Face off, Part II
Porno nein, Gewalt na und: Facebook hat eigenartige Richtlinien für Inhalte.
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Hier geht’s zum ersten Teil.
Immer wieder geistern solche Meldungen durch die Medien: Ein Foto der rund 30’000 Jahre alten Steinstatue der «Venus von Willendorf» wurde als «pornografisch» erkannt und zensiert. Das passiert auch immer wieder bei Kunstwerken (und Fotografien), die nackte Busen zeigen.
Kann man so oder so sehen: die nackte «Venus».
Denn da sind die Amis, obwohl Hollywood inzwischen mehr Pornos als Kinofilme herstellt, sehr prüde. Niemals geht ein «fuck» über den Sender, niemals darf in anständigen Programmen Obszönes gezeigt werden. Schliesslich ist Hollywood der Erfinder des durch ein Nachttischlein getrennten Doppelehebetts, damit auch Schlafzimmerszenen unanstössig gedreht werden können.
Das ist die Abteilung lachhaft. Die Abteilung brandgefährlich hat zwei Aspekte. Zum einen, wie in den US-Wahlen erwiesen, kann die Meinungsmacht von Facebook missbraucht werden, indem mit Fluten von Fake-Accounts Propaganda betrieben wird. Wie der Skandal um Cambridge Analytica zeigt, verkauft Facebook zum anderen seine Datenberge relativ freizügig, weil das die Goldmine darstellt.
Staatsversagen macht die sozialen Plattformen erst richtig gefährlich
Richtig gefährlich wird es aber durch ein Staatsversagen. Weil sich die Regierungen der Welt nicht in der Lage sehen, ihre Landesregeln selbst durchzusetzen, was an öffentlicher Äusserung erlaubt ist und was nicht, haben sie diese Aufgabe einfach an Facebook delegiert.
Ein ungeheuerlicher und geschichtlich nie dagewesener Vorgang. Zensur wurde über viele Jahrhunderte in Europa von der Kirche ausgeübt und mit drakonischen Strafen gestützt. Dann übernahm das immer mehr der absolutistische Herrscher. Schliesslich zeichnen sich alle Unrechtsregimes und Diktaturen dadurch aus, dass sie die freie und öffentliche Debatte wie der Teufel das Weihwasser fürchten.
Aber auch ein Rechtsstaat wie Deutschland stellt nur die Regeln auf, um deren Durchsetzung sich der Betreiber solcher Plattformen bemühen muss. So entstand das nicht nur sprachliche Ungetüm «Netzwerkdurchsetzungsgesetz». Damit werden die Betreiber verpflichtet, innert 24 Stunden «anstössigen Inhalt» zu entfernen, sonst drohen Bussen. Zudem dürfen Opfer von Persönlichkeitsverletzungen Auskunft über identifizierende Daten von Verbreitern von Hassbotschaften einfordern.
Wer aber legt diese Richtlinien fest? Facebook selbst bietet umfangreiche Informationen dazu an. Dafür hat Facebook – schöner Name – ein «Transparency Center» geschaffen. Man habe immerhin «15’000 Prüfer» weltweit angestellt, «sie werden umfassend geschult und sind häufig auf bestimmte Richtlinienbereiche und Regionen spezialisiert».
Die Dunkelkammer «Oversight Board»
Schon vertiefter suchen muss man, will man das «Oversight Board» finden, das genau diese Richtlinien bestimmt und als letzte Instanz überwacht
Seine Mitglieder sind sogar namentlich sichtbar. Das ist alles schön transparent und unterscheidet das Board von den Inquisitoren im Mittelalter. Nur: seine Entscheidungen sind endgültig, ihr Zustandekommen ist ein mit viel Blabla verhüllter Prozess in einer Dunkelkammer. Es ist keine Appellation vor einem ordentlichen Gericht möglich.
4 von 19 Board-Mitgliedern, die letzte Instanz.
Freie Meinungsäusserung darf niemals schrankenlos sein. Es gibt auch keine weltweit gültigen Regeln und Grenzen, wo sie aufhört. Was in fundamentalistischen Staaten eine todesbewehrte Beleidigung religiöser Gefühle ist, gilt in Europa als selbstverständlicher Ausdruck kritischer Polemik gegen die Kirche. Alles, was mit Moral, Anstand, Sex oder Gewalt zu tun hat, wird in verschiedenen Gegenden der Welt verschieden gesehen.
Also ist es immer ein Kampf um die Grenzziehung zwischen erlaubt und verboten. Aber in Rechtsstaaten findet die vor ordentlichen, staatlichen Gerichten statt. Mit zwei Parteien, die alles auffahren können, was ihnen einfällt – und ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben. Mit einem unabhängigen Richtergremium, das eine Entscheidung fällt. Die wiederum meistens über mehrere Instanzen weitergezogen wird, bis das rechtsgültige Urteil die Debatte beendet.
Das ist eine unbestreitbarer und zentral wichtiger zivilisatorische Errungenschaft, die Faustrecht und Willkür und unbezweifelbare Zensur durch die Obrigkeit abgelöst hat.
Hatte.
Wer bestimmt die Spielregeln des wichtigsten Spiels?
Es geht nicht darum, ob Figuren wie Trump oder Bolsonaro, unabhängig von ihrem Amt, gefährlichen Schwachsinn verbreiten dürfen. Es geht auch nicht darum, ob absurde Verschwörungstheorien, Hass und Hetze als freie Meinungsäusserung durchgehen sollten.
Aber es geht darum, wer die Spielregeln im wichtigsten Spiel einer Gesellschaft, der öffentliche Diskurs, festlegt. Regeln müssen gesetzt und eingehalten, Verstösse sanktioniert werden.
Aber doch nicht von ohne jegliche gesellschaftliche Kontrolle willkürlich bestimmten «Oversight Boards», deren Mitglieder ja ehrenwerte Menschen sein mögen, denen aber jegliche Legitimität für ihr Tun fehlt. Sie haben sich das auch nicht angemasst, die Zensurschere wurde ihrer Firma von Regierungen überlassen, die sich vor ihrer Verantwortung drücken.
Darin, nicht in absurden Zensurmassnahmen auf den sozialen Plattformen, darin besteht der eigentliche Skandal.
«Zensur ist verboten», heisst es so knapp wie gut in unserer Bundesverfassung.
Natürlich bedeutet das nicht grenzenlose Freiheit. Aber es müsste eigentlich bedeuten, dass in der Schweiz keine Zensur von US-Konzernen ausgeübt werden dürfte, die über das Einhalten unserer Regeln, die vor unseren Gerichten überprüft werden, hinausgeht.
Dennoch findet das statt. Täglich, ständig, fragwürdig, jeder rechtstaatlichen Überprüfung entzogen. Ungeheuerlich.