTube mit 2,5 Milliarden MAUs, dann WhatsApp mit zwei Milliarden.

Allerdings hat Twitter eine gewisse Bedeutung in politischen Auseinandersetzungen, Kampagnen und Wahlen. Berühmt und berüchtigt wurde es durch Debatten über Beeinflussungsversuche von ausländischen Mächten und natürlich durch die Verwendung (und den Rausschmiss) von Donald Trump.

Twitter und Tweet, das ist in den allgemeinen Wortschatz übergegangen. dafür wurde ganz hübsch Werbekohle ausgegeben. Apropos Ausgaben, 2021 machte die Plattform bei einem Umsatz von 5 Milliarden US-Dollar einen Verlust von über 220 Millionen.

Dennoch hat Elon Musk 44 Milliarden Dollar für den Kurznachrichtendienst ausgegeben. Anschliessend sorgte er mit einer gelinde gesagt erratischen Personal- und Plattformpolitik für ein schweres Erdbeben. Zurzeit wird der Wert von Twitter auf nicht einmal mehr die Hälfte seiner Investition geschätzt.

Da passt es irgendwie, dass Musk nun entschieden hat, auf Logo, Name und Begriff zu verzichten. Die Plattform heisst nicht mehr Twitter, der blaue Vogel ist auch weg, und statt eines Tweets soll man nun ein «X» absetzen.

Dahinter stehe der Plan, sagt Musk, aus Twitter, Pardon, aus X die berühmte Plattform für alles zu machen, von der viele Nerds schon lange träumen und die wohl vom chinesischen «WeChat» am ehesten realisiert ist.

Das würde bedeuten, dass nicht einfach alter Wein in neue Schläuche gegossen würde. Sonst wäre das Unterfangen etwa so wahnsinnig, wie Markennamen und Flaschenform von Coca-Cola zu ändern, aber immer noch die gleiche braune Brause anzubieten.

Rebranding ist meistens dann angebracht, wenn der Name einer Firma oder eines Produkts dermassen verbrannt ist, also negativ besetzt, dass er in einem Neustart nicht mitgenommen werden kann. Es ist nicht mal so selten. Aus Facebook wurde Meta, aus Google Alphabet, wobei aber die Trademarks beibehalten wurden.

Weniger günstig lief es für Karstadtquelle, das in Arcandor umbenannt wurde und dann pleite ging. Andere neue Namen entstanden aus Fusionen, wie Novartis aus Ciba-Geigy und Sandoz. AWD wiederum, der skandalumwitterte Finanzberater von Carsten Maschmeyer, wurde zuerst von Swiss Life für teures Geld aufgekauft, um dann als Namen zu verschwinden; das Produkt heisst heute «Swiss Life Select».

Also ist eine Namensänderung nicht von vornherein der Vorbote einer Katastrophe oder der Befreiungsschlag, der in ganz neue Dimensionen der Profite führt. Allerdings stellt sich bei Twitter tatsächlich die Frage, ob dieser Name und das Logo dermassen verbrannt waren, dass sie durch einen neuen Auftritt ersetzt werden mussten.

Zum Zweiten ist «X» offensichtlich eine Marotte von Musk, ob sich der Buchstabe allerdings tatsächlich für einen Kurznachrichtendienst eignet, ist fraglich. Während twittern lautmalerisch ist und als Begriff in viele Sprachen übernommen wurde, wird sich «x» wohl kaum als Bezeichnung für das durchsetzen, was für (fast) alle bis heute immer noch twittern heisst.

Nun kann man einwenden: als Musk mit der Behauptung antrat, dass er das Autogeschäft revolutionieren werde und das erste massentaugliche und erschwingliche E-Auto bauen, wurde er auch schallend ausgelacht. Er tat nicht nur das, sondern machte seine Produktion von Zulieferketten und Fremdpatenten unabhängig, indem er alles selbst entwickeln liess. Anfänglich ein Riesenaufwand, der sich aber bezahlt machte.

Trotz allem Lärm (und der damit verbundenen Gratis-Werbung) um das X ist und bleibt Twitter bislang ein Nischenprodukt. Nur wenn es Musk gelingt, zu den grossen Playern aufzuschliessen, hat er eine Chance, seine Investition wieder herauszuholen. Dass er das kann, hat bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Dass er etwas sprunghaft ist, auch. Tesla läuft schon länger nicht mehr so rund wie am Anfang, während er aber mit SpaceX weiterhin gutes Geld verdient.

Also wird’s echt spannend mit X. Weder die Unken, die eine Bauchlandung prognostizieren, noch die Musk-Fans, die davon überzeugt sind, dass er es schon wuppen wird, haben bislang Recht bekommen.

Da ZACKBUM im Besitz der Glaskugel ist, mit der wir in die Zukunft schauen könne, wollen wir es hier weltexklusiv verraten. X wird … (oh, diese Prognose wurde uns soeben mit einer Superprovisorischen verboten). Nein, mehr dürfen wir nicht verraten, sonst schickt jemand eine Kampfdrohne mit Gesichtserkennungssoftware.