Ullsteins Schande
J.D. Vance ist der neue Gottseibeiuns der Journaille. Und eines deutschen Verlags.
«Wieso Trumps Vize jetzt zum Problem wird». Das will Christian Zaschke wissen. Er gehört zur Riege der US-Korrespondenten der «Süddeutschen Zeitung», deren Ergüsse ungefiltert die Schweizer Leser von Tamedia belästigen. Ihre Artikel sind nicht mal aktuell, wenn sie veröffentlicht werden. Interessant sowieso nie.
Auch was er meint und behauptet und woran er zweifelt und was er hofft, hat mit der Wirklichkeit in den USA kaum etwas zu tun. So ausserhalb von New York, Boston, San Francisco und Los Angeles. Also ist es völlig unerheblich.
Vance werden nun unbedachte Äusserungen um die Ohren geschlagen, die er tätigte, als er noch nicht der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten war und als er von Donald Trump keine besonders hohe Meinung hatte. Kann passieren, ist all diesen Korrespondenten auch nicht unbekannt, dass sie lieber nicht an ihre Fehlprognosen und Untergangsarien («so stirbt die Demokratie») erinnert werden möchten.
Das kann man Vance nun aufs Brot schmieren und der Hoffnung Ausdruck geben, dass das Trump «viele Stimmen kosten» könnte. Das Pfeifen im Wald wird immer schriller. Auch der «Blick» pfeift mit: «Warum Vance zum peinlichsten Vize.-Kandidaten wird». Noch peinlicher als Dan («potatoe») Quayle?
Man könnte allerdings auch das Buch von Vance lesen. Denn er hat eins geschrieben, und im Gegensatz zu dem meisten Gebrabbel dieser Korrespondenten ist das Literatur, beschreibt schonungslos den eigenen Lebenslauf von Vance. Der stammt aus einer typischen White Trash-Familie; Mutter drogenabhängig, ständig wechselnde Begleiter, Chaos, Misshandlungen jeder Art.
Bis seine Grossmutter beschliesst, den Jungen zu sich zu nehmen. Was der nur knapp besser als das Verbleiben bei seiner Mutter empfindet. Bis er für die Schule einen Taschenrechner braucht, und der kostet für seine Verhältnisse ein Vermögen von 84 Dollar.
Vance versucht linkisch, einen zu klauen, wird dabei erwischt und von seiner Großmutter gerettet – die ihm den Taschenrechner schenkt. Auch das vermag Vance, der sich selbst gegen so viel Rohheit und Aggressionen und Gewaltausbrüche mit gleicher Münze wehrte, nicht wirklich zu begeistern. Aber dann bekommt er mit, dass seine Großmutter sich dafür das Essen vom Mund abspart.
Und benützt den Taschenrechner, bringt beste Noten nach Hause, geht auf die Uni, verliebt sich in einen Menschen, der bedingungslos zu ihm steht – und macht Karriere. Hollywood. Natürlich, und Hollywood hat’s auch verfilmt. Nicht viel schlechter als das Buch geworden, mit einer grossartigen Glenn Close als Grossmutter mit bewundernswertem Mut zur Hässlichkeit.
Den hat auch der Ullstein Verlag, allerdings anders. Die Gebrüder Ullstein drehen sich im Grab um. Denn wie hiess noch im Gründungsjahr 1903 das Credo: «In diesem Haus wurden alle Strömungen eingefangen, alle Stimmen gehört, registriert und wie von einem riesigen Resonanzboden verstärkt der Öffentlichkeit wieder zugeführt.»
Ausgerechnet der Verlag, dessen jüdische Besitzer ihn zwangsweise an die Nazis verkaufen mussten, ausgerechnet der Verlag, der wie kein anderer unter Meinungsterror und Zensur gelitten hat, schmeisst den Autor J.D. Vance aus seinem Programm. Nachdem er sieben Jahre lang an der deutschen Übersetzung der «Hillbilly Elegie» satt verdient hat.
Der Autor vertrete inzwischen «eine aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik». Deshalb habe man ihn denunziatorisch ausgegrenzt. Nein, so formuliert es der Verlag nicht. Deshalb habe man die Lizenz nicht verlängert.
In der Tiefebene des deutschen Geists ist das eine unsägliche Verrohung der Sitten. Heinrich Heine kann froh sein, dass seine Werke im Suhrkamp Verlag erscheinen. Denn was würde Ullstein wohl davon halten, wenn er Hausautor wäre und geschrieben hat: «Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen.»
Sicher, die Bücher von Vance werden (noch) nicht verbrannt. Aber mindestens so erbärmlich wie diese Entscheidung ist das nur leise Gemurmel im deutschen Feuilleton. So ein Skandal müsste einen Aufschrei auslösen. Stattdessen da und dort leise Kritik. Bei Tamedia weiss die Literaturchefin Nora Zukker wahrscheinlich nicht einmal, dass es dieses Buch überhaupt gibt. Auf jeden Fall kein Wort dazu.
Den Vogel schiesst hier aber wieder einmal die «Süddeutsche Zeitung» ab. Ein Felix Stephan – angeblich «Kulturjournalist» und selber Schriftsteller – verdient es, dass sein Name auf ewig an einen Schandpfahl genagelt wird.
Unter dem Titel «Ist das schon Zensur?» schwurbelt er diese Zensur zurecht. Denn schliesslich, so sein grenzdebiles Argument, hätte Ullstein ja die Lizenz verlängern und dann nur eine kleine Auflage nachdrucken können: «So aber wurde die Lizenz für jeden Verlag frei verkäuflich, der sich ihrer erbarmen wollte.» Erbarmen?
Kein Verlag hätte sich aber «an der Meinungsfreiheit in Deutschland vergangen, wenn er das Buch eines Autors nicht veröffentlichen wollte, der sich im amerikanischen Wahlkampf zwar in aussichtsreicher Position befindet, inhaltlich aber in vielerlei Hinsicht rechts von der AfD». Wie bitte? Sollte man also auch Bücher von der AfD nahestehenden Autoren nicht mehr veröffentlichen? Einer demokratischen und gewählten Partei? Nur weil das einem geistigen Grossinquisitor wie Stephan nicht ins ideologische Raster passt?
Der «Fall» erinnere an den Historiker Rolf Peter Sieferle, dessen durchaus lesbares und provokantes Buch «Finis Germania» nicht von Suhrkamp veröffentlicht wurde. Eine politische Abrechnung mittels über Jahre verstreuter Aufsätze und ein literarisches Werk im Vergleich?
Vielleicht erinnert sich Flachdenker Stephan nicht daran, dass auch «Finis Germania» zum Bestseller wurde – und dann vom «Spiegel» kommentarlos aus seiner Bestsellerliste gestrichen. Schon diese unerträgliche Zensur wurde damals von wenigen Mutigen wie Denis Scheck als «journalistischer Skandal» bezeichnet. Für Stephan war das sicher voll in Ordnung. Er würde wohl auch Literaturwissenschafter Rüdiger Safranski am liebsten zensieren, der die damalige «fahrlässige und hysterische Debatte» auf eine «schlampige und fahrlässige Lektüre» zurückführte.
Die Geschichte wiederholt sich, jedes Mal mehr als Farce, wenn selbst Geisteszwerge wie Stephan im Feuilleton der SZ geifern dürfen.
Schon ist der Autor beim nächsten geistigen Salto mortale: dass das Haus Ullstein, «das bis zu seiner Arisierung 1937 einer der größten Verlage der Europas war, sich künftig von einem Autor möglichst fernhält, der nicht nur Donald Trumps Agenda vertritt, sondern auch zum Leo-Strauss-Lesekreis des rechten Milliardärs Peter Thiel gehört, ist insgesamt eher keine Sensation». Ullstein wurde von den Nazis enteignet, wer von Thiel gelesen wird, darf deshalb dort nicht mehr erscheinen? Mit einem Buch, bei dem kein einziger Buchstabe geändert wurde und das sieben Jahre lang verkauft wurde? Der Mann, mit Verlaub, hat ein paar Schrauben locker.
Aber Stephan legt noch eine Volte drauf, denn die Trauben sind viel zu sauer: «Literaturgeschichtlich muss an dieser Stelle vielleicht dazugesagt werden, dass die Erzählkonstellation von „Hillbilly-Elegie“ schon altmodisch war, als das Buch 2016 erschien.»
Ein Feuilleton, das solchen Stuss veröffentlicht – und niemand in der SZ widerspricht – hat abgewirtschaftet, seinen Ruf verspielt, kann weg.