Schlagwortarchiv für: EU

Alles Müller oder was?

Der Dritte im Bunde, Patrik Müller, ist auch aktiv.

Im Vergleich zu Tamedia geht’s im Wanner-Imperium recht ruhig und rumpelfrei zu. Obwohl man dort die neuste Runde des grossen Rausschmeissens einläutete. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des dortigen Oberchefredaktors Patrik Müller. Der ist als einziger von der Trinität übriggeblieben. Arthur Rutishauser, Oberchefredaktor Tamedia, lupfte es über den Protest von hysterisch-erregten Tamedia-Frauen, die eine ganze Latte von anonymen und nicht belegten Behauptungen in die Welt setzten, über Sexismus und unerträgliche Arbeitsbedingungen.

Dann lupfte es Christian Dorer, Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe. Über ein nie genauer erklärtes angebliches Fehlverhalten. Die Ergebnisse einer «Untersuchung» wurden angekündigt, aber niemals veröffentlicht. Was nachkam, war in beiden Häusern kläglich.

Nur Müller hält sich, ging sogar als Sieger im Zweikampf mit Pascal Hollenstein, der publizistischen Leiter des Hauses CH Media, hervor. Dieser hatte sich zu oft als Sprachrohr für eine ehemaliger Zuger Politikerin hergegeben, die ständig öffentlich wiederholt, dass sie aus der Öffentlichkeit verschwinden will.

Müllers bislang ungetrübte Karriere kann auch darin ihren Grund haben, dass er recht flexibel ist, was seine politische Positionierung betrifft. Denn offensichtlich sind im Hause Wanner die Befürworter einer engeren Anbindung an die EU tonangebend. Diese Marschrichtung wurde von ganz oben schon vorgegeben.

Also interviewt Patrik Müller den Staatsrechtler Georg Müller, der überhaupt nichts von der Kompass-Initiative hält: «Die Kompass-Initiative – von einem Komitee lanciert, dem drei Milliardären angehören – gibt vor, die direkte Demokratie in der Schweiz zu stärken. Aber in Wirklichkeit wollen die Initianten verhindern, dass die Erweiterungen der Bilateralen Verträge mit der EU (Bilaterale III) zustande kommen

Wumms. Müller (der Staatsrechtler) lässt kein gutes Haar an der Initiative:

«… unnötige Ausweitung, welche den Entscheidungsprozess  verzögern, komplizieren und unsicherer machen würde … würde die Initiative die Handlungsfähigkeit der Schweiz einschränken … das macht die Initiative zu einem verzweifelten Versuch, die bereits laufenden Verhandlungen zu stören … die Rückwirkung der Initiative wäre verheerend. Eine solche Regelung könnte zu gravierender Rechtsunsicherheit führen».

Dann noch seine Schlusssalve: «Es liegt nahe, dass die Initianten auf einen Abschreckungseffekt setzen. Sie wissen, dass ihre Initiative rechtlich und praktisch problematisch ist, hoffen aber, damit die Verhandlungen über die Bilateralen III zu torpedieren. Sollte dies ihr wahres Ziel sein, wäre dies ein verantwortungsloses Störmanöver. Für die Wahrung der aussen- und wirtschaftspolitischen Interessen sowie für die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vertragsstaat wäre dies verheerend.»

Mit anderen Worten: die Initiative ist so ziemlich das Schlechteste, was jemals seitdem es das Initiativrecht gibt, auf die Rampe geschoben wurde. Von ein paar verantwortungslosen Milliardären, die eigentlich keine Ahnung von staatsrechtlichen Aspekten haben.

Dieser Meinung kann man unbenommen sein. Es wäre allerdings einem Chefredaktor durchaus angestanden, sich nicht nur als Stichwortgeber oder als Souffleur mit ein paar pseudokritischen Fragen aufzuführen. Denn an Staatsrechtler Müllers Philippika gibt es dermassen viele Schwachpunkte, sie enthält dermassen viele polemisch-demagogische Unterstellungen und Halbwahrheiten, dass sich hier ein munteres Streitgespräch hätte entwickeln können.

Müller hätte zum Beispiel fragen können, was genau die finanziellen Auswirkungen einer Übernahme von EU-Recht wären. Was die Gewinne, was die zusätzlichen Ausgaben durch die Anpassung an das Bürokratiemonster Brüssel.

Aber das hätte dann nicht ganz den Absichten des Besitzerclans entsprochen.

Ein cleverer Mann, dieser Müller (nein, nicht der Staatsrechtler).

Meinungs-Anzeiger

Charlotte Walser rechnet mit dem Parlament ab.

Zusammen mit Sascha Britsko ist Charlotte Walser das Schicksal der ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz ein Herzensanliegen. Gibt es zunehmend Beschwerden, dass die Arbeitsfähigen nicht arbeitswillig sind, dann steuern die beiden mit ein paar unrepräsentativen Erfolgsstorys in der pluralistischen Forumspublizistik von Tamedia dagegen.

Dass geflüchtete Ukrainer mit dem Spezial-Schutzstatus S zunehmend für Unmut sorgen, weil es Schweizer gibt, die ein Leben lang arbeiteten und nicht dermassen viele Sozialleistungen beziehen können, na und. Das kratzt Walser doch nicht. Sie trauert wohl immer noch ihrer Tätigkeit für InfoSüd und die UNHCR, die UNO-Flüchtlingsorganisation, nach.

Also erhebt sie larmoyant Klage. Mit einem schön demagogischen Einstieg, der zwei Ereignisse zusammenstöpselt: «Die Ukraine war in den vergangenen Tagen wieder von schweren Angriffen betroffen – den schwersten seit Kriegsbeginn. Der heftige Raketenbeschuss hielt das Schweizer Parlament aber nicht davon ab, den Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge infrage zu stellen.»

Dass die parlamentarischen Mühlen langsam mahlen und der Zeitpunkt der Debatte überhaupt nichts mit schweren Angriffen zu tun hat – was soll’s, macht sich doch gut. Ausserdem stellte das Parlament den Schutzstatus S überhaupt nicht infrage. Was soll’s.

Aber, da muss Walser ganz streng werden, was erlauben sich die Parlamentarier? «Denn noch ist es – glücklicherweise – nicht das Parlament, das in der Schweiz entscheidet, welche Regionen auf der Welt sicher sind oder wem Verfolgung droht. Auch wenn es sich anmasst, diese Frage vom Ratssaal aus beurteilen zu können.»

Unglaublich, was sich Walser da anmasst, aus dem Glashaus an der Werdstrasse oder aus ihrer Verrichtungsbox massregeln zu können. Vielleicht ist es ihr nicht bekannt, dass nicht allzu wenige Ukraineflüchtlinge gerne Ferien machen – in der Ukraine. Denn weite Teile des Landes sind nach wie vor vom Krieg verschont. Aus diesem Grund, und das verschweigt Walser wohlweislich, will das Parlament den Schutzstatus S aberkennen, wenn sich der Flüchtling länger als 14 Tage nicht in der Schweiz aufhält. Schmerzlich, dass so die Ferien dramatisch verkürzt werden.

Zum Schluss ihrer kurzen Philippika geht Walser richtig in die Vollen:

«Welchen Schaden es mit dem Entscheid verursacht, scheint dem Parlament egal zu sein. Für ein bisschen symbolische Härte nimmt es in Kauf, mit dem Schweizer Alleingang die EU zu verärgern, die auf ein koordiniertes Vorgehen setzt. Es nimmt in Kauf, Russland als Aggressor zu erfreuen. Und es stösst die ukrainischen Flüchtlinge vor den Kopf. Die implizite Botschaft an sie lautet: Ihr seid hier nicht mehr erwünscht. Offenbar war es das mit Solidarität, zumindest im Bundeshaus. Ein trauriges Zeichen.»

Bevor wir die Taschentücher zücken oder uns gegenseitig ins Hemd heulen, schauen wir uns die Behauptungen genauer an. Die Schweiz könnte die EU verärgern? Die EU, die inzwischen selbst einräumt, dass sie die Flüchtlingsproblematik nicht im Griff hat, deren «koordiniertes Vorgehen» so aussieht, dass Mitgliedstaaten den Flüchtlingswahnsinn nicht mehr mitmachen und ihre Grenzen schliessen – oder Flüchtlinge einfach durchwinken, sich keiner an die Quotenregelungen halten will? Absurd.

«Russland als Aggressor erfreuen»? Was soll Russland denn freuen, wenn die Schweiz keine nicht asylwürdigen Flüchtlinge mehr aufnimmt? Absurd.

«Stösst Flüchtlinge vor den Kopf»? Wohl nur solche, die meinen, Asyl sei ein garantiertes Recht, das man nur einzufordern hat, und schon kann man seinen SUV auf Kosten des Schweizer Steuerzahlers auftanken und sich endlich mal das Gebiss regeln lassen. Absurd.

«War es das mit der Solidarität»? Die Schweiz zahlt 1,7 Milliarden Franken für Ukraine-Flüchtlinge im Jahr. Plus Hunderte Millionen «Wiederaufbauhilfe», bis 2036 soll sich das auf 5 Milliarden Franken summieren. Das soll in den Augen von Walser keine Solidarität sein? Absurd.

«Ein trauriges Zeichen»? Allerdings. Für verpeilte Weltfremdheit, Realitätsferne, präpotente Rechthaberei. Natürlich soll man seinen Lesern nicht unbedingt nach dem Mund schreiben. Aber der Mehrheit dermassen frech eins über die Rübe zu geben, dazu noch den Schweizer National- und Ständerat abkanzeln, das braucht schon eine ungesunde Menge an oberlehrerhafter Verbohrtheit.

«Blick», reloaded

Das enteierte Bunt-Blatt hat doch seine Sternstunden und labt den Leser mit Oasen.

ZACKBUM vermutet, dass einzelne Leistungen gegen den Widerstand des Head-, Chief- und Führungssalats auf oberster Leitungsebene stattfinden, wo man sich gegenseitig auf der Leitung steht.

So ist es Raphael Rauch offenbar gelungen, einige Vorfassungen des Schlusscommuniqués der Birkenstock-Konferenz zu behändigen.

Und sie zeigen, dass auch hier kräftig enteiert wurde:

«Blick liegt eine Entwurfsfassung des Abschlusskommuniqués vor. Demnach sollten künftig «Vertreter der Russischen Föderation einbezogen werden». Und weiter: «Wir kamen überein, den zweiten hochrangigen Friedensgipfel in [***] abzuhalten.» Doch der Abschnitt musste umgeschrieben werden. Statt von Russland war nun von «allen Parteien» die Rede; der Ort für die Nachfolge-Konferenz fiel ganz weg.»

Gnadenlos zählt Rauch dann nochmal die Absagen auf – und den Ersatz. So sprang Kolumbien kurzfristig ab, dafür kam Mauretanien. Im letzten Moment liessen sich Jordanien, Irak und Ruanda (nach allen BRICS-Staaten) von der Unterzeichnerliste streichen.

«Hinzu kamen dafür das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, Antigua und Barbuda, die Organisation Amerikanischer Staaten, Sambia, die Republik der Marshallinseln und Barbados. «Lauter Schwergewichte, die Einfluss auf Putin nehmen könnten», lästert ein erfahrener EDA-Diplomat

Schliesslich habe es sogar eine «Operation Desperados» (Verzweifelte) gegeben, also verzweifelte Versuche in letzter Minute, Schwergewichte zur Teilnahme zu bewegen – vergeblich.

Und Chef Reza Rafi kam auf die originelle Idee, den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zu interviewen. Der sich allerdings sicherlich alle Fragen zu seinem Rücktritt und laufenden Verfahren gegen ihn verbat.

Aber das wird überstrahl von einem Editorial Rafis, das sich wohltuend vom Gesülze in anderen Mainstreammedien abhebt, nicht zum ersten Mal.

Rafi nimmt sich vor, dass Selenskyj verkündete, dass die EU bereits diese Woche Beitrittsgespräche mit Kiew beginnen werde. Ha, ein Schlag in die Fresse für den Kremlherrscher. Oder nicht?

«Ist sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Risiken bewusst, wenn sich die Union dereinst bis zum Kaukasus erstreckt? Wenn ein Flächenstaat mit 38 Millionen Einwohnern und einem gravierenden Korruptionsproblem, der bis an den Osten des Schwarzen Meers reicht, zum Gebilde gehören wird

Das zudem mit einer Unzahl von Problemen zu kämpfen hat, auch ohne die Ukraine. Rafi vermutet, dass sich Beton-Uschi damit ein Denkmal setzen will. «Die negativen Auswirkungen einer solchen Übung werden jeweils den nächsten Generationen überlassen.»

Ach, und Frank A. Meyer echauffiert sich darüber, wo der Gipfel stattfand. Der Bürgenstock sei die «Freiheitskanzel im Herzen der Eidgenossenschaft». Allerdings: «im Besitz Katars». Grimmige Schlussfolgerung: «Geld hat auf dem Bürgenstock den Geist gekauft – Schweizer Geist

Und das bittere Fazit Meyers: «Hätten die sonst so tapferen Vaterlandsverteidiger da nicht sagen müssen: «Katar auf dem Bürgenstock? Kommt gar nicht infrage! Das Resort dort oben machen wir selbst. Das gehört zur Eidgenossenschaft – das i s t die Eidgenossenschaft.» Leider, leider steht der Bürgenstock für die Käuflichkeit der Schweiz.»

ZACKBUM ist flexibel, gerecht und lernfähig. Offenbar gibt es doch Leben in der Wüstenlandschaft «Blick». Kleine Oasen mit Quellen der Erbauung und Leserbefriedigung.

Wir werden ihn selektiv wieder in unser Lektüreprogramm aufnehmen; es gibt andere Organe, bei denen wir dafür weniger quälen lassen werden.

Tagi brutal

Demokratie ist scheisse, wenn das Resultat nicht stimmt.

Man muss das schwarz auf weiss dokumentieren:

Und betonen: das ist kein Deep Fake, auch keine Fake News. Der Brüssel-Korrespondent Stephan Israel hat sich offensichtlich dermassen an den Dunkelkammer-Politbetrieb in der EU gewöhnt, dass er jegliche demokratische Gesinnung fahren lässt.

Die EU hat sich darauf geeinigt, weitere 50 Milliarden Euro Steuergelder in die Ukraine zu pumpen: «Es geht um Mittel für Gehälter, Renten, Schulen und Spitäler. Das Land im Krieg braucht das Geld, um einen Bankrott zu vermeiden. Der ukrainische Regierungschef Denis Schmihal begrüsste den Deal, der helfen werde, das «gemeinsame Ziel eines Sieges» zu erreichen

Nun sieht der ungarische Präsident Viktor Orban das Ganze nicht so gemeinsam. Aber zunächst fantasiert Isael noch von etwas, was er mit der wohl abgelutschtesten Leerformel umschreibt: «Der Durchbruch in Brüssel ist auch ein wichtiges Signal Richtung Washington, wo US-Präsident Joe Biden Mühe hat, Hilfen für die Ukraine durch den Kongress zu bringen.» Als ob es die USA interessieren würde, was die EU beschliesst und welche «Signale» sie ausstrahlt.

Aber dort geht es offenbar zu wie im hölzernen Himmel: «Es gebe keine Ukraine-Müdigkeit, sondern eine «Orban-Müdigkeit», brachte der neue proeuropäische polnische Regierungschef Donald Tusk die Stimmung auf den Punkt. Er könne das «sehr merkwürdige und egoistische Spiel» Orbans nicht verstehen. Orbans Position sei eine Bedrohung für Europas Sicherheit.»

Was hat denn der Bedroher Orban Schlimmes getan? Er wagt es, nicht davon überzeugt zu sein, ob diese Finanzhilfen für das korrupteste Land Europas sinnvoll ausgegeben werden. Man kann diese Meinung teilen oder nicht, aber es ist eine erlaubte Position.

Ist es nicht, keift Israel. Denn: «die Demokratie ist in Ungarn praktisch abgeschafft, und die freien Medien sind zerstört». Das wird aber der Ringier-Verlag nicht gerne hören, der dort in den angeblich unfreien Medien investiert ist. Aber das ist nur di Einleitung für noch mehr Undemokratisches. Nein, nicht von Orban, von Israel:

«Ein Rauswurf ist in den Statuten nicht vorgesehen, aber die EU-Staaten könnten Ungarn das Stimmrecht entziehen. Die EU-Staaten sollten diese sogenannte Nuklearoption ernsthaft in Erwägung ziehen. Viktor Orban könnte dann sein böses Spiel der Erpressungen und Blockaden nicht weiter treiben.»

Langsam zum Mitschreiben: Orban hat nicht zu verantworten, dass in der dysfunktionalen und undemokratischen EU Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten Voraussetzung für eine Entscheidung ist. Dabei ist es sein Recht, wie das der anderen Staatschefs, einer Massnahme zuzustimmen oder sie abzulehnen. Was Israel hingegen vorschlägt, wäre das Ende der Demokratie. Wenn  jemand bei einer Abstimmung beispielsweise gegen einen Vorschlag des Bundesrats votierte, dann müsste man das laut Israel nicht einfach als Ausdruck einer freien Meinungsäusserung so akzeptieren, sondern dem unbotmässigen Schlingel das Stimmrecht wegnehmen. Nach der Devise: du darfst abstimmen, wie du willst. Das ist dein demokratisches Recht. Nur musst du halt richtig abstimmen.

Unglaublich. Einerseits wirft Israel Orban vor, der habe in Ungarn die Demokratie «praktisch abgeschafft». Handkehrum will der Antidemokrat selbst sie in der EU abschaffen. Und bemerkt den schreienden Widerspruch nicht mal. Und die Qualitätskontrolle bei Tamedia, aber lassen wir das. Ein Trauerspiel ohne Ende. Oder mit absehbarem Ende …

 

Die Umschreiber

Zwischen Fakt und Fiktion. Selbstentleiber auf den Redaktionen.

Nehmen wir an, es passe nicht ins korrekte Weltbild, dass es schneit. Während vor den Fenstern dicke Flocken vom Himmel fallen, holt der Umschreiber in seiner Verrichtungsbox tief Luft, setzt sich die schalldämpfenden Kopfhörer auf und legt los.

Die Bezeichnung Schneefall für das Symptom des Klimawandels hält einer näheren Betrachtung nicht statt. Oberflächlich betrachtet sieht es danach aus, aber wie wissenschaftliche Untersuchungen erwiesen haben, sind die einzelnen Schneeflocken deutlich kleiner als früher, ihre kristalline Struktur ist durch Umweltverschmutzung zerstört. Das Gleiche gilt übrigens für die gedankenlose Verwendung von «es regnet».  Die Anzahl Regentropfen hat deutlich ab-, ihr Giftgehalt zugenommen. Genauer müsste man von saurem, toxischem Tröpfeln sprechen.

Es käme doch keiner der wahrhaftigen Wiedergabe der Realität verschriebenen Journalisten auf die Idee, einen solchen Stuss zu sabbern? Aber sicher doch.

Eine hochwissenschaftliche Studie zweier angesehener Professorinnen über die Karrierewünsche von Studentinnen wird mit untauglichen Argumenten niedergemacht. Die Wahlchancen von Donald Trump. Die angebliche Existenz eines Netzwerks von rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Infokriegern. «SonntagsZeitung» und «Tages-Anzeiger» mit rechtspopulistischer Agenda. Die faschistoide, wenn nicht offen faschistische AfD. Die wünschens- und lebenswerte 10-Millionen-Schweiz. Alles Männer- (seltener Frauen-)Fantasien wie von einem anderen Planeten.

Die Abfolge an Beispielen reisst nicht ab und vermehrt sich täglich ins Absurde: in den meisten Massenmedien, ganz extrem aber bei Tamedia und im Randgruppenorgan «Republik», findet ein bemühtes Umschreiben der Wirklichkeit statt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Framing, Narrative, festgelegte und unerschütterliche Weltbilder haben Neugier auf die Realität, auf die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten auszuhalten und darzustellen, besiegt.

Selbst krachende Niederlagen in der Vergangenheit vermögen nicht, Wiederholungen von blühendem Wunschdenken zu verhindern. Längst vergessen, dass das Schweizer Farbfernsehen noch tief in die Wahlnacht hinein es nicht wahrhaben wollte, dass die USA nicht zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin gewählt hatten. Auch nachher kamen die «Analysen» nicht über das Niveau hinaus, dass die Amis halt massenhaft ungebildete Schwachköpfe seien, die trotz strengen Ermahnungen falsch gewählt hätten.

Ein ewiger Topos bei diesen Umschreibern ist auch das Verhältnis der Schweiz zur EU. Auch wenn sich angesichts völlig klarer Meinungsumfragen kaum einer mehr traut, offen für den Beitritt zu diesem dysfunktionalen Gebilde mit einer absaufenden Währung zu fordern, wird in Dauerschleife das Abseitsstehen der Schweiz, die Rosinenpickerei, die dramatischen Auswirkungen auf Forschung und Wirtschaft bedauert und bejammert. Es sei vermessen, einen «Sonderweg» zu wählen, sich nicht dreinzuschicken. Nur «Populisten» von der SVP verträten diese irrige Meinung. Damit schreiben diese Besserwisser an der Mehrheit ihrer eigenen Leser vorbei.

Einen Erziehungsauftrag sehen viele, meist männliche Kampfschreiber auch auf dem Gebiet der korrekten Schreibe und Denke. Jedes Sprachverbrechen, jede Verunstaltung ist ihnen recht, wenn sie angeblich inkludierend, nicht rassistisch, nicht frauenfeindlich sei. Dass der überwältigenden Mehrheit der Leser das Gendersternchen und andere Verhunzungen nicht nur schwer am Allerwertesten vorbeigehen, sondern von ihr als nervig und störend empfunden werden – was soll’s, da sieht die Chefredaktorin von Tamedia nur verschärften Erziehungsbedarf.

Interessant zu beobachten ist, dass sich CH Media weitgehend bedeckt und normal verhält, was das Umschreiben der Wirklichkeit betrifft. Der «Blick» ist gegenüber seinem früheren Lieblingsfeind, der SVP und ihrem Herrgöttli aus Herrliberg, oder ihrem «Führer», wie ihn das Hausgespenst zu titulieren beliebte, handzahm geworden. Aber auf dem Weg dorthin hat sich das Boulevardblatt, das keins mehr sein darf, selbst entkernt, entleibt, seiner Existenzberechtigung beraubt.

Einigermassen vernünftig verhält sich lediglich die NZZ, die sich gelegentlich intellektuell und sprachlich hochstehend über all diese Genderverirrungen der Kollegen lustig macht.

Wenn es nur der Kampf um den Mohrenkopf wäre, könnte man das als realitätsfernen Spleen einiger Journalisten abtun, die sich an der Sprache abarbeiten, weil ihnen die Realitätsbeschreibung zu anstrengend ist. Aber leider metastasiert dieses Phänomen in alle Winkel und Räume der Welt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass immer mehr Journalisten fachfremd, ungebildet und ohne Hintergrundwissen sind. Ein peinliches Trauerspiel, wie die gesamte Schweizer Wirtschaftsjournaille eins ums andere Mal von angelsächsischen Medien bei der CS-Katastrophe abgetrocknet wurde.

Multikulti, Ausländerkriminalität, Aufarbeitung des Regierungshandelns während Covid, die Suche nach der Wirklichkeit im Ukrainekrieg, eine realitätsnahe Darstellung Chinas und anderer gegendarstellungsfreier Räume, Interviews, in denen dem Gesprächspartner nicht einfach Stichwörter zur freien und beliebigen Beantwortung hingeworfen werden – da herrscht zunehmend «flat lining». So nennt der Arzt den Hirntod, wenn auf dem Monitor nur noch flache Linien statt Ausschläge zu sehen sind.

Es ist eine Mär, dass mit weniger Mitteln halt nur noch Mittelmässiges, Mittelloses hergestellt werden könnte. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um zu faszinierenden Storys zu kommen. Denn nie war die Wirklichkeit bunter, scheckiger, widersprüchlicher, interessanter, faszinierender, verwirrender als heute. Aber das muss man aushalten können.

Schlimmer noch: um das zu beschreiben, braucht es gewisse intellektuelle Voraussetzungen und sprachliche Fähigkeiten. Aber in ihrem tiefsten Inneren wissen viele dieser Rechthaber, Umschreiber, Umerzieher, dieser Worthülsenwerfer («dringend geboten, müsste sofort, energische Massnahmen, Fehler korrigieren»): damit decken sie nur das eigene Unvermögen zu, die tiefe Verunsicherung, die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache zwecks Annäherung an die Wirklichkeit.

Aber es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern: immer mehr Leser sehen, dass diese selbsternannten Meinungskönige pompös daherschreiten, mit strengem Blick Zensuren verteilen, Handlungsanweisungen geben, der Welt sagen, wie sie zu sein hätte – aber in Wirklichkeit nackt sind. Lächerlich nackt. Und was ist schon ein lächerlicher Kaiser? Das Gleiche wie ein lächerlicher Journalist: überflüssig und machtlos.

Die Kamikaze-Krakeeler

Widersprich nie deinen Lesern. Alte Journalistenregel. Pfeif drauf.

Von Strack-Zimmermann aufwärts und abwärts gibt es Flachdenker, die meinen, Massenimmigration führe zu einer multikulturellen Durchmischung und Bereicherung der Gesellschaft.

Es gibt auch Flachdenker, die meinen, eine militärische Auseinandersetzung mit einer Atommacht könne man auf dem Schlachtfeld gewinnen. Die wollen als strahlende Sieger in den atomaren Holocaust marschieren.

Unterwegs dahin plappern sie ein Sammelsurium von Narrativen nach, die von geschickten US-PR-Buden in die Welt gesetzt wurden.

Kurze Packungsbeilage: natürlich ist der Überfall Russlands auf die Ukraine völkerrechtswidrig, geschieht unter Bruch eigener Versprechen und macht Russland zu einer Atommacht, der man längere Zeit nicht vertrauen kann, selbst wenn sie heilige Eide schwört.

Warum genau soll Russland eine militärische Niederlage in der Ukraine erleiden?

– weil hier der freie Westen gegen eine slawische Diktatur kämpfe

– weil Putin nach der Ukraine den übrigen Ostblock aufrollen wolle, gebietet man ihm dort nicht Einhalt

– weil es darum gehe, die ukrainische Demokratie, Souveränität und den heldenhaften Wehrwillen zu unterstützen

– weil Russland als Verlierer für die angerichteten Schäden aufkommen müsse. Ersatzweise können auch beschlagnahmte russische Vermögen dafür eingesetzt werden

– weil ein solcher Bruch aller Regeln des friedlichen Zusammenseins nicht geduldet werden könne

– weil die ganze Welt diese Invasion verurteile und Russland mit Sanktionen bestrafe

– weil Putin und seine Kamarilla vor ein internationales Kriegsgericht gehörten

– weil Präsident Selenskjy und seine Getreuen die Werte des freien Westens und die Demokratie verteidigten

– weil Putin zweifellos böse, irr, verbrecherisch, wahnsinnig, machtgierig, hinterhältig und keinem vernünftigen Argument zugänglich sei

– weil er und ganz Russland bestraft werden müssten

– weil Russland die Fähigkeit genommen werden müsse, das nochmal zu probieren

Einige dieser Argumente sind dermassen bescheuert, dass sich eine Widerlegung kaum lohnt. Es genügt, den wahren Satz des wohl einflussreichsten Intellektuellen der Welt wieder und wieder zu wiederholen. Noam Chomsky sagt:

Kriege werden nur auf zwei Arten beendet. Durch eine vollständige Niederlage einer der beiden Kriegsparteien – oder durch Verhandlungen.

Eine vollständige Niederlage Russlands ist ausgeschlossen, eine vollständige Niederlage der Ukraine ist denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Nun gibt es Schlaumeier, die sagen: ja, sicher, irgendwann muss es Verhandlungen geben. Aber vorher muss Russland so geschwächt werden, so herbe Verluste hinnehmen, dass auch seine Verhandlungsposition geschwächt ist.

Diese Sandkastengeneräle wünschen also aus ihrer wohlig beheizten Klause heraus, dass es noch möglichst viele weitere Tote in der Ukraine gibt, noch mehr Infrastruktur zerstört wird, noch mehr Leid und Gram über die Bevölkerung hereinbrechen. Das ist schlichtweg widerwärtig.

Da nicht die ganze Welt, sondern nur eine einstellige Zahl von Staaten (wenn man die EU als ein Staatsgebilde nimmt) Sanktionen gegen Russland verhängt haben, ist es auch illusorisch anzunehmen, dass die Atommacht mit angeschlossener Rohstoffindustrie wirtschaftlich in die Knie gezwungen werden kann. Im Gegenteil, in erster Linie leiden unter den Sanktionen schwächere europäische Staaten.

Völlig pervers werden sie, wenn sie beispielsweise die Produktion von Düngemitteln betreffen. Darunter leidet dann nicht Russland (oder die Düngemittelfabrtikanten), sondern die Dritte Welt, von allem afrikanische Staaten, die sich den Import von dringend benötigten Düngemitteln nicht mehr leisten können. In Afrika ist von einer heraufziehenden schweren Hungersnot die Rede, was aber im Westen keinen interessiert. Oder in Umkehr von Ursache und Wirkung wird das auch Russland in die Schuhe geschoben.

Vielleicht sollten sich diese Kriegsgurgeln eine einfache Frage stellen: ist die Unterstützung eines zutiefst korrupten Oligarchenregimes eines Staates, der erst seit etwas mehr als 30 Jahren taumelnde Schritte in die Selbständigkeit unternimmt, das Risiko eines Atomkriegs wert?

Ist ein Präsident, der ein begabter Schauspieler ist, unter martialischem Olivgrün seine Muskeln spielen lässt, sich mitsamt Gattin sogar in der «Vogue» wie von Leni Riefenstahl inszeniert ablichten lässt, ist ein Präsident, der sich seine Präsidentschaft von einem Oligarchen kaufen liess, der damit ein eigenes Milliardenproblem löste, ist ein Präsident, der selbst Multimillionär ist und prominent in den letzten geleakten Papieren über Offshore-Konstrukte vorkam, ist ein Präsident, der masslose Korruption duldet, bis er nicht umhin kann, fürs Schaufenster durchzugreifen, ist ein Präsident, der die Opposition und potenzielle politische Konkurrenten übel unterdrückt, ist ein Präsident, der eine Pressezensur betreibt, die der russischen in nichts nachsteht, ist ein solcher Präsident wirklich die Lichtgestalt, für die wir alle in den Tod gehen wollten?

Früher gab es den blöden Spruch «Lieber tot als rot.» Dabei wäre «lieber rot als tot» viel intelligenter, hoffnungsfroher, subversiver, lebensbejahender gewesen.

Daher hat ZACKBUM eine klare, eindeutige Meinung, insofern die überhaupt eine Rolle spielt, was die Unterstützung der Ukraine mit noch mehr Waffen und mit noch gewaltigeren Waffen betrifft.

Sie lautet nein. Nein, und nochmals NEIN.

Wir sind da nicht ganz alleine. Das Manifest für den Frieden ist innert kürzester Zeit bereits von knapp einer halbe Million Menschen unterschrieben worden.

Dumm gelaufen

Das EU-Parlament verweigert Ungarn Milliarden. Wegen Korruptionsverdacht.

Ein schlechter Tag für alle Euro-Turbos in der Schweiz. Während die EU zum ersten Mal in ihrer Geschichte einem Mitgliedsland zugesagte Unterstützungszahlungen in Milliardenhöhe verweigert, platzt im EU-Parlament der wohl grösste Korruptionsskandal aller Zeiten.

Eine der viel zu vielen Vizepräsidentinnen, plus weitere Betroffene, haben ihre bequemen Sessel im EU-Monster in Brüssel und Strassburg gegen eher unbequeme Pritschen in Gefängniszellen vertauscht. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung, aber es sprechen doch deutliche Indizien dafür, dass sie sich ihre Lobyydienste für Katar unziemlich bezahlen liessen.

Unziemlich deswegen, weil Beeinflussung des zahnlosen Parlaments eine der Hauptbeschäftigungen in den beiden Tagungsorten ist. Insgesamt 25’000 Lobbyisten treiben hier ihr Unwesen, laut Lobbycontrol verpulvern sie dabei jährlich 1,5 Milliarden Euro. Immer wieder zeigte sich das EU-Parlament «besorgt» über mögliche Korruption und gekauften Einfluss. Geschehen ist bis heute – genau nichts.

Wie steht es denn mit Reaktionen aus der Szene der Schweizer Euro-Turbos? Da hört man bislang – genau nichts. «Foraus»: Sendepause. «Operation Libero»: hat zwar  eine «Europa-Initiative in den Startlöchern» und braucht «500’000 Franken zum Loslegen». Aber zum Korruptionsskandal fällt auch hier kein Wort. Vielleicht muss sich Sanija Ameti den Vorfall zuerst schöntrinken, politisch gesehen.

Die SP fordert immer mal wieder den EU-Beitritt, steht schliesslich verschämt im Parteiprogramm. Die Partei fordert und verurteilt dies und das, aber auch hier: kein Ton zum Korruptionsskandal. Christa Markwalder, die auch nach ihrem Rücktritt bei der Nebs (Neue Europäische Bewegung Schweiz) immer für einen Eu-Beitritt weibelt: Sendepause.

Und die Europäische Bewegung selbst, präsidiert von Eric Nussbaumer (SP)? Schweigen, tiefes Schweigen.

Schliesslich «Vorteil Schweiz», die mit grossem Trara und Geld des Milliardärs Hansjörg Wyss und des Millionärs Jobst Wagner ins Leben gerufene Bewegung für eine Entkrampfung des Verhältnisses zur EU, ausdrücklich als Gegenkraft zu Christoph Blocher gegründet? Ist im Internet nicht mehr auffindbar.

Oder Witzveranstaltungen wie RASA (Raus aus der Sackgasse)? Unauffindbar.

Es ist immer wieder verblüffend, wie mit peinlichem Schweigen auf unangenehme Nachrichten reagiert wird. Oder Krokodilstränen vergossen werden in Organen, die sich für eine angeblich weltoffene Schweiz in der EU und gegen eine angebliche abgeschottete Schweiz ausserhalb der EU starkmachen. «Super-GAU für die Glaubwürdigkeit», schimpft nun Tamedia. «Jetzt kann sich Urban die Hände reiben», fäustelt der «Blick».

Immerhin gibt es eine gute Nachricht. Bei solchen Befürwortern engerer Beziehungen zur EU muss man sich über die Gefahr eines EU-Beitritts keine Sorgen machen.

Wumms: Michael Hermann

Bei Tamedia versagt die Qualitätskontrolle kläglich.

Eigentlich hatten wir schon alles Nötige über diese Mietmeinung gesagt. Aber Hermann wiederholt sich, also müssen wir uns auch wiederholen:

Der «Geograph und Politwissenschaftler» ist eine der beiden Allzweckwaffen, wenn es darum geht, vorgefassten Meinungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.

In seiner neusten Kolumne schleicht er sich zunächst ganz harmlos an seine Lieblingsforderung heran:

Dass Hegemonialmächte hegemonial agieren, das ist zwar weder eine neue, noch eine originelle, noch eine weiterführende Erkenntnis. Aber das ist nur einleitendes Beiwerk für Hermann, deshalb geht er recht oberflächlich zur Sache und verteilt so nebenbei ein paar Noten. Denn auf der einen Seite haben wir das hier:

«Russland und China sind Gefahrenherde für die friedliche Ordnung der Welt weit mehr als Kirgistan, Vietnam oder Katar – obwohl Letztere ebenso zu den autokratischen Regimes zählen wie Erstere.»

Aber da gibt es doch noch den grössten Hegemon von allen, den kann Hermann nun schlecht ignorieren, also quält er sich das hier ab:

«Und auch in der demokratischen Hemisphäre geht von den grossmächtigen USA weit mehr Unwägbarkeit aus als von Kanada.»

Gefahr gegen Unwägbarkeit, so schaut’s aus im wissenschaftlichen Blickwinkel.

Aber das ist nur Beiwerk, mit raschen Schritten nähert sich Hermann seinem eigentlichen Anliegen: «Alle kleinen und mittelgrossen Staaten, die sich nicht wie Belarus zum blossen Sidekick degradieren lassen wollen, haben heute ein strategisches Interesse, der Dominanz der Grossen etwas entgegenzusetzen.»

Der aufmerksame Leser fragt sich hier bereits, ob Belarus nicht ein Platzhalter für die Schweiz ist. Denn die Nicht-Hegemonialländer nah und fern müssen doch etwas unternehmen, aber hallo. Nur was? Bevor wir nun alle an den Fingernägeln zu knabbern beginnen, hat der «Politikwissenschaftler» eine «Lösung» zur Hand, die ebenfalls an Originalität schwer zu unterbieten ist:

«Als Taktgeber einer solchen IG der kleinen und mittleren Staaten ist niemand besser geeignet als die Europäische Union.»

Wir wischen uns kurz die Lachtränen aus den Augen. Die EU als Taktgeber? Die dysfunktionale, undemokratisch organisierte, seit der Eurokrise ständig vom Zerfall bedrohte EU? Als IG kleiner Staaten? So wie Griechenland? Dem Kleinstaat wurde ein brutaler Rettungsplan gegen den Willen der eigenen Regierung aufs Auge gedrückt. Dessen Umsetzung von einer demokratisch überhaupt nicht legitimierten Troika überprüft wurde. Wie Zypern? Dem Kleinstaat wurde das Rasieren von wohlhabenden Bankkunden aufs Auge gedrückt. Wie Ungarn? Der Kleinstaat wird mit Subventionsentzug drangsaliert, weil er auf einigen Gebieten seine eigene Gesetzgebung über EU-Recht stellen will.

Und dieser Haufen, dessen Parlament nicht mal Gesetze vorschlagen darf, dessen Präsidentin nicht mal für dieses Amt kandidierte, sondern im letzten Moment aus dem Hut gezaubert wurde, diese «Werteunion», die sämtliche Werte ihrer Verfassung oder die Bestimmungen von Maastricht oder Schengen kübelt, durchlöchert, übergeht, aussetzt, das soll eine Interessensgemeinschaft für kleine Staaten sein?

Zum Schluss irrlichtet Hermann über der EU noch in hoher Kadenz:

«Gerade weil sie aufgrund ihrer eigenen Vielfalt und Vielstimmigkeit keine echte Grossmacht und damit auch kein Hegemon ist, kann sie jedoch zur glaubwürdigen Organisatorin der Interessen der «KMU»-Staaten dieser Erde werden. Viele dieser Staaten sind alles andere als perfekt und genügen nicht den demokratischen Ansprüchen. Eine bessere Koordination, mehr Austausch und mehr defensive Macht unter ihnen würde jedoch einen Beitrag leisten zur dringenden Einhegung der globalen Hegemonen.»

Also, liebe KMU-Staaten, schliesst Euch der EU an, oder lasst zumindest Eure Interessen von ihr vertreten. Von ihren Kommissaren, Dunkelkammern und demokratisch in keiner Form legitimierten Machthabern. Vor allem aber, das ist ja Hermanns Mantra: liebe Schweiz, endlich in die EU eintreten.

Kümmert sich bei Tamedia wirklich niemand mehr um Qualitätskontrolle? Denkt niemand mehr an den Leser? Darf der wirklich von jedem Flachdenker gequält werden? Auf jedem Niveau, so unterirdisch es auch sein mag?

Sicher, Kolumnitis ist ein Ersatz für aufwendige Recherche und Analyse. Aber dann doch lieber noch mehr Texte aus der «Süddeutschen» als sowas. Lieber noch mehr Katzengeschichten von ehemaligen Münchner Bürgermeistern. Bitte, mit Fotos!

Dilemma banal

Gas und Öl gegen Rubel? Einfach erklärt.

Die meisten Medien sind nicht in der Lage, ein einfaches Dilemma einfach zu erklären. Die EU (und auch die Schweiz) ist zu fast 50 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig.

Während scharfe und schärfste Sanktionen verhängt werden, die armen Russen keine Luxusprodukte aus dem Westen mehr kaufen dürfen und die Vermögenswerte vieler reicher Russen im Westen beschlagnahmt werden, zahlt die EU brav und pünktlich die Gaslieferungen.

Das sind keine Peanuts, wir sprechen hier von rund 660 Millionen Euro oder Franken. Täglich. Nun befürchtet Russland, dass diese Devisen plötzlich auch von Sanktionen betroffen sein könnten. Nach der Devise: bitte sehr, hier die heutigen 660 Mio. Aber ausgeben dürft ihr sie nicht, sorry.

Das hiesse dann faktisch, dass Russland Gas gratis geliefert hätte. Auch wenn die EU das Gegenteil behauptet: die Beschlagnahmungen, auch die Restriktionen gegenüber der Russischen Notenbank, belegen, dass es mit Eigentumsgarantie und Rechtsstaat nicht allzu weit her ist, wenn es um Russland geht.

Also verlangt Russland, dass ab Freitag seine Rohstofflieferungen in Rubel bezahlt werden. Denn so wie die EU Herr des Euros ist, beherrscht Russland den Rubel. Das löste das Problem der Enteignung. Es bleibt aber das Problem, was sich Russland mit Rubel kaufen kann. Denn wer will im Westen schon diese Währung haben.

Die Auswirkungen eines Lieferstopps wären unüberschaubar

Aber das grössere Problem ist, dass die EU angekündigt hat, keinesfalls in Rubel, sondern weiterhin in Euro zu zahlen. Das entspräche auch den abgeschlossenen Verträgen. Wenn nun beide Seiten hart bleiben (und man hat sich in einen Clinch begeben, aus dem man ohne Gesichtsverlust nur schwer rauskommt), dann bedeutet das, dass Russland die EU-Zahlungen nicht akzeptiert und deshalb den Gashahn zudreht.

Das wiederum hätte unübersehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU-Staaten. Eine Substitution der Hälfte des Gasverbrauchs ist auf die Schnelle nicht machbar. Fachleute sprechen von zwei Jahren.

Was wären die Auswirkungen? Industriell würde Chemie, Stahl- und Metallverarbeitung leiden, auch Düngemittelproduktion. Angesichts der hohen Vernetzung hätten solche Ausfälle flächendeckende Auswirkungen. In Deutschland ist die sogenannte Bundesnetzagentur dafür zuständig, die Zuteilung in Mangelsituationen zu regeln. Nach einem geheimen Schlüssel würden zuerst gewisse Industrieteile leiden, Privathaushalte nur im verschärften Fall, und ganz zuletzt sind Krankenhäuser oder Altersheime dran.

Deutschland verfügt über Gasspeicher; die sind allerdings nur zu 26 Prozent gefüllt und werden privat betrieben. Die Schweiz verfügt über keine Gaslager. Das sogenannte Pflichtlager soll für 4,5 Monate reichen; statt Erdgas wird hier aber Heizöl extra leicht gelagert.

Die Auswirkungen sind sehr komplex

Die Schweiz importiert 47 Prozent ihres Gasverbrauchs aus Russland. Genauer aus EU-Staaten. Rund 15 Prozent der verbrauchten Energie in der Schweiz wird aus Erdgas gewonnen. Am direktesten merken das Privathaushalte, die mit Gas beheizt werden.

Aber auch hier wären die Auswirkungen eines Lieferstopps komplexer. Denn die Schweiz muss in den Wintermonaten Strom importieren, der wird teilweise ebenfalls mit Gaskraftwerken hergestellt. Elektrizität macht 27 Prozent der verbrauchten Energie aus, auf Platz eins steht Erdöl mit 44 Prozent.

Das ist noch nicht alles. Russland ist weltweit der grösste Exporteur von Weizen, die Ukraine folgt hinter Frankreich auf Platz fünf. Für die Herstellung von Nahrungsmitteln ist Dünger unabdingbar. Kanada, USA, Russland und Belarus bilden ein Oligopol, das diesen Markt dominiert. Weniger Weizen, weniger Dünger: explodierende Nahrungsmittelpreise, eine Katastrophe für die Dritte Welt.

Hungersnöte in Gesellschaften, die zuvor mehr oder minder die Ernährung breiter Bevölkerungsschichten zu bezahlbaren Preisen garantieren konnten: das beinhaltet Sprengstoff, kann mit Leichtigkeit zu Unruhen, Bürgerkriegen, Explosionen, Umstürzen führen.

Die militärische Katastrophe in der Ukraine ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass damit das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zerrüttet ist, ist ebenfalls ein bedeutender Kollateralschaden.

Die dramatische Abhängigkeit der EU (und auch der Schweiz) von russischem Erdgas rächt sich nun. Eine Eskalation – keine Zahlungen in Rubel, kein Erdgas mehr – hätte dramatische wirtschaftliche Auswirkungen im Westen wie in Russland selbst.

Nahrungsmittelknappheit und damit verbunden Hungerrevolten würden die Länder der Dritten Welt in ihrer Entwicklung um Jahre zurückwerfen.

Der militärische Angriff ist kein singuläres Ereignis

Also alles in allem ein unüberschaubares Desaster. Der Waffengang gegen einen souveränen Staat, der keinerlei Angriffshandlungen plante, ist ein Verbrechen. Es bricht das Völkerrecht und der Aggressor begibt sich damit ausserhalb der Weltgemeinschaft. Gleichzeitig sind das Machtdemonstrationen, wie sie Imperien lieben.

Daher ist dieser Krieg keinesfalls singulär. Erinnert sei nur an die völkerrechtswidrige und verbrecherische Invasion des Iraks, unter dem Fake-Vorwurf, dort würden Massenvernichtungswaffen hergestellt und Terroristen beherbergt. Oder an die Attacken der NATO während des Zerfalls von Jugoslawien. Ohne UNO-Mandat und mit dramatischen Verlusten unter der Zivilbevölkerung.

Das ist keine Auf- oder Abrechnung. Aktuelle Verbrechen wiegen immer schwerer als vergangene. Es soll nur dazu dienen, dass im Westen nicht zu aufdringlich mit dem moralischen Zeigefinger gewackelt werden sollte. Machtpolitik ist Machtpolitik und grauslich, amoralisch, menschenverachtend. Immer und überall.

Viertes Sanktionspaket der EU

So geht’s halt: die Schweiz übernimmt und übernimmt.

Eisen, Stahl und Luxusgüter. So könnte man die Massnahmen des inzwischen vierten Sanktionspakets der EU zusammenfassen. Plus der Entzug des Meistbegünstigtenstatus und die Erweiterung der sogenannten Oligarchenliste.

Was schon beim gescheiterten Rahmenvertrag ein Problem darstellte, manifestiert sich hier deutlich. Mitgegangen, mitgefangen. Wer einmal Sanktionen der EU übernimmt, muss auch alle weiteren automatisch nachvollziehen.

Hier geht es um ein fast vollständiges Verbot jeglicher Transaktionen mit 12 bedeutenden russischen Staatsbetrieben wie Gasprom oder Rosneft. Allerdings, neckisch, der Erwerb «fossiler Energieträger», sowie von Titan, Aluminium etc. ist ausgenommen. Man will ja schon sanktionieren, aber bitte in der warmen Stube.

Köstlich ist auch ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter, also

Luxusautos, Schmuck, Haushaltsgegenstände, Porzellan, Elektrogeräte, Bekleidung und Taschen, Lebensmittel und Alkoholika, reinrassige Zuchttiere.

Viel souveräner handhaben das die USA. Deren Sanktionen sind schlichtweg weltweit gültig und verbindlich. Denn eigentlich jeder (und jede) verwendet entweder US-Dollar oder Produktebestandteile oder Technologien made in USA. Und im Zweifelsfall hat man ja eine Filiale im Land of the Free, und was da eine vertiefte Prüfung der hygienischen Zustände samt Werksschliessung alles anrichten könnte …

Wie sagte EU-Präsidenten Ursula von der Leyen pompös: «Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen.»

Nehmt das, ihr Kriegsmaschinenwarte. Chanel, Rolex, Gucci, Single Malt, Meissen, Dysonfön, könnt ihr euch alles abschminken. Fertig mit Versace, der Brioni muss aufgebügelt werden, die Louboutins ausgetragen.

Kein Nachschub für Oligarchinnen …

Wer nach einem Beispiel sucht, um das Wort lachhaft zu illustrieren …