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Mit Fakten verwirren statt Fakten checken

Faktenchecker nehmen für sich in Anspruch, Täuschungen aufzudecken.

Von Stefan Millius*

Was sie aber in Wirklichkeit oft tun: Dinge «widerlegen», die gar nicht behauptet wurden, um eine Quelle zu diskreditieren.

Es klingt überaus praktisch. Man liest in einer Zeitung oder in den sozialen Medien etwas, findet es ziemlich bemerkenswert, weiss aber nicht so recht, ob es denn stimmen kann. Aber hurra, dafür gibt es ja die Faktenchecker. Das ist weder ein staatlich geprüfter Beruf noch ein sonst überprüfbarer Ausweis für irgendetwas. Faktenchecker ist man, sobald man sich als solcher bezeichnet. Und natürlich ist man selbst immer der Beste seines Standes.

Wie aber checkt ein Faktenchecker die Fakten? Weiss er alles? Einfach so. Nein, natürlich nicht. Er vergleicht das, was zu überprüfen ist – beispielsweise eine Studie –, mit den Quellen seines eigenen Vertrauens. Stimmen die beiden nicht überein, dann ist die Studie eine pure Lüge, fertig.

Das wäre fragwürdig genug. Denn wer checkt die Fakten der Quelle, die für den Faktenchecker das Nonplusultra ist?

Wenn die Fakten stimmen, aber nicht genehm sind, was dann?

Aber es kommt noch besser: Wenn der Faktencheck ergibt, dass alles stimmt, es aber nicht stimmen darf, weil es nicht ins Konzept passt, dann muss ein anderes Instrumentarium her. Das zeigt ein aktuelles Beispiel, von dem unter anderem «Die Ostschweiz» betroffen war.

Es geht um eine Studie aus Harvard, die wir hier vorgestellt haben. Thematisiert wurde sie nicht nur hier, sondern auch auf anderen Portalen wie «Inside Paradeplatz» Zackbum.ch und dem «Nebelspalter», letzteres durch den hier Schreibenden. Die Arbeit eines Professors und seines Teams war ziemlich aufsehenerregend. Sie zeigte auf der Grundlage von Untersuchungen in 68 Ländern, dass zwischen der Höhe der Impfquote und der Zahl der Ansteckungen an Corona kein Zusammenhang besteht.

Das wollten die meisten Zeitungen ausser den erwähnten nicht herausposaunen, weil es nicht zur Impfoffensive passt. Aber siehe da, nachdem die Studie doch eine gewisse Öffentlichkeit erreicht hatte, befand der «Tages-Anzeiger», er müsse sie nun doch thematisieren. Aber nicht etwa aufgrund ihrer Kernaussage, sondern um die genannten Zeitungen zu belehren, sie lägen völlig falsch. Auch eine Faktenchecker-Seite nahm Berichterstattungen rund um die Studie aufs Korn und kam zum selben Schluss:

Alles Käse, die Arbeit aus Harvard wird missbraucht für Falschaussagen.

Nur dass das nicht stimmt. Die Studie ist eindeutig. Das einleitende «Summary», also eine Kurzzusammenfassung der wesentlichsten Erkenntnisse, ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten: Möglichst viele Impfungen bringen nichts in Bezug auf Reduktion der Ansteckungen. Und das ist zugleich auch die Schlüsselaussage der ganzen Arbeit, ansonsten hätte sie es kaum in den Titel der Studie geschafft, der da heisst:

«Increases in COVID-19 are unrelated to levels of vaccination across 68 countries and 2947 counties in the United States»

Basta und aus.

Der «Tages-Anzeiger» hätte nun gerne in der Tradition wahrer Faktenchecker das, was in «Die Ostschweiz» und anderen Zeitungen stand, widerlegt, nur war das leider nicht möglich. Die Autoren der Studie sind unangreifbar und können nicht mal schnell zu «umstritten» degradiert werden, wie das aktuell Mode ist, und an den Erkenntnissen kann man ebenfalls nicht rütteln.

Die einfachste Methode der Faktenchecker, ohne gross hinzuschauen einfach den Absender zu diskreditieren – das ging hier nicht.

Dem Fakteningeniör ist nichts zu schwör

Also wählte man einen anderen Weg. Der Mann beim «Tages-Anzeiger» las die Studie (löblich, das haben wir auch gemacht), griff einen anderen Satz heraus und machte ihn zum Kronzeugen des Faktenchecks. Der Harvard-Professor habe keineswegs etwas gegen Impfungen gesagt, hiess es sinngemäss, das sei eine unzulässige Verdrehung, denn, Zitat:

«Die mangelnde Korrelation zwischen Impfung und Fallzahlen zeigt für ihn einfach, dass es neben der Impfung noch andere Massnahmen braucht.»

Der Satz ist völlig korrekt. Er ist aber auch völlig irrelevant. Denn keine der wenigen Zeitungen, die die Studie thematisierten, hat das Gegenteil davon behauptet. Niemand hat geschrieben, der Professor lege sich gegen Impfungen ins Zeug und empfehle, sie einzustellen. Niemand hat behauptet, dass die «mangelnde Korrelation» die einzige Aussage in der Studie war.  Die Studie ist relativ umfangreich und zeigt sehr viele Sachverhalte auf. Keiner davon ändert aber etwas an der Kernaussage: Die Ausbreitung von Covid-19 steht nicht in Zusammenhang mit der Impfquote.

Ob die Harvard-Leute finden, man müsse neben der Impfung noch anderes tun, ist unerheblich. Der «Tages-Anzeiger» selbst schreibt ja von der «mangelnden Korrelation zwischen Impfung und Fallzahlen», bestätigt also das, was wir und andere geschrieben haben. Aber weil diese Botschaft unerwünscht ist, versucht man, sie zu schwächen, indem man auf weitere Erkenntnisse der Studie hinweist und so tut, als würden die etwas am Kern der Sache ändern.

Etwas lückenlos Belegtes soll in Zweifel gezogen werden, indem man von etwas ganz anderem spricht, das ebenfalls belegt ist. Es ist ein bisschen so, wie wenn man sagen würde, die Gleichung «1 + 1 = 2» sei falsch, weil ja bekanntlich zugleich die Schwerkraft existiert.

Das klingt verrückt. Aber es nennt sich Faktencheck.

*Stefan Millius ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz», wo dieser Artikel zuerst erschien. René Zeyer schreibt regelmässig auf dieser Plattform.