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Faktencheck Roshani

ZACKBUM tut das, was andere schon längst hätten tun müssen.

Anonyme Quellen erfinden oder abmelken, das ist einfach. Einfach widerlich. Zielführend ist hingegen, im Licht der inzwischen gewonnenen Erkenntnisse die Anklageschrift von Anuschka Roshani einem objektiven Faktencheck zu unterziehen.

Nach fünf einfachen Kriterien:

  1. Was ist reine Rhetorik und Demagogie?
  2. Welche Anschuldigung stimmt?
  3. Welche stimmt nicht?
  4. Welche beruht auf Hörensagen?
  5. Welche kann nicht beurteilt werden?

Als Arbeitsinstrumente liegen die Recherchen des «Schweizer Journalist» vor und der Inhalt des ausführlichen Untersuchungsberichts, der von Roger Schawinski veröffentlicht wurde. Plus die Aussagen, die Finn Canonica in seinem bislang ersten öffentlichen Auftritt in Schawinskis «Doppelpunkt» machte. Plus zwei Methoden, die im modernen Elendsjournalismus kaum mehr einer beherrscht: die Anwendung von gesundem Menschenverstand und Logik. Das wird nun etwas länglich, aber das ist der Genauigkeit geschuldet.

Untersucht wird die Darstellung von Anuschka Roshani, die am 3. 2. 2023 im «Spiegel» unter dem Titel erschien: «Er zeichnete mir Hakenkreuze an den Rand meiner Manuskripte».

1. Einleitend beschreibt Roshani, wie sie einen Hollywood-Spielfilm über zwei Reporterinnen gesehen habe, deren Recherchen zu Harvey Weinstein die Bewegung #metoo ausgelöst hätten. Dann schreibt R.: «Ich sah mir «She said» an, nachdem ich selbst Opfer eines Machtmissbrauchs geworden war.» Diese Einleitung erfüllt einwandfrei Kriterium 1, reine Rhetorik oder Demagogie. Sie vergleicht ihre Erlebnisse mit Vorwürfen, die gegen den verurteilten Straftäter Harvey Weinstein erhoben wurden.

2. «Als Finn Canonica 2007 «Magazin»-Chefredakteur wurde, begann er ein Regime des Mobbings. Ich war nicht die Einzige.» Laut Canonica bot er R. in diesem Jahr die Stelle als seine Stellvertreterin an, die R. ablehnte, weil sie damals schwanger war, während er ihr angeboten habe, dass sie die Stelle nach ihrem Schwangerschaftsurlaub antreten könne. Es ist nicht erfindlich, wieso er sie stattdessen gemobbt haben sollte. Eindeutig Fall 3: stimmt nicht.

3. «Eine Kollegin entliess er ohne Vorwarnung.» Fall 5, kann nicht beurteilt werden. Als ihr der «Tages-Anzeiger» eine Reporterstelle anbot, «soll Canonica gesagt haben», das untergrabe seine Autorität, die Betroffene bekam die Stelle nicht. Fall 4: Hörensagen.

4. «Canonicas erklärtes Führungsprinzip: Er teilte die Redaktion in einen «inner circle» und einen «outer circle».» Der innere Zirkel habe Privilegien genossen, «musste aber auch, egal ob er oder sie es wollte, Details aus Canonicas Sexleben erfahren.» Fall 4, Hörensagen.

5. «Er mutmaßte über die sexuelle Orientierung oder Neigung von Mitarbeitern. Äusserte sich verächtlich über jeden, der nicht im Raum war. Bezeichnete unliebsame Themen als «schwul». Benutzte in Sitzungen fast touretteartig das Wort «ficken».» Die ersten beiden Behauptungen beruhen auf Hörensagen. Die Behauptung, Canonica habe ständig das Wort «ficken» benutzt, ist durch den Untersuchungsbericht widerlegt worden. Also Fall 3, stimmt nicht.

6. «Erzählte Intimitäten, etwa, dass zwei Redakteure ihre Kinder nur durch künstliche Befruchtung bekommen hätten.» Fall 4, Hörensagen.

7. «Wer wie ich in den äusseren Kreis aussortiert war, wurde von ihm wochenlang übergangen.» Es ist kaum glaubhaft, dass Canonica R. als einzige Redakteurin der Mannschaft vor den Sparmassnahmen behalten hätte, um sie dann zu übergehen. Da zudem ihr Arbeitsausstoss sehr überschaubar war, ist es nicht glaubhaft, dass sie «nicht mal eine Information erhalten» habe, «wenn ich sie dringend brauchte.» Es wäre ein Leichtes gewesen, das mit einem konkreten Beispiel zu untermauern. Fall 3, stimmt nicht.

8. «Im Wesentlichen entwürdigte er mich mittels verbaler Herabsetzungen. So unterstellte er mir an einer Konferenz, ich hätte mir journalistische Leistungen mit Sex erschlichen: Ich sei mit dem Pfarrer der Zürcher Fraumünster-Kirche im Bett gewesen … In einer SMS sprach mich Canonica als «Pfarrermätresse» an.» Richtig ist, dass diese SMS existiert, Fall 2, stimmt. Canonica erklärt diesen Ausdruck als Frotzelei, da der Pfarrer R. gelegentlich zu einem Kaffee eingeladen habe. Es ist nicht glaubhaft, dass er ihr ernsthaft eine sexuelle Beziehung zu einem Pfarrer unterstellt haben sollte oder zudem insinuiert, dass sie sich so journalistische Leistungen erschlichen habe. Fall 3, stimmt nicht.

9. «Hinter meinem Rücken nannte er mich vor einer Kollegin «die Ungefickte».» Wie aus dem Untersuchungsbericht hervorgeht, will Michele Roten als Einzige gehört haben, dass Canonica R. die «Untervögelte» nannte. Nach einem Kontakt mit R., die in der Untersuchung von «Ungefickte» gesprochen hatte, änderte Roten ihre Version darauf. Daher eindeutig Fall 3, stimmt nicht.

10. «Sagte coram publico zu mir, mein Mann habe «einen kleinen Schwanz».» Bei den Befragungen durch die untersuchende Anwaltskanzlei wurde niemand gefunden, der diese Behauptung bestätigt. Fall 3, stimmt nicht.

11. «In den jährlichen Mitarbeitergesprächen bat ich Canonica wiederholt, sachlich mit mir umzugehen. Das änderte nichts; immer wieder drohte er mir mit Kündigung.» Dafür gibt es keinerlei Unterlagen oder Belege; weder Canonica noch andere können diese Behauptung bestätigen. Im Zweifelsfall 5, kann nicht beurteilt werden.

12. «Einmal schrieb er mir nach der Veröffentlichung eines von mir verantworteten Sonderhefts: «Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert.» Laut Canonica war das eine Frotzelei, wie sie zwischen den beiden nach jahrelanger Zusammenarbeit üblich war. Es erscheint kaum glaubhaft, dass er sie damit herabwürdigen oder beleidigen wollte. Fall 3, stimmt nicht.

13. Sei ein deutsches Wort in ihren Texten aufgetaucht, «zeichnete er mir Hakenkreuze an den Rand meiner ManuskripteFall 2, das stimmt. Allerdings: Canonica bezeichnet das heute als Joke gemeinte Dummheit, die er bereue. Die einleitende Kritik «Doch er verhöhnte mich nicht nur als Frau, sondern auch meine Herkunft», ist in diesem Zusammenhang überzogen, Fall 3, stimmt nicht.

14. «Vielleicht wollte er sich aufwerten, indem er mich abwertete. ich kann mir sein Vergnügen nicht erklären, muss und will es nichtFall 1, reine Rhetorik und Demagogie.

15. «Rund 14 Jahre lang versuchte ich Canonica, der heute 57 ist, zu entkommen.» Sowohl Canonica wie R. waren 2001 als Redakteure zum «Magazin» gekommen, 2007 wurde er zum Chefredaktor ernannt und bot ihr die Stelle als seine Stellvertreterin an. Wieso sie dann 14 Jahre lang Fluchtgedanken hatte (und die nie in die Tat umsetzte), ist nicht schlüssig. Fall 3, stimmt nicht.

16. «Geriet ich an meine Grenzen, nahm ich ein Sabbatical.» Was R. nicht sagt: sie bekam als einzige «Magazin»-Redakteurin von Canonica ein bezahltes, halbjähriges Sabbatical, was eine massive Bevorzugung gegenüber ihren Kollegen bedeutete. Fall 3, stimmt nicht.

17. «Irgendwann sagte mir ein Kollege, Canonica mobbe mich seit JahrenFall 4, behauptetes Hörensagen. Weder dieser Kollege noch seine Aussage erscheinen im detaillierten Untersuchungsbericht.

18. «Wann immer ich mich zur Wehr setzte, gab er mir zu verstehen, dass ich niemanden im Verlag fände, der mir Gehör schenken würde. Er sitze bombenfest im Sattel und genieße sogar das große Wohlwollen des Verlegers Pietro Supino.» Als CH Media diese Behauptung als Aussage einer «anonymen Quelle» wiederholte, zwang Supino den Konkurrenzverlag, diese Behauptung zurückzunehmen und sich dafür zu entschuldigen. Fall 3, stimmt nicht.

19. «Ich formulierte meine Situation seit 2010 mehrfach gegenüber verschiedenen Stellen im Haus.» Laut Untersuchungsbericht habe R. zunächst schriftlich behauptet, sie habe sich ab 2007 bei HR gemeldet. Mündlich korrigierte sie das dann auf 2012. Als HR keinerlei Belege für diese Meldungen fand, sagte R., dass sie sich nur mündlich beschwert habe. Als man sie mit diesen Widersprüchen konfrontieren wollte, verweigerte sie jegliche weitere Zusammenarbeit mit den Untersuchenden. Fall 3, stimmt nicht.

20. «Mindestens eine Kollegin und ein Kollege erklärten der Personalabteilung damals (2014, Red.), dass sie wegen Canonica kündigten.» Fall 4, Hörensagen mit anonymen Quellen.

21. «2014 berichtete ein Branchenblatt über das «unerträgliche Klima der Angst» unter Canonica.» Das beruhte auf anonymen Quellen; der damalige Kolumnist Daniel Binswanger oder auch Daniel Ryser widersprachen dem ausdrücklich und Ryser bezeichnete es noch zwei Jahre später als Ausdruck von Neid. Fall 3 und 4, stimmt nicht, beruht auf Hörensagen.

22. Obwohl sich – wiederum laut einem «Branchenmagazin» – 2017 die Stimmung gebessert habe, «ging das Mobbing mir gegenüber weiter: ohne Anlass nutzte Canonica auch den neuen Redaktionsalltag für meine Diskreditierung.» Fall 1, reine Rhetorik oder Demagogie.

23. Er habe «gerne schlüpfrige Bemerkungen gemacht, wie beim Weihnachtsessen 2019» (also nicht im Redaktionsalltag), als er zu ihrem LSD-Selbstversuch «grinsend» bemerkt haben soll, «dass LSD sicher geil mache». Einem Reporter sagte er – ich war in Hörweite –, dieser dürfe mir nichts glauben, ich würde generell «Bullshit» von mir geben.» Wenn das die Beispiele für Mobbing und Diskreditierung sein sollen: Fall 3, stimmt nicht.

24. «Das neue Redaktionsteam tat, als wäre nichts.» Das wäre ein Fall 4, reines Hörensagen. Wenn es nicht die Aussagen von acht vom «Schweizer Journalist» befragten «Magazin»-Mitarbeitern gäbe, die unisono all diese Behauptungen dementieren. Es habe keine sexualisierte Sprache gegeben, kein Mobbing, keine Übergriffigkeiten, das Redaktionsklima sei sehr gut gewesen, es sei sogar nie ganz klar gewesen, ob Canonica der Chef sei oder R. Die beiden hätten zudem einen speziellen Umgangston gehabt, den man sich aus der langjährigen Zusammenarbeit erkläre. Also Fall 3, stimmt nicht.

25. «Zum Internationalen Frauentag im März 2021 beklagten 78 Mitarbeiterinnen … ein männerdominiertes frauendiskriminierendes Betriebsklima.» Diese Schreiben existiert, was R. nicht erwähnt: kein einziger der darin erhobenen anonymisierten Vorwürfe wurde bis heute verifiziert, was wie bei ihren Behauptungen auch kaum möglich ist, weil alles ohne Zeitangabe erfolgt. Was sie auch nicht erwähnt: wieso hat sie damals nicht die Gelegenheit ergriffen, auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen? Was sie nicht erwähnt: stammte ein einziges der in diesem Schreiben angeführten Beispiele von ihr? Fall 1, reine Rhetorik und Demagogie.

26. «Nicht mal Canonicas Affäre mit einer Untergebenen und den damit verbundenen Machtmissbrauch fand das Unternehmen als Vorwurf erheblich genug: erst bevorzugte Canonica seine Geliebte, ohne daraus ein Hehl zu machen, ging mit ihr auf Dienstreisen, dann, nach dem Ende des Verhältnisses, verbot er uns, mit ihr zu kommunizieren.» Der Untersuchungsbericht hat zweifelsfrei nachgewiesen, dass es sich hier um eine aus der Luft gegriffene Behauptung eines rachsüchtigen ehemaligen Mitarbeiters handelte, deren Wahrheitsgehalt schon bei oberflächlicher Untersuchung sich als nicht belastbar erwies. Fall 3 und 4; stimmt nicht und Hörensagen.

27. Eine Zuständige aus der Personalabteilung habe R. gebeten «Belege für Canonicas Fehlverhalten rauszusuchen; außerdem bat sie mich, Kollegen, auch ehemalige, dazu zu bewegen, ebenfalls Meldung über die Hotline zu machen. Abends sammelte ich Beweismaterial, ohne je zu erfahren, was damit geschah.» Laut Untersuchungsbericht verfügt HR über keinerlei Belege, dass R. solche Beweise gesucht und eingereicht habe. Der ehemalige Oberchefredaktor Arthur Rutishauser als direkter Vorgesetzter von Canonica sagt, dass ihm seit dem Beginn seiner Amtszeit keine einzige Beschwerde über den Chefredaktor zu Ohren gekommen sei. Fall 3, stimmt nicht.

28. «Längst wissen auch der Verwaltungsrat und der Verleger Pietro Supino von den Vorfällen.» Was R. nicht schreibt: Über ihren Mann, den Verleger Peter Haag, liess sie ihre Beschwerden, deren erste Untersuchung nichts ergeben hatte, durch ein Mitglied des VR dort zum Thema machen. Fall 1, reine Rhetorik und Demagogie.

29. «Bis Frühjahr 2022 machte ich gute Miene zum bösen Spiel.» Was R. nicht schreibt: Im Jahr 2020 hatte sie sich in einer Blindbewerbung um die Stelle von Canonica beim VR beworben. Darin hatte sie sich als bessere Chefredakteurin angepriesen, die das «Magazin» viel besser leiten könne. Diese Bewerbung wurde nicht berücksichtigt. Fall 1 und 3, reine Rhetorik und Demagogie, stimmt nicht.

30. «So wie sich Canonica anstrengte, mich kleinzukriegen, versucht Tamedia, mich in die Knie zu zwingen. Deren Anwältin behauptet, dass ich alles nur inszeniert hätte, um Canonicas Chefposten zu bekommen. Was mich an die Berichterstattung über den Weinstein-Skandal erinnert …» R. wollte Canonicas Chefposten bekommen. Nach ersten Befragungen und als man sie bat, auf Widersprüchlichkeiten in ihren Aussagen einzugehen, verweigerte R. die weitere Mitarbeit an der Untersuchung, die aufgrund ihrer in den VR getragenen Anschuldigungen durchgeführt wurde. Sie meldete sich krank, ohne dafür ein Arztzeugnis vorzulegen. Klarer Fall 3, stimmt nicht, und der Vergleich mit Weinstein ist Fall 1, Rhetorik und Demagogie.

31. «Aus der Redaktion hieß es, er habe eine hohe Abfindung bekommen.» Das schreibt R. über den Abgang von Canonica. Fall 4, Hörensagen.

32. «Ende September hat mir Tamedia ohne Angaben von Gründen gekündigt. Ich habe gegen Tamedia Klage eingereicht wegen Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und Mobbings. Und dem Gericht Zeugen für einzelne Fehlverhalten genannt.» Tamedia äussert sich nicht zu dieser Kündigung. Daher Fall 5, kann nicht beurteilt werden. Allerdings würde es interessieren, wen R. als Zeugen benannt hat.

33. Abschliessend zitiert R. eine Filmszene des Streifens über Weinstein: «Keine Frau sollte jemals Missbrauch oder Mobbing akzeptieren, Dann fügt sie hinzu: «Ich will meine Stimme zurück.» Das will ich auch.» Fall 1, reine Rhetorik und Demagogie.

Es ist davon auszugehen, dass R. das für sie vernichtende Resultat der Untersuchung ihrer Vorwürfe durch die angesehene Kanzlei Rudin und Cantieni nicht kannte. In ihr werden fast alle ihre Vorwürfe entkräftet oder als nicht belegbar zurückgewiesen. Das gilt zudem für die Behauptungen des 2015 im Unguten gegangenen «Magazin»-Redaktors Mathias Ninck, der die Lügengeschichte in Umlauf brachte, dass Canonica bei Einstellungsgesprächen mit weiblichen Mitarbeitern anzüglich eine Frauenbrust aus Plastik gestreichelt habe, die auf seinem Schreibtisch gelegen sei.

Kassensturz

Wir haben (fast) alle Behauptungen von Roshani in ihrem Artikel einer faktischen Prüfung unterzogen. Das Resultat sieht bei den 33 untersuchten Behauptungen so aus (einzelne Passagen können mehreren dieser Kriterien entsprechen, bspw. 3 und 4):

  1. Was ist reine Rhetorik und Demagogie? 8 Fälle
  2. Welche Anschuldigung stimmt? 2 Fälle
  3. Welche stimmt nicht? 24 Fälle
  4. Welche beruht auf Hörensagen? 9 Fälle
  5. Welche kann nicht beurteilt werden? 3 Fälle

Das Ergebnis spricht für sich. Dass sich noch niemand die Mühe gemacht hat, den Text von Roshani einem simplen Faktencheck zu unterziehen, ist ein Armutszeugnis.

Es bleibt die (geringe) Hoffnung, dass alle Journalisten, von Salome Müller abwärts, die mit angeblichen «anonymen Quellen» gearbeitet haben, die Unschuldsvermutung in die Tonne traten und eine wahre Hexenjagd auf einen unbescholtenen Menschen veranstalteten, entsprechend sanktioniert werden.

Dass sie vom «Spiegel» abwärts auf eine offensichtlich rachsüchtige Journalistin hereinfielen, deren Motive glasklar auf der Hand liegen (vergebliche Bewerbung als Chefredaktorin, erfolgloses Mobbing gegen ihren Vorgesetzten mit fast ausschliesslich nicht belegbaren Vorwürfen, Verweigerung der Mitarbeit am Untersuchungsbericht, als erste Widersprüche auftauchen, Resultat Kündigung), das ist ein weiteres Armutszeugnis.

Es ist nicht zu hoch gegriffen, dass sich hier für den «Spiegel» – und für die hinterherhechelnde Medienmeute – ein zweiter Fall Relotius mit weiblichem Vorzeichen entwickelt.

Wumms: Elon Musk

Der neue Twitter-Besitzer kriegt’s knüppeldick.

Musk steuere den «Kurznachrichtendienst an den Rand des Zusammenbruchs», weiss der «Spiegel». Aber was weiss der schon; im gleichen Artikel behauptet Autor Alexander Demling: «Der neue Eigentümer ­reaktiviert derweil Trumps Account und holt notorische Charaktere wie den Rapper und Antisemiten Kanye West, der sich inzwischen Ye nennt, zurück auf die Plattform

Ob es nur Unfähigkeit oder Absicht ist? Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels war Kanye West schon wieder draussen, vom Chef höchstpersönlich gesperrt. Schon wieder ein Lapsus der grossartigen Dokumentation des Nachrichtenmagazins?

Noch übler geht im Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger» Matthias Schüssler zur Sache. Zunächst handelt er die #Twitterfiles ab. Musk liess aufarbeiten, wie zuvor routinemässig bestimmte Tweets gelöscht wurden, vor allem die Demokratische Partei, aber auch die Republikaner, besonderen Zugang zu Twitter hatten und ihrerseits die Löschung unliebsamer Tweets unbürokratisch verlangen und bekommen konnten.

Dazu natürlich der Skandal, dass Twitter einen Artikel der «New York Post» zensuriert hatte, in dem die Affäre um Hunter Bidens Laptop aufbereitet wurde. Vor den Präsidentschaftswahlen hätte das skandalöse Verhalten seines Sohnes Joe Biden möglicherweise entscheidende Stimmen kosten können, wäre darüber in den Mainstream-Medien berichtet worden.

Das alles kann Schüssler nicht wegschreiben, also legt er sich anders in die Kurve: «Musks Wille zur Aufklärung wäre löblich, würde er nicht selbst auf eklatante Weise zur Eskalation beitragen. Musk duldet, dass via Twitter-Files ehemalige Twitter-Mitarbeiter mit Namen und Adressen an den Pranger gestellt werden.»

Natürlich zitiert Schüssler auch die «New York Times», die konstatierte, dass seit dem Ankauf die Zunahme von Hate Speech und Rüpeleien gigantisch sei. Dabei beruft sich die NYT auf «Untersuchungen» diverser NGOs, die wie die Anti-Defamation League Musks politischen Ansichten äusserst kritisch gegenüberstehen.

Das erinnert fatal an die Liste der «Washington Post» über die gesammelten Lügen von Donald Trump. Kein Präsident zuvor habe dermassen oft gelogen, war das vernichtende Fazit, das ungeprüft weltweit übernommen wurde. Dabei hätte eine genauere Analyse der aufgeführten angeblichen Lügen gezeigt, dass die Kriterien so schwammig formuliert waren, dass auch schlichtweg Behauptungen als Lügen qualifiziert werden konnten. Zählte man das alles ab, log Trump nicht häufiger als sein Vorgänger, der Friedensnobelpreisträger Barak Obama. Aber längst hatte sich das Narrativ gebildet und verfestigt.

Das Gleiche wird nun auch bei Musk probiert. Der habe eine rechte Schlagseite, distanziere sich nicht genügend von rechten Hetzern, propagiere Meinungsfreiheit, um in Wirklichkeit üblen Populisten eine Plattform zu bieten.

Arrogant verkündet der Tagi-Autor am Schluss: «Dabei sollte Musk seine arrogante Haltung überdenken, alles besser machen zu wollen.» Um drohend hinzuzufügen: «Falls Musk aber tatsächlich seine politische Agenda über diese Herausforderung stellt, muss jeder Nutzer, jede Nutzerin und jeder Werbetreibende entscheiden, ob Twitter für ihn noch eine Zukunft hat.»

Wenn man solche unverhohlenen Boykottaufrufe liest, ist man doch glatt versucht, zum ersten Mal einen Tweet abzusetzen.

Faktenferne Faktenprüferin

«20 Minuten» rüstet auf mit einer spezialisierten Faktencheck-Taskforce. Die oberste Hüterin der Wahrheit ist allerdings selbst sehr affin für puren Unsinn.

Von Stefan Millius

«Wem sein Penis lieb ist, der sollte sich besser gegen Covid-19 impfen lassen.»

«Gegen Covid-19 geimpfte Frauen schützen ihr Baby über die Muttermilch»

«Mann leidet nach Covid-19-Erkrankung unter ‹analem Unbehagen›»

«Forschende wollen Coronavirus mittels Schweiss nachweisen»

Diese Schlagzeilen klingen, als hätte sich der Praktikant eines schmierigen US-Tabloid-Blatts in der Kaffeepause mit einer Ladung flüssigem Klebstoff im WC eingeschlossen. Sie stammen aber aus «20 Minuten», konkret von einer Dame mit dem poetischen Namen Fee Anabelle Riebeling.

Die Wissenschaftsredaktorin genoss mit ihrer aufgeregten Stimmlage während der Coronazeit in den sozialen Medien grosse Verbreitung. Der erste Impuls als Leser war stets: «Geil, ein neuer Satireaccount, den muss ich gleich dem Heinz schicken!» Hatte man die Wahrheit dann mal erkannt («Ach, das ist ernst gemeint und die Frau gibt es wirklich!»), teilte man den Beitrag dennoch. Das ist wie beim Unfall auf der Autobahn: Man will nicht, aber man muss hinsehen.

Drum prüfe, wer publiziere

Nun übernimmt Riebeling die Leitung der neuen «interdisziplinären Faktencheck- und Video-Verifikations-Taskforce» von «20 Minuten». Meldung an den internen Einkauf: Bitte grossformatige Visitenkarten bestellen. Ihr Team, das noch im Aufbau ist, will noch mehr als bisher darauf achten, dass nur «geprüfte Informationen» publiziert werden.

Wie immer bei Faktencheckern ist es natürlich deren Geschmack überlassen, was das Prädikat «geprüft» erhält oder nicht. Unterm Strich müsste die Taskforce wohl einfach dafür sorgen, dass das, was in der Zeitung steht, stimmt. Früher war das eine Grundaufgabe von Journalisten, nun braucht es dafür eine Elitebrigade.

Aufjaulender Menschenverstand

Laut Fee Anabelle Riebeling setze man bei der Arbeit auf technische Onlinetools, aber mehr als das: «Wir setzen unseren Menschenverstand ein.» Das klingt bei ihr schon fast wie eine Drohung. Denn wie es herauskommt, wenn Riebeling ihren Menschenverstand abruft, sieht man, wenn man die Liste oben durchgeht.

– Ein Corona-Schweisstest wurde von thailändischen Forschern einst ins Spiel gebracht, danach hörte man schnell nichts mehr davon, und in der Apotheke sollte man eher nicht danach fragen. Bei Riebeling klang es wie der grosse Durchbruch.

– Muttermilch ist eine gesunde Sache, aber von einem Effekt der Impfung berichteten nur einzelne Ministudien wie beispielsweise der University of Massachusetts (30 Teilnehmerinnen). Als allgemein akzeptierte Erkenntnis setzte sich das nie durch. Aber Riebeling berichtet im «Es ist so»-Stil.

– Dasselbe gilt für die These, dass man aufgrund von Covid-19 unter akuter Schlaffheit im Lendenbereich leiden kann. Ein wissenschaftlicher Beweis fehlt, der einzige Anhaltspunkt sind Männer, die bei Untersuchungen angaben, vor der Coronaerkrankung wilde Hengste gewesen zu sein und bei denen danach die Manneskraft schwächelte. Der weitaus häufigste Grund für Erektionsstörungen, psychische Probleme, wurde offenbar der Einfachheit halber ausgeschlossen.

– Das mit dem «analen Unbehagen» schenken wir uns, das spricht für sich.

Literatur + Kultur = Wissenschaft

Die Chefin der neuen Faktenchecker-Taskforce von «20 Minuten» geht also selbst sehr freihändig mit Informationen um. Stimmen sie in ihr Weltbild, verkauft sie diese auch bei dünnster Beweislage als unumstössliche Wahrheit. Entsprechen sie nicht ihrer Meinung, sind es natürlich «Fake News» – muss man gar nicht erst gross prüfen.

Nebenbei: Fee Anabelle Riebeling hat Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften, Journalismus und Soziologie studiert. Danach war sie an der Hamburg Media School und am MAZ. Nur falls jemand wissen will, was es braucht, um «Wissenschaftsredaktorin» bei «20 Minuten» zu werden und eine Taskforce zu leiten.

F*** den Faktencheck

Um es milde auszudrücken. Neuerlicher Tiefpunkt bei Tamedia.

Was früher vor der Publikation eines Artikels selbstverständlich war, wird heutzutage im Elendsjournalismus gross als Leistung heraustrompetet: der Faktencheck.

Das ist ungefähr so wie wenn der Reifenwechsler ein grosses Gewese daraus machen würde, dass er am Schluss der Montage der Winterpneu noch die Schrauben nachzieht. Eine Selbstverständlichkeit wird zur Sonderleistung aufgepumpt.

Das ist schon lachhaft genug. Dass der Oberfaktenchecker von Tamedia es nicht checkt, zieht die Schraube der Lächerlichkeit noch weiter an. Nun hat Yannick Wiget zusammen mit dem Gesetz-Befürworter Edgar Schuler ein Stück online gestellt, das zwar hinter der Bezahlschranke versteckt ist, aber dennoch keinen Pfifferling wert: «Argumente für und gegen das Covid-Gesetz im Faktencheck»

Leider steht das Wort ungeschützt im Raum; jeder (und jede) kann dran rumfingern, es missbrauchen, abwerten, Lügen strafen. Das tun sogenannte Qualitätsjournalisten am liebsten, während sie das hohe Lied vom Vertrauen in ihre Tätigkeit singen. Und die nächsten Fakechecks schon vorbereiten, die in aller Objektivität ergeben werden, dass man ihnen unbedingt eine Milliarde Steuergelder reinschieben muss.

Wes Inserat ich nehm, des Lied ich sing

Aber zunächst geht es um die Abstimmung am 28. November. Bis und mit Sonntagsausgaben haben die Mainstream-Medien einen grossen Schluck aus der Pulle «Impfwoche» genommen. Inserate satt, milde Berichterstattung über einen Flop, bei dem locker 100 Millionen Franken an Steuergeldern sinn- und zwecklos verröstet wurden. Dabei steht als letzter Höhepunkt der Aufruf von 13 Ex-Bundesräten an «ihr Volk» noch aus, sich gefälligst zu impfen.

Aber keiner zu klein, Faktenchecker zu sein. 17’218 gecheckte Anschläge lässt Tamedia über seine schrumpfende Leserschaft herabregnen. Man will denen schliesslich mal wieder zeigen, wofür sie Hunderte von Franken pro Jahr ausgeben. Für Qualitätsjournalismus natürlich. Objektiv, ausgewogen, analytisch, lehrreich, einordnend, klarstellend. Verlässlich, richtig, voll gecheckt halt.

Bevor wir uns ins finstere Elendsloch des modernen Schrumpfkopfjournalismus abseilen, müssen wir uns noch eine Stirnlampe montieren. Lassen wir einen Moment Semantik aufblitzen. Faktencheck heisst, Aussagen «anhand von nachprüfbaren, rationalen und objektiven Fakten» überprüfen. Da kann man Wikipedia folgen, auch wenn wir den Begriff Fakt mal so stehenlassen.

Nun legen die beiden Cracks Schuler und Wiget «sechs Behauptungen zur Vorlage auf den Prüfstand». Diese «Behauptungen» stammen zur Hälfte von Coronaskeptikern. Also Leugnern, also Vollirren. Daher sind es auch keine Aussagen mehr, sondern eben Behauptungen. Wie sieht denn nun dieser «Prüfstand» aus? Das hört sich doch nach Technik an, Wissenschaft, Profigerät.

Prüfstand auf dem Prüfstand: ist gar keiner

Leider kann sich auch dieses Wort nicht gegen Missbrauch wehren. Denn der «Prüfstand» ist gar keiner. Schon die Einleitung der «Prüfung» ist gaga: «Wir haben uns die wichtigsten Argumente der Befürworter und Gegner genauer angeschaut.»

In Wirklichkeit werden sechs Aussagen jeweils bestätigt oder bestritten. Hier kommt nun der Intelligenztest für den ZACKBUM-Leser: die Aussagen von wem werden bestritten, von wem bestätigt? Wir sind uns sicher, dass alle unsere Leser hier die volle Punktzahl holen.

Im Kurzdurchlauf: «Ungeimpfte werden diskriminiert.» Ach was, ein Staatsrechtler sagt dazu, das erscheine «weitgehend übertrieben». Es gibt zwar auch renommierte Staatsrechtler, die schwerste Bedenken gegen dieses Gesetz äussern. Aber davon wollen die sich doch keinen «Faktencheck» verderben lassen. Schliesslich zitieren die Oberfaktenverdreher denjenigen, der ihnen in den Kram passt.

«Zertifikate bieten eine Scheinsicherheit». Damit mache unter anderem die «Schriftstellerin Sibylle Berg Stimmung gegen die Gesetzesänderung». Wohlgemerkt, sie argumentiert nicht, sondern, typisch Frau, alles Stimmungssache. Aber spielt ja keine Rolle, auch das ist Quatsch: «Von einer Scheinsicherheit kann aber nicht die Rede sein.» Schliesslich, wie steht es mit Befürchtungen vor einer «totalen Überwachung»? Nimm das, du Schriftstellerin:

«Die Befürchtungen von Sibylle Berg sind bedenkenswert, aber übertrieben.»

Wie überstehen die drei «Argumente» der Befürworter den Fickifackicheck, die genauso brutal auf den Prüfstand gelegt werden? «Die Aussage des Bundesrats ist richtig.»

«Die Aussage von Bundespräsident Parmelin ist richtig

«Grundsätzlich stimmt also Bersets Aussage.»

Tatä, wir haben ein eindeutiges Resultat. 3 Aussagen der Gegner des verschärften Gesetzes: falsch, falsch und nochmal falsch. 3 der Befürworter: richtig, superrichtig, grundsätzlich richtig.

Wir hätten auch drei Fragen, die wir gerne auf den Prüfstand legen möchten:

Sagt mal, Ihr beiden Faktenchecker, schämt Ihr Euch denn gar nicht? Habt Ihr jede journalistische Ehre aus dem Leib geprügelt bekommen? Könnt Ihr Euch wirklich noch morgens im Spiegel anschauen, ohne tief zu erröten?

 

 

Mit Fakten verwirren statt Fakten checken

Faktenchecker nehmen für sich in Anspruch, Täuschungen aufzudecken.

Von Stefan Millius*

Was sie aber in Wirklichkeit oft tun: Dinge «widerlegen», die gar nicht behauptet wurden, um eine Quelle zu diskreditieren.

Es klingt überaus praktisch. Man liest in einer Zeitung oder in den sozialen Medien etwas, findet es ziemlich bemerkenswert, weiss aber nicht so recht, ob es denn stimmen kann. Aber hurra, dafür gibt es ja die Faktenchecker. Das ist weder ein staatlich geprüfter Beruf noch ein sonst überprüfbarer Ausweis für irgendetwas. Faktenchecker ist man, sobald man sich als solcher bezeichnet. Und natürlich ist man selbst immer der Beste seines Standes.

Wie aber checkt ein Faktenchecker die Fakten? Weiss er alles? Einfach so. Nein, natürlich nicht. Er vergleicht das, was zu überprüfen ist – beispielsweise eine Studie –, mit den Quellen seines eigenen Vertrauens. Stimmen die beiden nicht überein, dann ist die Studie eine pure Lüge, fertig.

Das wäre fragwürdig genug. Denn wer checkt die Fakten der Quelle, die für den Faktenchecker das Nonplusultra ist?

Wenn die Fakten stimmen, aber nicht genehm sind, was dann?

Aber es kommt noch besser: Wenn der Faktencheck ergibt, dass alles stimmt, es aber nicht stimmen darf, weil es nicht ins Konzept passt, dann muss ein anderes Instrumentarium her. Das zeigt ein aktuelles Beispiel, von dem unter anderem «Die Ostschweiz» betroffen war.

Es geht um eine Studie aus Harvard, die wir hier vorgestellt haben. Thematisiert wurde sie nicht nur hier, sondern auch auf anderen Portalen wie «Inside Paradeplatz» Zackbum.ch und dem «Nebelspalter», letzteres durch den hier Schreibenden. Die Arbeit eines Professors und seines Teams war ziemlich aufsehenerregend. Sie zeigte auf der Grundlage von Untersuchungen in 68 Ländern, dass zwischen der Höhe der Impfquote und der Zahl der Ansteckungen an Corona kein Zusammenhang besteht.

Das wollten die meisten Zeitungen ausser den erwähnten nicht herausposaunen, weil es nicht zur Impfoffensive passt. Aber siehe da, nachdem die Studie doch eine gewisse Öffentlichkeit erreicht hatte, befand der «Tages-Anzeiger», er müsse sie nun doch thematisieren. Aber nicht etwa aufgrund ihrer Kernaussage, sondern um die genannten Zeitungen zu belehren, sie lägen völlig falsch. Auch eine Faktenchecker-Seite nahm Berichterstattungen rund um die Studie aufs Korn und kam zum selben Schluss:

Alles Käse, die Arbeit aus Harvard wird missbraucht für Falschaussagen.

Nur dass das nicht stimmt. Die Studie ist eindeutig. Das einleitende «Summary», also eine Kurzzusammenfassung der wesentlichsten Erkenntnisse, ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten: Möglichst viele Impfungen bringen nichts in Bezug auf Reduktion der Ansteckungen. Und das ist zugleich auch die Schlüsselaussage der ganzen Arbeit, ansonsten hätte sie es kaum in den Titel der Studie geschafft, der da heisst:

«Increases in COVID-19 are unrelated to levels of vaccination across 68 countries and 2947 counties in the United States»

Basta und aus.

Der «Tages-Anzeiger» hätte nun gerne in der Tradition wahrer Faktenchecker das, was in «Die Ostschweiz» und anderen Zeitungen stand, widerlegt, nur war das leider nicht möglich. Die Autoren der Studie sind unangreifbar und können nicht mal schnell zu «umstritten» degradiert werden, wie das aktuell Mode ist, und an den Erkenntnissen kann man ebenfalls nicht rütteln.

Die einfachste Methode der Faktenchecker, ohne gross hinzuschauen einfach den Absender zu diskreditieren – das ging hier nicht.

Dem Fakteningeniör ist nichts zu schwör

Also wählte man einen anderen Weg. Der Mann beim «Tages-Anzeiger» las die Studie (löblich, das haben wir auch gemacht), griff einen anderen Satz heraus und machte ihn zum Kronzeugen des Faktenchecks. Der Harvard-Professor habe keineswegs etwas gegen Impfungen gesagt, hiess es sinngemäss, das sei eine unzulässige Verdrehung, denn, Zitat:

«Die mangelnde Korrelation zwischen Impfung und Fallzahlen zeigt für ihn einfach, dass es neben der Impfung noch andere Massnahmen braucht.»

Der Satz ist völlig korrekt. Er ist aber auch völlig irrelevant. Denn keine der wenigen Zeitungen, die die Studie thematisierten, hat das Gegenteil davon behauptet. Niemand hat geschrieben, der Professor lege sich gegen Impfungen ins Zeug und empfehle, sie einzustellen. Niemand hat behauptet, dass die «mangelnde Korrelation» die einzige Aussage in der Studie war.  Die Studie ist relativ umfangreich und zeigt sehr viele Sachverhalte auf. Keiner davon ändert aber etwas an der Kernaussage: Die Ausbreitung von Covid-19 steht nicht in Zusammenhang mit der Impfquote.

Ob die Harvard-Leute finden, man müsse neben der Impfung noch anderes tun, ist unerheblich. Der «Tages-Anzeiger» selbst schreibt ja von der «mangelnden Korrelation zwischen Impfung und Fallzahlen», bestätigt also das, was wir und andere geschrieben haben. Aber weil diese Botschaft unerwünscht ist, versucht man, sie zu schwächen, indem man auf weitere Erkenntnisse der Studie hinweist und so tut, als würden die etwas am Kern der Sache ändern.

Etwas lückenlos Belegtes soll in Zweifel gezogen werden, indem man von etwas ganz anderem spricht, das ebenfalls belegt ist. Es ist ein bisschen so, wie wenn man sagen würde, die Gleichung «1 + 1 = 2» sei falsch, weil ja bekanntlich zugleich die Schwerkraft existiert.

Das klingt verrückt. Aber es nennt sich Faktencheck.

*Stefan Millius ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz», wo dieser Artikel zuerst erschien. René Zeyer schreibt regelmässig auf dieser Plattform.

Der «Republik»-Reinfall

Anonyme Verleumdungen versus seriöse Aufarbeitung. Globegarden liefert ein Musterbeispiel.

Ältere Leser erinnern sich: Im Rahmen seiner Notfall-Bettelaktion veröffentlichte die «Republik» kurz vor Weihnachten 2019 unter dem Titel eines Thrillers von Grisham – «Die Firma» – einen aufrüttelnden Skandalbericht über unerträgliche Zustände beim grössten Schweizer Kita-Betreiber. Betreuung, Essen, Einhaltung von Vorschriften, Aufsicht, Qualifikation der Mitarbeiter, Löhne, alles läge im Argen.

Allerdings: Wie bei der «Republik» üblich, stützte sie sich dabei mit einer einzigen Ausnahme auf anonyme Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern. Über deren Motivation erfuhr man nichts; auf einen Augenschein verzichtete die «Republik», ebenso auf das Einholen von Meinungen aktueller Mitarbeiter.

Betteln, mit Entleibung drohen, seinen Existenzzweck durch das Verbellen unglaublicher Zustände beim Kita-Betreiber Globegarden beweisen. Tolles Timing, das sorgt immer für Aufmerksamkeit, Schlagzeilen. Behörden kündigen verschreckt Untersuchungen an, Politiker fordern dies und das, sind entrüstet. Schliesslich geht es hier um unsere Kleinsten, die – wohl aus reiner Geldgier – verantwortungslos Gefahren ausgesetzt, mies gefüttert und von viel zu wenig und überfordertem Personal mehr schlecht als recht betreut werden.

Dichtung, Erfindung, unbeweisbare Behauptungen

Ziemlich genau ein Jahr danach haben wir bereits in einer vierteiligen Recherche zwischen Dichtung, Erfindung, unbeweisbarer Behauptung und realen Fakten unterschieden. Resultat: Auch hier und nicht zum ersten Mal hat die «Republik» auf anonymen Behauptungen ehemaliger Mitarbeiter («anonymisierter», wie sie zu sagen beliebt) basierende, gravierende Anschuldigungen erhoben. Müsste man denen Glauben schenken, wären alle Eltern gut beraten, ihre Kleinkinder sofort aus den Klauen des grössten Kita-Betreibers der Schweiz zu retten.

Nur: muss man nicht. Es ist nichts gegen die Verwendung von Whistleblowern oder von Zeugenaussagen einzuwenden, bei denen der Absender – aus welchen Gründen auch immer – nicht mit seinem Namen dahinterstehen will. Da aber sowohl dem Journalisten wie dem Leser weder dessen Motive – noch der Wahrheitsgehalt der Behauptungen – erschliessbar sind, ist dabei höchste Vorsicht geboten.

Insbesondere, wenn möglicherweise nicht freiwillig gegangene Ex-Mitarbeiter Szenen und Ereignisse schildern, bei denen nur sie angeblich Zeuge waren und die nicht verifizierbar sind, weil jegliche weiteren Angaben fehlen. Eine Behauptung wie «ein Kind fiel vom Wickeltisch, die Eltern wurden nicht informiert, das lag an der Überforderung des Betreuers durch viel zu wenig Fachkräfte» – wie kann die untersucht werden, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft?

Externes Audit, staatliche Kontrollen, Gerichtsurteil

Nichtsdestotrotz hat Globegarden ein externes Audit durch die Kanzlei Niederer Kraft Frey (NKF) durchführen lassen. Resultat: kein einziger der Vorwürfe konnte erhärtet werden. Wer nun sagt: kein Wunder, wer zahlt, befiehlt, täuscht sich. Eine Kanzlei wie NKF hat durchaus einen Ruf zu verlieren, was beim Nachweis eines Gefälligkeitsgutachtens passieren würde.

Zudem wurde durch die Aufsichtsbehörde der Stadt Zürich von Februar bis Juni 2020 eine Schwerpunktprüfung aller 26 Globegarden-Kitas in der Stadt durchgeführt. Resultat: null Belege für die Vorwürfe. Auch für ihre kühne Behauptung «Neue Recherchen deuten darauf hin, dass die grösste Kita-Kette der Schweiz die Aufsicht mit manipulierten Dokumenten täuscht», bleibt die «Republik» bis heute jeden Beweis schuldig. Auf unsere Nachfrage, ob das Magazin – wie auch schon beim damaligen Interview mit dem Sozialvorstand angekündigt, entsprechende Belege vorgelegt habe, gab es ein knappes: «Laufende Recherchen, Redaktionsgeheimnis.» Es darf gelacht werden.

Keinesfalls als Kampagne darf gesehen werden, dass die «Republik» dann nochmal zwei Scheite nachlegte: «Die grösste Schweizer Kita-Betreiberin setzt prekäre Arbeits­bedingungen durch und täuscht die Aufsicht.» Belege, Beweise, Indizien, dadurch ausgelöste Verfahren? Null, nichts, nada. Man darf doch wohl noch behaupten, dass irgendwas auf irgendwas «hindeutet». Muss ja nicht so sein. Es darf nochmal gelacht werden.

Ein in jedes Detail gehender Faktencheck durch Globegarden

Im Februar 2021 hat Globegarden nun nochmals die wesentlichen, insgesamt 20 Vorwürfe, die die «Republik» erhoben hatte, einem Faktencheck unterzogen. Er ist auf der Webseite von Globegarden einsehbar.

Mit akribischer Genauigkeit widerlegt Globegarden von «Arbeitsbedingungen», «Unfälle beim Wickeln», «Ernährung», «Täuschung der Behörden» bis zu «Mangelndes Fachpersonal» die Vorwürfe, die die «Republik» erhoben hatte.

Nun ist es leider so, dass die «Republik» ihre damalige Bettelaktion mit Erfolg abschliessen konnte; nicht zuletzt wegen des Aufsehens, das dieser angebliche Skandal erregte. Es ist leider auch so, dass Globegarden auf straf- und zivilrechtliche Schritte verzichtete. Es ist letztlich so, dass sich kaum mehr jemand an die damalige Verleumdung erinnert, also nimmt auch kaum jemand die detaillierte Widerlegung aller anonymen Denunziationen zur Kenntnis.

Aber es gäbe ja noch so etwas wie Anstand, Medienethik und andere hochwohllöbliche Prinzipien, denen sich die «Republik» verschrieben hat. Aber das ist reines Maulheldentum. Jedes Mal, wenn ein mit anonymen Behauptungen aufgepumpter Skandal zu dem Nichts zusammenschrumpft, der er von vornherein war, wehrt sich die «Republik» mit Händen und Füssen gegen eine Richtigstellung und muss sogar gerichtlich dazu gezwungen werden.

Banaler Anstand wäre es, sich wenigstens für offensichtliche Fehler zu entschuldigen.

Stattdessen gibt es höchstens ein Herumeiern, Haarspaltereien, Rechthabereien. Statt das überfällige Eingeständnis: auch der Globegarden-Skandal ist in Wirklichkeit ein «Republik»-Reinfall. Lausig recherchiert, zurechtgebogen, basierend auf mehr als dubiosen Behauptungen sich feige hinter Anonymität versteckender Denunzianten.

Was sagt die «Republik» im Licht des Faktenchecks?

Natürlich hatte die «Republik» hier Gelegenheit zur Stellungnahme. Überraschungsfrei fällt sie völlig verstockt aus. Wird es nun endlich eine Richtigstellung geben? «Nein.» Warum nicht?

«Es liegen keine Fehler vor, die wir nicht bereits am Ende des Textes richtiggestellt haben.

Sie erinnern sich: Wir hatten in einer früheren Version geschrieben, dass der Vater von Christina Mair und Caroline Staehelin bei der Credit Suisse gearbeitet habe. Diese Information hat sich im Nachhinein als falsch heraus­gestellt. Er ist nicht Banker, sondern Arzt.» Das ist alles? Es darf zum dritten Mal, aber lassen wir das.

Zweifelt die «Republik» wenigstens etwas an dieser Methode, auf anonymen Anschuldigungen aufbauend eine Kampagne zu fahren? «Wir haben weder einen Skandal aufgeblasen, noch fahren wir Kampagnen. Wir haben in drei Artikeln wiedergegeben, was uns knapp drei Dutzend frühere und aktuelle Angestellte erzählt haben.» Interessante Zahl, dass auch «aktuelle Angestellte» dabei waren, wäre neu.

Haare spalten statt Realität zur Kenntnis nehmen

Wie haarspalterisch sich die «Republik» gegen Tatsachen wehrt, zeigte sie auch fast genau ein Jahr nach ihrer Kampagne. Andere Medien hatten darüber berichtet, dass das Zürcher Verwaltungsgericht ein Urteil zugunsten Globegarden fällte. In der ursprünglichen Darstellung der «Republik» hörte sich das so an:

«Nicht immer hatte Globegarden im Rechtsstreit mit Gemeinden Erfolg. Vor allem dann nicht, wenn die Sozialbehörde feststellt, dass die Firma den Betreuungs­schlüssel nicht einhält und Personal beschäftigt, das nicht die nötige Ausbildung hat. So wie im Fall Thalwil. Dort marschiert Globegarden mit mehreren Anwälten auf und zieht Verfügungen der Gemeinde vor das Horgener Bezirksgericht.

Die Globegarden-Krippe ist gleich bei mehreren Kontrollen der Krippen­aufsicht hängen geblieben.»

Klarer Eindruck beim Leser: Aha, Anzahl Betreuer nicht eingehalten, unqualifiziertes Personal beschäftigt, aber dann in gleich mehreren Kontrollen ertappt worden. Statt Einsicht zu zeigen, «marschiert» die Kita mit «mehreren Anwälten auf». Typisch.

Darstellung und Wirklichkeit – getrennt durch Abgründe

Aber leider war das nur ein polemisch aufgepumpter Zwischenstand: Die meisten Verfügungen der Gemeinde wurden vom Verwaltungsgericht im November letzten Jahres aufgehoben. Nicht zuletzt, weil das Sozialamt sich auf eine unqualifizierte und tatsachenwidrige Behauptungen enthaltende «Kontrolle» gestützt hatte. Zudem wurden der Gemeindekasse die Gerichtskosten und eine Entschädigung von 8000 Franken an Globegarden aufgebrummt.

Blöd gelaufen, aber was macht die «Republik» draus? «Foulspiel im journalistischen Wettbewerb». Und zieht den «Wettbewerbern» eins über:

«Die Recherche der Republik war weder «falsch», noch widerlegte das Verwaltungs­gericht die Ergebnisse unserer Arbeit.

Der Streit zwischen Thalwil und Globegarden war ein Detail in der Recherche.»

Nun, es war wenigstens ein «Detail», das nachgeprüft werden konnte. Und immerhin vom Obergericht als unhaltbare, falsche und parteiische Vorwürfe gegen Globegarden disqualifiziert wurde.

Fehler passieren immer und überall. Bei Globegarden genauso wie bei einer seriösen Recherche. Dann gibt es auch noch Interpretationsspielräume. Aber die akribische Widerlegung aller Vorwürfe, das ist schon eine Klatsche, die sogar beim Zuschauen weh tut. In der Gesinnungsblase von verantwortungslosen Journalisten und ausschliesslich ihre Vorurteile bestätigt sehen wollenden «Verlegern» hat jedoch Realität und Wirklichkeit nichts verloren.

Ebenso wenig wie eine freiwillige Richtigstellung aus Anstand.

 

 

Tschäksches? Faktencheck!

Hier zeigen Qualitätsmedien, was sie können. Nämlich nicht viel.

Was früher stattfand, bevor ein Artikel das Licht der Welt erblickte, wird im Elends- und Sparjournalismus zu einer eigenen Gattung hochgestemmt: der Faktencheck.

«Faktencheck der Aussagen der Budget-Gegner», trompetet die «Berner Zeitung». Einen «Faktencheck zu den US-Wahlen» bietet SDA an. «Trumps 7 Argumente gegen die Briefwahl im Faktencheck», freut sich «watson» über ein neues Listical. Die NZZ online unterzieht «drei Aussagen zur Zürcher Wohnpolitik» einem Faktencheck.

Wir checken die Corona-Sterblichkeit

Da darf natürlich der Corona-Faktencheck nicht fehlen. Tamedias Newsnet nimmt sich einer brisanten Frage an: «Beträgt die Corona-Sterblichkeit tatsächlich nur 0,27 Prozent?» Auf diese Zahl ist der renommierte Statistiker und Epidemiologe John Ioannidis gekommen. Dahinter steht die nicht weniger renommierte Stanford-Universität, deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ergebnisse in ihr Bulletin aufgenommen und damit höhere Weihen erteilt.

Es handelt sich um eine sogenannte Metastudie, in der Ioannidis weltweit Statistiken kompiliert und ausgewertet hat. Nach Altersgruppen unterteilt beträgt die sogenannte Infection Fatality Rate (IFR), also die Sterberate bei infizierten Unter-70-Jährigen lediglich 0,05 Prozent. Die WHO selbst ging bislang von einer IFR von insgesamt 0,6 Prozent aus.

Das würde ausgedeutscht bedeuten, dass von 2’000 Infizierten unter 70 lediglich einer stirbt. Nun könnte der faktengecheckte Leser sagen, dass es schön ist, dass man das nun weiss, aber: na und? Damit würde der Leser allerdings zeigen, dass er den Ernst der Lage immer noch nicht verstanden hat.

Sterberate von 0,05 oder von 5 Prozent?

Schliesslich rüstet sich auch die Schweiz für den nächsten Lockdown, mit dem viele KMU, aber auch Airlines und die gesamte Reisebranche endgültig in den Bankrott getrieben werden. Nach der Devise: Wenn nach dem ersten Lockdown noch was steht, dann putzen wir das auch noch weg.

Wenn aber das COVID-19-Virus eine Sterblichkeit verursacht, die im Rahmen einer völlig normalen Grippewelle liegt und die Schweiz auch nicht jedes Jahr die Trottoirs deswegen hochklappt, wieso dann diesmal? Zum Beispiel deswegen, weil das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das auch acht Monate nach dem Ausbruch der Pandemie nicht in der Lage ist, aktuelle und vollständige Zahlen über die Auswirkungen des Virus zu liefern, bei einer Zahl ganz sicher ist: 5 Prozent. «Die Sterblichkeit beim neuen Coronavirus in der Schweiz liegt aktuell bei 5 Prozent», schreibt das BAG, und dann muss das ja stimmen.

Wenn das aber stimmt, dann lägen die WHO mit 0,6 Prozent oder die Stanford-Uni mit 0,27 Prozent um eine Zehnerpotenz daneben. Das ist eine Differenz, um es an einem anderen Beispiel zu illustrieren, wie wenn die Zahl der Arbeitslosen bei 5 Prozent oder bei 0,5 Prozent läge. Oder bei 0,05. Dramatischer Unterschied.

Woher kommen die Unterschiede?

Ein solcher Unterschied lässt sich nicht mit verschiedenen Messmethoden oder wissenschaftlichem Blabla erklären. Der Unterschied ist aber entscheidend, denn wenn es eine dermassen hohe Sterblichkeit im Vergleich zu einer normalen Grippe gibt, dann sind energische Schutzmassnahmen verständlich.

Ist aber die IFR tatsächlich so niedrig wie bei einer Grippewelle, wobei wie immer Menschen über 70 Jahre signifikant stärker betroffen sind, weil im Alter Vorerkrankungen und ein  allgemein geschwächtes Immunsystem dem Virus sein schädliches Tun leichter machen, dann drängt sich eine ebenfalls lebenswichtige Frage auf.

Was steht dann dafür, dass bereits mit dem ersten Lockdown ein wirtschaftlicher Schaden von rund 100 Milliarden Franken angerichtet wurde? Und was genau ist der Grund, die gleiche Abrissbirne nochmals über der Schweiz zu schwenken? Denn einer von den Dreien muss sich gewaltig irren. Ioannidis von Stanford, die WHO – oder das BAG.

Was kümmert’s die Faktenchecker von Tamedia

Nun, da wird die geballte Fachkompetenz des Newsnet sicher Abhilfe schaffen, die Dinge klarstellen. Könnte man meinen. Ist aber nicht so. Der «Faktencheck» zitiert andere Wissenschaftler, die überraschungsfrei die Resultate dieser Studie kritisieren; die Zahlen seien zu tief. Einer dieser Kritiker kam bei eigenen Untersuchungen auf eine IFR von – 0,7 Prozent.

Die US-Gesundheitsbehörde errechnet 0,65 Prozent Sterblichkeit bei Infizierten, das Londoner Imperial College, das schon mit gewaltigen Prognosen von Hunderttausenden von Toten falsch lag, berechnet 0,66 Prozent.

Also kommt der «Faktencheck» zum Ergebnis: «Der Schluss liegt nahe, dass John Ioannidis und sein Team die Corona-Sterblichkeit zu tief bewerten.» Der Grossteil der IFR-Studien sei auf einen Wert von über 0,5 gekommen.

Amtlich: Die Sterblichkeit liegt nicht bei 5 Prozent

Das mag ja durchaus so sein, nur: Wieso kümmert sich der «Faktencheck» nicht um die unsere Corona-Politik bestimmende Zahl, nämlich die des BAG? Könnte es sein, dass Tamedia, nach einer kurzen Phase der etwas kritischeren Berichterstattung, wieder in einem obrigkeitshörigen Bückling erstarrt, Durchgreifen und drakonische Massnahmen fordert, diese irrlichternde Zahl des BAG lieber nicht erwähnen möchte?

Denn ob die Sterblichkeit bei 0,27 oder bei 0,6 oder bei 0,7 liegt: Es ist wissenschaftlich amtlich, dass sie ganz bestimmt nicht bei 5 liegt. Nun ist aber diese hohe Sterblichkeit, zusammen mit der völlig unerheblichen Zahl der täglichen Neuinfektionen, die Entscheidungsgrundlage für einen möglichen zweiten Lockdown in der Schweiz.

Fazit: Tamedia kann auch keinen Faktencheck. Weder vor noch während der Publikation eines Artikels. Diese Karrikatur eines Faktenchecks noch hinter einer Bezahlschranke zu verstauen, das zeugt wirklich von Dreistigkeit.

Der AZ-Faktencheck

Nicht alles stimmt von A bis Z.

Für alle sportlichen Leser eine kleine Übung: Beginnen Sie bitte zur Aufwärmung mit einer aufrechten Pirouette. Strecken Sie sich nun ruckartig nach hinten über die Schulter und halten den linken oder rechten Schuh mit der Hand. Bitte dehnen Sie sich langsam Richtung Decke. Ihr Körper soll dabei aufrecht bleiben. Und jetzt: Lächeln. Sehr schön. Sie haben gerade die Biellmann-Pirouette geschafft und dürfen sich im Eisfach mit etwas Süssem belohnen.

Alle anderen machen bitte eine AZ-Pirouette. Benannt nach der Aargauer Zeitung, die ein Interview mit zwei deutschen Wissenschaftlern machte. Das Gespräch habe «Wellen geworfen», schreibt die Zeitung ein paar Tage später. Grund: Die Journalisten luden nicht Daniel Koch zu einer Plauderrunde ein, sondern die beiden Autoren des Spiegel-Bestsellers «Corona Fehlalarm?»

Feige oder peinlich? Wahrscheinlich beides

Was also tun? War es mutig oder übermutig den zwei Ärzten eine Plattform zu geben? Wahrscheinlich letzteres. Die AZ entschied sich deswegen für eine Pirouette. Sie schreibt: «Die deutschen Wissenschaftler Sucharit Bhakdi und Karina Reiss haben umstrittene Aussagen gemacht. Der Faktencheck.»

Zuerst interviewt man also zwei Ärzte und distanziert sich ein paar Tage später von ihren Aussagen. Ist das feige oder peinlich? Wahrscheinlich beides. Und es ist auch noch falsch. Eine der neun inkriminierten Aussagen war:

Die Kinderpsychologen in Deutschland haben keine freien Termine mehr, weil Kinder unter dem Maskentragen leiden.

Die Aussage ist – natürlich – überspitzt. Sie spielt auf die deutschen Zustände ab. Wenn man das Zitat widerlegen will, muss man also Experten befragen, die über Deutschland berichten können. Das wird im «Faktencheck» nicht gemacht. Befragt wurde nur ein Schweizer Verbandspräsident. Der sagt natürlich nichts über Deutschland, ergreift aber gleich die Gelegenheit für die Forderung nach zusätzlichen Ressourcen in der Beratung.

Willkürlicher «Faktencheck»

Ja, es stimme, schreibt eine Journalistin zurück, dass man im Faktencheck die deutschen Verhältnisse nicht berücksichtigt habe. Aber es «spielt keine grosse Rolle: Hier wie dort werden Kinder teilweise von maskierten Personen betreut. Hier wie dort nur zu einem kleinen Teil. Diese Unvollständigkeit finde ich vernachlässigbar angesichts der offensichtlich übertriebenen (ergo auch für Deutschland falschen) Aussage, dass alle Kinderpsychologen wegen der Masken ausgebucht sein sollen.»

Im Faktencheck wird also eine Aussage als übertrieben und falsch gewertet. Die Recherche hingegen stützt sich auf einen einzigen (Schweizer) Experten. Übrigens: Der Gute warnt seine eigenen Patienten vor einer Wartezeit von bis zu 4 Wochen.

Einen Beitrag zum Thema «Fake News» leistet sich CH Media aber mit der Verstümmelung einer weiteren Aussage der beiden Wissenschaftler gleich am Anfang.

Bhakdi: «Es wird ein nicht validierter und nicht zugelassener Labortest verwendet.»

Daraufhin wird im «Faktencheck» behauptet: «Die in Deutschland von Coronaskeptikern oft geäusserte These hat ihren Ursprung bei den ersten mangelhaften Covid-Tests Anfang der Krise in Deutschland.» Und zack, schon sind die beiden Wissenschaftler zu «Coronaskeptikern» heruntergestuft. Allerdings mit unlauteren Mitteln. Indem schlichtweg die zudem noch völlig richtige Begründung für diese Aussage unterschlagen wird:

«Dieser stellt auch noch Trümmer des Erregers fest, also irrelevante Virusgen-Fragmente. Das bedeutet: Es wurden zahllose Infektionen registriert, ohne dass die Personen an Covid-19 erkrankt oder gar infektiös waren. Dass diese gesunden Menschen andere mit dem Coronavirus anstecken, ist niemals belegt worden. Eine Behauptung also, und nichts mehr.»

Übrigens eine wissenschaftliche Feststellung, die auch vom deutschen Robert-Koch-Institut geteilt wird, was damit wohl nicht ins Lager der «Coronaskeptiker» übergelaufen ist. Das ist also kein «Faktencheck», sondern ein Beitrag dazu, dass die Medien selber ihre Glaubwürdigkeit zerstören.

Nochmals Nachtreten in einem Kommentar

Ist damit die Beckmesserei beendet? Nein, es wird noch in einem Kommentar nachgetreten: «Coronaskeptiker wie die Professoren Bhakdi und Reiss schüren Emotionen und lenken ab von der Tragödie.» Und ein solches Verhalten macht die Leser muff und lenkt nicht ab, sondern zeigt deutlich: Thema nicht beherrscht.

Wurden die beiden eingeladenen und später kritisierten Interviewpartner wenigsten mit dem «Faktencheck» konfrontiert?   «Nein», lautet die Antwort, «wir haben den Faktencheck Bhakdi und Reiss nicht vorgelegt. Die beiden haben mit dem Interview Platz bekommen für ihre fast unwidersprochenen Aussagen.»

Jetzt auch noch Schelte für die eigenen Journalisten? Das reicht sogar für den dreifachen Axel.