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Wumms: Paul Jandl

Doppelwumms heute, weil Jandl mit untauglichen Kronzeugen austeilt.

Normalerweise ist Jandl ein feinnerviger österreichischer Literaturkritiker und eine Bereicherung der NZZ. Geht es allerdings um Israel, wird er wild.

Vor seine verbale Schrotflinte ist der deutsche Kabarettist, Schauspieler und Zeitkritiker Dieter Hallervorden geraten. Der 88-Jährige hat ein Video über den Gazakrieg veröffentlicht, in dem er gereimt seine Erschütterung über die Ereignisse ausdrückt. Vielleicht sollte man es sich einfach zuerst mal anschauen. Es endet mit der Frage: «Und das soll kein Völkermord sein

Damit zieht er sich den heiligen Zorn von Jandl zu: «Zu hören bekommt man eine Ansammlung von Narrativen, wie sie in antisemitischen und verschwörungstheoretischen Kreisen die Runde machen. Gleich zu Beginn ist eine Marke gesetzt: «Grausamkeiten haben zumeist Vorgeschichten. Und kein Mensch wird als Terrorist geboren.»»

Wer sich das Video angeschaut hat, kann klar sagen: was für ein polemischer Quatsch. Man kann Hallervorden sicherlich eine gewisse Naivität vorwerfen, aber ist ehrliche Betroffenheit denn etwas Schlimmes, Verurteilungswertes? Dann wird Jandl ziemlich bösartig, indem er den zweiten Autor des Textes ins Spiel bringt, Diether Dehm: «Der war schon bei der SPD, bei der PDS und bei den Linken. Gemeinsam hat man sich offensichtlich darauf geeinigt, Israel und indirekt auch dem Waffen liefernden Deutschland Völkermord zu unterstellen.» Was die wechselnden Parteizugehörigkeiten wohl mit dem Inhalt des Gedichts zu tun haben könnten? Und «indirekt Völkermord zu unterstellen», das ist eine maliziös-polemische Überspitzung der fassungslosen Schlussfrage im Gedicht, nach der Hallervorden eine stilisierte Friedenstaube fliegen lässt.

Kann man als leicht kindisch bezeichnen, es erinnert an «Ein bisschen Frieden» von Nicole mit der weissen Gitarre. So etwas kann schnell unerträglich kitschig-marmeladenklebrig werden. Aber jemanden deswegen so einzutopfen, ist das angebracht? Fordert das langjährige politischer und humanitäre Engagement Hallervordens nicht wenigstens ein Fünkchen Respekt ab?

Dann verliert Jandl jedes Mass und jede Mitte, indem er sich einen Bundesgenossen, einen Meinungsfreund aussucht, der dubioser nicht sein könnte:

«Wer ein Beispiel für Schuldabwehr-Antisemitismus im Zusammenhang mit Täter-Opfer-Umkehr im Nahostkonflikt sucht, Hallervordens Machwerk ist ein Bilderbuchbeispiel», hat Volker Beck, der grüne Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der «Bild»-Zeitung gesagt. Der Schauspieler lasse «kein antiisraelisches Klischee aus»», lässt Jandl den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten sagen.

Während der aber Dehm seine verschiedenen Parteizugehörigkeit vorwirft, woran ja nichts Ehrenrühriges ist, verschweigt Jandl vornehm die dunklen Flecken auf der gar nicht so weissen Weste von Beck. Den verfolgt im Rahmen der Pädophilen-Affäre der Grünen ein Text aus dem Jahr 1988, in dem er sich für die Entkriminalisierung der Pädosexualität einsetzte. Von diesem «Irrtum» distanzierte er sich später. Die politische Karriere des heutigen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft endete allerdings, als er im Besitz von Crystal Meth erwischt wurde und 2016 von allen seinen politischen Ämtern zurücktrat. Offensichtlich hatte er seine Forderungen nach Entkriminalisierung von Drogen zu ernst genommen.

Vielleicht hätte sich Jandl an den guten Spruch erinnern sollen: lieber alleine als in schlechter Gesellschaft. Wer einen anderen gegen Hallervorden auskeilen lässt, den über die politische Karriere seines Mitautoren anpinkeln will, der sollte vielleicht etwas wählerischer bei seinen eigenen Bundesgenossen sein.

Während Jandl den «angeblichen Friedensaktivisten» Hallervorden niedermacht, lässt er selbst es an jeder kritischen Distanz zum israelischen Gemetzel im Gazastreifen missen. Eine Kritik daran wird nicht besser oder schlechter, wenn man ihr eine Verurteilung des Hamas-Massakers in Israel voranstellt oder nicht. Schon dieses obligatorische Einfordern von Jandl & Co. ist unerträglich, seine Schmähkritik an einem ehrenhaften, seiner Betroffenheit Ausdruck gebenden Künstler, der sich vom Grimassenmörder zum ernsthaften Schauspieler und Kabarettisten und empfindsamen Humanisten weiterentwickelt hat, ist unter jeder Kritik.