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Elend in Zahlen

Kann man das Sumpfgebiet Journalismus ausmessen?

Schwierig, aber man kann’s versuchen. Indem man einfach gewisse Wörter in der Mediendatenbank sucht und ihre Häufigkeit feststellt. Nehmen wir als Beobachtungszeitraum ein Jahr.

Zunächst schauen wir mal auf den Bauchnabel. Das ist auch der Lieblingsblick der modernen Journaille. Nicht nur Ursina Haller, so viele, allzu viele Journalisten meinen, ihre Meinung sei dermassen rasend interessant, dass sie sie der Welt nicht vorenthalten können. Obwohl die Welt eine bessere wäre ohne. Oder auch nicht, aber auf jeden Fall ist es völlig überflüssig.

Dennoch kommen die beiden Formulierungen «meine Sicht» und «meine Meinung» in diesem Jahr insgesamt fast 90’000 mal vor. Natürlich können das auch Interviewpartner oder zitierte Protagonisten sagen. Also ziehen wir grosszügig zwei Drittel ab. Dann bleiben aber immer noch 30’000, also jeden Tag rund 80 mal.

Ganz in der Nähe liegt die Journalistenfloskel «wäre gut beraten». Diese Formulierung für einen Befehl hat sich aus dem Norden in die Schweiz geschlichen; natürlich verwenden die Schreiber der «Süddeutschen Zeitung» diese Sprachhülse gerne und häufig, wodurch es in Tamedia diffundiert. Über 1000 mal wurde das im letzten Jahr gebraucht.

Kommen wir gleich zum absoluten Kernbegriff im Journalismus, zum Wort «ich». Ganze 670’000 mal wurde das verwendet. Ziehen wir auch hier grosszügig zwei Drittel als Fremdgebrauch ab, bleiben dennoch rund 220’000 Ichs übrig. In seinem Schlepptau segelt das Wort «Befindlichkeit». Eigene oder fremde, 3268 mal wurde der Begriff gebraucht. Sicherlich meistens als Selbst-, nicht als Fremdbeschreibung.

Nun schauen wir mal, wie häufig in der Gesinngsblase gerne und zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verwendete Begriffe vorkommen. Spitzenreiter ist hier «Rassismus», fast 15’000 Verwendungen. Dicht gefolgt wird er von «Diskriminierung», knapp 13’000 mal. Abgeschlagen sind Sexismus (3316) und «faschistisch» (3300) auf den Plätzen.

Immerhin über 4000 mal wurde der Begriff «rechtsradikal» gebraucht. Sein Zwillingsbruder «linksradikal» dagegen nur 980 mal. Ähnlich verhält es sich auch mit «Rechtspopulist». Das Wort wurde 1617 mal verwendet, sein Pendant «Linkspopulist» hingegen nur schlappe 329 mal.

Man kann hier eine leichte Einseitigkeit konstatieren, eine Schlagseite. Dafür wurden die etwas dümmlichen Begriffe Framing und Narrativ erfunden. Das findet vor allem bei umstrittenen Persönlichkeiten seine Anwendung. Es ist eher selten, dass mit Donald Trump oder Wladimir Putin Adjektive wie nachdenklich, besonnen, fürsorglich, überlegen verwendet werden. Es ist eher häufig, dass mit beiden Wortfelder um Verbrecher, Irrer, unkontrolliert, widersprüchlich, brutal usw. verwendet werden.

Der Vorteil von Framing und Narrativen liegt auf der Hand. Sie sind selbstverstärkend; schreibt es einer, schreiben viele ihm ab. Sie erhöhen den Wiedererkennungswert. Zudem sparen sie viel überflüssige Denkarbeit. Wie verhält sich Putin? Klar, wie ein Verrückter, Krimineller; brutal, rücksichtslos, gefährlich. Das hat er mit Trump durchaus gemeinsam.

Wer sich hingegen in Worten wie besonnen, verständnisvoll, ausgleichend, staatsmännisch sonnen kann, gehört eindeutig zu den Guten und Netten.

All das drückt eine schreckliche Verarmung des Journalismus aus. Es ist tatsächlich verrückt. Gerade bei schrumpfenden Mannschaften wäre es doch so einfach, dass sich die überlebenden Redaktoren halt mit mehr Grips und Gedankenschläue dem Leser nähern. Der könnte dann sagen: okay, vom Umfang her nur noch die Hälfte wie früher, aber dafür ist der Inhalt viel konzentrierter und anspruchsvoller.

Aber in Wirklichkeit schmieren Losers, Hallers, Toblers, Häslers und Heerscharen mehr die Blätter voll. Egozentrisch, flach, unintelligent, unanimierend. Die dünnen Gedanken werden meist zudem mit rumpelnden Worten ausgedrückt, denn elegante Scheiber, die spritzig sind, den Leser zum Lachen und Nachdenken bringen, die sind noch an den Fingern einer Hand abzuzählen. Allerdings der Hand eines Metzgers oder Sägemeisters nach einigen Jahren Berufserfahrung, der ein paar Finger zum Opfer fielen.

Ist das die Schuld von Supino oder Walder? Oder vom Wannerclan, von den Lebruments? Zum Teil auch, denn wie heisst es so richtig: sind Würstchen an der Macht, wird der Senf rationiert.

Aber eigentlich hindert niemand die verbliebenen Schreibkräfte, interessant, animierend, mitreissend, leserfreundlich zu schreiben. Wieso tun sie’s dann nicht?

Leider liegt der Grund auf der Hand. Weil sie’s nicht können.

Böses Erwachen?

Tamedia weidet sich an seiner Grosstat der Bschiss-Story. Wie lange noch?

«Unsere Autoren erzählen, wie sie den Unterschriften-Bschiss enthüllten». Das ist eine entlarvende Schlagzeile. Selbst bei einem solchen Thema darf die Bauchnabelschau nicht fehlen, müssen die Federn gespreizt werden, sind die Boten mindestens so wichtig wie die Botschaft.

«Unterschriften-Bschiss erschüttert die Schweiz», auch da geht es keine Nummer kleiner. Die Behauptung: «Tausende Daten für Initiativen gefälscht». Die davon abgeleitete Vermutung: es kamen Initiativen zur Abstimmung, die möglicherweise gar nicht genügend gültige Unterschriften hatten, um korrekt zustande zu kommen.

Wobei deutlich unterschieden werden muss zwischen gekauften Unterschriften (legal) und gefälschten (illegal).

Das ist, das wäre natürlich tatsächlich ein Skandal. Nun hat aber die  für solche Themen zuständige Bundeskanzlei nach längerem Schweigen eine Stellungnahme veröffentlicht. Die ist ernüchternd für Tamedia in vollem Schuss, daher wird sie zuerst geframt und ins Narrativ eingepasst, wie man moderndeutsch sagt:

«Die nach dem Bekanntwerden von mutmasslichen Unterschriftenfälschungen in die Kritik geratene Bundeskanzlei hat sich erstmals ausführlich zu den Vorfällen geäussert, welche diese Redaktion publiziert hatte.
Mehrere Parlamentsmitglieder und Politologen liessen am Dienstag kein gutes Haar an der Bundeskanzlei
, welche die Unterschriftensammlungen für eidgenössische Volksinitiativen und Referenden prüft. Es sei unverständlich, dass Missstände erst nach einer Tamedia-Recherche ans Licht gekommen seien, lautete der Tenor.»

Nach diesen Watschen weidet Tagi-Redaktor Felix Müller (Karriere bei «Surprise», SRF und nau.ch, seit 2023 «am Desk») eine SDA-Meldung aus, denn hier versagt der eigene Recherchiermuskel. Ein Tausendsassa, zuvor schrieb er noch: eine andere SDA-Meldung zusammen: «Unkontaktierte Indigene töten zwei Holzfäller in Peru». Aber nun Themenwechsel; «Bundeskanzlei erklärt Schweigen mit Diskretion», hämt der Zwischentitel seines neusten Werks. Dann wird die Bundeskanzlei endlich mal zitiert:

«Das Amtsgeheimnis, die Unschuldsvermutung, die laufenden strafrechtlichen Verfahren sowie der Schutz der Abstimmungsfreiheit gebieten es der Bundeskanzlei, die bestehenden Verdachtsfälle diskret zu behandeln.»

Dann weist sie auf ein paar Selbstverständlichkeiten hin:

«Solange die laufenden Strafuntersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann die BK (Bundeskanzlei, Red.) keine gesicherten Aussagen machen über das Ausmass mutmasslicher Unterschriftenfälschungen. Doch ihres Erachtens liegen keine belastbaren Indizien vor für die Vermutung, dass über Vorlagen abgestimmt wurde, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.»

Schliesslich fügt die BK noch hinzu: «Eine selektive Nachkontrolle einzelner Volksinitiativen erscheint nicht gerechtfertigt, allenfalls sogar problematisch. Der rechtliche Spielraum dafür wäre überdies begrenzt.»

Im Übrigen ermittelt die Bundesanwaltschaft bereits seit geraumer Zeit zu diesem Thema. Was nebenbei impliziert: sowohl BK wie BA gehen diesen Vorwürfen seit geraumer Zeit nach, nicht erst nach der Kampagne voN Tamedia.

Offensichtlich hat die Tamedia-Berichterstattung einen Kritisierten auf dem falschen Fuss erwischt. Der Präsident von Incop Franck Tessemo, dessen Firma eine Beteiligung an Unterschriftenfälschungen vorgeworfen wird, ist der Lieblingsprügelknabe von Tamedia – und war in erster Schockstarre nicht zu einer Stellungnahme bereit. Inzwischen hat er sich aber offenbar telefonisch bei den Tamedia-Cracks Christian Brönnimann und Thomas Knellwolf gemeldet. Und streitet alles ab:

«Die Anschuldigungen stammten von Leuten, die ihm und Incop schaden wollten, sagt Tessemo: «Wir haben uns nichts vorzuwerfen.» Hinter allem stecke ein unzufriedener Klient, so behauptet Tessemo. Der Incop-Chef spielt auf die Verantwortlichen der Service-Citoyen-Initiative an, die ihre Erfahrungen mit Incop dokumentiert und Strafanzeigen unter anderem gegen den Verein und Tessemo eingereicht haben.»

Wenn er von einem Betrug erfahre, entlasse er den Unterschriftensammler, behauptet Tessemo. Gleichzeitig scheint er in die USA expandieren zu wollen und hat in Kalifornien eine Firma gegründet. Das bringt die beiden Rechercheure etwas durcheinander. Im Artikel schreiben sie: «Er persönlich (Tessemo, Red.) beabsichtige nicht, in die Vereinigten Staaten umzusiedeln.»

Aber beim Frontanriss auf diese Story lautet der Titel: «Chefsammler meldet sich in der Schweiz ab», und weiter: «Recherchen zeigen, dass sich der Chefsammler just in der Zeit aus Lausanne abmeldete, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen intensivierte: Am 14. Mai teilte er der Einwohnerkontrolle der Stadt mit, er ziehe in die USA. Tessemo sagt, es bestehe kein Zusammenhang zum Verfahren.»

Vielleicht hätte es geholfen, Tessemo mit diesen «Recherchen» zu konfrontieren. Aber dann wäre die schöne Schlagzeile futsch gewesen.

Zurzeit ist eher unklar, ob der «Bschiss» wirklich «die ganze Schweiz erschüttert»– und wenn ja, ob zu recht. Wie man die Unschuldsvermutung umdribbelt, zeigt Tamedia mal wieder exemplarisch:

«Trickserei bei Unterschriften Der Präsident der Sammelfirma, die im Visier der Schweizer Ermittler steht, expandiert in die USA.» Das ist mal wieder Demagogie vom Feinsten.

ZACKBUM ist gespannt, ob dieser Skandal – wie so viele vor ihm – wie ein Soufflee zusammenfällt.

Das muss doch mal gesagt werden

Der öffentliche Diskurs ist kaputt. Nur: war er jemals ganz?

Der Worte sind genug gewechselt. Das ist von Goethe und gar nicht schlecht. Aber wir wollen keinesfalls Taten sehen, sondern uns fragen, ob eigentlich öffentliche Meinungsbildung, der Austausch von Position via Massenmedien, Kommentare, Positionen, Polemiken, Anklagen, Forderungen, Kritiken überhaupt noch Sinn macht (oder hat).

Wenn wir uns über die sattsam bekannten Narrative und Framings wie Gesinnungsblase, Social-Media-Umfeld, Misstrauen, Fake News, Rechtspopulisten versus Linksautonome, Splitter und Balken, moralinsauere Inquisitoren und Verteidiger der einzig richtig guten Wahrheit  usw. hinauf ins Abstrakte heben: hat das Kommunikative nicht ganz allgemein abgedankt?

Ziehen wir kurz einen historischen Bogen. Lange Jahrhunderte durfte vieles nicht gesagt, eigentlich nicht einmal gedacht werden. Die Kirche legte das Leichentuch der frommen Denkungsart über jede Form des Versuchs, die Welt nicht als Gottes Wille, sondern als beeinflussbare Wirklichkeit zu verstehen.

Hand in Hand mit dem Absolutismus, der jede Kritik am Herrscher als Gotteslästerung streng bestrafte. Überhaupt jede Kritik an der gottgewollten Richtigkeit der herrschenden Verhältnisse. All das ist, vielleicht mit Ausnahme Liechtensteins, wo der Fürst noch ausserhalb des Gesetzes steht und Herabwürdigung seiner Durchlaucht schwer bestraft wird, vorbei.

Zumindest in Zentraleuropa, den USA, Kanada, Australien und ein wenig Japan. Und auf ein paar weiteren, meist englischsprachigen Inseln von Neuseeland abwärts. Mehr oder weniger.

Unbestreitbar, wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, haben Massenmedien einen gewissen korrigierenden und beaufsichtigenden Einfluss. Die Aufdeckung von kleineren oder grösseren Skandalen kann ab und an tatsächlich etwas bewirken. Das Ende einer Karriere, eines Zustands, eines Skandals. Aber auch diese Fälle werden eher selten, nicht häufiger. Die aufdeckende Kraft der Medien hat in den aufgepumpten Fällen von Dokumentendiebstahl, genannt Papers oder Leaks, auch seine denaturierte und untaugliche Form gefunden.

Hier desavouieren sich die Medien selbst, indem sie Hehlerware dazu verwenden, selbstherrlich Ankläger, Richter und Vollstrecker des Urteils zu werden. Das ist nicht die Aufgabe der Medien; ginge es ihnen nicht um billige Effekthascherei, würden sie die ihnen anonym übereigneten Daten den Strafverfolgungsbehörden aushändigen, Was sie aber unterlassen.

Am schlimmsten steht es  um die Funktion der Medien, den öffentlichen Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen zu fördern. Die Bewältigung der Pandemie, die Aufarbeitung der gravierenden Fehler, die von Regierungen begangen wurden, die üble Rolle der Pharma-Multis, die sich haftungsfrei stellten und krumm verdienten, mit offensichtlich ihre Versprechen nicht einhaltenden Impfmitteln? I wo.

Der russische Überfall auf die Ukraine, Lösungsvorschläge, Analysen, die den Namen verdienen, statt Kriegsgegurgel Versuche der realistischen Einschätzung der Lage? Nix.

Die demokratische Misere der USA, wo ein seniler Greis gegen einen Amok-Greis antritt? Käumlich.

Gelegentlich mal Blicke in all die vielen Elendslöcher der Welt, wo noch grausamer gestorben wird als im Gaza-Streifen? Wozu auch.

Aber wozu in die Ferne schweifen. Wie soll es mit der Schweiz weitergehen? Staatsverschuldung durch Mehrausgaben, UBS als Monsterbank, Verhältnis zur EU, Neutralität, Flüchtlinge, Schulsystem, Übervölkerung, überforderte Systeme, Kriminalität, direkte Demokratie, Aufrüstung, Militärpolitik, mediokrer Bundesrat ist gut, inkompetenter weniger, das Elend der Literatur und Kunst, eine staatspolitische Debatte, das weitere Überleben eines Kleinstaats, Primat der Volksrechte, direkte Demokratie, Genderdebatte – die Themen liegen auf der Hand und sind ohne Zahl.

Über jedes einzelne liesse sich eine interessante Debatte führen, ein Diskurs auf verschiedenen Flughöhen, vom einfach Volkstümlichen bis zum intellektuell Anspruchsvollen. Und? Nichts und.

Meistens: Schiessscharte auf, rausfeuern, Schiessscharte zu. Einschlag der feindlichen Kugeln abwarten, dann Schiessscharte wieder auf.

Positionen und Meinungen in Massenmedien waren schon immer ideologiegetrieben, getränkt von Gesinnung. Aber der langjährige Beobachter meint doch drei fatale neuere Entwicklungen feststellen zu müssen:

  1. Das allgemeine intellektuelle Niveau ist aufs Erbärmliche gesunken. Symbolisch dafür steht ein Sprachvergewaltiger wie Lukas Bärfuss, der sich ja nicht nur als Literat, sondern auch als Gesellschaftskritiker missversteht. Wer dem applaudiert, und fast das ganze Feuilleton tut’s, der disqualifiziert sich selbst als ernsthafter Diskursteilnehmer.
  2. Die Bereitschaft, die Mühewaltung, nicht einfach nach dem Prinzip «je unsicherer, desto markiger» loszupoltern, sondern die Leser auf eine Reise zu mehr Erkenntnis mitzunehmen, existiert höchstens noch in Spurenelementen.
  3. Die kaleidoskopartige Farbigkeit einer lebendigen Medienszene, die genügend Alternativen bot, um auch wiederborstige Meinungen unterbringen zu können, ist ergraut, ist abgelöst worden durch zwei grosse Einheitsbreiküchen, einen kleinen Leuchtturm nebendran und ein in den Untergang geleitetes und gelenktes ehemaliges Boulevardblatt.

Auch das Versprechen des Internets, dass es hier eine weltumspannende Plattform für unendlich viele Diskurse, Anregungen und Meinungsaustausch gibt, hat sich nicht erfüllt.

Aber vielleicht bleibt es letztlich so, wie es sein muss. Der öffentliche Diskurs seit der Aufklärung hat seine Funktion erfüllt und ist damit obsolet geworden. Newsproduktion als profitables Geschäftsmodell hat ausgedient, bzw. unfähigen Medienmanagern fällt nichts dazu ein – ausser skelettieren, sparen, weniger Leistung für mehr Geld anzupreisen.

Also bleibt spannender Diskurs, Austausch von faszinierenden Ideen und Welterklärungsmodellen und Erkenntnissen wohl das, was es immer war. Ein Beschäftigung der «happy few».

Oder anders formuliert: wer – Ausnahmen bestätigen die Regel – bei Tamedia oder CH Media oder in der Südostschweiz oder auf «watson» einen Kommentar schreibt, eine Meinungskolumne absondert, disqualifiziert sich bereits durch diese Tat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Inhalt – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – intellektuell und vom Kenntnishorizont, der Bildung, dem historischen Wissen her gesehen dermassen erbärmlich ist, dass man sich höchstens darüber aufregen könnte, wenn es nicht so lächerlich wäre.

Die Bedeutung der Massenmedien ist umgekehrt proportional zur Wichtigkeit, die sich die dort Tätigen anmassen, zubilligen, vormachen. Wer schreibt «Biden sollte, Xi müsste, Putin wäre gut beraten, Scholz hat einzusehen, Macron macht einen Fehler», wer selbst den Schweizer Bundeszwergen ungefragt gute Rastschläge gibt, der sollte eigentlich als Stand-up-Comedian auftreten. Nur hätte er da eine kurze Karriere vor sich, weil das Publikum schnarchend oder schimpfend reagieren würde – und sich schnell einmal weigerte, für solchen Sprachmüll auch noch Eintritt zu zahlen.

Wie man ein Framing installiert

Schweiz – Sklaverei. Ein neues Begriffspaar erobert die Medien.

In der Verhaltenspsychologie ist der pawlowsche Hund das Paradebeispiel für Konditionierung. Einer unbedingten Reaktion, beispielsweise dem Schwanzwedeln bei Freude, kann man eine bedingte Reaktion hinzufügen.

Das erreichte Pawlow, indem er immer eine Glocke ertönen liess, wenn einem Hund Futter gegeben wurde. Nach einer Lernphase begann der Hund auch dann zu sabbern, wenn nur die Glocke läutete – ohne Futter.

Auch Journalisten fangen an zu sabbern

Zurzeit passiert das Gleiche in der Schweiz mit dem Begriffspaar Schweiz – Sklaverei, Sklavenhandel. Moderndeutsch nennt man es nicht mehr pawlowschen Reflex, wenn Journalisten zu sabbern beginnen, sobald dieses Begriffspaar auftaucht. Sondern man nennt es das Entstehen eines Narrativs oder Framing.

Schubladendenken, die Herstellung einer vorhandenen oder neuen Assoziationskette. Eine vorhandene ist zum Beispiel die Farbe Gelb zu Zitrone, sauer. Allerdings gab es bis vor Kurzem keine Assoziationskette von Schweiz über Kolonialismus zu Sklaverei und Sklavenhandel. Denn bekanntlich hatte die Schweiz spätestens nach Marignano anno 1515 allen Grossmachtsfantasien abgeschworen; von da an verdingten sich Schweizer nur noch als Reisläufer fremden Herren.

Pas d’argent, pas de Suisses; nur noch die Bezahlung entschied, für wen die Eidgenossen in den Krieg zogen. Aber die Teilnahme an Eroberungszügen, an der Knechtung und Ausbeutung von Völkern in der Dritten Welt, aktive Beteiligung am Sklavenhandel, das warf niemand der Schweiz vor.

Niemand kam bis vor Kurzem auf die Idee, die Schweiz mit Sklaverei zu verbinden

Ein enges, zu enges Verhältnis zum Apartheitstaat Südafrika, das Lagern von Blutgeld und Reichtümern von Potentaten der Dritten Welt, das waren die schlimmsten Vorwürfe, die man der Schweiz machen konnte. Und dass sie Sitz von Handelshäusern war und ist, die die Warenströme der globalisierten Welt lenken.

Aber niemand, von wenigen Irrläufern abgesehen, wäre auf die Idee gekommen, der Schweiz eine Beteiligung an Sklaverei, an Sklavenhandel vorzuwerfen. Bis die «Black lives matter»-Welle auch über die Schweiz hereinbrach und sich mit dem Kampf gegen Klimaleugner ein Gefecht um die Lufthoheit der dringlichsten Anliegen lieferte.

Man sah auch in der Schweiz tapfere Eidgenossen niederknien, gebeugt unter jahrhunderteschwerer Kolonialschuld, und inbrünstig den Nonsense-Slogan skandierend, dass schwarze Leben Bedeutung haben. Es gab da aber anfänglich ein kleines Problem: Schuldbewusstsein, Leidensdruck, dafür braucht es nicht nur einen Slogan, sondern auch einen Grund.

Man muss heimisch leiden, nicht fremdleiden

Stellvertretend für die unterdrückten Schwarzen in den rassistischen USA leiden, das ist zwar ein Ansatz, aber viel besser wäre es, wenn man sozusagen heimisch leiden könnte. Daher probierte man es zunächst mit dem strukturellen Rassismus. Strukturell ist Rassismus, wenn er irgendwie ist, es aber schwerfällt, ihn dingfest zu machen. Auch der Stellvertreterkrieg gegen Begriffe, Mohrenkopf, Schwarzfahrer, Nickneger, vermochte diese Leerstelle nicht wirklich zu füllen.

Da erinnerte man sich daran, dass die Zeiten der Sklaverei und des Sklavenhandels doch schon länger zurückliegen. Zumindest in Europa und in den USA, denn in Schwarzafrika oder Lateinamerika hielt sich Sklavenhandel noch über viele Jahrzehnte, nachdem er von weissen Männern in aufgeklärten Staaten abgeschafft worden war.

Ein erster Durchbruch für die Sklavereiforschung

Also war es naheliegend, die Annalen der Schweiz zu durchforsten; da müssten sich doch Sklavenhändler, Besitzer von Sklaven, Ausbeuter von Sklaven finden lassen. Allerdings: die Suche gestaltete sich zäher als erhofft. Einen Durchbruch erzielte die Sklavereiforschung in der Schweiz erst, als sie den Neuenburger Mäzen David de Pury als üblen Sklavenhändler enttarnte.

Nun gut, der hatte fast sein ganzes Leben in Lissabon verbracht und als geschickter Geschäftsmann von der portugiesischen Krone gewisse Handelsmonopole erhalten. So ganz direkt war er dann auch nicht in Sklavenhandel verwickelt, man konnte ihm auch nicht vorwerfen, auf seinen Ländereien in der Dritten Welt Sklaven schuften zu lassen.

Schliesslich hatte er der Stadt Neuenburg auch ein gewaltiges Vermögen hinterlassen, als er kinderlos in Lissabon starb. Damit stellte die Stadt einige sinnvolle Dinge an und würdigte ihren spendablen Sohn auch mit einem Denkmal. Aber das muss natürlich weg, dieses Mahnmal für einen Sklavenhändler; Schande über ihn. Nun gut, die Monumente seiner spendablen Erbschaft, die müssen nicht unbedingt niedergerissen werden, denn auch heute noch gilt: pas d’argent, pas de Suisses.

Mit «ein de Pury» misst man nun die Schuldhaftigkeit

Damit war aber der erste Schritt im Framing geglückt. Wir haben einen Massstab gefunden, mit dem sich Schuldhaftigkeit in der Sklaverei messen lässt. Damit kann man skalieren. So entblödet sich die NZZ nicht, anlässlich der aktuellen Scheindebatte um angeblich dunkle Sklavereigeheimnisse Zürichs zu schreiben, dass Alfred Escher «nicht zu vergleichen» sei «mit Figuren wie dem Sklavenhändler David de Pury, dessen Denkmal mitten in Neuenburg zu Recht zur Disposition» stünde.

Damit will die NZZ immerhin das Escher-Denkmal vor dem Hauptbahnhof in Sicherheit bringen, dessen Abbruch selbstverständlich schon gefordert wird. In seltener Einigkeit mit dem «Tages-Anzeiger» fantasiert dann der NZZ-Kommentator wortgleich davon, dass «Zürich seit dem 17. Jahrhundert in mannigfacher Weise mit der Sklaverei verbunden» gewesen sei. Das müsse genauer erforscht werden, behauptet die NZZ, will aber gleichzeitig verhindern, dass diese Selbstbeschuldigung aus dem Ruder läuft: «Moral und Anklage braucht es dafür jedoch nicht.»

Wie soll man anders anklagen als aus heutiger Sicht?

Ein wundersamer Satz, ein entlarvender Satz, ein exemplarischer Satz, wie beim Umgang mit dem Thema Schweiz und Sklaverei es selbst der NZZ die Sinne verwirrt. Wie denn anders wird mit diesem Thema umgegangen als mit heutiger Moral und einem anklagenden Zeigefinger?

Anders ist das gar nicht möglich, denn als sich die Stadt Zürich an einer der damaligen Handelsgesellschaften beteiligte, so wie de Pury, war es weder moralisch verwerflich noch gesellschaftlich geächtet, Sklavenhandel zu betreiben. In Schwarzafrika existierte Sklavenhandel schon Jahrhunderte vor der Kolonisation, und dort existierte er auch noch, als die aufgeklärten Staaten Europas und die USA Sklavenhandel und den Besitz von Sklaven verboten.

Verstehen heisst nicht billigen der entschuldigen

Das macht die Beteiligung damals, und sei sie auch noch so gering gewesen, aus heutiger Sicht nicht weniger abscheulich. Aber eben aus heutiger Sicht. Geht man nicht wie die christliche Religion von einem über die Jahrhunderte und Jahrtausende unveränderlichen und unveränderten Menschenbild aus, dann muss man geschichtliche Epochen aus sich heraus verstehen, um Erkenntnisgewinn zu erzielen. Verstehen heisst natürlich nicht billigen oder entschuldigen. Es heisst aber auch nicht, billig mit der moralischen Überlegenheit der Jetztzeit damalige Verhaltensweisen und Einstellungen abzukanzeln.

Wie absurd das ist, kann man einfach mit einer Komplettierung der damaligen Mentalität exemplifizieren. Für de Pury war Sklavenhandel so selbstverständlich wie die Tatsache, dass der portugiesische König qua göttliches Recht über die Portugiesen herrschen durfte, ohne dass ihm Recht oder Gesetz Fesseln auflegen könnten. Für de Pury war es selbstverständlich, dass alleine durch königliche Geburt sein Nachfolger die Regentschaft übernehmen durfte. Für Escher war es selbstverständlich, dass Frauen weder in der Politik, noch in der Wirtschaft etwas zu sagen haben. Für ihn war es selbstverständlich, dass nur Besitzbürger politische Rechte haben. Für ihn war der Gedanke an Sozialwerke eine irrwitzige Forderung von verwirrten Geistern.

Escher als prägende Figur oder als Sklaventreiber?

Alfred Escher war für Zürich und für die Modernisierung der Schweiz eine prägende Gestalt von gewaltiger politischer und wirtschaftlicher Wirkungskraft. Dass er im Umgang kein angenehmer Mensch war und auch mit vielem scheiterte, so wie er vieles bewegte, das gehört zu seiner Biographie. Dass er zur Symbolfigur zu missraten droht, an der pawlowsche Reflexe antrainiert werden sollen, wenn es um die Herstellung einer Verbindung zwischen Zürich und Sklaverei, Schweiz und Sklavenhandel, Schweizer und Kolonialismus gehen soll, ist unerhört.

Ein Rückschritt, ein Rückfall, eine wahre Bankrotterklärung des Historischen Seminars der Uni Zürich, dessen Mitarbeiter sich für einen solchen unwissenschaftlichen Unfug wie der Spurensuche nach «mannigfaltigen Verwicklungen» Zürichs und der Zürcher in die Barbarei der Sklaverei sklavisch dem Zeitgeist gehorchend hingeben. Dass die NZZ ins gleiche Horn stösst, ist bedenklich.