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Taliban, ganz lieb und zahm

Sie wollen doch nur spielen. Diesmal ist alles anders und viel lockerer.

 

In eigener Sache: Das ist der 1000. Artikel auf ZACKBUM*

Schlimmer noch als das Desaster eines 20 Jahre lang andauernden Versuchs, in Afghanistan eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Schlimmer noch als die katastrophale Fehleinschätzung über die Verteidigungskraft der afghanischen Armee. Schlimmer noch als die Ferndiagnosen vom Schreibtisch in Indien, Deutschland oder der Schweiz. Schlimmer als all das ist nur noch eins: wenn westliche Medien den fundamentalistischen Wahnsinnigen auf den Leim gehen.

Es ist natürlich verständlich, dass der westliche Afghanistan-Korrespondent oder -Spezialist oder -Analyst seiner Aufgabe mit genügend Sicherheitsdistanz nachgeht. Könnte ja sein, dass die Taliban doch nicht so nett sind, wie sie sich offiziell geben.

Netter Taliban spricht mit Frau, vor laufender Kamera!

Aber eigentlich sind sie so nett. Ein Taliban lässt sich sogar im TV von einer Frau (!) ohne Gesichtsschleier (!!) interviewen. Er kündigt an, dass Frauen selbstverständlich weiter zur Arbeit gehen dürften, auch in die Schule. Kein Ding, meint der nette Taliban.

Andere noch nettere Taliban kündigen an, dass man sogar darüber nachdenke, Frauen in die Übergangsregierung aufzunehmen. Westliche Hilfsorganisationen, die wagemutig in Afghanistan ausharren, berichten erfreut, dass man mit den neuen Machthabern durchaus zusammenarbeiten könne. Plünderungen, Massenvergewaltigungen, Zwangsehen, das alles sähen die Taliban überhaupt nicht gerne.

Fundamentalismus reloaded: diesmal wird alles viel netter

Zudem überschlagen sich die Taliban mit Ankündigungen, dass sie keine Rache nehmen wollten, eine Amnestie für alle Helfershelfer der ausländischen Besatzer gelte, auch für Regierungsangestellte, Armeeangehörige und alle, die etwas gegen die Taliban gehabt haben sollten.

Es fehlt nur, dass sich die bärtigen Kämpfer demonstrativ eine Mohnblume in die Maschinengewehre stecken, mit denen sie martialisch durch die Strassen von Kabul patrouillieren. Gibt’s nun also Fundamentalismus light? Kann man Afghanen im Allgemeinen und afghanischen Frauen im Speziellen ruhigen Gewissens empfehlen, ihr Schicksal in die Hände der gütigen Gotteskrieger zu legen?

Macht sich der Mann unnötig Sorgen um seine Familie?

Sind das alles unberechtigte Ängste, die von allzu vielen afghanischen Frauen und kompetenten Beobachtern oder Betroffenen geäussert werden? Sind diese Zeugnisse und Aussagen glaubhaft?

Wie lange darf Clarissa Ward sich das noch trauen?

Nein, ZACKBUM ist keinesfalls im Besitz der göttlich offenbarten Wahrheit, das unterscheidet uns schon mal von diesen Gotteskriegern. Aber kann man sich der «Liga maghrebinischer Gelehrter» mit Sitz in Genf anschliessen, die sich darüber freuen, dass «Allah unseren afghanischen Brüdern einen eindeutigen Sieg bescherte»?

Vergessen und Verzeihen für die Massaker und Greueltaten?

Soll man nun die Burka des Vergessens über all die Greueltaten legen, die die Taliban während ihrer Schreckensherrschaft ab 1996 begangen haben? Ihre unablässigen Attentate auf Bildungseinrichtungen von Frauen, ihr Gemetzel an Schülerinnen und Lehrerinnen, ihren Hass auf alles, was Afghanistan aus steinzeitlichen Stammeswelten ins 21. Jahrhundert führen könnte?

Selbstmordattentäter: 48 Tote bei Angriff auf Schule.

Über 50 Tote nach Bombenattentat auf Mädchenschule in Kabul.

Ihren nackten Terror gegen alles und alle, die islamistische Regeln, uralte Stammesstrukturen, menschenverachtendes Verhalten gegenüber Frauen kritisierten, gar etwas dagegen unternahmen, soll man das vergessen?

Während sich süssholzraspelnde Taliban medial über die dummen Westler lustig machen, reicht ein Blick auf den starken Mann der fundamentalistischen Irren, Hibatullah Achundsada:

Hibatullah Achundsada ist der Nachfolger von Akhtar Mansur,  der von den USA per Drohne erledigt wurde. Mansur seinerseits trat die Nachfolge des Blutsäufers Mullah Omar an. Also eine Linie von Garanten der Frauenrechte, weichgespülte Taliban ohne jeglichen brutalen Fanatismus.

Oder einfacher gefragt: würden Sie diesem Mann ihre 12-jährige Tochter anvertrauen?

Vielleicht fragt sich der eine oder andere, wieso der aktuelle Präsident Afghanistans so schnell Fersengeld gab und ins Exil abschwirrte, bevor die Taliban Kabul einnahmen. Wohl weil er nicht wie sein Vorgänger enden wollte, als die Fundamentalisten das letzte Mal die Macht übernommen hatten. Mohammed Nadschibullāh, der damalige gewählte und amtierende Präsident, hatte es nicht rechtzeitig aus Kabul heraus geschafft. Wikipedia erzählt sein Ende:

«Nach seinem Sturz versuchte Nadschibullāh, Kabul zu verlassen, wurde aber von Einheiten Raschid Dostums daran gehindert. Er suchte Schutz im UN-Hauptquartier von Kabul. Dort blieb er bis zur Eroberung Kabuls durch die fundamentalistischen Taliban, die ihn am 27. September 1996 abholten, folterten und ermordeten[1] und den Leichnam, aufgehängt an einer Betonplattform für Verkehrspolizisten, vor dem Präsidentenpalast zur Schau stellten.»

Zurschaustellung Nadschibullahs: Aber heute sind die Taliban ganz anders.

Keine Ahnung zu Afghanistan haben, das ist schon ein Armutszeugnis für die sogenannten Qualitätsmedien in der Schweiz. Diese Lücke kann der interessierte Zeitgenosse noch mit der Lektüre angelsächsischer Medien einigermassen schliessen.

Dass bislang weitgehend Berichte über Reaktionen Schweizer Muslims fehlen, ist ein gesondertes Armutszeugnis. Dass alle kompromisslosen Kämpferinnen gegen die Unterdrückung der Frau und für das Gendersternchen keinen Mucks machen, wenn es um die Behandlung ihrer Schwestern in Afghanistan und den Applaus von Gesinnungstätern in der Schweiz geht, das ist der schwarze Rand der Armseligkeit und Heuchelei.

Länder, in denen die Scharia angewendet wird.

Dass aber aus Unkenntnis die Schalmeienklänge der inzwischen PR-geschulten Taliban nur mit leisen kritischen Tönen kolportiert werden, mit zaghaften Zweifeln, aber durchaus von der Haltung «man muss halt mal schauen» begleitet werden, das schlägt wirklich dem Fass die Krone ins Gesicht.

 

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*JUBILÄUM: Das ist der 1000. Beitrag auf ZACKBUM

 

Seit dem 25. Juli 2020 wird hier Medienkritik betrieben. Innert eines Jahres ist ZACKBUM nicht nur zu einer vielgelesenen, kritischen Stimme im Mediensumpf geworden.

Es wurde auch immer einsamer; NZZ, «Schweizer Journalist», «Medienwoche», gar «Edito»: alle anderen kritischen Begleiter der Medien sind verkümmert, entmannt oder verschwunden.

Dabei war es nie so nötig wie heute, die immer noch entscheidend wichtigen Organe der öffentlichen Meinungsbildung zu beobachten, zu analysieren und zu kritisieren. Das werden wir weiterhin tun. Mit Spass und Biss. Unabhängig, unparteiisch, keiner Korrektheit verpflichtet.

Wir danken allen Lesern für ihre Treue, ihre Kommentare und ihre Anregungen. Wir spüren den Leidensdruck in der Branche; so viele Whistleblower tragen Informationen an uns heran; auch dafür besten Dank. Wir scheuen uns nie, nach Überprüfung all die kleineren und grösseren Sauereien ans Tageslicht zu befördern.